Das Weltbild der Alten Ägypter

Von Seth in Holstein bis Assuan in Ober-Ägypten sind es über 5000 Kilometer.
Auf dem Hinweg nahm ich mir zwei Tage für die Reise Zeit. So konnte ich auf der Fahrt von Hamburg nach Frankfurt am Sonntag, den 13. Januar in Göttingen Halt machen. Dort lebt unsere Tochter Martina, die ich ein paar Stunden besuchen konnte.

Am Abend holte mich mein Schwager Johannes vom Frankfurter Hauptbahnhof ab. Wir hatten uns in der marokkanischen Gemeinde (Moschee), zu einem Gespräch verabredet, um etwas über die Lebenssituation der Menschen in einem islamisch geprägten Land zu erfahren. Wir konnten mit dem Imam über unsere Reise im Mai dieses Jahres reden in einer angenehmen Atmosphäre. Wir erlebten das Abendgebet in der Moschee. Der rechteckige Raum von Pfeilern getragen ist mit arabesken, farbigen Kacheln geschmückt. Die Moschee liegt im Gut-Leut-Viertel in der Nähe des Hauptbahnhofs. Mein Schwager war dort über 25 Jahre Gemeindepastor. Er moderiert heute den interreligiösen Dialog.
Am nächsten Vormittag fuhr ich zum Flughafen, um mich mit den anderen Reiseteilnehmern zu treffen. Entgegen meiner Befürchtung war die Halle B im Terminal 1 ungewöhnlich leer. Erst für den nächsten Tag war ein Streik des Flughafen-Personals angekündigt. So konnte unsere Boeing 737 pünktlich in Richtung Kairo abheben.
Nach vier Stunden Flug, der Prozedur der Einreise und der Busfahrt durch die Kairoer Altstadt zum Gästehaus der evangelisch-ägyptischen Gemeinde, war es 22 Uhr geworden. Auf dem Wege dahin begleiten uns zwei altägyptische Symbole. Über uns am Nachthimmel stand die waagerecht liegende Mondsichel, die bei uns in den nördlichen Breiten so nicht erscheint. Für die alten Ägypter war sie Symbol für die Sonnenbarke Re`s, in der er über den Himmel fährt. Das zweite Zeichen war der Obelisk von Heliopolis, der geistige und kulturelle Ursprungsort der ägyptischen Weltanschauung. Er ist Ort der Neunheit der Götter. Nach einem kleinen Abendessen, von dem die einheimischen Apfelsinen und Bananen besonders gut schmeckten, war leider an Schlafen nicht zu denken. Denn neben dem Gästehaus wurde bis weit in die Nacht laut gebaut und die Fenster unserer Zimmer waren nicht schalldicht!
Überall im ganzen Land wird gebaut, und zwar mehrstöckige Wohnhäuser nicht in Beton sondern in gebrannten Ziegeln. Die oberen Etagen haben noch keine Fenster. So sahen besonders in Kairo die Wohnviertel wie tot aus. Aber in den Straßen floss ein nicht abreißender Strom an neuzeitlichen Autos. Menschen auf der Straße sah ich so selten wie bei uns in Seth. Auch wir gingen auf Kairos Straßen nicht zu Fuß. Alle Menschen sitzen in ihren Autos oder in Kleinbussen. Auch wir fuhren in den verstopften Straßen in einem Kleinbus. Natürlich kehrt sich das Bild um, wenn man an Märkten vorbei fährt. Hier ergießt sich ein Strom von Fußgängern an den Warenauslagen entlang.

Wir waren am ersten Morgen schon früh vom Gästehaus, das im Zentrum in der Nähe des Nationalmuseums liegt, abgefahren und so auch zügig aus der 20 Millionenstadt heraus gekommen. Bereits um 9 Uhr erreichten wir in der Wüste die Nekropole des Alten Reiches von Sakkara. Die Sonne schien (noch) vom blauen Himmel. Doch sie wärmte nicht. Es ging ein eisiger Winterwind über die Wüste, der den Sand aufwirbelte. Es war eben erst der 15. Januar. Auch in der Wüste war es Winter.

Die Stufenpyramide des Pharao Djoser hält dem extremen Wetter seit 4600 Jahren stand. Sie war aber lange vom Wüstensand zugeweht. Um dieses gewaltige Bauwerk liegen hunderte von Gräbern der Königsfamilien und hohen Beamten aus dem Alten Reich (2665 – 2155 v. Chr.) Die Wände dieser Gräber sind voll geschmückt mit bunten Relief-Bildern, die das Alltagsleben aus dieser Zeit darstellen. Die Gräber sind wie unterirdische Wohnungen. Darin hat jedes Familienmitglied seinen eigenen Raum und seinen eigenen Sarkophag, in dem die Mumie liegt, aber mit seinem KA zusammen bis ans Ende aller Zeiten lebt. Tot sein hieß für die alten Ägypter nicht tot, sondern in eine neue Form des Lebens überwechseln. Er trägt in dieser neuen Welt am unteren Nil weiße Kleider. Als Ach – das meint einen verklärten, d. h. einen leuchtend weißen Leib – lebt er weiter als Zweiheit, nämlich als Leib und KA.
Das was Eins ist, ist nicht lebendig. Nur was zwei ist, fängt an zu leben, entfaltet aber sein volles Leben erst im Dreisein. Deshalb ist die Familie aus Vater, Mutter Kind bei den Ägyptern so wichtig. Auch die Millionen Götter leben in Familien. Im irdischen Leben des Menschen ist der KA mit seinem Leib zu einer Einheit verbunden. Mit dem Sterben löst sich der KA vom Leib, aber nur so weit, dass er durch eine Scheintür vor das Grab treten kann. Der KA kann also gehen. Er kann die von den Angehörigen des Toten vor die Scheintür gestellten Nahrungsmittel zu seinem mumifizierten Körper bringen. Der Ägypter kennt nicht den Gedanken der Ewigkeit, sondern nur der Fortdauer der Zeit. Er kennt wohl das Erlöschen der Zeit. Das führt ins Nichts. Vor aller Schöpfung war das Nichts, das außerhalb der kosmischen Ordnung ist. Das Nichts ist ein gestaltloser Urstoff, das Nun, aus dem das Leben auftaucht und doch gleichzeitig von ihm bedroht wird.
Das „Tot-sein“ des Menschen ist ein verwandeltes Weiterleben am anderen Ort. Weil alles, was existiert, zweifach ist, gehört auch der andere, unterirdische Ort zum Kosmos und damit zum Leben. Es gibt also ein oberirdisches Land am Nil und unterirdisches. Beide Nil-Länder sind mit einander verbunden,so wie der Pharao Unter- und Oberägypten mit einander verbindet, wenn er Lotos (Oberägypten) und Papyrus (Unterägypten) bündelt. das KA als Statue steht nicht stocksteif in einer Nische, sondern ist dargestellt mit einem Ausfallschritt des linken Fußes. Das heißt, das KA ist lebendig und bleibt mit seinem Leib verbunden.

Solange diese polare Verbundenheit, also die Zweiheit, hält, ist das Leben nicht tot. Der Glaube an die direkte Verwandlung des Lebens ohne Zwischenstation war nur den Ägyptern des Alten Reich lebendig. Davon erzählen die Relief-Bilder in den Gräbern von Sakkara. Im Mittleren Reich und im Neuen Reich musste der Tote einen mühsamen Weg dorthin finden und ihn dann gehen.Der Ägypter aller Epochen fürchtete sich vor dem endgültigen Tod, mit dem das Leben verlöscht im Nun. Dieses Ur-Wasser, das auch als Feuersee gedacht wurde, war der Ort dieses sog. zweiten Todes.
Wer ins Wasser fiel und darin ertrank, starb den zweiten Tod. Dieselbe Wirkung hatte auch das Feuer. Wer im Feuer verbrannte, wurde zu Staub und damit zum Nichts. Es gab also nicht Schlimmeres als verbrannt zu werden oder zu ertrinken. Denn ohne Leib war der KA des Menschen verloren, also nichtig. Deswegen musste der tote Körper so aufwendig mumifiziert werden.
Der KA ist im Glauben der alten Ägypter nicht gleich zu setzen mit einer körperlosen Seele. Der KA ist kein ewiger Seelen-Funke wie in anderen Religionen. Dort ist die Verbrennung des Leibes zwingend notwendig. Denn erst durch Verbrennung wird die göttliche Seele frei von der toten Materie des Körpers.
Dieses so ganz andere Weltbild ist dargestellt in den Gräbern des Alten Reiches. Nach dem Zusammenbruch der Gesellschaftsordnung in der sog. Ersten Zwischenzeit (2155 - 2130) trübte sich dieser Glaube ein. Als das Mittlere Reich (2130 - 1650) sich aus den Trümmern aufbaute, war zwar nicht der Glaube an die Zweiheit des Kosmos und des einzelnen Lebens verschwunden, aber es gab keinen direkten Weg ins Paradies. Nun musste die Ma´at als oberstes Ordnungsprinzip von den Menschen, allen voran vom Pharao, aber auch von den Göttern verantwortlich getan werden. Nun kam keiner mehr mit seinem Tod direkt ins Paradies ( in die schöne Welt des Unteren Nils). Der Tote musste eine Prüfung vor einem Götter-Gericht bestehen, um Gnade vom Gott der Unterwelt zu bekommen. Dieser war Osiris. Im Alten Reich spielte Osiris noch keine große Rolle. Vom Mittleren Reich an bekam er immer mehr die Bedeutung als Richter in der Unterwelt.
In den Gräbern im Tal der Könige sieht man auf den Reliefbildern den Pharao, wie er auf dem verschlungenen Weg geführt von Göttern wird, wie sie dem Toten behilflich sind, den Weg ins Paradies zu finden.
Zurück zum Grab des Ti, einem reichen Mann aus der V. Dynastie! Im sog. Opferraum sieht man das Alltags-Leben von Bauern, Handwerkern und Fischern. Man stellte sich das Leben im unteren Nil-Land genauso vor wie im obereren Land am Nil, das alles zum Wohle des Grabherrn, der zuschaute, wie für ihn gearbeitet wurde an dem schönen unteren Nil.

Für die Könige der VI. Dynastie in ihren Pyramiden gab es schon Wege- Beschreibungen an den Pyramiden-Wänden, ohne Bilder, die sogenannten Pyramiden-Texte. Sie beschrieben den Weg zu Re in den Himmel, den der Ba, als Vogel dargestellt, finden sollte. Einen solchen Pyramiden-Text sahen wir in der Grabkammer des Pharao Teti (VI. Dynastie). Die Pyramide über seinem Grab ist verfallen. Wir gingen gebückt den langen Gang hinab in die Grabkammer und bestaunten den in Kolumnen geschriebenen Hieroglyphen-Text.

Im Mittleren Reich werden diese Texte zur Orientierung des Toten in der Unterwelt an die Innen-Sargwände und -deckel geschrieben, im Neuen Reich stehen sie an den Wänden der Gänge und Kammern der Gräber mit farbigen Reliefs bebildert. Der erste Tag unserer Reise galt den Bildern aus den Gräbern des Alten Reiches. Einen mehr als 1500jährigen geistigen Sprung in die Ptolemäerzeit (332 - 30 v. Chr.) mussten wir in Sakkara machen, als wir durch die Hallen das sog. Sarapeum gingen, das wieder eröffnet ist. Die Vergöttlichung von Tieren kannten die alten Ägypter nicht, da sie weder den Pharao noch einen Menschen als Gott ansahen, geschweige denn ein Tier. Das Sarapeum stammt aus der Zeit des Hellenismus um Christi Geburt.
Nach dem Spaziergang von Grab zu Grab und Pyramide zu Pyramide in der windigen Wüste von Sakkara gab es ein warmes Mittagessen unter Palmen im Grünland am Rande der Wüste. Bier- und Wein-trinken sind im heutigen Ägypten, anders als im Alten, ein Vergehen gegen das Gesetz der Scharia. Wir also tranken gehorsam Cola, die gut ist für empfindliche Mägen.
Das ägyptische Denken von der Zweiheit aller Dinge wurde an diesem Ort auch an Natur-Erscheinungen sichtbar. Wüste und Kulturland treffen als Gegensätze ohne Übergang aufeinander. Sie grenzen sich scharf von einander ab und doch bedingen sie sich. Wie an einer Schnur zieht die gelbe Wüste an den grünen Felder in Sakkara entlang. An dieser Grenzziehung begegneten sich für den alten Ägypter die Welt des Todes(Wüste) und die Welt des Lebens. So sehr sie Gegensätze sind, um so mehr ergänzen sie sich, obwohl sie wie feindliche Brüder sind. -- Im Mythos heißen diese Brüder Seth, der Gott der Wüste und des Todes, sowie Osiris, der Gott, der das Korn im Grünland verkörpert. Die Ägypter kennen keinen unüberbrückbaren Dualismus. Es gibt immer einen Weg, in diesem Fall einen Aufweg vom wasserreichen Grünland zur dürren Wüste. Seth und Osiris tragen dazu Verantwortung, wie sie auch Lotos und Papyrus für Ober – und Unterägypten bündeln müssen.
Nach dem Essen in Sakkara fuhren wir zu den Pyramiden von Gizeh. Diese liegen am Rande der Wüste. Sie sind verbunden durch einen Aufweg mit einem Taltempel, der an einem schiffbaren Kanal liegt, der wiederum vom Nil gespeist wird. Der Taltempel der Pyramide des Pharao Chephren ist noch gut erhalten, gebaut aus nahtlos an einander gefügten behauenen Granitblöcken.

Als Wächter liegt der Sphinx, zusammengefügt aus Löwenleib und Menschenkopf, am Aufweg zum Grab in der Pyramide des Chephren. Der Ägypter vergöttlichte keine mythischen Mischwesen, sondern symbolisierte die Macht der Zweiheit. Die Zweiheit von Tier und Mensch war also Zeichen für potenzierte Lebenskraft, denn das Leben darf nie zu einem Stillstand kommen. Das Gegenbild ist üblicher, nämlich die Darstellung eines Gottes mit Menschenleib und Tierkopf. Die Göttin Hathor wird dargestellt mit dem Körper und Gesicht einer Frau mit Kuhohren. Die Kuh ist Symbol für die göttliche Kraft, ist aber nicht göttlicher Natur. Auch die Millionen Götter sind sterblich. Es gab für die alten Ägypter kein ewiges Leben. Doch sie glaubten an die Dauer der Zeit, symbolisiert im Djed-Pfeiler, den jeder Pharao bei seiner Inthronisation aufrichten musste. Dieser Djed ist eigentlich ein Werkzeug bei der Vermessung von Land und Pyramiden.
Davon berichtete Werner Hönig, einer aus unserer Reisegruppe, in seinem Vortrag. Symbolisches Denken und gleichzeitig naturwissenschaftliches Denken gehören nach dem Gesetz der Zweiheit für die Alten Ägypter eng zusammen, ja sie ergänzen sich. Da alles Da-seiende immer zwei ist, sind auch die Pole der Schöpfung, also Geist und Natur mit einander verbunden.Vom geometrischen Denken der alten Ägypter erzählte Herr Werner Hönig, der von Beruf Vermessungsingenieur ist. Er hat den Zusammenhang zwischen Symbolik und Geometrie beim Pyramidenbaus durch Messungen an der Cheopspyramide wissenschaftlich erwiesen. Der Messstab war der Herrschaftsstab des Pharaos, Was-Zeichen genannt. Dieser WAS-Stab mit Tierkopf im Griff und Schaufel am Boden entspricht einer ägyptischen Elle. Mit dieser Maßeinheit wurden nach der Nilflut die überschwemmten Felder neu vermessen. So ist die Zweiheit nicht nur eine gedachte Idee von der Einheit des Kosmos, sondern eine Maßeinheit mit der man alle Dinge in der Natur zu verbinden vermochte. Diese positive Sicht auf die Welt und das Leben in ihr wird durch die Vielheit ( Millionen der Götter) dauerhaft gemacht. Einen Monotheismus konnten die Alten Ägypter nicht denken. Denn eins war für sie gleich nichts. 
Die Pyramiden in ihrer Dreiheit von Cheops, Chephren und Mykerinus stehen nun 4500 Jahren als Zeichen eines hohen, menschlichen Geistes, der wusste, dass die Welt der Bilder (Symbole) und die Welt der Geometrie (Natur) gebündelt werden müssen, wenn eine dauerhafte Ordnung entstehen soll. Wir fuhren zu einem Aussichtspunkt in der Wüste, um die drei Pyramiden und das umliegende Gräberfeld des Alten Reiches als Gesamtbild zu sehen.

Der Wind aus der Wüste nahm im Laufe des Tages zu. Die Sonne verlor ihre Kraft und bekam einen milchigen Schein. Wir fingen an zu frieren.
Am nächsten Morgen hatte der Sandsturm die Stadt Kairo verdunkelt. Es war wie ein apokalyptisches Szenario, als mittags die Sonne am Himmel erlosch und es dunkel wurde wie bei einer totalen Sonnenfinsternis. Dies sahen wir, als wir das Nationalmuseum nach einem drei-stündigen Rundgang verließen. Der Sand in der Luft drang nun in unsere Kleidung, in Mund und Nase, so dass ich etwas spöttisch sagte: „Eine Burka müsste man tragen“.
In wohl zwei Jahren soll das Neue Nationalmuseum, das in der Nähe der Pyramiden steht, eröffnet werden. Im alten Museum war großer Andrang. In der Abteilung des Alten Reiches schoben sich die vielen Besucher vorwärts, so dass ein intensives Betrachten der grandiosen Bilder und Skulpturen zu kurz kam. Denn nirgends sieht man vom Alltagsleben der Ägypter so viel, wie in dieser ersten Abteilung. Auch die großen Werke aus dem Mittleren Reich wurden nur durchlaufen. Ich hatte den Eindruck, die Menschen wollten nur den Schatz des Tutenchamun und seine Goldmaske sehen.
Wir waren auf dieser Info-Reise nicht nur zum Kennenlernen des alten Ägypten in Kairo, sondern auch, um das muslimische und koptische Leben in ihrem Gegensätzen, aber auch Verbindungen etwas zu studieren.
Das Verhältnis zwischen der christlich-koptischen Bevölkerung und der muslimischen ist sehr ambivalent, vielfach auch gespannt bis hin zu Gewalt. Immer wieder brennen Kirchen. In etlichen Stadtteilen leben aber Christen und Moslems friedlich nebeneinander. Es werden auch gemischte Ehen geschlossen. Der Anteil der Kopten an der Gesamtbevölkerung ist erstaunlich hoch, wenn wir es mit den Zahlen in den anderen muslimisch geprägten orientalischen Staaten vergleichen.
In Oberägypten rechnet man mit sogar steigenden Prozentzahlen für die Christen. Man schätzt, im Raum zwischen Luxor und Assuan leben Kopten bis zu einem Anteil von 25% der Bevölkerung. Im Kairo dagegen leben etwa 10% Christen. Alt-Kairo heißt das christliche Viertel in Kairo.
Dorthin kurvte uns unser Kleinbus, vorbei am neugestalteten Tahir-Platz, der jetzt soviel Blumen- und Staudenbeete hat, dass eine Groß-Demonstration wie zum ägyptischen Frühling 2011 kaum noch denkbar ist. Wir fuhren eine ganze Zeit am Nil entlang und an den ihn flankierenden Pracht-Hotels, bis wir vor dem von Polizei bewachten Tor des Christlichen Viertels angekommen waren.

Man kann dieses Viertel auch als Ghetto bezeichnen, so abgeschirmt und kontrolliert ist es. Nach dem Aussteigen aus dem Bus versuchte jeder sich vor dem Sand, der durch die Straße wehte, zu schützen. Viele Ägypter trugen Mund- und Nasenschutz. Auf dieses Naturphänomen „Sandsturm“ waren wir nicht eingestellt. Doch wir wollten zur hängenden Kirche. Dahin mussten wir gegen den Sandsturm angehen. Die Kathedrale – sie ist im 5. Jahrhundert auf den Säulen einer römischen Bastion gebaut - liegt am anderen Ende des christlichen Viertels. In ihrem Vorhof war das Problem mit dem Sand vorbei. Auf dem Weg hinauf zur Basilika leuchteten uns von den Seitenwänden herrliche Mosaiken-Bilder entgegen. Besonders schön ist das Bild von der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. Die Tradition erzählt, dass die Familie hier an einem Brunnen Rast machte, über den die Sergius Kirche im 5. Jhd. gebaut wurde. Diesen Ort besuchten wir hernach. Leider erzählte der Guide nichts über den koptischen Gottesdienst und über die Besonderheiten im Lebens der Kopten. Es überschreitet diesen Bericht, wollte ich hier Antwort geben zur Frage, warum die Kopten einen eigenen Papst haben. Immerhin anerkennen im Orient dieses Oberhaupt ca. 80 Millionen Christen als ihren geistlichen Führer. Die Christen im Orient und Afrika leben bedroht und in ungesicherten Verhältnissen.

Am Nachmittag waren wir als Gruppe zu einem interreligiösen Dialog von Pfarrer Kades ins evangelische Gästehaus eingeladen. Außer einem gegenseitigen Vorstellen, kam es nicht zu einem wirklichen Dialog-Gespräch. Es fehlte die Zeit. Wir sollten schon am frühen Abend auf dem Kairoer Hauptbahnhof sein zu einem Nachtzug, der uns bis nach Assuan ganz im Süden des Landes bringen sollte. Unserem Schlafwagenabteile waren plüschig-bequem. Als wir aber unsere Koffer darin verstauen wollten, wir sie aber nicht unter die Sitzbank schieben konnten, war es mit der Bewegungsfreiheit im kleinen Raum vorbei. Um sich am kleinen Handwaschbecken zu waschen, mussten wir akrobatisch um die Koffer herum. Ich teilte das Abteil mit einem geduldigen, schlanken Mann meines Alters. Leo nahm alles gelassen. Als das warme Abendessen gebracht wurde und der Tisch von der Wand runter geklappt war, begann für uns alle trotzdem ein gemütlicher Abend im ruhig rollenden Zug. Die Stimmung hob sich, denn jeder hatte für dieses Abenteuer eine Flasche Wein bekommen für die Harmonie und wohl auch zum Schlafen im Nachtzug. Unser Reiseleiter Guido hatte wohl tief in seinen Bugdet-Beutel gelangt. Leo und ich tranken eine Flasche leer. Die zweite Flasche haben wir zu dritt mit Anita Aghazarian auf dem Balkon unseres Hotels in Luxor getrunken. Seitdem duzen wir beide uns.

Den Sonnenuntergang über dem Nil mit dem Blick in die Wüstenberge im Westen zu genießen, ist eine Reise nach Oberägypten wert! Wir hatten einen Schlafwagenwaggon für unsere Gruppe allein mit sehr netter Bedienung und gutem Essen. Es ist schon außergewöhnlich, so zu reisen. Wir hatten auch das Gefühl, behütet zu sein. Der Zug hatte in Luxor eine Stunde Verspätung. Es war morgens, etwa sieben Uhr und die Sonne versuchte aufzugehen. Aber sie schaffte es nur, den sonst hier so blauen Himmel gelblich zu färben. Das Wunder der Wiedergeburt der Sonne, das das Lebensgefühl der alten Ägypter beflügelte, blieb für uns leider verborgen. Der Sandsturm hatte auch das 850 km südlich in der Wüste gelegene Assuan so verschleiert, wie es bei uns der Nebel über der Marsch tut. Wir sahen kaum etwas von großen Nasser-Stausee und dem ersten Katarakt. Auf dem alten Staudamm, den die Engländer gebaut hatten, wehte der Wind unangenehm scharf und kalt. Wie lieblich ist doch sonst die Oase von Assuan mit ihren ewig blauen Himmel! Hinzu kam unsere Müdigkeit nach der nächtlichen Zugfahrt. Am liebsten wäre ich auf mein Zimmer gegangen, um im wunderschön über dem Katarakt gelegene Basra-Hotel auszuruhen. Leider konnten wir die Zimmer noch nicht beziehen. Auf den großen, unvollendeten Obelisken im Granit-Steinbruch hätte ich liebend gerne verzichtet.

Es ist schon ein Unterschied, ob man eine Urlaubsreise oder eine Studien-Inforeise macht! Am Ende des Tages in Assuan hatten die meisten aus unserer Gruppe für sich den Besuch des Nubischen Museums gestrichen. Ich wollte aber unbedingt trotz Müdigkeit dorthin, weil ich es schon vor zehn Jahren nur im Galopp viel zu oberflächlich gesehen hatte. Nun wollte ich es in Ruhe auf mich wirken lassen. Für mich ist es eins der schönsten und sehr lehrreich aufgemachten Museen, die ich gesehen habe, in dem auch großartige Einzelstücke in ihren Vitrinen stehen. Man hätte das Programm umstellen sollen! Aber es gibt ziemlich eingefahrene Wege im Tourismus. Das Nubische Museum wird zwar gelobt, aber wenige Gruppen fahren dorthin. So spart man dann dort mit der Beleuchtung, was allerdings der Schönheit des Ganzen schadet. Es ist so zu dunkel in den Räumen!
Mit einem Motorboot fuhren wir gegen Mittag zu einer Insel im Katarakt, auf der der Isis-Tempel aus der Ptolemäerzeit steht. Es ist nicht leicht, den historischen Sprung von 2500 Jahren geistig zu bewältigen und sich in das Denken der Griechen zu versetzen. Denn die Griechen haben den Geist des Alten Ägypten nicht verstanden, sondern deren Kunst nur imitiert. Trotzdem ist der Tempel ein Wunderwerk der Architektur und sehr gut erhalten in seiner 2000jährigen Geschichte. In der Geburtskapelle ist dargestellt der ägyptische Mythos von der Jungfrauengeburt eines Pharao. Auch er wurde griechisch missverstanden. Mit einem Motorboot fuhren wir gegen Mittag zu einer Insel im Katarakt, auf der der Isis-Tempel aus der Ptolemäerzeit steht. Es ist nicht leicht, den historischen Sprung von 2500 Jahren geistig zu bewältigen und sich in das Denken der Griechen zu versetzen. Denn die Griechen haben den Geist des Alten Ägypten nicht verstanden, sondern deren Kunst nur imitiert. Trotzdem ist der Tempel ein Wunderwerk der Architektur und sehr gut erhalten in seiner 2000jährigen Geschichte. In der Geburtskapelle ist dargestellt der ägyptische Mythos von der Jungfrauengeburt eines Pharao. Auch er wurde griechisch missverstanden.

Für die vom Logos bestimmten Griechen war bereits der Mythos Märchen. Für die Alten Ägypter war er Symbolik, hinter der eine unfassbare, eigentlich unsagbare Wirklichkeit steckt.
Wir hatten – für mich jedenfalls - zu wenig Zeit in dieser Oasenstadt. Auf der Rückfahrt im Bus zur Stadt bekamen wir als Schnell-Imbiss eine Felaffe. Dann ging es mit einem Motorboot über den Nil, am Old-Catarakt-Hotel vorbei, zur Insel Elefantine. Dort kletterten wir durch die Ruinen von Tempelanlagen aus allen Epochen der ägyptischen Geschichte. Im Süden der felsigen Insel steht der Nilometer und der dem Schöpfergott Chnum geweihte zerstörte Tempel. Die Alten Ägypter glaubten, dass hier die Quelle des Nil sei und dass von hier die Nilschwemme ausginge, die das Grünland im Sommer bedeckte. Wenn das Wasser im Herbst zurück gegangen war, lag eine schwarze Schlammschicht auf dem Land, die bis 60 cm hoch sein konnte. Aus ihr wuchs bald die neue Ernte. Im Chnum-Tempel betete der Pharao, oder sein stellvertretender Priester, um eine segensreiche Nilflut. Die alten Ägypter feierte dieses Ereignis am Tag des wieder erscheinenden Sothis-Sterns, den wir Sirius nennen. Mit dem Augang des Sirius wurde das neue Jahr mit einem rauschenden Fest im ganzen Land eingeläutet Nach unserem steinigen Rundgang durch das weitläufige Ruinenfeld der Insel durften wir noch das stille Gleiten in einer Feluke auf den Nil erleben. Leichter Nordwind (Gegenwind) machte durch das Halsen des Segelschiffes die Fahrt spannend. Zurück trieb uns der kaum noch spürbare Wind fast lautlos. Im Dunstschleier ging die Sonne unter. Im Dämmerlicht lag das Old Catarakt Hotel vor uns. Dann gingen wir an Land und hinauf zu unserem Hotel.
Das Basma-Hotel liegt wie ein Märchenpalast hoch über dem Katarakt mit einem halbrunden Innen-Park-Gelände.Von allen Zimmern hat man einen schönen Ausblick in die Felsen- und Wasserlandschaft und das Old-Catarakt-Hotel. Auch die Zimmer sind sehr wohnlich. Von den Balkonen schaut man abends auf die Lichter der Stadt, die sich im Wasser des Nils spiegeln. Von überall ruft der Muezzien und manchmal auch die Glocken der zahlreichen Kirchen in der Halb-Millionen-Stadt. Die neue Kathedrale – immer noch nicht vollendet - beherrscht wie ein gotischer Dom die Skyline der Stadt. Es wurde noch Weihnachten gefeiert. Die Geschichte von der Flucht der Jesus-Familie wird bewegt in Szene gesetzt. Die koptische Kirche hat in Oberägypten einen festen Platz im muslimischen Umland.
Zum Sonnenaufgang am nächsten Morgen stieg ich auf das Dach unseres Hotels, von dem man einen herrlichen Rundblick hat. Leider ging auch an diesem Morgen die Sonne nicht jungfräulich und strahlend auf, sondern musste sich durch eine Dunstglocke kämpfen wie es die Sonne bei uns im Norden auch tun muss. Doch um halb sieben hatte sie es hier geschafft und erhellte die Wüstenberge im Westen, die gold-gelb zu leuchten begannen.

Schon um 8 Uhr verließen wir unser Hotel, das viel zu attraktiv ist, als dass man darin nur eine Nacht schläft. Doch ich wiederhole: Inforeise ist Arbeit und keine Vergnügungsreise!

Unsere Fahrt auf der gut ausgebauten Straße nach Luxor führte uns zunächst zum Kom-ombo-Tempel, der als Doppel-Heiligtum hoch über einer Nil-Kurve liegt mit herrlichem Rundblick ins Grünland und auf die Berge der Wüste. Leider ist dieser von den Ptolemäern erbaute Tempel sehr zerstört worden, wohl nicht durch die Naturgewalt des Nils oder die Wüstenwinde, sondern durch den religiösen Wahn fundamentalistischer Leute im Islam.
Das Christentum hat zwar geistig die Reste des altägyptichen Glaubens nach der 400 Jahre langen hellenistischen Epoche der Ptolemäer in sich auf gesogen, aber nicht gewaltsam dieser wundervollen Religion ein Ende gesetzt. Im Synkretismus der römischen Kaiserzeit wurde zum Beispiel die Göttin Isis als Gottesgebärerin mit der Jungfrau Maria gleichgesetzt. Beide Isis und Maria mussten die ihre bedrohten Kinder auf der Flucht vor bösen Königen verstecken.
Im Matthäusevangelium wird ein Wort des jüdischen Propheten Hosea zitiert. Die Vorstellung von Jesus als Gottessohn stammt aus dem altägyptischen Glauben. Bei Hosea heißt es: "Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen, spricht Gott." (Matthäus 2, 15) . An dieser Geschichte zeigt sich, es gibt schon in den Evangelien eine starke Beziehung zwischen altägyptischem und dem neutestamentlichen Denken. Jedenfalls ist ein gewaltloser Übergang von einer Religion zur anderen wahrzunehmen. Denn bald waren am Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus viele Ägypter ohne Gewalt Christen geworden und die neu entstehende früh-christliche Theologie wurde von den ägyptischen Kirchenlehrern betimmt, insbesondere von dem ägyptischen Kirchenvater Origenes. Für den friedlichen Übergang des altägyptischen Glaubens ist manche Ähnlichkeit im christlichen Denken verantwortlich. Das Christentum war so bilderfreundlich wie es der alte ägyptische Glaube war.
Als die moslemischen Araber Ägypten eroberten, gab es viel Gewalt. Die Christen, die in den alten Tempeln Zuflucht suchten, wurden von dort vertrieben. Tempel, wie der von Komombo, wurden zerstört.
Man sieht an den noch stehenden Säulen christliche Zeichen. An einer Wand des Komombo Tempels ist ein Relief abgebildet ganz altägyptisch mit der Göttin Ma`at mit Feder auf dem Kopf, die von den Symbolen umgeben ist, die wir später in der christlichen Ikonographie wieder finden. Es sind die Symbole der vier Evangelisten: Mensch, Stier, Löwe und Adler. Wurde Ma`at mit Christus wesensmäßig gleichgesetzt? Nichts geht in der Geschichte verloren! Eine Stunde Nil abwärts steht ein weiterer, gut erhaltener ägyptischer Tempel. Er stammt aus der Ptolemäerzeit.

Baubeginn war das Jahr 237 v. Chr. Er wurde geweiht dem Gott Horus. Wir kamen in der Mittagszeit dort an und waren in dem riesigen Areal mit den Tempelaufsehern allein. Nur ein einheimisches Elternpaar erklärte ihren Kindern die Tempelanlage und die Bilderwelt auf den wuchtigen Wänden (Pylone genannt) und den Säulen im Inneren. Die "Millionen" Relief-Bilder auf den Säulen und in den Kult-Räumen erzählen die Geschichten von Pharaonen und Göttern, vor allem die Geschichte von der Geburt des Horuskindes. Die Gottes-Mutter Isis versteckt vor den Fallstricken des Wüsten-Gottes Seth ihren Sohn Horus im Dickicht eines Papyruswaldes. Dargestellt wird Horus auf den Tempelwänden als Falke. Da bei den alten Ägyptern jedes Ding in seinem Wesen zweifach ist, wird Horus nicht nur als Falke, sondern auch als nacktes Kind mit Seitenlocke auf einer Lotosblüte sitzend dargestellt. Noch vieles mehr erzählen die Reliefbilder im Edfu-Tempel. Der ägyptische Tempel ist die Architektur gewordene Behütungs-geschichte Gottes. In allen Teilen bietet sie die geistige Vorlage für die Architektur des Gebäudes. Worin liegt also die Symbol-Gestalt eines Tempels?

Das sog. Westwerk, die beiden Pylone bilden das Ostgebirge am Nil ab. In der Scharte zwischen den beiden Türmen geht die Sonne auf. Sie scheint in einen lichten Hof hinein, der mit zwei Arkadengängen in Richtung Westen geschmückt ist. Sie weisen rechts und links zur Säulenhalle, dem Inneren des Tempels hin. Vor dem "Säulenwald" steht ein zweiter Pylon. Durch ihn geht mam hinein in den ersten gedeckten Säulenwald. "Wald" sagt man, weil die aus Stein gebauten Säulen die Papyrusstangen des Dickichts symbolisieren. Die Kapitelle auf den Säulen zeigen in der Regel die geschlossene Papyrus-Blüte. In Edfu aber sind diese Blütenstände schon geöffnet und zeigen viele Blüten. Das nennt man in der Architektur Kompositkapitelle.
Hinter dem ersten Säulensaal wird der Raum enger und niedriger. Der Weg führt jetzt aufwärts in den zweiten Säulensaal hinein. Die Decke ist noch niedriger, Symbol dafür, dass sich Himmel (Decke) und Erde begegnen werden im Naos. Nun geht es weiter hinauf zum höher gelegenen Barkenraum. Dort steht heute noch die Barke, von dem bei einem Prozessionsfest die Statue des Gottes Horus hinaus getragen wurde. Im Naos, dem Allerheiligsten, stand in Edfu eine Statue von Horus. Die Erhöhung des Naos ist Sinnbild für den Schöpfungshügel. Drei Dinge symbolisieren einen Göttertempel: 1. Schutzort für den Gott, 2. Erneuerung des Lebens jeden Tag und 3. Wiederholung der Schöpfung, damit der Kosmos dauerhaft bleibt. Dass Gott nicht allmächtig ist, sondern sogar Schutz braucht, leiten die Ägypter aus der Verfolgungs- und Bewahrungs-geschichte des Horuskindes ab. Übrigens braucht auch das Jesuskind Schutz vor den bösen König Herodes. Der Schutz-Gedanke wird durch die gewaltige Umfassungsmauer sichtbar.

Zur Stadt Edfu hin ist sie wieder aufgebaut. Weit über 2000 Jahre steht dieses gewaltige Bauwerk. Der ägyptische Geist war um 200 v. Chr. nicht erloschen, als die Griechen kamen. Sie herrschten wohl im Gewand der Pharaoen, doch den ägyptischen Geist hinter den Bildern haben sie nie begriffen, ja, sie ekelten sich vor den merkwürdigen Göttern mit Tierköpfen.

Ein gutes open air Mittagessen direkt am Nil tat uns allen gut. Denn es lag noch eine lange Bus-Fahrt nach Luxor vor uns. Dort besichtigten wir, während die Sonne hinter dem Nil unterging, ein weitläufiges Hotelgelände. Doch gefiel wohl allen "unser" Iberohotel, das direkt am Nil liegt, besser. Als wir dort ankamen, lag nur noch über dem Westgebirge ein heller Abendschein.
Unser Reiseleiter Guido Völkel hatte mich auf der Fahrt am Nachmittag gefragt, ob ich meine ägyptologischen Kenntnisse nicht am Abend der Gruppe erzählen könnte. Ich sagte zu, hatte aber übersehen, das viele von uns schon sehr müde waren. Einige waren das erste Mal in Ägypten. Für mich war das anders, da ich einige Semester Ägyptologie in Tübingen und in Wien studiert hatte und in vier Reisen mein Wissen vertieft hatte, war ich wohl auch müde, aber um das altägyptische Weltbild darzustellen, fühlte ich mich noch in der Lage. Es war dann aber nicht einfach, müden Gesichtern gegenüber etwas Wissenschaftliches und Philosophisches locker über zu bringen. Deshalb steht manches davon nun in diesem Bericht.

Am nächsten Morgen schien die junge Sonne endlich blank und strahlend vom blauen Himmel. Wir fuhren schon sehr früh über den Nil in den "schönen Westen". Das ist der altägyptische Name für die Gräber in den Wüstenbergen und Tälern. Im Tal der Könige erhebt sich majestätisch eine Natur-Pyramide. Im tiefen Blau des frühen Morgens grüßte sie uns. Unter ihr wurden vor 3500 Jahren die Schächte für die Gräber der Pharonen in dem Berg getrieben. Vielfach muss man gebückt hinab steigen. Dann öffnen sich die mit Hoch-Reliefs farbig geschmückten Grabräume. Die Bilder erzählen den Weg des Königs ins Paradies. Im Neuen Reich (1556 – 1075 v. Chr. ) gab es die Vorstellung von vielen Hindernissen auf dem Weg dorthin. Götter mussten helfen. Sie wurden als Wegbegleiter zu Totengöttern. Ein 42 köpfiges Göttergremium hielt Gericht darüber, ob der König nach der Waage des Gerichtes weiter gehen durfte. Osiris war dann der letzte und entscheidende Richter. Er galt aber als gnädig. Wer es also bis zu ihm in der Unterwelt geschafft hatte, konnte sicher sein, das nun das Tor zum Leben am schönen Nil der Unterwelt sich öffnete. Der Tote ging nun in weißen Kleidern strahlend in diese neue Welt hinein. Er war nun verwandelt zu einem Ach. Das ist der Glanz der göttlichen Welt. Er strahlte in seinem Ach wie die Sonne. (vgl.Verkärung Jesu Mt. 19!) Dieses Glänzen und Leuchten ist im Grab des Pharao Sethos I., dem Vater von Ramses II., an den Wänden und Relief-Bildern der Grabkammer zu bestaunen. Dort sieht man Bilder, wie der Pharao von Göttern geführt wird.

 

Einer der bedeutendsten Königsgestalten war eine Frau, Hatschepsut. Sie war die Tochter von Tuthmosis I. Und regierte das Reich von 1494 – 1468. Ihre Erscheinung und Autorität strahlt noch heute jedem entgegen, der auf ihren Totehtempel im Westgebirge zugeht. Von ihr wurde erzählt, dass sie oft ein Glänzen, wie das eines Achs, in ihrem Antlitz trug.
Zu ihrem wieder erstellten Tempel fuhren wir vom Tal der Könige, einmal um den Berg herum, ins Tal "Der el Bahari". Der heute nur wüst daliegende Aufweg zu den drei Geschossen des breiten Tempels zeigt die Macht einer Frau im Pharaonen-Ornat. Ich möchte behaupten, kein König der Erde hat solch einen faszieniernden Palast bauen lassen wie diese und wie er in den Steilhang der sich darüber türmenden Bergwand gehauen ist. Hatschepsut hat Ägypten ohne Kriege groß gemacht. An allen Pfeilern des Obergeschosses steht sie in Übergröße 16 mal in der Osiris-Haltung mit gekreuzten Armen. In den Händen hält sie Zepter und Geißel. Die Bildergeschichten in den Hallen erzählen von der göttlichen Geburt der Königin, von der berühmten Expedition ins Land Punt, wo es Gold, Weihrauch und Myrrhe gab. Zum Schmuck für den Aufweg zu dem Totentempel brachte die Expedition edle Bäume mit Wurzelballen mit. Diese wurden erfolgreich am Aufweg gepflanzt und durch einen Kanal mit Wasser vom Nil gewässert. Welch ein Aufwand in der Wüste! Wenn wir heute dort stehen und uns eine grünende Baum-Allee zum Tempel vorstellen, glaubt man an eine reale Fatamorgane, einem Bild von einem von Menschen geschaffenen Paradies!
Die Geschichte von der Punt-expedition kann der gut vorbereitete Betrachter auf den Reliefbildern der linken Halle betrachten. In der rechten Halle wird die Geschichte von der königlichen Gottesmutter Ahmose, der irdischen Mutter von Hatschepsut erzählt. Die Reliefs sind sehr beschädigt, so dass sie den meisten Touristen gar nicht erst gezeigt werden, so auch uns. Auf dem Programm stand noch das Grab des Ramose. Im Vergleich mit den anderen Gräber z. B. dem des Sennefer, lohnt es sich nicht!
Nach einem guten Mittagessen mit Blick auf die Mauern des Totentempels von Ramses III (1183 -1154 v.Chr.) war der Gang durch die lange Tempelanlage ein erhebendes Erlebnis. In einem Totentempel für einen König führt der lange Weg durch die Vorhöfe zum Licht, nicht wie in einem Götter-Tempel ins dunkle Naos. Im Toten-tempel des Pharao steht im Naos, eine Sonnenbarke für Re. In einer Sonnenbarke sitzen Millionen von Bas. Re-Harachte fährt mit ihnen über den Himmelsozean. Hinter dem Naos liegt ein paar Stufen erhöht das Sonnenheiligtum. Durch ein sog. Scheinfester ist der auf einem Thron sitzende Pharao mit dem Licht Gottes verbunden. So soll er Millionen Jahre im Licht leben. Die Königstempel heißen auch deshalb "Millionen-Jahr-Häuser". Hatschepsuts Totentempel ist solch ein Millionen-Jahrhaus. Leider sind wir nicht auf das Dach des dreigeschossigen Tempels hinauf gestiegen.


Denn dort oben liegt das Sonnenheiligtum des Re. In einem Millionen-Jahrhaus liegt es immer oben und ist nach Norden ausgerichtet. So ist schon die Cheops-Pyramide gebaut! Im Süden eines Toten-Tempels liegt immer die Halle der Göttin Hathor. Sie ist nicht nur die Liebesgöttin, sondern die Göttin des neu werdenden Lebens. Sie regelt im Süden zum Beispiel im Chnum-Tempel auf Elefantine das Kommen der Nilflut. Re und Hathor sind für die Alten Ägypter die Pole des Lebens. Ich finde es schade, wenn beim Durchgang durch die Säulenhallen mehr auf die Farbreste an den Säulen hingewiesen wird als auf den tieferen Sinn eines Totentempels, der mehr vom Leben als vom Tod erzählt. Der Millionen-Jahr-Tempel ist, dank der klugen Geometrie des ägyptischen Geistes, das Stein gewordene Weltbild der Alten Ägypter.
Auf der Rückfahrt nach Luxor machten wir Halt am Millionen-Jahr-Tempel von Amenophis III. Von ihm stehen nur noch die sitzenden Kolossal-Statuen des Pharao. Die wohl größte Tempelanlage Ägyptens ist in den Nilfluten untergegangen. Einige Grundmauern sind heute wieder freigelegt.
Die Alten Ägypter waren keine Träumer. Sie wussten um die Begrenztheit des Kosmos. Alles ist sterblich, auch die Götter. Doch hofften sie auf die Dauer (Djedpfeiler), das heißt auf Leben für unbestimmte Zeit. Symbolhalt dafür steht dafür der Gedanke von den "Millionen". In der Sonnenbarke sitzen Millionen Bas, der Totentempel heißt Jahr-Millionenhaus, die Göttern sind Millionen. Einen einzigen ewigen allmächtigen Gott jenseits von Raum und Zeit kannten sie nicht. Aber sie beteten zu Gott ganz persönlich, der sie auch in der Not begleitete und errettete. Ihr persönlicher Glaube wird als innig beschrieben. Doch sie wussten etwas von einem wundervoll geordneten Kosmos und von seiner Bedrohtheit. Zu seiner Bewahrung mussten Götter, Pharaonen und alle Menschen das Leben in der Waage halten.
Wäre nicht das auch etwas für unsere Zeit, für uns Europäer? Sollten wir nicht vorrangig das tun, was die Welt in der Waage hält und die Pole zusammen bündeln, statt überall in der Welt das Böse bekämpfen zu müssen? Das Böse an sich, jedenfalls in einem dualistischen Sinn, kannten die Ägypter nicht.
Der letzte Tag in Luxor begann mit einem evangelischen Gottesdienst in einer Kirche, die auf der alten Prozessions-Straße zwischen dem Karnak- und dem Luxortempel steht. Um diese Straße in ihrer vollen Länge von 2,5 Km wieder her zu stellen, soll diese Kirche abgerissen und an einer anderen Stelle in Luxor wieder errichtet werden. Darüber redeten wir nach dem Gottesdienst mit dem Pfarrer und einigen Gemeidegliedern.
Protestantische Kirchen sind in Ägypten eine verschwindende Minderheit. Der Staat gewährt wohl Religionsfreiheit. Trotzdem oder deswegen stand vor der Kirche, in der wir waren, ein bewaffneter Polizeiwagen. Die Polizisten zeigten ihre Waffen. Im Übrigen war der Gottesdienst schlecht besucht. Das lag am Sonntag morgen, weil unser Sonntag in Ägypten ein normaler Arbeitstag ist.

Die Alten, die um uns standen, betonten aber, dass der Gottesdienst am Abend von Familien und jungen Menschen besucht wird. Evangelische Christen sind diese Ägypter durch eine amerikanische Mission geworden.

Nach diesem Innehalten gings weiter in die 3500 Jahre alten Hallen der Götter von Karnak. Der gigantische Säulenwald beeindruckt immer wieder, nicht nur in dem Film "Der Tod auf dem Nil" von Agatha Christie. Wir liefen durch ein Labyrinth von Säulen, Obelisken und Mauern und durch eine 2000jährige Baugeschichte des Tempels. Von dem Pharao Sesostris I (1975 – 1940 v. Chr.) an bis zu den Ptolemäern ( 1. Plylon ) haben alle großen Pharaonen ihre Bauwerke hier hinterlassen. Darüber zu berichten, sprengt den Rahmn dieses Berichtes. Deshalb kommt das Größte, was Ägypten nach den Pyramiden hinterlassen hat, hier ganz klein weg.
Was ein ägyptischer Tempel bedeutet, habe ich an anderer Stelle beschrieben. Nach einem Rundgang mit dem Guide, überließ er uns Karnak, um persönliche Eindrücke sammeln zu können. Nach der Mittagspause und einem Besuch eines sog. "Papyrus-"Museums", das aber nur eine Verkaufshalle mit dem Lockmittel Teetrinken war. Die Kräfte ließen bei fast allen nach. Doch der 300 m lange Luxortempel von Amenophis III. und Ramses II stand noch auf dem Programm. Er liegt direkt am Nil. Mit seinen vielen Geschichten an den Wänden, vor allem den Bildern vom Ablauf des Opet-Festes, gehört er zu den bedeutendsten Tempeln Alt-Ägyptens. Er ist 3500 Jahre alt. Das Opet-Fest war das größte Fest des Jahres, das fast vier Wochen dauert.
Es war ein Volksfest wie bei uns Karneval. Es war aber auch wie Fronleichnam in der katholischen Welt, nämlich ein Prozessionsfest. Der Gott Amun wurde in seinem Naos in einer Barke die heilige Straße entlang getragen bis nach Luxor. Im Tempel dort wurde die Hochzeit mit seiner Frau Muth gefeiert. Im Neuen Reich von 1500 v. Chr. bis 1150 v. Chr. war dieses Fest ein Zeichen des Wohlstandes, des Friedens und vor allen der Lebensfreude im Niltal.
Damit will ich diesen Bericht über eine Reise in Ägypten beenden. Voller Elan bin ich am nächsten Tag nach Hause gekommen. Es war eine wunderschöne Welt(bild)-Reise in einer sehr angenehmen Gemeinschaft der Mitreisenden.

Verfasser dieses Berichtes ist Hartmut Nielbock
Geschrieben im Februar 2019