Aus Eritrea kommen viele Flüchtlinge, die bei uns Asyl beantragen. Eine Reise durch das verschlossene afrikanische Land am Roten Meer

Von Paul-Josef Raue

Die Fahrt durchs Hochland von Eritrea gleicht einer Tour durch ein Kriegs-Museum. Am Straßenrand rosten Panzer und Flakgeschütze oder reckt sich ein Denkmal für Märtyrer empor, die ihr Leben für die Unabhängigkeit ließen. Die Nord-Süd-Verbindung, die Militärs strategisch wichtig nennen, war Ort vieler Schlachten, nicht nur im dreißigjährigen Bürgerkrieg mit Äthiopien.

Monumentale Granit-Blöcke, die letzten Zeugen aus dem Inneren der Erde, schmissen die Italiener auf die Serpentinen-Straße, die sie selbst gebaut hatten; doch Mussolinis Armee musste sich den Engländern geschlagen geben.

So endete 1941 die italienische Ära in Eritrea, die heute noch die Hauptstadt Asmara prägt: Das große plüschige Cinema Impero, die Fiat-Tankstelle mit freischwebender Decke, die Josephs-Kathedrale und viel Pizza und Pasta.

Dreitausend italienische Soldaten fielen in den Schlachten. Der größte Friedhof in Keren, der drittgrößten Stadt, ist der italienische Soldatenfriedhof: Weiße Grabmäler in Reih und Glied: Lamberto Signorelli, gefallen am 14. Februar 1941, Carmino Giovanniello, gefallen am 16. März; kleine weiße Steine bedecken die Gräber; dazwischen blüht es büschelweise rot, lila und gelb. Am Ende schmiegt sich eine kleine offene Kapelle an einen Hügel gelehnt: Wer sich vor dem Altar umschaut, sieht nicht weit entfernt die Moschee, mitten in der Stadt.

Einen Steinwurf entfernt steht ein gewaltiger Affenbrot-Baum, umzingelt von einer Würgefeige. In der Höhle des Baums erhebt sich die Schwarze Madonna, auch sie ein Denkmal des Krieges. Bei einem Angriff traf ein britisches Schrapnell den Baum, aber ließ die Madonna unversehrt: Das Loch ist heute noch zu sehen.

In einem Land, in dem Wunder selten sind, wurde die Schwarze Madonna zum Wallfahrtsort. Zigtausende kommen, es ist ein friedlicher Ort in einem unfriedlichen Land. Doch der Unfrieden ist, anders als sonst im Kontinent, kein religiöser: Muslime und Christen leben miteinander, heiraten, feiern Feste - als wäre nichts normaler in dieser Welt.

Auf einem Plakat in Keren erklimmen Soldaten in kurzen Hosen einen Berg, einer trägt die rot-grün-blaue Flagge als Zeichen des Sieges im Kampf um die Unabhängigkeit. Überall in den Bars und Restaurants ist dieser Revolutions-Pathos vor Augen, auf den Straßen werben Plakate „Ich bin stolz ein Eritreer zu sein“.

Stolz? Wenn Eritrea in seine Geschichte schaut, schaut es in einen Abgrund: Eine endlose Historie von Unterdrückung, Besatzung, Kämpfen und Niederlagen. 300 Jahre osmanisch-türkisch, 30 Jahre ägyptisch, 55 Jahre italienisch, 10 Jahre britisch, 30 Jahre äthiopisch. Und nur ein Sieg, aber am Ende dieser Reihe: Seit 25 Jahren ist Eritrea unabhängig.

Von diesem Sieg zehrt das Land, zehren die Menschen. Aus diesem Sieg wächst der Mythos einer stolzen Nation. Im Mai 1993 nahmen die Vereinten Nationen Eritrea auf in die Weltgemeinschaft. Doch der aktuelle UN-Bericht zur Lage der Menschenrechte ist eine Liste des Schreckens: Willkürliche Hinrichtungen, systematische Folter, Vergewaltigung, Zwangsarbeit, zeitlich unbegrenzter Militärdienst, ungesetzliche Inhaftierungen, ein gewaltiger Geheimdienstapparat.

Die Regierung bestreitet den Bericht, weil die Berichterstatter nur Emigranten befragt hatten, statt sich im Land umzusehen; aber die Einreise der UN-Mitarbeiter verweigerte sie.

Landschaften von archaischer Schönheit: Die Erde öffnet sich in tiefen Spalten, als wäre der Tag der Schöpfung gerade erst geschafft

Die Unabhängigkeit feiert in diesem Jahr ihr Jubiläum. Am 24. Mai wird die Dampf-Lokomotive wieder einmal durch die Berge schnaufen: 117 Kilometer, vom 2400 Meter hoch gelegenen Asmara runter nach Massawa, der Hafenstadt am Roten Meer. Die Italiener haben sie gebaut mit 29 Tunneln, 13 Bahnhöfen, 5 Zisternen und Tausenden von Arbeitern; 400 starben.

Die Bahnfahrt wäre eine Touristen-Attraktion, wenn es Touristen gäbe. Touristen mag das Land aber nicht: Das Visa ist nur schwer zu bekommen, Regionen außerhalb der Hauptstadt darf man nur mit einer Sondergenehmigung besuchen – und wer dennoch kommt, muss in Hotels oft auf einfachste Ausstattung verzichten.
 


Seit vierzig Jahren fährt die Bahn nicht mehr nach Fahrplan. Wer dennoch fahren will, muss Kohle besorgen, damit der Heizer schaufeln kann. Dampft die Lokomotive los, schaut man in Landschaften von archaischer Schönheit: Die Erde öffnet sich in tiefen Spalten, als wäre der Tag der Schöpfung gerade erst geschafft; die Bauern haben sich am steilen Abgrund Terrassen gebaut, um die fruchtbare Erde zu nutzen; alles, was gepflanzt und geerntet wird, ist das Werk von Händen, ohne Traktoren, die an den Abhängen keinen Halt bekämen.

Kinder laufen hinter dem Zug her, als probten sie den Marathon für die olympischen Spiele: Die schnaufende und pfeifende Lokomotive mit ihren Dampfwolken ist die Attraktion in der abgelegenen Berg-Region. Eritrea ist das Land der Fußgänger, nicht nur in den Bergen.

Der Begriff „Tagesreise“ hat hier noch einen Sinn: Man läuft zig Kilometer bis zum Markt, die Last auf Kopf und Schultern verteilt; nur die Wohlhabenden nehmen den Esel mit, der schwer beladen wird. Ein Auto können sich nur wenige leisten: Die Einfuhr ist mit hohen Zöllen belegt, das Benzin kostet fast dreimal so viel wie in Deutschland – so dass man an den Tankstellen nur selten einen Wagen sieht.

Am Ende der Zugfahrt, wenn man das Meer schon riechen kann, fährt die Lokomotive auf einem langen Viadukt, der sich über ein weites ausgetrocknetes Flussbett zieht und der auch den Zehn-Nakfa-Schein ziert. Asmara, die Hafenstadt, liegt auf zwei Inseln, die durch Dämme verbunden sind, sie ist die zweitgrößte Stadt.

Der Hafen ist ein Geschenk der Natur: Eine große Bucht vor einer Kette von Koralleninseln. Dutzende der gelben Dump-Trucks, gebaut in Hongkong, fahren täglich in den Container-Hafen und bringen Gold, Silber, Kupfer, Zink und andere Mineralien aus den Minen – das im Ausland verarbeitet wird.

Eritrea ist reich an Bodenschätzen. 2010 eröffnete das kanadische Unternehmen Nevsun die erste Mine in Bisha, gut hundert Kilometer westlich der Hauptstadt. „Eritrea ist ein ideales Land für Investoren“, wirbt das Energie- und Minen-Ministerium ausländische Unternehmen. „Sie finden hoch motivierte, disziplinierte und hart arbeitende Menschen, eine von Korruption freie Regierung und ein sicheres und freies Land.“

Keine Korruption in Eritrea? „Das stimmt wohl“, sagt Tesfai. Nennen wir alle, die das Schweigen brechen, einfach Tesfai: Es ist nahezu unmöglich, Menschen zu finden, die offen über Politik in Eritrea sprechen und ihren Namen nennen. „Wenn ich meinen Namen in einer Zeitung finde, ergeht es mir wie einem Freund, der einfach in einem Gefängnis verschwunden ist“, sagt Tesfai. Das Schweigen und die Angst liegen wie eine unsichtbare Decke über dem Land.

Warum hat die Regierung solch große Angst vor ihren Bürgern? Droht ein Aufstand? Ein Umsturz?

Nein, sagt Tesfai. „Wir alle sind stolz, endlich unabhängig zu sein. Wir sind stolz auf die Männer, die ihr Leben für unsere Freiheit eingesetzt haben. Wir dürfen und werden nicht undankbar sein.“

Isayas Afewerki war der Unabhängigkeitsführer, er ist heute der Präsident, der Diktator eines Ein-Parteien-Staats mit einer Verfassung, die nie in Kraft getreten ist, und einem Parlament, das seit fünfzehn Jahren nicht mehr getagt hat. Er ist, so sagen alle, ein Mann, der bescheiden lebt und offenbar keine Korruption duldet.

Es gibt ein Foto vom Besuch des deutschen Entwicklungshilfe-Ministers Müller in Asmara: Da steht der stolze bajuwarische Mann in Anzug und Krawatte und schaut lächelnd auf den Präsidenten, der nur ein einfaches graues Hemd trägt und nicht einmal versucht, lächelnd in die Kamera zu schauen. Da scheinen sich nicht nur zwei Welten zu begegnen, es sind zwei Welten.

„Es wird keinen Aufstand geben, solange Isayas regiert“, sagt Tesfai. So sprechen sie, wenn sie sprechen, und fügen an: „Auch wenn keiner zufrieden ist. Aber wir haben Hoffnung, vielleicht in fünf oder zehn Jahren.“ Afewerki ist siebzig Jahre alt.

Im Nationalmuseum in Massawa steht der große Kampf um die Unabhängigkeit im Zentrum: Fotos vom ersten Kongress der Unabhängigkeits-Bewegung 1977 mit Sowjetstern und dem Motto „Kampf bis zum Sieg“; Fotos von den Helden des Befreiungskampfes; Fotos vom Führer, der mit erhobenem Säbel auf einem Esel reitet; Fotos von der jubelnden Menge bei der ersten großen Versammlung.

Die gesamte Hafenstadt Massawa gleicht einem Kriegsmuseum: Die italienische Bank, zur Ruine zerschossen 1930, verdorrt ebenso in der schwülen Hitze wie der Palast des äthiopischen Kaisers Haile Selassie, der 1990 bei einem Bombenangriff zerstört wurde.  Im Häuserkampf von Massawa holten die Freiheitskämpfer den entscheidenden Sieg gegen den äthiopischen Diktator, aber mussten erdulden, dass die halbe Stadt zerstört wurde. Heute leben die Menschen in den Ruinen. Nur die älteste Moschee Afrikas blieb unversehrt.

Wer durch Massawa geht, geht durch eine Geisterstadt.

Die Menschen sind des Kämpfens müde, doch die alten Revolutionäre an der Macht kämpfen weiter

Foro liegt eine Autostunde von Massawa entfernt.  Die Straße ist an einigen Stellen weggespült: In der Wüste regnet es nie – oder zu viel. So kann man Adulis nur noch zu Fuß erreichen durch Steinkraut, Akazien  und allerlei dornigem Gestrüpp

Adulis, die Hafenstadt, ist heute nur noch der Name von eritreischen Restaurants in Pforzheim, London oder Melbourne  – und Gruben in der Wüste, ausgebuddelt von Archäologen, die Spuren des ersten Zeitalters der Globalisierung entdeckten. Der Regenflut hat auch die Gruben geflutet und die Archäologen vertrieben, ihre Container stehen verlassen in der Weite der Landschaft, durch die ab und zu ein Ziegenhüter und ein Eseltreiber mit seinem Sohn ziehen und um „Money“ bitten.
 

Steine, eine niedrige Mauer, Reste eines Tempels sind noch zu sehen, den Engländer schon vor 150 Jahren ausgruben. Ihnen folgten Italiener, die eine Kirche und einen Schatz entdeckten mit vierzig Goldmünzen, die den Handel mit Byzanz vor anderthalb Jahrtausenden beweisen.

Das erste Zeitalter der Globalisierung finden wir in Büchern beschrieben, die Schiffen als Navigator dienten in den Jahrhunderten vor und um Christi Geburt. Eines der berühmtesten Bücher, die lateinisch „Periplus“ hießen, liegt in Heidelberg: Periplus des eritreischen Meeres. Dabei erstreckt sich dies Meer weit über die Küste des heutigen Eritrea hinweg und umfasst den Persischen Golf und den Indischen Ozean bis zur Mündung des Ganges.

Man trieb Handel zwischen den Mittelmeer-Anrainern, Arabien, Ostafrika und Indien, zwischen den Königreichen von Saba, dem heutigen Jemen, und Aksum im heutigen Äthiopien nahe der eritreischen Grenze. Liebhabern von Abenteuer-Filmen werden Aksum kennen: Indiana Jones, der Jäger des verlorenen Schatzes, war hier auf der Suche nach der Bundeslade.

Alle und alles waren miteinander verwoben, friedlich und kriegerisch: Handel, Wissenschaft, Kultur und Religion – schon sechs Jahrtausende vor dem Internet und einer Globalisierung, die wir für einzigartig halten. Eine der großen Umschlagplätze der Waren und Erzählungen war Adulis, der Hafen, der irgendwann im siebten Jahrhundert von der Landkarte verschwand und von dem nur ein paar Steine im Wüstenboden übrigblieben.

Drei Tagesreisen mit dem Esel entfernt, durch den Canyon hinauf auf die Hochebene gingen damals schon die Händler: In Kohaito, am Ziel der Reise, sind Reste einer Jahrtausende alten Stadt zu sehen, Stelen, Gräber, Strahlenkreuze und sabäische Schriftzeichen, die man von rechts nach links zu lesen hat. Den Ort erreicht man heute nur mit einer Sondergenehmigung und nach dem Öffnen eines Schlagbaums, der aus einem dünnen Holzstamm besteht:

Hier beginnt der 25 Kilometer breite Streifen, der an der Grenze zu Äthiopien im Friedensabkommen von Algier festgelegt wurde - nachdem sich Eritrea und Äthiopien schon wieder in einen Krieg gestürzt hatten. Der Frieden ist brüchig, die UN-Mission hat sich schon bald wieder aus dem Grenzstreifen zurückgezogen.

Die Menschen in Eritrea sind des Kämpfens müde, doch die alten Revolutionäre an der Macht kämpfen weiter. Soldaten sind keine guten Politiker: Was für einen Krieg taugt, taugt nicht für den Frieden. So verschwindet in dem Land am Roten Meer nicht nur die Zukunft, sondern auch die Jugend. Jeder Zehnte sei schon geflohen, sagt das UN-Flüchtlingshilfswerk.

Zehntausende sind schon in Deutschland; im Nachbarland Schweiz stellen die Eritreer die größte Flüchtlingsgruppe.

Vor den Nachrichten im eritreischen Fernsehen lesen die Zuschauer den Satz: „Der Wahrheit verpflichtet“. Doch die Flucht ist kein öffentliches Thema. „Wir sprechen nur in den Familien davon“, erzählt Tesfai, „wenn wieder eine Todesnachricht eintrifft: Erschossen von Soldaten an der Grenze oder von Banditen im Sudan oder ertrunken im Mittelmeer.“ Tesfai spricht von der Schweige-Mauer.

Was im Land diskutiert werden darf, bestimmt die Regierung. In der Welt-Rangliste der Pressefreiheit steht Eritrea auf dem letzten Platz – hinter Nordkorea. Warum dies verordnete Schweigen?

Selbst in Europa glauben immer mehr Staaten, die Flüchtlinge aus Eritrea seien keine politischen. In Dänemark erklärt sie die Einwanderungs-Behörde zu Wirtschaftsflüchtlingen, in Norwegen und England möchte man den Dänen am liebsten folgen – und in der Schweiz wächst die Zahl der Politiker, die eritreische Flüchtlinge am liebsten zurückschicken möchte. Es könne doch nicht so schlimm sein, argumentieren Schweizer Politiker, wenn Flüchtlinge unbehelligt in Eritrea Urlaub machen könnten.

„Das stimmt“, sagt Tesfai, „aber der Grund ist einfach: Viele Familien in Eritrea leben vom Geld, das ihnen aus dem Ausland überwiesen wird. Die Flüchtlinge, die es geschafft haben, bewahren Eritrea vor der Pleite.“ Die Regierung erhebt auch von allen Eritreern im Ausland eine Steuer von zwei Prozent ihres Einkommens: Wer die in Euro zahlt, bekommt ein Visum und Dokumente wie eine Geburtsurkunde, ganz legal.

Die Regierung ist immer noch im Kriegsmodus, gibt fast den gesamte Etat fürs Militär aus. Die einzige Universität löste sie auf

Zehntausend Euro verlangen Schleuser für eine Flucht; sie sammeln das Geld ein von den Eritreern im Ausland und von den Familien, die alles verkaufen, damit einer fliehen kann. Weit über drei Millionen Euro nimmt ein internationaler Schleuser-Ring in Libyen ein, wenn er 366 Menschen in ein altes Boot packt und aufs Meer schickt – wie am 3. Oktober 2013. Es geriet vor der Insel Lampedusa in Brand, kenterte – und 366 Menschen starben, die meisten aus Eritrea.

Yonas kommt aus Eritrea, er beantragte Asyl in Göttingen – und wird, von Deutschland ausgeliefert, in Palermo angeklagt, Schuld am Tod der 366 zu sein. Yonas ist einer der Schleuser, der um die Sehnsucht seiner Landsleute weiß, der die Wege aus dem verschlossenen Land kennt – und aus der Not seinen Profit schlägt.
 

„Eritrea ist ein Garnisonsstaat mit 200 000 Rekruten“ schreibt Alex de Waal, der Direktor der Welt-Friedens-Stiftung in seinem gerade erschienenen Buch „Die Realpolitik am Horn von Afrika“. Hier liege der Grund für die Flucht der Jungen: Sie müssen für einen geringen Sold, der nicht zum Leben reicht, einen unbegrenzten Wehrdienst leisten, und das im besten Alter, in dem jeder eine Existenz aufbaut und eine Familie.

Das Land braucht Soldaten, keine Studenten. Die Regierung ist immer noch im Kriegsmodus, gibt fast den gesamte Etat für sein Militär aus. Die einzige Universität löste sie vor zehn Jahren auf. Alle Schüler beenden ihre Ausbildung in einer Schule nahe der sudanesischen Grenze und werden gleich anschließend zum Grundwehrdienst eingezogen. Nur die besten dürfen eines der acht Colleges besuchen, die meisten bleiben beim Militär – oder fliehen, oft in den Tod.

Auf dem Recycling-Markt in Asmara spiegelt sich die Wirtschaft des Landes: Es gibt nichts, also machen wir etwas aus dem Nichts. Die Regierung stellt windschiefe Hütten gegen eine geringe Miete zur Verfügung – und die Handwerker mit ihren Kindern klopfen und schneiden, brennen und biegen und produzieren Töpfe, Messer, Schränke.

Rostende Dosen stapeln sich und Kisten, Bleche und Stühle, Löffeln und Reifen, nichts wird weggeworfen in diesem Land. Am Ende teilen sich die Handwerker den Erlös mit denen, die den Schrott gebracht haben – Tauschwirtschaft in einem der ärmsten Länder der Welt.

Zukunft? Tesfai schaut mit einer Trauer, die man sonst selten in dem Land der freundlichen und friedlichen erlebt. „Sie kommen alle wieder, die Jungen, die geflohen sind“, sagt Tesfai plötzlich. „Eritreer sind stolz auf ihr Land. Und was sollen wir ohne die Jungen machen? Sie sind doch unsere Zukunft.“ Er weint.


Die Reise durch Eritrea leitete Braunschweigs emeritierter Domprediger Joachim Hempel – wie bei den meisten seiner Reisen durch biblisches Morgenland auf den Spuren von Kulturen, die wir nicht mehr kennen