Israelreise Juni 2016 der Ev. Kirchengemeinde Arnoldshain

„Wer reisen will, muss zunächst Liebe zu Land und Leuten mitbringen, zumindest keine Voreingenommenheit. Er muss guten Willen haben, das Gute zu finden, anstatt es durch Vergleiche tot zu machen“, schreibt der deutsche Schriftsteller, Journalist und Theaterkritiker Theodor Fontane. Und doch hatte sicher jeder der 24 Reisenden, die frühmorgens im Juni in Frankfurt unter der Leitung von Pfarrer Christoph Wildfang am Schalter der El Al nach Tel Aviv eincheckten, so Einiges im Gepäck. Damit sind nicht Shorts und Sonnenbrille gemeint, sondern eine recht schwere und oft schwierige Last an geistigen Bildern, Meinungen, Ideen und vielleicht auch „Voreingenommenheit“ gegenüber dem Heiligen Land, dem Staat Israel, der Regierung des Landes, gegenüber Palästina, ja, gegenüber den Konflikten im Nahen Osten insgesamt. „Auf den Spuren Jesu“ wollte die Gruppe reisen, biblische Orte kennenlernen, erleben, besser verstehen. Gut, dass mit Pfarrer Wildfang ein erfahrener Israel-Kenner die Gruppe leitete: langer wiederholter Dienst im Kibbuz, Sprachstudium in Israel, viele private und dienstliche Reisen allein oder als Reiseleiter und mit vielen langjährigen Freunden und Kontakten im Heiligen Land stellten sicher, dass ein Hebräisch sprechender Lotse an Bord war, dem die Gruppe vertrauen und sich anvertrauen konnte. Mulmig war es manchen von uns aber schon am Frankfurter Flughafen – denn wer schaut schon gern in die Mündung von Schnellfeuerwaffen schwer bewaffneter Bundespolizisten oder in die Kanone eines Radpanzers, der das Einsteigen der Fluggäste überwacht. Ungewohnt auch die Vernehmung durch das israelische Sicherheitspersonal beim Einchecken – sicher, alles zu unserer Sicherheit, aber ungewohnt war das alles schon. „Wer reisen will, muss zunächst Liebe zu Land und Leuten mitbringen…. Den guten Willen haben, das Gute zu finden, anstatt es durch Vergleiche tot zu machen“… dieser Satz von Fontane ging mir auch bei den vielen harten und mitunter harschen Sicherheitskontrollen nicht aus dem Kopf, genauso wenig wie die Worte des 50. Psalms, die mir beim Start eines Flugzeugs immer wieder einfallen: „Rufe mich an in der Stunde der Not, und ich werde dich erretten“ – und so landeten wir dann vier Stunden später sicher auf dem Flughafen in Tel Aviv. Im Bus nach Nazareth stellte sich uns Ruth Eisenstein vor – Reiseleiterin deutscher Abstammung aus Betlehem, ebenfalls sehr erfahren und höchst kompetent, wie sich zeigen sollte, ein weiterer Fels, auf den die Gruppe stets bauen konnte – und das Programm begann.

Das Thema der Reise „Auf den Spuren Jesu“ zog sich dann auch eine Woche lang als klarer roter Faden durch unser Programm, das seinen Anfang in Nazareth nahm. Besuch der römisch-katholischen Verkündigungsbasilika mit der Mariengrotte, wo Erzengel Gabriel als Gesandter Gottes Maria die Empfängnis und die Geburt Jesu verkündigte, ein Besuch in der Gabrielskirche, der griechisch-orthodoxen Variante der Verkündigungskirche – ebenfalls mit einem Marienbrunnen, Bethlehem mit der Geburtsstätte Jesu, die Felder, wo den Hirten die Geburt Jesu verkündigt wurde, der Besuch der Taufstelle Jesu am Jordan bei Jericho, Jesu Weg über Kanaan hinunter durch das Tal zum See Genezareth mit Besuch von Kapernaum, der Berg der Seligpreisungen, Tagba als Ort der Brotvermehrung, die Bootsfahrt über den See nach Tiberias, die lange Wanderung durch das Jordantal nach Süden, die karge heiße Wüste und der Berg der Versuchung, die Stätte des Abendmahls, der Ölberg und herrlich kühle, schattige Garten Getsemane, die Via Dolorosa sowie dann als Abschluss der Besuch der Kreuzungsstätte und Grabeskirche in Jerusalem waren nur einige, wenn auch zentrale Orte unserer Pilgerreise auf den Spuren Jesu.

Neben diesem Hauptthema erlebte die Gruppe das historische und moderne Heilige Land: eindrucksvolle Höhepunkte waren der Besuch der Klagemauer in Jerusalem, die Altstadt, die Fahrt durch das Jordantal, die Küste des Toten Meeres in sengender Hitze, die Hafenstadt Haifa, die Küstenstadt Akko mit ihrer unterirdischen Kreuzfahrerstadt, der Besuch der beiden Synagogen in Safed, der Zions- und Tempelberg, das Israel-Museum mit dem Schrein des Buches und dem Großmodell von Jerusalem, der Herzl-Berg, das Grab König Davids, die Patriachengräber in Hebron, die Wüsten-Felsenfestungen von Herodes mit Massada als unglaublicher Höhepunkt, die Oase En-Gedi, den Fundort der berühmten Schriftrollen in Qumran und natürlich die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, die niemand unberührt ließ und wo Reiseleiterin Ruth Eisenstein die Geschichte ihrer Familie aus Dortmund erzählte, die nach Riga transportiert und dort von den Nazis umgebracht wurde.

Ein drittes zentrales Thema war Palästina – und in Bet Jala bei Betlehem übernahm am vorletzten Tag die Reiseleitung der exzellent Deutsch sprechende christliche Palästinenser Kamal Mukarker aus Bet Jala, wo die Gruppe übrigens auch die letzten vier Nächte wohnte. Bereits die Busfahrt nach Hebron – am Lenkrad des großen komfortablen Mercedes Reisebusses der Palästinenser XX – zeichnete den Ton der letzten beiden Tage vor: immer wieder Checkpoints mit bewaffneten Soldaten und Polizisten, große expandierende israelische Siedlungen wie Kirja Arba an der berühmt-berüchtigten Nationalstraße 60, wo es in jüngster Zeit immer wieder zu tödlichen Terrorattacken kommt, von Israelis besetzte Häuser im Zentrum von Hebron, der schlimme Grenzzaun mit Minenfeldern, Wachtürmen und Mauern, die während der 2. Intifada von Raketen beschossene, notdürftig geflickte Fassade unseres Luxus-Hotels in der Oasenstadt Jericho, ein Reiseleiter, der sich an Checkpoints im Bus verstecken muss – all das war unbehaglich und zeigte Wirkung. Jedem aus unserer Gruppe war hier – mitunter bis zur Grenze der Überforderung - abverlangt „das Gute zu finden und guten Willen zu haben“… Um so eindrucksvoller und wunderbarer dann anschließend die herzliche und unkomplizierte Gastfreundschaft von Kamal und seiner Familie, die die ganze Gruppe am letzten Abend zu sich nach Hause zum Abendessen einlud.

Womit das vierte „Thema“ unserer Reise „Auf den Spuren Jesu“ anklingt – ein Thema, das darf man vermuten, auch Jesus selbst wichtig gewesen wäre: die vielen menschlichen Begegnungen, zu denen es Dank der großen Erfahrung und gediegenen Hebräischkenntnisse von Pfarrer Christoph Wildfang und unseren beiden Reiseleitern kam: da war der junge italienische römisch-katholische Bischof in der Nazarener Verkündigungskirche, der sich nach der Messe mit seiner Reisegruppe, leger gekleidet und bester Laune Zeit nahm, auf Französisch nach unserer Gruppe zu fragen und ihr seinen Segen mit auf den Weg zu geben. Oder der griechisch-orthodoxe Pater, ebenfalls in Nazareth, der sich über unseren Besuch in „seiner“ Verkündigungskirche freute; die beiden italienischen Carabinieri, die mit ihrem Polizeikollegen aus Norwegen, in Hebron Streife gehen und gern über die Arbeit der TIPH-Beobachter Auskunft gaben, die palästinensischen Kinder im Bazar von Hebron, die von Angela Merkel und deutschem Fußball schwärmten; unsere beiden Reiseleiter Ruth und Kamal, die so viel von sich, ihren Familien und ihrem Leben und ihrer Geschichte mit uns teilten und weitaus mehr taten, als man es sich von einem „normalen“ Reiseleiter erwarten kann; die deutsche Pastorin im Augusta-Viktoria-Pilgerzentrum, die anschaulich von ihrer Gemeinde und Tätigkeit berichtete; die Vertreterin der Hilfsorganisation für traumatisierte palästinensische Frauen und Kinder und natürlich nicht zuletzt die leitende Krankenschwester im LIFEGATE-Rehabilitationszentrum in Bet Jala, die uns durch ihre Klinik, Schule und Werkstätten führte. So entstand dann auch die „Liebe zu Land und Leuten“, von der Fontane schreibt – im Gespräch mit Menschen, die sich uns öffneten, um Verständnis für ihre Lage warben, zu sich einluden und uns auf unserer Reise auf ihre Weise immer wieder reich beschenkten.

Ein so kurzer Reisebericht kann und will und kann sicher nicht den Anspruch erheben, die Reise vollständig abzubilden. Das Programmblatt der Reise bleibt daher auch weiter im Pfarramt in Arnoldshain verfügbar und beschreibt den Reiseverlauf chronologisch für alle, die mit dem Gedanken spielen, die nächste Reise mitzumachen. Vielleicht an dieser Stelle doch noch ein Wort zum Thema Sicherheit: zu keinem Zeitpunkt fühlte ich mich unsicher, bedroht oder unwohl – dafür sorgen natürlich die überall stationierten Sicherheitskräfte und Polizisten, aber auch die Freundlichkeit und Offenheit von Israelis und Palästinensern. Unsere Gruppe wurde fast überall an Kontrollstellen durchgewinkt, unterwegs herzlich begrüßt, überall gern gesehen.

Bei allen intensiven, manchmal mental schwierigen und körperlich anstrengenden Programmpunkten soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass die Gruppe immer wieder Zeit und Gelegenheit zur Erholung und Entspannung fand: so wurden unzählige Wasserpfeifen geraucht, die Taboo-Bar in Bet-Jala zum festen abendlichen Treffpunkt, von dem der Wirt im eigenen Auto seine Gäste schwungvoll ins Auto quetschte und zurück ins Hotel beförderte, da war das Bad im Toten Meer, bei dem der heilsame Schlamm als Körperbemalung ausprobiert wurde, genau wie das erfrischende Bad in den eiskalten Wasserfällen der Davidsquelle in mitten der Wüste.

Viele Eindrücke dieser Reise sind so kurz danach auch noch gar nicht verarbeitet, genau wie für die Fotos und Filme wird es Zeit brauchen, um alle Gedanken und Eindrücke „durchzusortieren“. „Liebe zu Land und Leuten“, wie sie Theodor Fontane auf die Reise mitnehmen will, hatte vielleicht nicht jeder unserer Gruppe beim Abflug in Frankfurt im Gepäck – aber bei der Rückkehr am Gepäckband auf jeden Fall gewonnen und ins Herz geschlossen. „Voreingenommenheit“, wenn es sie denn vor der Reise gab, blieb dagegen in Israel und Palästina zurück. Die Reisegruppe der Gemeinde in Arnoldshain, aus Weilbach und aus dem Taunus hatte – das war an jedem Tag im Heiligen Land immer wieder spürbar -  den „guten Willen, das Gute zu finden“ – was mit Pfarrer Christoph Wildfang auf dieser Pilger- und Entdeckungsreise „auf den Spuren Jesu“ Gott sei Dank auch gelang.

Text und Fotos: Werner Wildfang