Herbst-Studienreise des Philologen-Verbands ins Baltikum

„Vilnius, Riga oder Tallinn,

welche ist denn nun die schönste der baltischen Hauptstädte?“  

Diese Frage lässt sich von den Teilnehmern der Reise, 26 Pensionäre des PhV NW waren im September mit dabei, gar nicht ohne Nachdenken direkt beantworten. Denn alle drei UNESCO-Weltkulturerbe-Städte haben ihren ganz eigenen Reiz. Was sie vereint, alle sind interessant, attraktiv und wirklich schön. 

Die Altstadt von Vilnius wird überragt von zahlreichen barocken Kirchtürmen. Doch auf dem Fußweg vom Gediminas-Turm auf dem Burgberg bis zum südlichen Stadttor findet man auch viele andere Baustile: die klassizistische Fassade der Kathedrale, mittelalterliche Häuser in engen Gassen, die Universitätsinnenhöfe im Renaissancestil, mehrere orthodoxe Kirchen und ein Juwel der Backsteingotik, die St. Anna-Kirche, im Gotischen Winkel. Vilnius wirkte jung und lebendig, denn an diesem Tage war der Einstieg in das neue Schuljahr und Start an der Universität. Überall wurde gefeiert und fanden Konzerte statt. 

Vom Turm der Petri-Kirche kann man das Zentrum Rigas gut überblicken und sieht eine weitgehend erhaltene Altstadt mit Gildehäusern, Ordensschloss, Kirchtürmen, lebhafte Straßen und weite Plätze. Das urbane Zentrum des Baltikums zeigte uns mit seinen vielen Geschäften und den zahlreichen Straßencafes sein großstädtisches Flair, aber überzeugte auch durch die steinernen Zeugen aus verschiedenen historischen Epochen. Hervorzuheben sind hier das Schwarzhäupterhaus mit der schmucken Renaissance-Backsteinfassade und der größte Dom des Baltikums mit seinen Kunstschätzen. In besonderer Erinnerung bleibt uns aber das Jugendstilviertel. Mehr Jugendstilhäuser als in Wien erforderten einen fotografischen Dauereinsatz. Die reich gegliederten Fassaden mit vielen Ornamenten, Frauenfiguren und riesigen Löwenköpfen beeindruckten uns nachhaltig.

Tallinn überzeugt durch seine Lage direkt am Meer. Von der Aussichtsterrasse in der Oberstadt fällt der Blick auf die Ostsee, den Hafen mit den Kreuzfahrtgiganten und Fähren, die Kirchtürme und Dächer der Unterstadt. Die Altstadt mit den engen Gassen und verwinkelten gepflasterten Sträßchen, der Stadtmauer und den Wehrtürmen, wirkt mittelalterlich. Zu den Glanzpunkten gehört der belebte Rathausplatz mit dem spätgotischen Rathaus und den gotischen Hausfassaden, ebenso die Nikolaikirche mit Hauptaltar und dem ´Totentanz´ von Notke und natürlich das Ensemble in der Oberstadt mit Newski-Kathedrale, Schloss und Domkirche. Sehr beeindruckend ist –etwas außerhalb gelegen- die Sängerbühne, wo die freiheitsliebenden Esten die „singende Revolution“ starteten. Und die Begegnung mit Bundeswehrsoldaten in unserem Hotel, die zu dem Luftwaffenkontingent bei einer NATO-Übung gehörten, erinnerten uns an die mehrfach vorgetragenen Ängste und Sorgen von Einheimischen noch oder auch wieder „25 Jahre nach der Befreiung“.

Ein weiteres UNESCO-Weltkulturerbe haben wir besucht, die Kurische Nehrung. Zwei Nächte in Nida, direkt an der russischen Grenze zur Oblast Kaliningrad, boten uns ausreichend Gelegenheit, diese einzigartige Landschaft zu erleben. Vom erkletterten Dünengipfel bot sich ein weiter Blick über das Kurische Haff bis zum Festland, auf der anderen Seite bis zur Ostsee. Beruhigend und entspannend wirkten die gemütlichen Spaziergänge entlang des unendlich weiten Ostseestrandes, über die mit Kiefern bewaldeten Dünen oder zwischen den bunten Holzhäusern des Fischerortes. Man versteht sehr schnell, warum Thomas Mann hier ein Ferienhaus bauen ließ und zahlreiche Künstler und Literaten schon lange vor uns in diesem nur im Sommer geöffneten Hotel wohnten. 

Weitere Stationen der Besichtigung waren auf unserer Fahrt durch Litauen die großartige Wasserburg Trakai, das barocke Kloster Pazaislis und die Pilgerstätte „Berg der Kreuze“, ein Hügel mit Tausenden von Holz- und auch Metallkreuzen, der dann zum nationalen Symbol für den politischen Widerstand wurde. Und bei dem Rundgang durch Klaipeda (früher Memel) wurde am Ännchen-von-Tharau-Brunnen nicht nur das Gruppenfoto geschossen, fast spontan stimmten wir auch das zugehörige Volkslied an.

Bei der Fahrt durch Lettland beeindruckte die riesige barocke Anlage von Schloss Rundale, dem „Versailles an der Ostsee“, das inzwischen wieder prächtig restauriert worden ist. Interessant gerieten die Stippvisiten zu den Burgruinen bei Sigulda und Turaida, besonders imposant war die mächtige Ruine der alten Ordensburg in Cesis.

Die schöne Landschaft Estlands durften wir im Laheema-Nationalpark erleben.  Eine Unzahl großer, teil riesiger Findlinge findet man in einem Küstenstreifen bei Käsmu, mal im Wasser, mal an Land. Die zweistündige Wanderung durch ein unberührtes Moorgebiet geriet bei strahlendem Sonnenschein zu einer tiefgreifenden Erfahrung und fast zum Abenteuer, denn rechts und links der zwei schmalen Holzplanken lauerte das saugende Moor, zumindest nasse Füße hätte man sich holen können. Für die Gruppe war der Weg durch diese uns unbekannte Landschaft ein schönes Erlebnis. Und auch der Besuch auf dem Gutshof Palmse, der früher einer deutschbaltischen Adelsfamilie gehörte, war mehr als interessant. 

Unsere neuntägige Pensionärsreise war abwechslungs- und erlebnisreich. Wir wurden begleitet von einer engagierten und äußerst kompetenten Reiseführerin aus Litauen, die sich auf die Gruppe gut eingestellt hatte und uns auf längeren Busfahrten die Zeit nicht nur mit fachlichen Vorträgen, sondern zusätzlich mit dem Vorlesen passender Erzählungen und Gedichte verkürzte.

Die Fahrt hat sich sehr gelohnt – und einige der Teilnehmer werden das Reiseziel Baltikum sicherlich ein weiteres Mal ansteuern.

Jürgen Müller