Blog Reiseberichte

Akademiereise und Begegnungsreise in die Ukraine

umfassender Reisebericht einer Kulturreise in die Ukraine von Dr. Jürgen Quack

Ukraine, Schwarzes Meer, Krim

Pfarrer Wolfgang Wagner, Evangelische Akademie Bad Boll

Samstag, 10. Mai: Anreise nach Kiew

Wir treffen uns in Frankfurt auf dem Flughafen. Hier ist viel Betrieb - es ist Pfingstsamstag und vor dem TUI-Schalter stehen lange Schlangen.
Alle sind pünktlich da.
Abflug Frankfurt 19.50 mit Ukraine International Airlines Flug PS 402 mit Verspätung, weil wir noch auf einen Anschlussflug warten. Flugzeug ist voll. Kein Fernsehen an Bord. Essen gut.

Ankunft Kiew 23.25. Längeres Warten auf Gepäck - aber alles kommt.
Reiseführer Eduard Saroyan wartet auf uns. Uhr eine Stunde vorstellen. Geldwechsel: Kurs 1 Euro = 7,40 Hryvna (UAH).

Transfer zum Hotel Lybid mit Bus. Alles sieht sehr großstädtisch und europäisch und gut aus. Das Hotel liegt am Friedensplatz (Peremohy Sq.) auf der Taras Shevchenko Av. Gegen­über liegt der 1960 gebaute Stadt-Zirkus.
Ich habe ein Zimmer im 8. Stock. Preis: 650 in Neben- und 712 in Hauptsaison. - Alles hat bestens geklappt. Ich sinke gegen 2 Uhr müde ins Bett.

Sonntag, 11. Mai (Pfingsten) Kiew

Gut geschlafen. Sehr reichhaltiges Frühstück.
9.15 Abfahrt zur Luth. St. Katharinenkirche in der Lutherstraße.
Io Uhr Gottesdienst in der lutherischen Gemeinde.
Vor dem Gottesdienst haben wir in einem Nebenraum Zeit zu einem ersten Gruppentreffen und einer Vorstellungsrunde.
Der Kirchsaal ist geschmückt mit modernen Glasfenstem des Rottweiler Künstlers Tobias Kammerer.
Pfarrer Peter Sachi ist Bemeuchener und singt die Liturgie sehr schön. Der Chor, der jeden Sonntag den Gottesdienst mitgestaltet, singt heute die Bachkantate „Wer mich liebt, wird mein Wort halten“. Dafür entfällt die Predigt. Wir werden im Gottesdienst begrüßt. Wolfgang Wagner macht die Schriftlesung und teilt mit Abendmahl aus.

Nach dem Abendmahls-Gottesdienst gibt es Kirchenkaffee im Freien. Dabei lerne ich einige Gemeindeglieder kennen:
Ein junge Architektin: Sie erklärt, sie sei eine der ersten Architektinnen, die sich für ökologi­schen Bauen interessiert. Die Restaurationen der letzten Jahre seien alle sehr oberflächlich durchgeführt worden und würden bald wieder Nachbesserungen benötigen. Es sei besser, gleich nachhaltig zu bauen und zu renovieren.
Dann ein Jurist aus Thüringen, der Gastvorlesungen an der Universität über Verfassungsrecht hält.
Und dann Helene Pitschemucha (Dmitrijewskatle Str. 24, Wohnung 28, 01054 Kiew 54).
Sie war während des Krieges 3 1/2 Jahre als Zwangsarbeiterin in Gotha. Zweimal wurde sie bei Fliegerangriffen lebendig begraben und nur von anderen wieder befreit. Von einem italie­nischen Gefangenen bekam sie damals ein Marienbild geschenkt mit dem Versprechen „Das wird dich beschützen“. - Seitdem sammelt sie Madonnenbilder.

Danach gehen wir um eine Ecke zum Präsidenten-Palast. Früher war die Straße davor Sperrgebiet, heute darf man da rumlaufen.

Gegenüber steht das „Haus mit den Chimären“ des Architekten Gorodetzkiy, das er 1901- 1903 im Jugendstil mit den Köpfen von Elefanten, Fröschen, Nashörnern, Hirschen und Fi­schen schmückte. Er floh in der der Revolutionszeit und starb in Teheran.
Von hier haben wir einen guten Ausblick, z.B. auf der Hotel Ukraine (früher Hotel Moskau) und die Säule mit der jungen Ukraina auf der Spitze.

In der Lutherstraße sehen wir noch das Haus mit „weinender Madonna“, über deren Wan­gen nach dem Regen noch lange Tropfen laufen. Auch Jugendstil. Das Haus ist jetzt ein Gä­stehaus der Regierung, in dem u.a. Condoleezza Rice übernachtete.

Gegenüber in der Lutherstraße 28 ist der Sitz des Partisanenverbandes.

Mit dem Bus fahren wir zum Parlament: Im benachbarten Marienpark bzw. Park der Revo­lution sehen wir das Denkmal für den russischen General Nikołaj Vatutin (1901-44), der am 6. November 1943 die Befreiung Kiews leitete und hier begraben wurde.

Das Parlament wurde 1936 gebaut. Hier sagt heute der „Oberste Rat“ (Verchovna Rada) der Ukraine. Gebaut wurde des für den Obersten Rat der damaligen Sowjetrepublik. Im Sitzungs­saal unter der Glaskuppel wurde am 24.8.1991 die Unabhängigkeitserklärung bestätigt und am 28.6.196 die neue Verfassung gebilligt. Daneben stand früher die Alexander Newski-Kirche, die irgendwann abgerissen wurde. Jetzt steht dort eine Zeltkirche - anscheinend das Zeichen, dass die Kirche des Moskauer Patriarchats hier direkt neben dem Parlament die Kir­che wieder erstehen lassen möchte.

Hinter dem Parlament steht der Marienpalast (Marijins’kyj palac), das einzige richtige Schloss in Kiew. Alle anderen Fürstenpaläste wurden von den Tataren 1240 zerstört. Gebaut wurde es im Auftrag von Zarin Elisabeth in den Jahren 1745 bis 1752, der Tochter von Peter d.Gr., nachdem sie 1744 die Stadt besucht hatte. Es gehörte dann der Zarenfamilie, heute wird es für Empfänge benutzt.

Wir gehen noch zum Steilabfall zum Fluss Dnepr und blicken hinüber auf die andere Fluss­seite und auf die Insel mit dem Hydropark

Mit dem Bus geht es weiter zum Komplex „Mutter Heimat (Rodina mat’)“, gleich hinter dem Lawra-Höhlenkloster, den wie ein anderes Mal besichtigen. Hier ist das Museum des Großen Vaterländischen Krieges, ein Panzermuseum, die Galerie der Helden und vor allem die 62 m hohe Gestalt der „Mutter Heimat“. Mit Sockel ist die Statue 102 m hoch und damit 2 m höher als die Freiheitsstatue in New Yorck). Sie wurde 1982 im Auftrag Moskaus gebaut und verkörpert den Sieg des Sowjetreiches über die faschistische Armee.

Dann geht es mit dem Bus hinunter zur Uferstraße zum Denkmal der Stadtgründer, der Brüder Kyj, Scek und Choriv und ihrer Schwester Lybed, die wohl um 500 n. Chr. hier die erste Burg bauten.

Dann am Ufer weiter vorbei an der Säule, die an die Einführung des Magdeburger Stadt­rechts mit einer weitgehenden städtischen Selbstverwaltung im 14. Jahrhundert erinnert. Die damals aus dem Westen übernommene Struktur der Stadtverwaltung galt bis ca. 1835. Um in Moskau die Genehmigung für die Errichtung dieses Denkmals an die Eigenständigkeit und die Privilegien der Stadt zu erhalten, wurde eine zweite Denkmalsbestimmung festgelegt, nämlich die Erinnerung an die Taufe der 12 Söhne des Großfürsten Volodymyr an dieser Stelle. Im Schreiben nach Moskau 1802 wurde nur diese zweite Bestimmung erwähnt.

Weiter geht es durch den Stadtteil Podil, dann hoch an der Kyrill-Kirche vorbei nach Babyn Jar. Hier wurden von den Deutschen während der Zeit der Besetzung 1941-43 insgesamt ca. 200.000 Menschen (davon 40.000 Kinder) erschossen.
Es begann am 27.9.1941 mit der Ermordung von 753 Psychisch Kranken aus dem Hospital für Geisteskranke im ehemaligen Kyrill-Kloster. Dann wurden am 29. und 30. September 30.000 Juden hier erschossen und in die 1,5 km lange und 50 m tiefe Babyn Jar (Frauen­schlucht) geworfen.
Das Denkmal aus der Sowjetzeit spricht nur von „Bewohner Kiews“; die Juden werden nicht erwähnt. Heute gibt es im Umfeld mehrere Denkmäler und Mahnmale, darunter auch eine für die ca. 3 Mill, ukrainischen Ost- und Zwangsarbeiter.

Mit dem Bus fahren wir zur Metrostation Beresteiska. Dann sechs Stationen mit der Metro zur Station Chrescatyk.
Wir verlassen die Metrostation auf einer langen Rollstreppe durch den oberen Ausgang und kommen auf dem Weg zum Majdan an einigen schönen Jugendstil-Häusern vorbei.

Wo heute die Prachtstraße Chrescatyk entlangführt, floss früher ein Bach durch sumpfiges Gelände. Heute ist hier am Wochenende die Flaniermeile der Stadt.

Zentrum der Stadt ist der Unabhängigkeitsplatz (Majdan Nezaleznosti), wo während der „Orangenen Revolution“ die Proteste gegen die Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl stattfanden. Heute am „Europatag“ ist die Chrescatyk für den Autoverkehr gesperrt und die ganze Stadt scheint beim Flanieren zu sein. An Stelle des früheren Lenin-Denkmals steht hier seit 2001 in 62 m Höhe als Symbol der Unabhängigkeit eine „Ukraina“, eine junge Frau, die einen güldenen Palmzweig gen Himmel reckt. Dazu gibt es auch hier ein Standbild der Stadt­gründer Kyj, Scek, Choriv und Lybed. Das nahe liegende Hotel „Ukraj ina“ heißt zu So­wjetzeit „Hotel Moskau“.

Über dem Platz steht das „Ukrainische Haus“, 1981 gebaut als Leninmuseum, in dem Heute Kulturveranstaltungen stattfinden. Wir gehen vorbei an der Philharmonie (1882), wo u.a. der Papst auf seiner Reise eine Rede hielt

Wir gehen weiter zum „Bogen der Völkerfreundschaft“ mit einem wunderschönen Blick über den Dnepr. Eine Skulptur erinnert hier an den Vertrag von Perejaslav von 1654, in dem der Kosaken-Hetman Bohdan Chmelnyckyj die gerade den Polen abgerungene Unabhängig­keit durch ein Bündnis mit dem Zaren wieder verliert. Die beiden Mittelfiguren stellen den Hetman und den Gesandten des Zaren dar.

Zurück zum Bus und Heimfahrt - vorbei an Michaelskloster, Sophienkirche und Goldenem Tor, die wir alle morgen besuchen werden.

Montag, 12. Mai Kiew Stadtrundgang (Altstadt und Oberstadt)

Um 9 Uhr fahren wir mit dem Bus zur Wladimir-Kathedrale, die gegenüber dem Botani­schen Garten steht. Sie ist von der Erbauung her die jüngste der großen Kirchen.

An ihrem Anfang stand die Kritik frommer Kiewer, die sich über das Volodymir-Denkmal erregten, das 1853 am Abhang zum Dnepr aufgestellt wurde. Warum sollte dem Fürsten, der vor Jahrhunderten die Götzenbilder stürzen ließ, jetzt selber ein solches errichtet werden? Schnell war man sich einig, dass eine Kirche zur 900. Wiederkehr der Taufe 1888 eine viel bessere Ehrung sei. Mit etwas Verspätung wurde die Kirche 1896 in Anwesenheit von Kaiser Nikolaus II. geweiht. Bekannt ist die vor allem wegen ihrer Fresken mit biblischen Szenen - und natürlich der Taufe der Kiewer Rus.

Es ist heute die Hauptkirche von Patriarch Filaret, dem Oberhaupt der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats.

Der Grundstein wurde 1862 gelegt, fertig war sie erst 1896. Im ersten Entwurf hatte sie 13 Kuppeln, gebaut wurden aber nur sieben. Die Ausmalung dauerte 7 Jahre. Zum ersten Mal erfolgte die Ausmalung nicht durch Mönche, sondern durch anerkannte weltlich Künstler im Stil der damaligen Moderne, die dem westeuropäischen Historismus und Symbolismus ent­spricht. Die Kirche war damit nicht glücklich. Nach ihrer Erbauung war sie die Hauptkirche der Stadt.
Auf den großen Türen sind Reliefs von Wladimir und seiner Großmutter Olga zu sehen. Die wichtigsten Reliquien sind die der heiligen Barbara, die aus dem Michaelskloster vor dessen Zerstörung hierher gebracht wurden.

Wir gehen weiter, vorbei an der Rückseite des Opernhauses (1901). Hier wurde 1911 der russische Ministerpräsident Stolypin bei einem Attentat getötet.

Wir kommen vorbei an der Deutschen Botschaft. Im Hause gegenüber wohnt der Schwerge­wichtsboxer Vitali Klitschko, der sich zur Zeit um das Amt des Bürgermeisters - neben 78 anderen Kandidaten - bewirbt.

An der Straße „Am Jarosław -Wall“ zeigt uns Natascha das „Haus mit den fliegenden Lö­wen“, das Baron Stengel sich um 1900 bauen ließt. Ein Stück weiter steht die Keneset der Karäer, die der Architekt Gorodietzky (?) 1898 baute. Heute ist sie ein Konzertsaal. Die Karäer sind ein Turkstamm, der so früh zum Judentum übertrat, dass er nur die Thora, aber nicht den Talmud anerkennt.

Das Goldene Tor (Zoloti vorota) gehört zur ersten Stadterweiterung, die Jarosław der Weise 1037 vomahm. Die Stadtmauer der Erweiterung war 4 km lang. Das Tor war eine Zeitlang zugeschüttet gewesen. Heute thront über dem Tor wieder die Verkündigungskirche.

Von oben sehen wir das „Eklektik-Haus“ mit roten und weißen Putz, das bei seinem Bau um 1900 das höchste Bauwerk der Stadt war.

Neben dem Goldenen Tor steht die Statue von Fürst Jaroslav mit einem Modell der Sophienkirche, deren Bau er 1047 (oder nach Natascha evtl, schon 1018) veranlasste. Sie ist heute die älteste Kirche Kiews.

Wir gehen weiter zur Sophienkathedrale

Vor dem Glockenturm, der gleichzeitig das Eingangstor ist, kam es 1995 zu einem Zwischen­fall. Patriarch Volodymyr (1925-95), das Oberhaupt der autokephalen orthodoxen Kirche war gestorben. Seine Anhänger wollten ihn in der Sophienkirche begraben. Aber auch die Kirche des Moskauer Patriarchats erhebt Anspruch auf diese Kirche. Die Stadtverwaltung als Besit­zerin der Kirche verbot eine Beisetzung in derselben. Da hüben die Anhänger der Verstorbe­nen vor der Kirche ein Grab aus und versenkten hier den Sarg.

Den Grundstein für die Kirche legte Fürst Jarosław der Weise im Jahre 1037. Hier wurde er auch beigesetzt. Bei der Revolution 1917 wurde der Komplex verstaatlicht und ist heute ein architekturhistorischer Museumskomplex, bei dem für die einzelnen Teile jeweils Eintritt ge­zahlt werden muss. Dazu gehört ein Priesterseminar, das ehemalige Wohngebäude des Metro politen und die „warme Sophia“, das Refektorium, heute ein Architekturmuseum.

Die Kirche wurde 1240 von den Mongolen weitgehend zerstört und blieb als Ruine stehen, aber der holländische Künstler Westerfelde macht 1651 viele Zeichnungen des damaligen Bestandes. Sie wurden herangezogen, als die Kirche dann in ukrainischem Barock wieder aufgebauter wurde.

Beim Betreten der Kirche fallt der Blick als erstes auf die riesige Maria als Orantin im Chor der Kirche. Das Mosaik ist 6 m hoch, der Kopf allein 1,80 m. Links und rechts davon sind der Engel Gabriel und die Maria (hier mit Spindel und rotem Faden) zu sehen. Ursprünglich ließ Jaroslav acht Künstler aus Konstantinopel kommen, die an den Mosaiken und Fresken arbei­teten. Von der ursprünglich 640 qm Kunst sind noch 260 erhalten.

In der Kuppel thront der Pantokrator. Zwischen den oberen Fenster stehen die 12 Apostel und darunter in den Zwickeln die 4 Evangelisten.

Kiew war damals nach Paris die zweitgrößte Stadt Europas. Jaroslav war ein Politiker mit vielen Verbindungen; seine drei Töchter verheiratete er mit den Königshäusern in Norwegen, Ungarn und Frankreich. Anne, die französische Königin wurde, nahm eine kostbare Bibel mit, denn sie konnte - im Gegensatz zu ihrem Mann - lesen und schreiben. Auch diese Töchter sind in der Kirche auf einem Fresko verewigt.

Die Kirche ist heute ein Architektur-Monument. Daher wurde Wert darauf gelegt, die ver­schiedenen Schichten der Malerei und Verputzung darzustellen.

Im rechten Seitenschiff ist in der Apsis die Sophia - ähnlich wie eine Maria - dargestellt. Zu ihr fuhren die Stufen der Hoffnung, Liebe, Reinheit, Demut und Rühmung hinauf. Im linken Seitenschiff steht der Sarkophag von Jarosław dem Weisen.

Wir gehen noch auf die Empore hinauf. Dort sind auch Mosaiken und Fresken aus dem Michaelskloster (erbaut 1108, also 100 Jahre später) zu sehen, die vor der Sprengung des Klo­sters entfernt wurden (aber zum größten Teil in die Moskauer Museen gebracht wurden). Währen die alten Inschriften der Sophienkirche griechisch geschrieben sind, sehen wir hier kyrillische Buchstaben. Auch ein großes Modell der alten Wladimir-Stadt und der jüngeren Jaroslaw-Stadt ist hier ausgestellt.

Am Ausgang singt ein kleiner Männerchor liturgische Stücke und verkauft seine CDs.

Wir machen Mittagspause. Ich gehe in die Bar „Mister Snack“ und esse eine Suppe und ei­nen Salat. Dann geht es weiter:

Auf dem Sophienplatz steht ein Denkmal der Kosaken-Hetmans Bahdan Chmelnyckyj, der 1648 die Polen besiegte.

Dann gehen wir hinauf zum Michaelskloster (1108), das in den 30er Jahren abgetragen wur­de, um für ein geplantes Regeierungsgebäude - entsprechend dem benachbarten Außenmini­sterium - Platz zu machen. Dazwischen sollte eine 70 m hohe Leninstatue stehen. - Beides wurde aber nie gebaut.

Die jetzigen Gebäude sind ein Neubau. Der einzige Wissenschaftler, der gegen den Abriss protestiert, Prof. Makarenko, wurde nach Sibirien geschickt, wo er bald starb. 1997-2000 wurde das Kloster wieder aufgebaut. Am Eingang sieht man ein Mahnmal für die Opfer des Stalinismus und eine Erinnerung an den tapferen Professor. Dort gibt es auch ein Mahnmal für die Toten der Hungerzeit 1932-33.

Natascha berichtet, dass es drei große Wellen der Verfolgung der Ukrainer gegeben hat: zu­nächst 1926/27, dann die Hungerzeit 1932/33 und dann nochmals 1946/47. Insgesamt hätten dadurch 10 Mill Ukrainer ihr Leben verloren.

Wir gehen am Außenministerium vorbei. Davor wehen die ukrainische und die europäische Fahne.

Wir gehen die Zehntstraße hinunter zum oberen Ende der Andreassteige. Gegenüber liegt der Platz, wo noch die Fundamente der Zehntkirche zu sehen sind.

Bei der Hausnummer 38 weist Natascha daraufhin, dass hier der Palast der Fürstin Olga stand, der von den Mongolen zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde.

Wir kommen vorbei an einer häufig fotografierten Statuengruppe eines jungen Mannes, der einer reichen Frau den Hof macht. Das Motiv entstammt einem sehr erfolgreichen ukraini­schen Film.

Die Andreaskirche ist ein Musterstück des ukrainischen Barocks. Sie wurde im Auftrag der Zarin Elisabeth gebaut und erhielt auf deren Wunsch eine Kanzel, die es sonst in orthodoxen Kirchen nicht gibt. Berühmt sind zwei Bilder: „Choice of creed“ von Eggink (1822). Es zeigt Fürst Wladimir und Gruppen von Orthodoxen, Katholiken, Juden und Muslimen. Und das Bild „Andreas predigt“ von P. Borispolets (1842):

Wir gehen die grob gepflasterte Andreassteige hinunter. Viele Stände von Souvenirhändlem. Ich überlege, ob ich mir Strohschuhe für 30 Grivna kaufen soll. Viele Häuser sehen baufällig und ungepflegt aus. Hier steht auch eines der letzten Holzhäuser der Stadt.

Wir kommen am Haus und am Denkmal des Dichters Bulgakow vorbei. Natascha berichtet, dass viele ukrainische Dichter russisch schreiben mussten, um gekauft zu werden - und nun von den Russen als „russische“ Dichter vereinnahmt werden.
Sie hat zusammen mit ihrem Mann einen kleinen Verlag, der ukrainische Kinderbücher ver­legt. Die Bücher werden von der großen russischen Buchladenkette nicht genommen, so dass sie schwer zu verkaufen sind.

Wir kommen hinunter in den Stadtteil Podil auf den Kontraktplatz, wo früher Handelsver­träge abgeschlossen wurden. Dort steht ein Denkmal für den Hetmann Sahajdacnyj, der gegen die Türken kämpfte. Am Rand steht die frühere griech.-orth. Kirche, in der heute eine Bank ist.

Wir sehen die Mohyla-Universität, die 1634 gegründet wurde. Vor ihrer gelben Frontseite stehen weiße korinthische Säulen. Sie war die größte ostslawische Universität. Unter anderen studierte hier Lomonossow, der später die Universität von Moskau gründete. Hier dozierte auch der Philosoph Gorbarota, der das Vorbild für Bulgakows „Meister“ war. Sein Standbild steht in einem kleinen Park in der Nähe.

Hier wartet unser Bus. Bei der Weiterfahrt sehen wir auch das „Vertragshaus“, in dem die Juristen ihren Sitz hatten. Auch hier 4 weiße Säulen vor der gelben Front.

Der Stadtteil Podil wurde 1811 durch einen Brand fast völlig zerstört und danach schachbret­ tartig wieder aufgebaut. Nur die 19 unversehrten Häuser stehen quer zu diesen neuen Straßen.

Links sehen wir die Christi-Geburts-Kirche. Dann kommen wir an der Talstation der Stand­seilbahn vorbei. Im Wald rechts dann steht das Wladimir-Denkmal an der Stelle, von wo aus er die Taufe der Rus beobachtet haben soll.

Über den Unabhängigkeitsplatz geht es zurück zum Hotel.

Ich gehe in den benachbarten Supermarkt Ukraina, um Essen für den morgigen Ausflug zu kaufen. Das Angebot ist riesig und entspricht meinem Eindruck nach völlig westlichem Stan­dard. Die angebotenen Äpfel sind Granny Smith aus Frankreich und Golden Delicious aus Holland.
Nach dem Abendessen kommt Pfarrer Peter Sachi zu einem Gespräch über Geschichte und heutiges Leben der deutsch-lutherische Gemeinde. (Anlage 1)

Dienstag, 13. Mai Kiew Ausflug zum Freilichtmuseum

Morgens im Bus Geburtstagsständchen für Eduard, der gestern seinen 54. Geburtstag feierte.

Unterwegs erzählt Natascha über die soziale Lage:
Lohn und Rente
Es gibt einige Reiche und viele Armen. Der Durchschnittslohn beträgt 1702 Hrivna.
Rente: Lehrer und andere Hochschulabsolventen bekommen 1000 Gehalt und 550 Rente. Ein Professor bekommt 2500 Gehalt und 700 Rente.
Ein Abgeordneter bekommt 3600 - daher wollen so viele ins Parlament.
Eine Frau muss 20 Jahre arbeiten, dann bekommt sie mit 55 die Rente. Ein Mann muss 25 Jahre arbeiten und bekommt ab 60 die Rente. Lebenserwartung 62 für Männer, 68 für Frauen.

Miete
1-Zimmer-Wohnung von Privat kostet 700 Dollar (!) im Monat. Arbeiter von Außerhalb mieten eine Wohnung zu 5 oder 6. Eine größere Wohnung ist natürlich noch teurer.
Ihre Familie lebt mit zwei Kindern in 3 Zimmern auf 62 qm. Für Heizung, Wasser und Haus­betreuung müssen sie 400 im Mont zahlen. Strom zusätzlich.
Zu Sowjetzeiten bekam man kostenlos eine Wohnung - musste aber nach der Heirat 10 bis 40 Jahre darauf warten! Nach der Wende wurden die Wohnungen wie bewohnt kostenlos privati­siert.
Eine Wohnung zu kaufen kostet im Zentrum 5.000 Dollar der qm.

Bau einer neuen Metrostation.
Schokoladenfabrik. Der alte Name „Karl Marx“ prangt noch auf der Wand. Der neue Name
„Roshen“ wurde darüber geschrieben.

Freilichtmuseum für Volks archi tektur und Lebensweise im Dorf Pirogovo

Das Museum wurde 1969 gegründet und ist eines der weltweit größten und besten Museen dieser Art. Etwa 320 Bauten vom 16.-20. Jahrhundert wurden aus 25 Landesgebieten zu sechs historisch-ethnographischen und geographischen Zonen gruppiert. Faszinierend sind die vie­len Holzhäuser mit Strohdächern, darunter ein Bauernhaus aus Holzstämmen aus Polisja von 1587. Zum Ensemble gehören auch drei Kirchen und viele Windmühlen.

Viele verschiedene Häuser. Wände jeweils aus dem verfügbaren Material: Holz im Wald, geflochtene Wände mit Lehmbewurf in der Ebene, Bruchsteine in den Bergen. Gegenüber der Eingangstür gab es immer eine oder mehrere Ikonen.

Die Michaelskirche, gebaut um 1600, wo Natascha 1992 ihre beiden Kinder taufen ließ. Natascha über das Leben der Bauern: „Man hatte keine Zeit, nichts zu tun.“ - Es gab immer Arbeit.

Ein alter Musiker spielt fantastisch auf der Zymbel Ich kaufe eine CD.
Leider gibt es keine Toiletten.

Im Bus informiert Natascha über die Kołatki (Volkslieder) und über den Dichter und Maler Tschewtschenko. Er starb 1861 mit 47 Jahren - einige Wochen vor Aufhebung der Leibeigen­schaft im Zarenreich, die ihm die Freiheit gebracht hätte. - Begraben wurde gemäß seinem Wunsch in Mönchsberg, aber vorher war er drei Tage aufgebart in der Kirche Christi- Geburts-Kirche in Podil, die daher auch Tschewtschenko-Kirche genannt wird

Es gibt eine Poliklinik in jedem der zehn Stadtteile.

Vergeblicher Versuch, das Ukrainische Museum zu sehen - es ist dienstags zu.

Museum für Russische Kunst
Nur Bilder vor der Revolution 1917!

Von den drei Etagen mit insgesamt 35 Räumen und 2000 Exponaten sahen wir uns nur die Räume im ersten Geschoss an. Wir sahen z.B. das älteste Werk des Museums, die Ikone mit den Heiligen Boris und Gleb (13. Jh.)
Antropow, Zarin Elisabeth (1755)
Ge, Selbstportrait (1892)
Rerich, Nikolaus: Mönch vor Kloster (1916)

Kkramskoj Bauembilder, Mädchen mit Katze, Abendmahl (Judas ganz im Schatten verlässt gerade den Raum)
Ilja Repin, Nikolaus rettet 3 Unschuldige vor der Hinrichtung, 1890
Wasnerschuw, 3 Königinnen des Berges: Kohle, Diamanten und Erdöl, 1884
Perow, der Wahnsinnige
Makowski, Mädchenabend (letztes Treffen vor der Hochzeit)
Schischin Naturbilder
Aroschenko, Alter Jude
Plastik von Nestor aus Marmor
Brodski, Portrait seiner Frau 1913
Im Erdgeschoss gab es zwei Sonderausstellungen zeitgenössischer Maler und Malerinnen.

Zum ersten mal etwas Regen!

18 Uhr Abendessen

Dann Ballet „Romeo und Julia“ von Prokofjew im Opernhaus
Karte zu 150 Griwna. Sehr gute Plätze im 2. Rang Mitte. Das Opernhaus ist fast voll.

Mittwoch, 14. Mai Kiew Lawra Höhlenkloster

Das Höhlenkloster wird zum ersten Mal 1051 erwähnt. Über die Anfangszeit berichtet der Chronist Nestor in der „Chronik der vergangenen Jahre“. Es ist ein großer Komplex auf 28 Hektar mit 70 Gebäuden, darunter 11 Kirchen über und sechs Kirchen unter der Erde. Seit der Kommunistischen Zeit sind in der oberen Lawra viele Museen untergebracht, die zum größten Teil dort bleiben werden.

Gegründet wurde das Kloster im Jahr 1051 vom Mönch Antonij (983-1073), der vom Kloster auf dem Berg Athos kam. Hier hatte schon vorher der Priester Ilarion 1030 sich eine Höhle gegraben, in die er sich zum Meditieren zurückzog. Die Zahl der Mönche wuchs und sie ich richten eine Kirche ein. Antonij ernannte den Mönch Varlaam zum Abt und grub sich eine neue Höhle bei den heutigen „Nahen Höhlen“.

Auf Antonijs Bitten schenkte Fürst Izjaslaw (1054-1073) dem Kloster die Ländereinen auf dem Plateau oberhalb der Höhlen. Dort entstanden dann ab 1062 die ersten oberirdischen Ge­ bäude und bald auch die Uspenskyj-Kathedrale.
Das Kloster wurde groß und reich. Über 200 Dörfer und 10 Städte gehörten später zu seinem Besitzt und es hatte zeitweise über 1200 Mönche. Zu seinem Komplex gehörten auch Schulen und Werkstätten. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts hat sich das architektonische Ensemble nicht mehr wesentlich geändert. Allerdings wurden viele Gebäude abgebrochen und wieder neu aufgebaut. 1930 wurde das Kloster geschlossen und alle Gebäude zweckentfremdet. Zur 1000-Jahrfeier der Kiewer Rus wurde der Kirche zunächst die Gebäude der Ferner Höhle und dann auch die der Nahen Höhle zurückgegeben. Dort ist heute wieder ein Kloster mit 100 Mönchen. Die Obere Lawra gehört heute der Stadt.

Wir betreten den Komplex durch die Dreifaltigkeits-Torkirche.

Die Mauern vor dem Eingang zeigen das Bild „Konzil der Klosterältesten“ (1900-1902).
Es ist die einzige Torkirche in Kiew, die von den Mongeoien1240 nicht zerstörte wurde. Zwar wurde sie außen 1722-29 barockisiert, aber die Innenarchitektur ist original von 1106-1108.

Die Wandmalereien, die die ganze Kirche innen bedecken, stammt aber auch aus späterer Zeiten. Sie folgen allerdings noch dem „ukrainischen Kanon“. Späterbefahl Zar Paul, dass bei den Ausmalungen von Kirchen nur noch der russische Mal-Kanon befolgt werden dürfe. Zwei große Bilder fallen auf: Filippus tauft den Äthiopier und Der Besuch der drei Männer bei Abraham, hier als „Trinität“ bezeichnet. Die Grundfläche der Kirche ist sehr klein, aber die Mauern sind hoch und völlig ausgemalt. Morgens um fünf feiern die Mönche hier zusammen mit den im Klosterkomplex untergebrachten Pilgern Gottesdienst. Tagsüber kommen dann die Touristen.

Neben der Torkirche gab es Häuser für invalide Kosaken. Für sie, die wegen ihrer Verlet­zungen zu Teil nicht mehr lange stehen konnten, wurden in der Kirche Klappstühle ange­bracht. Der berühmteste Arzt des Spitals war der Wunderheiler Agapit, auf den eine Gedenk­tafel hinweist.

Der große Glockenturm (1744) wurde vom deutschen Architekten Schädel gebaut. Jedes Stockwerk hat unterschiedliche Säulen und Kapitelle. Mit 96,5 m ist er der höchste freiste­hende Glockenturm des früheren russischen Reiches. Im Erdgeschoss sind die Bauern 8 m dick - trotzdem hat er sich auf einer Seite gesenkt und er steht heute 60 cm schief.

Mariä Himmelfahrts- oder Maria-Entschlafen-Kathedrale (Uspenskyj-Kathedrale)

Der Bau begann 1073. Es war das erste Steingebäude der Lawra und war eine der Hauptkirchen der Kiewer Rus.

Sie wurde 1941 gesprengt, wahrscheinlich von sowjetischen Partisanen, weil Josef Tiso, der Präsident des Protektorates Böhmen und Mähren die Kirche besuchen sollte. Ein großer Brocken liegt noch auf dem Hof. Die Kathedrale wird jetzt wieder aufgebaut, kann aber noch nicht besichtigt werden.

Über dem Wirtschaftstor steht die Allerheiligen-Kirche (1696-98). Da sie vom Hetman Ma­zepa gestiftet wurde, wird sie auch Mazepa-Kirche genannt. Der Kosakenhetmann paktierte heimlich mit Karl XII. gegen Peter den Großen. Nach der Schlacht bei Poltawa musste er in die Türkei fliehen.

Wir gehen durch einen Ausstellungsgarten der Staatlichen Akademie für Kunst und Skulptur zum Museum der historischen Schätze der Ukraine, der „Schatzkammer der Ukraine“. Gezeigt wird vor allem die Kunst der Skythen aus dem 4. und 5. Jh. vor Chr. Viel Gold. Sie handelten mit den Griechen. Daher auch Reliefs mit Taten von Achilles und Herakles. Wur­den beschrieben von Herodot.
Dann die Kunst der Sarmaten (1. Jh. vor Chr.), die mit den Römern Handle trieben - aber auch mit Kelten, Ägyptern und Mittelasien bis hin nach China.
Dann Hunnen (4. und 5. Jh.), Awaren (6./7. Jh.), Khazaren (7.-10. Jh.), Pechenegen (10 und 11 Jh.) Polovtsy (11.-13. Jh.) und dann die Mongolen/Tartaren der Goldenen Horde (13.—15. Jh.)

Dann die Kunst der Slawen ab dem 6. Jh. Hier kein Gold mehr, sondern nur Silber. Dann das Reich der Kiewer Rus (9. -14. Jh.). Dann die Kunst unter byzantinischem Einfluss. Es folgen Barock und Rokoko sowie unter Zar Peter d.Gr. der Einfluss aus Westeuropa. Im vorletzten Saal gibt es Kunstgegenstände aus der jüdischen Kultur.

Mittagspause.

Mikro-Miniatur-Ausstellung
Unglaublich kleine Kunstwerke von M. Siadrysty, die nur unter der Lupe betrachtet werden können: das kleinste Buch der Welt, das kleinste Schachspiel der Welt (auf dem Kopf einer Stecknadel!), ein Portrait von Hemingway auf einem halben Bimensamen, ein goldene Fre­gatte mit 3,5 mm Länge usw.

Refektorium und Kirche des Refektoriums mit 20 m weiter Kuppel und schwerem Silber­ leuchter. Der Bau des Refektoriums wurde notwendig, weil um 1900 die Zahl der Mönche die Zahl 1000 überschritt. Ausmalung im Stil des 19. Jhs. unter Leitung von Oleksij Scusev.

Hier werden die Gottesdienste gefeiert solange die Himmelfahrtskathedrale noch wieder auf­gebaut wird. Hier ist der Sitz der Metropoliten des Moskauer Patriarchats.

Neben dem Haus des Metropoliten sind drei Gräber zu sehen:
Frische Blumen liegen auf dem Grab von Minister Stolypin, der 1911 in der Oper bei einem Attentat getötet wurde. Der Grabstein wurde 1963 von den Sowjets entfernt und 1989 wieder aufgestellt.
Daneben liegen die Gräber von zwei Männern, die Peter d. Gr. verrieten, dass der Hetman Mazepa mit den Schweden verhandelte. Der Zar glaubte ihnen nicht und liefert sie dem Het­man aus, der sie hinrichtete. Als sich später herausstellte, das Mazepa wirklich mit den Schweden paktierte, wurden die Hingerichteten hier als Märtyrer begraben.

Wir verlassen die Oberen Lawra, die heute der Stadt Kiev gehört und gehen zur Unteren Ła­wra, die der Kirche zurückgegeben wurde und besichtigen die „Nahen Höhlen“.

Vorher kaufen wir Kerzen.
Wir gehen durch einen Gang mit Sarkophagen (z.B. der Wunderheiler und Ikonenmaler Agapit) und Kapellen. Manche Teile sind nur für Pilger erlaubt, nicht für die Touristen.

Auf den Besuch der Ferner Höhlen verzichten wir und gehen zurück zum Bus. Der bringt uns in die Stadt zu einem Selbstbedienungsrestaurant in der Nähe der Oper zum Mittagessen. Da­nach haben wir freie Zeit.

Ich bummele über die Prachtstraße Chrstatschuk.
Dann mit der Metro zur Haltestelle Arsenal. Die Haltestelle liegt weit unter dem Hügel. Die Fahrt mit zwei langen Rolltreppen dauert fast 5 Minuten.
Wieder zurück in die Innenstadt und Bummel über den Majdan. Dann mit der Metro nach Podil zum Hafen. Dort liegt ein Kreuzfahrtschiff.

Mit der Standseilbahn fahre ich hinauf zum Michaelskloster und laufe vorbei an der Sophienkathedrale, dem Goldenen Tor und der Oper zum Hotel.

Um 19 Uhr haben wir Abendessen in einem Nebenzimmer, weil im Restaurant eine Gruppe Musik macht. Wolfgang spricht herzliche Dankesworte an Natascha und lädt sie nach Bad Boll ein.

Um 21.00 Uhr besteigen wir den Bus zum Bahnhof und um 22.00 ist die Abfahrt des Zuges nach Odessa. Wir haben jeweils zu zweit ein Vierer-Abteil im Schlafwagen. Alles ist gut eingerichtet und sauber. Der Zug rumpelt und rattert ein wenig - aber nach einiger Zeit habe ich mich daran gewöhnt und schlafe gut.

Donnerstag, 15. Mai Odessa

6.19 Ankunft in Odessa. Ein Kleinbus bringt uns zum Gästehaus der Lutherischen Kirche. Beziehen der Zimmer. Eduard und ich sind in einem Hotel untergebracht, da die Zimmer des Gästehauses nicht ausreichen.
Frühstück im Gästehaus der luth. Kirche St. Paul.

Ich habe leichtes Schwindelgefiihl und messe Blutdruck und beschließe, lieber im Gästehaus zu bleiben und auf die Stadtbesichtigung zu verzichten.

Ich lege mich aufs Bett und lese nach, was die anderen jetzt wohl sehen und bei der Stadtfuhrung hören:

Odessa ist im Gegensatz zu Kiew eine junge Stadt.

Geschichte
Gegründet wurde die Stadt 1794, nachdem der Neapolitaner Don Jose de Ribas als russischer Armeeführer hier in der Nähe die türkische Festung Eni-Dunja erobert hatte. Hiermit war der russische Traum eines Zugangs zum Schwarzen Meer erfüllt. Zarin Katharina ordnete an, hier eine große Stadt und einen großen Hafen zu erreichten. Der Name Odessa nimmt die Tradition einer früheren griechischen Kolonie Odessos auf

Armand de Plessis, Herzog von Richelieu, vor der Französischen Revolution nach Frankreich geflohen, wird 1803 zum Statthalter von Odessa ernannt und lässt sie planmäßig und zukunft­gewandt ausbauen: Keine Stadtmauer, kein Schloss, keine Leibeigenschaft, Religionsfreiheit, Selbstverwaltung, Bäume auf beiden Seiten bei allen Straßen. (Er kehrte später nach Frank­reich zurück und wurde dort zum Ministerpräsidenten ernannt.) Menschen aus vielen Ländern und Kulturen zogen nach Odessa. Schnell wuchs die Bedeutung der Stadt. Lange Zeit war sie größter Getreideexporteur der Welt.

Obwohl nur 10% der Einwohner Ukrainer waren, wurde die Stadt nach dem 1. Weltkrieg der neuen Ukrainischen Sowjetrepublik zugeschlagen.

1941 - 1943 war die Stadt von deutschen und rumänischen Truppen besetz, denen viele Tau­ sende der jüdischen Einwohner zum Opfer fielen.

Sehenswürdigkeiten:

Der Spaso Preobrajenskiy Dom
Die orthodoxe Kathedrale ist noch im Bau, zur Zeit ist nur die Unterkirche in Benutzung. Im Reiseführer ist die riesige Kirche noch gar nicht erwähnt. Da auf der Karte der Platz „Kirch­platz“ heißt, wird wohl auch früher hier die Kathedrale gestanden haben.
Unser „Zentralhotel“ steht direkt gegenüber der Kirche. Es ist ein alter Bau mit riesigen Hal­len und Treppenhäusern - aber noch nicht auf Tourismus eingerichtet. Sie haben z.B. keine Stadtpläne und keine Prospekte.
Auf dem Kirchplatz um den Dom herrscht eifriges Treiben: ein Kinderspielplatz für die Klei­nen und ein überdachter Platz mit einigen Tische für die vielen Domino- und Schachspieler, die - umgeben von vielen Kiebitzen - hier den ganzen Tag mit Eifer bei der Sache sind. Aber vor allem gibt es hier viele Maler, die ihre Bilder ausstellen und verkaufen wollen.

Potjomkin-Freitreppe und Richelieu Denkmal
Die große Freitreppe mitl92 Stufen, die vom Hafen in die Stadt führt, trägt diesen Namen erst seit 1955. Damals wurde sie von der sowjetischen Regierung so genannt in Erinnerung an den Aufstand der Mastrosen auf dem Panzerkreuzer Potemkin in Jahr 1905. Der Film Panzerkreu­zer Potemkin von Eisenstein suggeriert, dass die Matrosen den gleichzeitig stattfindenden Aufstand der Arbeiter in der Stadt unterstützt hätten. Das stimmt aber anscheinend nicht: die Matrosen entführten statt dessen das Schiff, flohen nach Rumänien und versenkten es dort. Die Treppe wirkt von unten noch länger als sie ist, weil sie unten 21m, oben aber nur 13 m breit ist.
Reiseführer: „Die Potemkinsche Treppe gilt seit der Achteinhalb-Minuten-Sequenz im Film
,Panzerkreuzer Potemkin’ als Ikone. Ein Kinderwagen rollt hinunter, und Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten metzeln wehrlose Arbeiter nieder. Es ist die vielleicht berühmteste Sze­ne der Filmgeschichte.“
Unten am Kai steht das Kunstwerk „Goldenes Kind“ von Emst Neizvestnyj.
Oben an der Treppe steht das Denkmal des Statthalters Richelieu, gekleidet in römischer Toga, der mit weit ausladender Hand die Gäste in dieser offenen Stadt begrüßt. Und etwas weiter oben auch noch das Denkmal der Zarin Katharina.

Die Promenadenstraße der Stadt ist die Derybasivska, die de Riba-Straße, genannt nach dem Edelmann aus Neapel, der hier für die Russen die türkische Festung eroberte und später den Grundstein für Odessa legen durfte.
Sie führt vorüber am Stadtgarten, wo Leonid Utesov in Bronze auf einer Bank sitzt und ne­ben sich einen Platz frei hat, den viele einnahmen und sich fotografieren lassen. Utesov hatte in Paris im Jahre 1928 erstmals Jazz gehört und war davon begeistert. Ein Jahr später grün­ dete er das erste russische Jazz-Orchester.

Nicht weit davon steht ein leerer Stuhl; Das Odessaer Schriftstellerduo Ilja Ilf (1897-1937) und Evgenij Petrov (1903-42) schrieb das Buch „12 Stühle“, von denen einer hier zu sehen ist. Eine Adlige Dame gesteht ihrem Schwiegersohn auf dem Sterbe bett, dass sie ihre Bril­lanten, um sie vor der Revolution zu retten, in das Polster einer ihrer 12 Sessel eingenäht hat. Inzwischen hat die Revolution der Dame auch ihre Sessel genommen. Und so macht sich der Schwiegersohn auf, die Sessel zu suchen - einer davon ist hier zu sehen.

Von der Promenadenstraße, die hier auch Fußgängerzone ist, fuhrt die prächtige „Passage“ ab, eine Ladenstraße mit Glaskuppel und Jugendstilomamenten von 1899.

In der Nähe liegt das berühmte Opernhaus. Nachdem das erste Opernhaus abgebrannt war, wurde 1887 das jetzige riesige neue Haus mit über 1500 Plätzen gebaut und vor kurzem ganz renoviert.

Am Primorski-Boulevard liegt das Rathaus, die frühere Börse. Davor steht eine Kanone der englischen Fregatte „Tiger“, die in der Zeit des Krimkrieges vor der Stadt auf Grund lief.

Dort steht auch das Alexander Puschkin-Denkmal, das daran erinnert, dass der Dichter von 1823 bis 1824 hier in der Verbannung lebte. Bald wurde er an einen anderen Ort verbannt, da sich der 25-jährige in die 32-jährige Frau des Statthalter Voroncov verliebte und dieser schnell für das Ende der Affäre sorgte. Die 13 Monate in Odessa gehören zu den produktiv­sten seiner Schaffensperiode.

Abendessen in Gästehaus der ev.-luth. Gemeinde. Danach frei. Ich schone mich und bummele ins Hotel zurück.

Freitag, 16.5. Odessa

Frühstück im Hotel. - Auf der Speisekarte steht genau, wie viel Gramm von allen Speisen jeder Gast bekommt.

Andacht im Gästehaus zur Tageslosung: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.

Wir laufen mit der Stadtführerin in Richtung Norden. An der Pastero-Straße liegen die Uni­versität (1861 gegründet), das Deutsche Institut, wo früher die Deutschlehrer ausgebildet wurden, das Ukrainische Theater (im Haupttheater werden wir zu sowjetischer Zeit nur russi­sche Stücke aufgeführt), das Puppentheater und die Öffentlich Bibliothek.

Durch das Gebiet der Medizinischen Hochschule und viele Krankenhäuser kommen wir zum Kunstmuseum. Es ist untergebracht im Palast des Generals Potocki, der für sich und seine junge polnische Frau Olga 1823 diesen Palast baute. Das Haus war damals ein gesellschaftli­cher Mittelpunkt und auch Puschkin, der als Verbannter hier war, verkehrte hier. Nach dem Tode des Generals zog die Witwe nach Deutschland und dann nach Frankreich und verkaufte das Haus. 1889 erwarb der Bürgermeister Marazli das Gebäude mit dem Ziel, hier ein Muse­um einzurichten. - Das Museum befindet sich in den ehemaligen Empfangs- und Festräumen im Erdgeschoss.

Zunächst besichtigen wir aber die Katakomben unter dem Haus. Unter ganz Odessa gibt es in teilweise vier Etagen rund 2000 km Katakomben. Die meisten wurden angelegt, um aus dem geforderten Muschelkalkblöcken die Häuser zu bauen. Es ein planlos angelegtes riesiges Netz. Die einzelnen Systeme haben oft auch einen Ausgang an der Steilküste zum Schwarzen mehr. Nur ein kleiner Teil der Gänge ist heute zu besichtigen, anscheinend nur hier im Kunstmuseum und im Partisanenmuseum, die sich - wie früher auch Schmuggler und andere Verbrecher - in diesen Höhlen versteckten. Vor dem Eingang zu den Höhlen befindet sich eine Art „Partykeller“ mit künstlichen Stalagmiten und Stalaktiten, wohin man sich bei heißen Feiern zurückziehen konnte.

Der Gang, den wir besichtigen, ist in 8 m Tiefe, andere sind in bis zu 30 m Tiefe.

Dann geht es im Schnellschritt durch das Museum, das russische und ukrainische Gemälde bisca. 1900 zeigt.

Es beginnt mit alten Ikonen. Die Führerin erklärt, dass der schräge Balken unten auf dem or­thodoxen Kreuz an die beiden Schächer erinnert, die mit Jesus gekreuzigt wurden: Das obere Ende an den, dem das Paradies verheißen wurde, und das untere an den anderen.

Dann kommt bald die Zeit nach 1703. Damals wurde in St. Petersburg eine Kunstakademie gegründet. Als Sujets für die Prüfungsarbeiten waren nur Szenen aus der Bibel, der Ge­schichte oder der Mythologie erlaubt.

Selten ist ein Bild Gottes als „Gott Zebaoth“ aus dem 19. Jh.

Ayvazorski (1817-90), Puschkin nimmt Abschied vom Meer, 1897
Vrubel (1856-1910), Walküre

Nach dem Museumsbesuch gehen wir ein Stück weiter zum Steilabfall an der Küste des Schwarzen Meeres und dann daran entlang. Da steht das „Bestechungsdenkmal“ in Form einer großen Apfelsine, das daran erinnert, dass die Bürger Odessas ein Ladung Apfelsinen nach St. Petersburg schickten, um den Zaren Paul zu bitten, den weiteren Ausbau der Stadt zu fördern.

Es folgt der Palast eines polnischen Magnaten. Nach ihm wohnte dort ein vertriebener Schah aus Persien und heute gehört es einer Bank.

An einer Brücke über die Straße, die zum Ufer hinabführt, sehen wir viele Vorhängeschlös­ser, die junge Eheleute hier hinhängten als Symbol ihrer Treue - und dann den Schlüssel wegwarfen, so dass das Schloss nicht mehr aufgemacht werden kann.

Wir kommen zum gewaltigen Woronzow- Palast, den sich dieser hier als Generalgouvemeur von Neurussland baute. In Sowjetzeiten war hier ein Pionierpalast.

Wir sehen mehrere Hochzeitspaare mit Fotografen und z.T. auch mit einer „streched car“.

Mittagspause machen wir im Restaurant am oberen Ende der Treppe. Das Restaurant feiert seinen dritten Geburtstag - und wir bekommen alle ein Glas Sekt geschenkt.

In der Pause Gespräch mit der Führerin über die soziale Lage: schlecht ist es für die Rentner. Die Renten reichen nicht zum Leben. In Sowjetzeiten war z.B. die ärztliche Behandlung frei - heute muss alles bezahlt werden. Es gibt heute keine Mittelschicht mehr - nur Reiche und Arme.

(Die Leninstatue wurde entfernt und weiter hinten in den Park gestellt. Auf dem Podest steht heute Tschewtschenko.)

Archäologisches Museum 1885 dafür gebaut.

Es gab viele griechische Kolonie am Rande des Schwarzen Meeres, die nächste bei Odessa war Olbia, von wo viele Ausstellungsstücke kommen. Die griechische Kultur war hier vom 7. Jh. vor bis2. Jh. nach Christus und wurden dann on Römern abgelöst.

(Name Odessa nach der griechischen Kolonie Odessos, von der man damals dachte, die wäre hier gewesen. Heute weiß man, dass die weiter im Süden bei Varna in Bulgarien lag.

Nördlich der Küstenstädte war das Gebiet der Skythen in der Ebene (4.-3. Jh. vor Chr.), dann die Sarmaten (2. Jh. v. Chr.)

Eine große Karte des Reiches der Rus zeigt auch die Stellen, wo die Waräger ihre Schiffe über Land tragen mussten, um sie dann im Oberlauf des Dnepr oder der Wolga wieder zu Wasser zu lassen.

Dann zum Hafen mit der Gruppe, die mit dem Schiff auf das Schwarze Meer wollen. Der Kapitän will aber nicht fahren, da es noch zu wenige Passagiere sind. Seine Alternative: noch weiter auf mehr Passagiere warten oder mehr zahlen. - Da verzichtet die Gruppe lieber.

Wolfgang Wagner und ich besichtigen die Nikolaikirche ganz außen am Pier. Außen ist eine Gedenktafel für den Untergang des Schiffes Admiral Nachimow in 1986 mit 398 Toten amgebracht.

In der Nähe der Kirche steht die Statue „Abschied“ mit Mutter und Kind.

Im Gästehaus gibt es ein frühes Abendessen, weil die Vorstellung in der Oper schon um
18.00 Uhr beginnt. Wir haben Karten für den Troubadur von Verdi. Loge für 100 Grivna.
Von den 1600 Plätzen ist nur ein Drittel besetzt. Das Haus ist frisch renoviert im Still der Er­bauung von 1887 - viel Gold und Stuck. - In diesem Stil ist auch die Inszenierung.

Nach der Oper gehen wir noch Bummeln und bewundern die Licht- und Musikfontäne im Stadtgarten. Wir essen noch etwas in einem Lokal auf der de Riba-Straße,

Samstag, 17. Mai Odessa

Gespräch mit dem aus Bayern stammenden Bischof Günsch über die Lutherische Kirche in der Ukraine (Anlage 2)

Janna Alexewa holt uns ab zum Besuch des Literatur-Museums.

In der Pasteva-Straße kommen wir an der Kirche der Reformierten und Presbyterianer vor­bei. Es war früher die Kirche der deutsch und französisch sprechenden Reformierten. Gebaut wurde sie vom Architekten Schröter. In sowjetischer Zeit war sie ein Puppentheater.

Im Stadtgarten sehen wir den „Liebesbaum“. Wer ihn umarmt, bekommt seinen Liebes­wunsch erfüllt.

In der Nähe von Oper und Archäologischen Museum steht das Literaturmuseum.

Reiseführer: „Das Literaturmuseum ist im früheren Palast des Fürsten Gagarin. Im Goldenen Saal traf sich von 1898 bis 1916 die Literarisch-künstlerische Gesellschaft, heute wird man von der Aufsicht durch diesen Saal auf knarrendem Parkett in die einzelnen Räume ge­ schleust. Die Ausstellung in überreich, und thematisch wohlgeordnet: Briefe, Zeitungen, Fo­ tos, Autographen - eines der edelsten Stücke ist eine Handschrift vom zweiten Teil der, Toten Seelen an dem Nikolai Gogol in Odessa gearbeitet hat. Es finden sich aber auch Alltagsgegenstände wie Schal, Mütze und Visitenkarte von Ilja Ilf. Das Museum gibt nicht nur Einblikke in die literarischen Epochen, sondern auch in die reiche Zeitungslandschaft der Stadt.“

Dargestellt ist das Odessa-bezogene Werk von russischsprachigen Autoren - egal ob es Rus­sen, Ukrainer Juden, Polen oder andere sind, jeweils hineingestellt in die Umwelt, so dass es zugleich fast ein Geschichtsmuseum ist.

Wir sehen u.a. eine Karte der Provinz „Neurussland“, die nach dem 2. Russisch-türkischen Krieg geschaffen wurde. (Das nördlich davon gelegene Gebiet um Kiev heißt Klein-Russ­ land“).

Puschkin-Saal. Puschkin war zuerst in der Moldau in Verbannung. Dann erreichten es seine Freunde, dass er nach Odessa kommen durfte. Er gilt als Meister der russischen Sprache. Auch in der Sowjetzeit wurde er in der Schule gelesen. Er schrieb auch Gedichte und Mär­chen. Bekannte Werke sind Onegin und Pikdame.

Gogol-Saal: Früher war das die Bibliothek des Palastes. Die Stuckgeschmückten Wände wa­ren in der Sowjetzeit übertüncht und wurden jetzt wieder hervorgeholt. Gogol war Ukrainer, aber da er nur russisch schrieb, wird er von den Russen als russischer Dichter vereinnahmt.

Görtzen war deutschstämmig. Er gab in London die Zeitschrift „The Bell“ heraus, in der er zu Demokratie und Revolution aufrief.

Schölern Alechem war jüdischer Schriftsteller, der in Odessa lebte und das Leben der Juden hier beschrieb. (1941 war etwa die Hälfte der Bewohner Odessas Juden!) (Es gibt in Odessa heute eine „Allee der Gerechten“, wo Menschen geehrt werden, die Juden geholfen haben.)

Ilf und Petrov - Saal: Auch hier ist einer ihrer berühmten „12 Sessel“ zu sehen.

Von den vielen Schriftstellern von denen wir hören, ist nur eine Frau, die im letzten Saal ge­ würdigt wird.
Ende der geführten Tour.
Ich gehe noch zum Platz, wo früher das Lenin-Denkmal stand. An seiner Stelle steht dort jetzt Tschewtschenko.

Um 14.30 bekommen wir im Gästehaus unsere Lunchpakete für den Abend und das Frühstück, denn die Zugfahrt wird über 18 Stunden dauern.

Ein Bus bringt uns zum Bahnhof. Wieder haben wir jeweils zu zweit ein Vierer-Abteil, was uns Raum verschafft. Leider lassen sich im ganzen Waggon nur zwei Fenster öffnen, so dass es zunächst sehr heiß in Inneren ist.

15.36 Abfahrt mit Nachtzug (ca. 18 Stdn!) nach Tschemowitz. Pünktlich um 15.36 fährt der Zug ab.

Die Landschaft ist zunächst völlig flach. Der Zug stoppt in Rozdilma und Zatyssa. Nun wird das Land etwas welliger. In Kotovsk haben wir 20 min Aufenthalt. Auf dem Bahnsteig warten Frauen und verkaufen Getränke, belegte Brote und Fisch. Sie stehen hier von 16 bis 22 Uhr und warten auf die sechs Züge, die hier in dieser Zeit Halt machen. Reich werden sie nicht dabei. Fast bedauere ich es, dass wir ein reichhaltiges Lunchpaket mitbekommen haben.

Ich lese in Wagners Büchern „Ukrainische Schriftsteller“ und „Jewish Odessa“. 1941 war die Hälfte der Bewohner Odessas Juden. Die drei Denkmäler im Stadtgarten (ein Schriftsteller, ein Musiker und ein Flieger) sind alle Juden gewidmet.

Ich kann lange nicht einschlafen. Der Zug ruckelt sehr. Aber dann habe ich doch gut bis 6 Uhr geschlafen

Sonntag, 18. Mai Tschernowitz

Die Landschaft ist hügelig geworden. Aber immer noch sehr leer: nur Wälder, Felder und Weisen, kaum Dörfer. Wenn es aufwärts geht, muss die Diesellok schwer schieben. Wir überqueren den Dnistr. Frühstück im Zug

Lektüre: Nach der Wende wurden das Land und die Maschinen der Kolchosen an die Bauern verteilt. Aber der Erlös für Getreide und Fleisch ist nicht hoch. Früher mussten die Bauer 10 t Getreide für einen Traktor rechnen, heute sind es 701. Daher gehen viele Männer und Frauen aus den Dörfern mindestens zeitweise zur Arbeit ins Ausland-vor allem nach Italien und Spanien. Vom Flughafen Tschernowitz aus gibt es dafür Direktflüge nach Mailand.

Geschichte der Bukowina:
Zuerst ein Teil des Reiches der Kiewer Rus. Dann zum Fürstentum Galizien-Wolhynien. Dann unter Moldawien, das wieder um seit 1514 tributpflichtig an das osmanische Reich war.

1774 an Österreich. Aufgewertet 1849, als die Bukowina Kronland wird mit der Hauptstadt Tschernowitz. Die Bukowiner Juden erhielten die Gleichberechtigung mit den Christen und konnten Grundbesitz erwarben. Ab 1867 gab es für sei auch keine Einschränkung mehr bei der Berufswahl. Daher wanderten Juden aus anderen Teilen der Donaumonarchie ein, vor allem aus Galizien. Juden übernahmen die wirtschaftliche und gesellschaftliche Führung in der Bukowina.

November 1918 besetzt Rumänien die Bukowina. 1918 fällt die Bukowina durch den Friedensvertrag an Rumänien. Es gibt einen starken Rumänisierungs-Druck (Die Ukrainer sind mit 40% die stärkste Bevölkerungsgruppe, die Rumänen die zweite)

Juni 1940: Hitler-Stalin-Pakt: Die Nord-Bukowina wird an die Sowjetunion angegliedert.
95.000 Deutsche werden ins Deutsche Reich umgesiedelt („Heim ins Reich"). Sie dürfen nur 50 kg Gepäck mitnehmen.

Sommer 1941: zeit gleich mit Hitlers Überfall auf die Sowjetunion marschiert die rumänische Armee in der Nordbukowina ein. SS-Einheiten unter rumänischer Führung vernichten die Juden. Im September 1941 wird in Tschernowitz ein Ghetto eingerichtet. Es dient als Sam­ mellager für Transporte nach Transnistrien

1945: die Nord-Bukowina kommt wieder an die Sowjetunion, die Süd-Bukowina an Rumäni­ en.

Ankunft 9.12 Uhr in Tschernowitz in der Bukowina

Fahrt zum Hotel Cheremosch (genannt nach einem Fluss, der hier aus den Karpaten kom­met). - Die Eisenbahn kam 1866 nach Tschernowitz. Heute sind hier 70% der Bewohner Ukrainer.
Die Stadt wird im Oktober ihr 600jähriges Jubiläum feiern, da sie 1408 zum ersten Mal er­wähnt wurde. Dafür laufen viele bauliche Vorbereitungen im Straßenbild.

Reiseführer: Die Stadt Cernivci, ehemals Czernowitz, war bis 1775 ein kleiner Landort- Dann kam es unter österreichische Herrschaft und wurde zu einem „Klein-Wien" ausgebaut. Ei­gentlich sollte der nahe gelegene Wort Gartenberg ausgebaut werden. Dieses später in Sadagora umbenannte Städtchen war aber immer durch Überschwemmungen gefährdet, und so wurde die höher gelegene Nachbarort ausgebaut.
Sadagora wurde ein Zentrum des Chassidismus. Dem Zaddik Israel Friedmann verweigerte man ein Bleiberecht in Czernowitz und so baute er sich einen merkwürdigen Palast in Sa­dagora. Sein Charisma und sein Ruf als Wunderrabbi zogen Tausende Anhänger an. Sein luxuriöser Lebensstil stand im schreienden Gegensatz zum Elend seiner Anhänger. Die Grab­stätte der Familie Friedmann auf dem jüdischen Friedhof im Norden der Vorstadt zeigt etwas von dem Glanz und der Popularität des Wunderrabbis. “

1849 wurde die Bukowina von Galizien abgetrennt und als selbständiges Kronland mit der Hauptstadt Czernowitz organisiert. Von 1848 bis 1910 stieg der Anteil der Juden an der Be­völkerung von 6 auf 32 Prozent. Der Beiname „Jerusalem an der Pruth" verdeutlicht die Stellung und den Einfluss dieser Volksgruppe in der österreichischen Zeit.

1875 bekam die Stadt eine Universität mit der ersten griechisch-orthodoxen Fakultät in Eu­ropa. Schon 1781 hatte die Stadt einen Bischof bekommen, der 1873 zum Metropoliten er­nannt wurde.

1918 besetzten die Rumänen die Stadt. -1940 kamen erst die Russen, 1941 dann die Rumänen und die Deutschen. Sie vernichteten die jüdischen Bewohner fast völlig. Nach dem Krieg wa­ren mit den Deutschen und den Juden zwei wichtige Bevölkerungsgruppen vertreiben und vernichtet.

Das Hotel Cheremosch ist ein riesiger Kasten am südlichen Stadtrand, 4 km vom Zentrum. Wir duschen und machen uns fertig zu Stadtbesichtigung mit Nadja.

Heute 140.000 Einwohner. 560 km entfernt von Kiew. Liegt in Vorkarpaten. Für eine Reise ins nahe Rumänien braucht es heute ein Visum, weil die EU-Außengrenze überquert werden muss.

Es gibt einen Flugplatz für Inlandflüge, der aber wenig benutzt wird, weil es zu teuer ist. Der Flug nach Kiew kosten 600 - das ist die Hälfte eines durchschnittlichen Monatsgehaltes von 1200. Es gibt jede Woche auch Flüge nach Istanbul (Geschäftsreisende) und Mailand (für Gastarbeiter in Italien und Spanien).

Direkt gegenüber dem Hotel wird eine neue Kirche für den benachbarten Stadtteil gebaut, die alte, die daneben steht, ist zu klein geworden.

Wir kommen vorbei an einer Fabrik, wo Textilien für Westeuropäische Firmen genäht wer­den. Davon gibt es mehrere, z.B. für Triumph und auch für italienische Firmen.

Wir fahren zunächst zur Kathedrale (Kiewer Patriarchat), wo noch Gottesdienst ist. Sie wur­de gebaut von Eugen Hagmann, dem ersten Metropoliten der Bukowina und Dalmatien. Zu Sowjetzeiten wurde in der Kirche ein Zwischendecke eingezogen: im oberen Teil wurde eine Gemäldegalerie eingerichtet, im unteren eine Wirtschaftsausstellung gezeigt.

Die ehemalige „Herrengasse“ war der Korso, die schönste Strasse der Stadt. Von den fünf Nationenhäuser - solche Bauwerke entstanden um 1900 - der Stadt für die Ukrainer, Rumä­nen, Polen, Juden und Deutsche, standen zwei in dieser Straße. Das „Deutsche Haus“ wurde 1910 durch Spenden der Bukowina-Deutschen erbaut. Es gehörte bis 1940 der Deutschen Gemeinde. Es war auch der Treffpunkt der verschiedenen deutschen Studentenverbindungen der Universität.

1940 machten sich 40.000 Deutsche auf den Weg „heim ins Reich“. Mit ihnen gingen auch viele Priester und Professoren. Heute gibt es noch ca. 400 Deutsche in der Gegend, die sich auch hier treffen. Die ersten Deutschen kamen im 16. Jahrhundert, die meisten aber erst in der österreichischen Zeit.

Um die Ecke hat eine jüdische Hilfsorganisation ihren Sitz. Im Vorgarten ist eine Gedenkta­fel über das Schicksal der tschemowitzer Juden mit der Inschrift „Nie wieder“ in vier Spra­chen: ukrainische, englisch, hebräisch und Jiddisch („keinmal nit mehr“).

Geburtshaus von Paul Celan: hier wurde Paul Antschel, der sich später Celan nannte, 1920 geboren. Heute ist es ein normales Wohnhaus, kein Museum. Aber es gibt ein Diasporamuse-um der Bukowina, wo einiges über ihn erhalten ist. Seine Eltern wurden nach Transnistrien deportiert und dort getötet. Er kam 1946 nach Bukarest. Er beherrschte 7 Sprachen und über­setzte dort Klassiker ins Rumänische. 1947 ging er über Wien nach Paris, wo er 1970 Selbst­mord beging. Er nannte Tschemowitz einmal „eine Stadt, in der Menschen und Bücher le­ben“. Peter Richlow übersetzte seine Werke ins Ukrainische.

Armenische Kirche: gebaut 1875 für die Armenisch-katholische Kirche. Heute leben noch 2000 Armenier in der Stadt. Die Kirche ist heute in erster Linie eine Konzerthalle, aber die armenisch-apostolische Kirche feiert dort auch wider Gottesdienste - auch jetzt gerade.

Marktplatz: Denkmal Tschewtschenko.

Große Synagoge, gebaut 1867. Sie ist verbunden mit dem Namen des Tenors Josef Schmidt („Ein Lied geht um die Welt“), der 1942 in einem Schweizer Internierungslager starb.

Universität, gegründet 1875 zunächst mit den Fakultäten für Jura und Naturwissenschaften in einigen Gebäuden der Universitätsstraße. Nur die Theologische Fakultät war von Anfang an im Komplex des Sitzes des Metropoliten. Heute hat die Universität 20.000 Studierende in 19 Fakultäten.

Residenz des Metropoliten der Bukowina (heute Hauptsitz der Universität)

Es ist ein riesiger Komplex. Die orthodoxe Kirche war damals sehr reich; 40% des Bodens der Bukowina gehörte ihr. Der „Metropolit für die Bukowina und Dalmatien“ war auch Ge­ biete im heutigen Montenegro und Serbien zuständig. Gebaut wurde von 1864-82. Der Ar­chitekt Hlavka (geb. 1831) studierte vorher viele landestypische Bauweisen und brachte viele dieser Elemente in den Bau mit ein. Er baute insgesamt 140 öffentliche Gebäude in der Donaumonarchie.

Zunächst waren in dem Komplex untergebracht: die kirchliche Verwaltung, Wohnung und Sitz des Metropoliten, Empfangsräume, Bibliothek, Unterkünfte für Mönche, ein Museum, eine Gesangschule, eine Kerzenfabrik und die Theologische Fakultät der 1875 gegründeten Universität. - Heute sind dort vier der 19 Fakultäten der Universität untergebracht: Theologie, Geographen, Fremdsprachen und Philologie.

1944 floh der Metropolit nach Bukarest. Ein großer Teil des Gebäudes brannte aus. Ab 1950 wurde alles wieder aufgebaut.

Wir besichtigen den Marmorsaal (22 x 16 m).
Das Studium kostet 300 - 600 Euro pro Semester; in Sowjetzeiten war das Studium kostenlos. Gute Studierende bekommen allerdings ein Stipendium.
Die Arbeitslosigkeit in der Gegend beträgt 18%. Die Aussichten für die Zukunft sieht unsere Führerin optimistisch. Es gibt immer neue Arbeitsplätze, z.B. durch Verlagerungen von Betriebsteilen westeuropäischer Firmen.
Mit 6 Jahren beginnt die 11-jährige Schulpflicht. Für die Universität ist eine Aufnahmeprü­fung notwendig, außer für diejenigen, die die Schule mit einer „Goldmedaille“ abschließen. Wer nicht genug Geld für ein normales Studium hat, kann ein Fernstudium machen.

Blauer Saal
In Tschemowitz studieren auch viele ethnische Ukrainer, die in Rumänien leben. Genauso gehen ethnische Rumänen aus der Ukraine nach Rumänien zum Studium.

Seminarkirche
Dies war ursprünglich die Kirche für die Theologische Fakultät. Hier ist gerade ein Trauung im Gange. Überhaupt gibt es an diesem Wochenende viele Trauungen. Der Paaren und ihren Begleitern begegnen wir an allen schönen Orten der Stadt, wo dann fleißig fotografiert wird.

Mittagessen im Restaurant Knaus, das einem Deutschen gehört. Es ist ein Lokal in Biergartenstil. Ich esse Soljanka für 17 Grivna.

Fortsetzung der Stadtbesichtigung:

Katholische Heiligkreuz-Kirche.
Ursprünglich gab es hier keine Katholiken. Sie kamen in der Habsburger Zeit als Beamte und Offizieren. Heute werden hier Gottesdienste in polnisch und deutsch gehalten. - Die Kirche ist geschlossen und wir können nur durch ein Gitter einen Blick hineinwerfen.

Vor dem Theater steht eine große Statue der ukrainischen Schriftstellerin Olga Kopyljanska- ja, nach der das Theater heute genannt ist. früher stand hier eine Schiller-Statue. Das Theater wurde - wie das in Odessa - von den Wiener Architekten Fellner und Helmer gebaut.

Rechts neben dem Theater steht des Jüdische Haus. Es wird zur Zeit renoviert. Hier fand 1908 die große Sprachkongress statt, bei dem zwei Wochen lang darüber diskutiert wurde, was die Sprache der jüdischen Nation sein solle: Hebräisch, Jiddisch oder deutsch. Das Er­gebnis war, dass Jiddisch - neben Hebräisch - gegen den Widerstand der Zionisten als eine Sprache des jüdischen Volkes anerkannt wurde.

Vorbei am Gymnasium (1812 gegründet) geht es zum Zentralplatz, dem alten „Ring“.

Wir steigen aus und schauen uns das Rathaus und daneben des Kunstmuseum von außen an. Auf der Außenwand des Kunstmuseum ist ein großes Bild, das in symbolischen Gestalten zeigt, wie die Bukowina in den Kreis der 12 wichtigsten Kronländer der Monarchie ausge­nommen wird. Die Bukowina ist dargestellt als junge Frau, die Weizen und ein Pferd mit­bringt.

Rechts daneben ein kleiner Laden mit den Inschrift „KuK Kunst“ - neu gemacht oder altes Erbe? Wir haben keine Zeit, um das zu prüfen.

Es geht weiter zur griechisch-katholischen Kirche (1821). In der Sowjetzeit war sie ein La­gerhaus. Jetzt findet hier gerade eine Taufe statt - in einem kleinen Kreis - aber der Gesang der beiden Sänger füllt den Raum wunderbar.

Nikolaus-Kirche der Ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchat. Sie hat fünf blaue Kuppeln mit Sternen; die vier kleinen Kuppeln sind eigentümlich gedreht. Auch hier wird gerade eine Hochzeit gefeiert. - Neben der Kirche ist der heutige Sitz des Metropoliten der Bukowina (Moskauer Patriarchat).

Unterhalb davon steht die alte Nikolaus-Kirche von 1607, ganz aus Holz gebaut. Damals ge­hörte das Gebiet zu Moldawien, das dem Osmanischen Reich tributpflichtig war. Die Osma-nen erlaubten keinen Bau von großartigen Kirchen, sondern nur solch schlichte Gebäude.

Wir fahren weiter, vorbei am Gebiet, dass bei der deutschen Besetzung zum Ghetto erklärt wurde. Hier steht auch die einzige Synagoge, die heute noch in Gebrauch ist.

Jüdischer Friedhof
Dieser Friedhof wurde 1870 angelegt. Es gibt 60.000 Gräber. Das jüngste, das ich sehe, ist von 1987. Die Inschriften sind in hebräisch, ukrainisch, russisch und deutsch. Bis auf einige wenige Wege ist der Friedhof völlig von Gebüsch überwuchert.
Die ausgebrannte Ruine der Aufbahrungshalle am Eingang soll renoviert und als Museum verwandt werden.
Gleich daneben liegt der christliche Friedhof. Ein zweiter jüdischer Friedhof ist im nahen ....

Wir fahren wieder zum Deutschen Haus, wo Peter Richlow auf uns wartet. Er gibt uns einen fesselnden Überblick über die literarische Landschaft der Stadt (Anlage 3)

Übernachtung in Tschemowitz: Cheremosh-Hotel

Montag, 19. Mai Kolomiya - Jaremca (Karpaten) - Iwano Frankivsk

Beim Frühstück begrüßt uns Igor, der uns nun als Reiseführer bis zum Schluss begleiten wird.

Fahrt durch die Stadt, wieder am Bahnhof vorbei. Beim Bahnhof steht als Denkmal eine Stra­ßenbahn. Diese fuhr nicht lange in Tschemowitz, sondern wurde bald nach ihrem Bau wieder abgebaut, weil sie in den steilen Straßen zu oft hängen blieb oder abrutschte.

Wir überqueren den Pruth und fahren dann den Fluss entlang. Die Dörfer sind hier meist Stra­ßendörfer. Viele Störche. In fast jedem Dorf ist eine neue Kirche im Bau oder gerade fertig.

Igor erzählt einiges über die Ukraine:
Die Ost-West-Ausdehnung ist 1300 km, die Nord-Süd ist 900 km. Die Grenze beträgt 5000 km.
80% der Bevölkerung sind Russen, 10% Russen, dazu regional verteilt Minderheiten von Po­len, Rumänen, Ungarn und Tartaren. Als Muttersprache sprechen 50-60% Ukrainisch und
50-40% Russisch.
Vor einigen Tagen gab es in Sewastopol eine Feier zu einem Jubiläum der Schwarzmeerflotte. Diese war 1991 nach der Wende zwischen Russland und der Ukraine geteilt worden. Dieser vertrag gilt bis 2018. Bei dieser Feier hat der Moskauer Bürgermeistern Luschkow die Ukrainer sehr verärgert, weil er sagte, dass in Russland überlegt werden, ob der Akt der „ Schenkung“ der Krim an die Ukraine im Jahr 1954 nicht Rückgängig gemacht werden solle. Damals war die Krim zu einem „autonomen Gebiet“ innerhalb der Ukraine geworden.

Es gibt eine Dauerkonkurrenz zwischen dem Präsidenten Yuwtschenko (?) und der Minister­präsidentin Olga Timoschenko, z.B. über die Privatisierung der früheren Staatsbetriebe, z.B. der Hafen von Odessa. Sie will privatisieren, der Präsident ist für behalten. Zur Zeit konkur­rieren sie darum, wer den Vorsitzenden der für die Privatisierung zuständigen Behörde er­nennen und kontrollieren darf. Dadurch ist die ganze Arbeit gelähmt. Die Verfassungslage ist unklar.
Auch die vor kurzem abgehaltenen Parlamentswahlen haben keine Klarheit geschafft. Evtl, gibt es daher bald wieder Neuwahlen.
Die Inflation nimmt zu. - „Aber das ukrainische Volk hat schon Schlimmeres ausgehalten. “

Wir verlassen die Bukowina und kommen in den Oblast Iwano Frankisk, der Teil des alten Galizien ist. An der Grenze gibt es eine Polizeikontrolle. Igor erklärt, dass nach einigen Busunfällen hetzt die Busse stärker kontrolliert werden. Während wir warten, erklärt Igor das Wappen der Bukowina: ein schwarzer Rabe mit Krone. Die Krone bekam der Rabe, als das Gebiet zum „Kronland“ erklärt wurde.

Wir fahren weiter nach Kolomiya. Die Stadt wurde 1241 erstmals erwähnt, da sie damals von den Mongolen zerstört wurde. 1405 bekam sie Magdeburger Stadtrecht. 1772 fiel sie an Österreich. Heute hat sie 80.000 Einwohner, davon sind 80% Ukrainer.

Wir fahren nun durch das Gebiet der Huzulengebiet, die hier in den Karpaten und im Vorland leben.

Wir parken neben dem Ostereier-Bemalung-Museum, das 2000 in einem Gebäude in der Form eines Ostereis eröffnet wrude. Dort sind 6.000 bemalte Eier aus der ganzen Ukraine gesammelt. Vorher war das Museum in einer alten Holzkirche untergebracht.

Wir gehen hinüber zum Ethnographischen Huzulen-Museum. Das ist eigentlich am Montag geschlossen, aber für uns machen sie eine Extrafuhrung. Offiziell heißt es „Museum of Hutsul and Pokutya Folk Art“. Anlass für die Sammlung der Volkkunst war eine Volkskunstausstellung im Jahr 1880, wo die Huzulenkunst zum ersten Mal zur Kenntnis genommen wurde. Im Museum sind 50.000 Gegenstände gesammelt, von denen 1.500 ausgestellt sind.

Wir sehen: Schnitzerei und hölzerne Gebrauchsgegenstände, einen Wagen mit Rädern aus gebogenen Holz (für den Transport des hier in der Nähe gewonnenen Salzes); Instrumente (z.B. Dudelsack und Zither); Lederarbeiten (Taschen, breite Gürtel), Waffen (z.B. Beile), Schmuck, Keramik, Weberei und Kleidung (sehr schöne Trachten!); Halsketten mit Maria-Theresia-Talem; einen großen Webstuhl, Gewebte Stoffe und Decken, Möbel und zum Schluss religiöse Kunst (die während der Sowjetzeit von den Mitarbeitern in einem geheimen Raum gelagert wurden und so vor der Zerstörung bewahrt wurden).
Besonderheiten: eine Gipsfigur des lokalen „Robin Hood“; eine Tischgamitur, die 1950 auf Bestellung von Stalin angefertigt wurde); zwei Bilder mit dem Tod der Maria, auf dem je­weils ein Jude zu sehen ist, der aus irgendeinem Grund Marias Sarg umstoßen wollte. Darauf hat ihm der Engel Gabriel die Hände abgehauen. Er bereute daraus seine Tat und die Hände wuchsen wieder an.

Weiterfahrt zum Karpaten-Kurort Jaremca am Ufer des Pruth. Der Ort liegt 970 m hoch und hat 10.000 Einwohner, aber im Sommer kommen zahlreiche Touristen hierher. Wir fahren zum Touristenrestaurant „Hutsulschyna“ direkt am Ufer des hier wild schäumenden Pruth. Die Einrichtung des Hauses und die Tracht der Bedienung entsprechen dem, was wir eben im Museum gesehen haben.

Wir bekommen ein landestypisches Essen: 1. Salat, 2. Suppe mit Nudeln und Pilzen, 3. Schweinefleisch mit Pflaumen, 4. Maisbrei mit Schafskäse, 5. Palatschinken und 6. Kräuter­tee. Eduard stiftet dazu noch einen Wodka. Ein Festessen! (100 Hrv.)

Dann gehen wir eine Brücke über den Pruth zu den zahlreichen Souvenirständen. Mir gefallen besonders gut die angebotenen Volkstrachten. Ich kaufe aber nur Hausschuhe aus Stroh.

Bei der Weiterfahrt halten wir noch bei einer alten Holzkirche am Rande von Jaremca. Sie ist Elia geweiht. Betreut wird sie jeweils von zwei Mönchen des Studiten-Klosters der grie­chisch-katholischen Kirche in Lemberg. Einer von ihnen, der bei unserer Ankunft den Hof fegte, unterhält sich mit uns. Er war früher in der Stadtverwaltung tätig. Jetzt ist er seit 10 Jahren Mönch und ist damit zufrieden.

Weiter geht es auf der oft geflickten und holprigen StraOe weiter. Igor erzählt, dass wir hier in der Mitte Europas sind. Nicht weit von hier bei Rachiv an der Grenze zu Rumänien haben österreichische Wissenschaftler die Mitte Europas ausgemessen. (Wir erzählen ihm von ähnli­chen Mitten in Thüringen, bei Vilnius in Litauen und anscheinend auch irgendwo in Belarus).

Wir kommen nach Ivano Frankivsk und fahren zum Hotel Nadija (Hoffnung). -Es gibt ein vorzügliches Abendessen.

Übernachtung in Iwano Frankivsk: Nadiya Hotel

Dienstag, 20. Mai Iwano Frankivsk - Halyc - Rohatin

Stadtbesichtigung mit Oksana Burazenko. Sie studierte 2001/02 in Tübingen. Sie arbeitet jetzt in der Ausländsabteilung eines Reisebüros und macht Stadtführungen. Sie gehört anscheinend zur neuapostolischen Kirche und wird im September zu Besuch nach Tübingen kommen.

Die Stadt wurde 1662 von dem polnischen Magnaten Andre Potocki gegründet, der ihr den Namen seines Sohnes Stanislav gab (der anscheinend im Krieg gegen die Türken gefallen war?). Ein Jahr später bekam sie das Magdeburger stadtrecht. Zum 300-jährigen Jubiläum der Gründung gab es einen Wettbewerb für einen neuen Stadtnamen. Iwan Franko wohnte zwar nicht in der Stadt (er wohnte und starb in Lemberg), aber er kam öfter hierher, um seine Ge­liebte, eine junge polnische Frau zu besuchen. Sie starb mit 30 Jahren an Tuberkulose. Sein Sohn wohnte dann später 20 Jahre in der Stadt.

Auf dem großen Platz vor dem Hotel steht ein Denkmal für Iwan Franko.

Neben dem Hotel steht dort das Theater, das 1980 auf dem Platz der früheren deutschen Kirche gebaut wurde. Um 1900 wohnte hier über 1000 Deutsche, vor allem im Stadtviertel hinter dem jetzigen Theater.

Der ehemalige Friedhof der Stadt liegt hinter dem Hotel. Viele Grabmäler wurden 1980/81 zerstört und es wurde beschlossen, nur einige wenige wichtige Grabmäler zu erhalten und den Rest in einem Park umzuwandeln. Vor kurzem wurde in der Mitte des Parks eine kleine Ka­pelle für alle Konfessionen gebaut.

Theodor Zöckler gründete hier 1896 seine Anstalten.
Wir gehen zur Schule, die er gründete und wo eine Gedenktafel an ihn hängt. (Der Reisefüh­rer gibt dafür eine falsche Straße an. Richtig ist die Lepkogo-Straße.)

Wir kommen vorbei an der Schule Nr. 3 mit Schwerpunkt auf Russisch und Polnisch. Dann die Schule Nr. 5 „mit erweitertem Deutschunterricht“ wie es auf dem Eingansschild heißt. Hier gibt es ab dem ersten Schuljahr Deutsch, das später bis auf 12 Wochenstunden steigt.

Weiter geht es zum großen Gebäude der Bezirksverwaltung (um 1980). Davor steht ein Denkmal, dass die Vereinigung der Westukraine (ein Huzule mit Zymbal)und Ostukraine(ein Kosak mit Bandura) symbolisiert. Auf der Säule in der Mitte stand früher noch eine Leninstatue.

Das kleine Schloss des Stadtgründers Andre Potocki steht zur Zeit leer. Er war durch aufwen­digen Lebensstil bei der österreichischen Regierung so verschuldet, dass diese ihm die Stadt wegnahm. Das Schloss wurde ein Spital bis 2003. Geplant ist, darin ein Museum einzurichten.

Auf dem heutigen Marktplatz stand früher ein Kloster der Trinitarier.

Das Rathaus wurde 1927 im Stil des „Konstruktivismus“ kreuzförmig mit einem Zentralturm errichtet.

Die frühere Armenische Kirche dient heute der Autokephalen Orthodoxen Kirche. Dort wird gerade Gottesdienst gefeiert. Die Armenier waren auf Einladung von Potocki in die Stadt ge­kommen. Er hatte ihnen auch den Bau einer Kirche gestattet. Zu Sowjetzeiten war es ein Atheismusmuseum. (Oxana weist daraufhin, dass durch eine solche Verwendung die Kirchen am besten erhalten wurden. Dagegen wurden Kirche, die als Lagerräume und ähnliches ver­warnt wurden, oft ziemlich zerstört.)

Die ehemalige Katholische Kirche wurde von Potocki gestiftet, die jetzige Kuppel kam aber später auf das Dach. Zunächst wurden die Wände mit Gobelins geschmückt; als die zerfielen, wurde sie ausgemalt. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Kirche zunächst als Lager verwandt, dann zu einem Erdkundemuseum. 2003 wurde sie renoviert und ist jetzt ein Museum. (Die katholische Gemeinde hat heute ihre Kirche an anderer Stelle beim Bahnhof.)

Die ehemalige Jesuiten-Kirche wurde von einem bayrischen Barock-Architekten gebaut, den Potocki eingeladen hatte. Die Jesuiten bauten zwischen den beiden Kirchen eine Schule und ein Krankenhaus. Später wurde der Jesuitenorden verboten. Heute ist es die Kirche der Grie­chisch-katholischen Gemeinde. Sie wurde vor 2 Jahren renoviert. Auffallend sind einige Männer, die in der Kirche auf Knien beten.

Um 1900 waren die meisten Ukrainer hier Griechisch-katholisch. Heute gibt es auch Ortho­doxe, sowohl der Moskauer wie der Kiewer Patriarchats. Die Katholiken hier sind fast alle Polen. Es gibt auch eine evangelische Gemeinde und noch ca. 1.000 Juden.

Neben der Kirche steht ein Marien-Brunnen von 2001.

Wir sehen das große Gebäude, in dem die Österreichische Bahn ihren Sitz hatte bis 1662 die Bahnlinien von Lemberg mitsamt dem großen Bahnhof fertig war. Die Bahnlinie wurde vor allem für den Transport von Salz und Holz gebaut.

Beim Rathausplatz weist Oksana daraufhin, dass fast alle Häuser auf der Frontseite 4 Fen­ ster haben. Wer mehr haben wollte, musste ein besondere Steuer zahlen. Im Erdgeschoss wa­ren meistens Geschäftsräume. Im ersten Obergeschoss wohnte die Familie. In der Etage dar­über wohnten die Angestellten oder die Zimmer wurden vermietet. Im obersten Geschoss wa­ren Lagerräume. - Entsprechend groß und prächtig sind jeweils die Fenster der Etage.

Die große Synagoge ist in schlechtem Zustand. Im Untergeschoss ist noch ein Laden, das Obergeschoss wird gerade von der Gemeinde restauriert. Früher gab es 60 Synagogen in der Stadt. Von den 60.000 Einwohnern waren 24.000 Ukrainer und 22.000 Juden. Im 2. Weltkrieg wurden hier 12.000 Juden umgebracht. Jetzt leben noch ca. 1000 Juden in der Stadt, davon rund 300 orthodoxe, die am Gottesdienst interessiert sind.

Vor der Synagoge steht ein Denkmal für 27 Schauspieler des benachbarten Theaters. Sie wurden hier erschossen, als unter dem Sitz eines deutschen Offiziers im Theater eine Bombe gefunden wurde.

Auf dem Miskewitsch Platz steht das Denkmal für den polnischen Dichter Adam Miskewitsch, das von Polen im Blick auf die polnische Vergangenheit der Stadt gestiftet wurde. Es die Bronzekopie eines marmornen Originals.

Die Stadtführung endet in der Fußgängerzone. Es regnet leicht. - Ich kaufe etwas zu essen und besuche noch den ehemaligen Friedhof hinter dem Hotel.

Notizen aus dem Reiseführer:
1939 wohnten in der Stadt 41% Juden, 37%> Polen, 19% Ukrainer und 3 % Deutsche. 1959 waren es 67 %> Ukrainer und 25%> Russen. In der Sowjetzeit erfolgte hier eine starke Industrieansiedlung und viel Zuzug. Die Stadt hat heute 250.000 Einwohner.

Abfahrt um 13.00 Uhr bei leichtem Nieselregen.
Noch einige Nachträge zur Stadt: Stanislav war Hauptstadt von Pokutien. Die Stadt hatte je einen Vorsteher für die Polen, die Armenier und die Juden. 1772 kam sie an Österreich. 1847 hatte sie 10.000 Einwohner.

Bei der Weiterfahrt sehen wir am Stadtrand große Fabriken - teils aktiv, teils als Ruinen

Fahrt nach Halycz

Hier gab es im 9. und 10. Jahrhundert ein riesiges ummauertes Zentrum von 7 mal 11 km mit mehreren Kirchen. Wir sehen auf der Höhe den Grabhügel eines Fürsten, anscheinend von hier durchziehenden Kroaten. Er wurde nach der Ausgrabung zur jetzigen Höhe wieder aufgeschüttet. Unterhalb davon hinter einem riesigen Wall und Graben hatte früher der Metropolit seinen Sitz, der dann nach Lemberg zog. Im ehemaligen Sommersitz des Metropoliten wurde 1998 ein kleines Geschichtsmuseum eingerichtet.
Hier stand eine große Kathedrale im Stile der Sophienkirche. Die ist abgebrochen, aber dane­ben wurde aus ihren Steinen 1586 der jetzige Uspenskijdom (Mariae Entschlafen) gebaut. Der erste wichtige Fürst hier war Volodymir, der 1152 starb. Ihm folge Jarosław Osmomeser, der die große Kathedrale baute, die 1241 von den Mongolen zerstört wrude. (Eine Theorie für den Namen des Ortes ist, dass sie an der Stelle gebaut wurde, wo früher der Göttin Halytsa geopfert wurde.) In der Kirche hängt eine wundertätige Ikone - die Museumsdirektorin er­zählt uns verschiedene Heilungen -, die aus Konstantinopel hierher gebracht wurde. Die Kir­ che wird jetzt von der griechisch-katholischen Kirche benutzt.
Im Museum mache ich verschiedene Fotos. Eine Karte zeigt das Siedlungsgebiet der Slawen, das im Osten vor dem Ural endet, d.h. dass die Slawen ebenso ein „europäisches“ Volk sind wie die Germanen oder Romanen!
Ein Zeichnung zeigt rechts das Fundament der alten Kirche, links daneben die neue jetzige Kirche. Links oben der Sommersitz des Metropoliten, das heutige Museum. Rechts daneben das Fundament des alten Bischofssitzes.

Wir fahren weiter in den heutigen Ort Halyc. Die alte Burg oberhalb des Ortes besichtigen wird nicht. Aber eine fast so alte - jedenfalls lebensgefährliche - Brücke über den Dnistr. Wir sehen auch das Reiterdenkmal für den Fürsten Danilo (1270-1301), von hier aus Lemberg gründete.
Wir besichtigen das Karäermuseum.
Hier war eine der drei Karäersiedlungen in Polen. Danilo holte 1246 80 Familien hierher nach Verhandlungen mit dem dortigen Kahn. Sie bauten ihre Häuser in der Karäerstraße. Heute leben noch zwei Karäerfrauen in der Stadt.
In der Zeit der Verfolgung war es gut, dass ein Anthropologe 1934 bescheinigt hatte, dass sie ein Turkvolk und keine rassischen Juden sind.
Wir sehen aus der ehemaligen Keneset, die 1913 renoviert, aber dann zerstört wurde, die Torarolle, einen Gebetsschal, Leuchter, Gebetsbücher (z.T. handgeschrieben) und verschieden Bücher. Ein Raum ist als Wohnung einer Karäerfamilie eingerichtet worden.

Die Karäer sind ein Turkvolk, das von jüdischen Missionaren aus dem Irak bekehrt wrude. Sie lehnen den Talmud ab.

2002 fand hier ein Kongress „Halych Karaims: history and culture“ statt, der auch dokumen­tiert wird.
Der karäische Friedhof liegt leider zu weit abseits.

Bei der Weiterfahrt kommen wir am riesigen Kohleraftwerk Burshtyn vorbei. Dazu gehört auch ein Stausee von 6 km Länge.

Im Bus geht herum:
Juri Andruchowytsch, Das letzte Territorium. Essays. Edition Suhrkamp TB 2446, 2003. Der Autor ist 1960 geboren und lebt in Iwano Frankivsk.

Fahrt nach Rohatin
Heute 9.000 Einwohner. Der Ort bekam 1415 das Magdeburger Stadtrecht. Er hatte eine gro­ße Mauer mit 3 Toren. Es gab 9 Zünfte. Das ehemalige Rathaus auf der Mitte des Marktplat­ zes ist verschwunden.

Auf dem Marktplatz steht das Denkmal für „Roxolana“, die Popentochter Anastasia, die mit 15 von den Türken als Sklavin geraubt und verkauft wurde und die in den Harem von Sultan Suleiman dem Prächtigen kam. Es gibt einige Bücher und auch einen Film über sie.

Wir besichtigen die alte Holzkirche des Heiligen Geistes (1598). Die Außenwand war be­malt, aber da ist nichts erhalten. Seit 25 Jahren ist die Kirche ein Museum; Gottesdienste wer­den hier nicht mehr gefeiert. Die Ikonostase stammt von 1650 und ist eine der drei ältesten vollständig erhaltenen Ikonostasen in der Ukraine.
Die Sängerempore ist als Brücke in der Mitte der Kirche gebaut. Der hintere Teil des Kir­chenschiffs hat keine Fester. In der Sowjetzeit diente sie als Museum des Atheismus.

Beim Weiterfahren sehe ich Kuh- und Pferdehirten auf den Weiden. Die Wiesen haben keine Zäune. Störche.

Bei Nebel beenden wird die Fahrt nach Lemberg: Dnister Hotel

Abends kommt Prof. Oleh Turij zu uns ins Hotel. Er ist Professor für Kirchengeschichte und informiert uns über die vielfältige Kirchenlandschaft der Ukraine. (Anlage 4)

Mittwoch, 21. Mai  Stadtbesichtigung Lemberg

Geschichte:
Die Gründungsgeschichte von Lemberg geht auf den Mongolensturm vom 1240/41 zurück. Fürst Danilo von Halyc gründete hier auf den jetzigen Burgberg 1256 eine Festung, die er nach seinem Sohn Lev „ Stadt des Lev bzw. des Löwen “ nannte. Der Löwe ist auch im Wappen der Stadt zu sehen. Er steht in einem geöffneten Stadttor. Diese Burg wurde noch im 13. Jahrhundert zur Hauptstadt des Fürstentums.

1349 geriet Lemberg und das ganze galizische Rus unter die Herrschaft von Polen. Die Sied­lung unterhalb der Burg erhielt 1356 Magdeburger Stadtrecht. Die folgenden Jahrhunderte war Lemberg Hauptstadt der polnischen Woiwodschaft Ruthenien. Die Zahl der Einwohner wuchs schnell: Ende des 16. Jahrhunderts waren 12.000, Mitte des 17. Jh. über 33.000, da­von ein Viertel Juden.

Kirchlich wurde es eine Stadt mit drei Metropoliten: einem katholischen (Bischofssitz seit 1412), einem orthodoxen (Bischofssitz seit 1539; um 1700 Anschluss an die Union mit den Katholiken) und einem armenischen.

1704 -wurde die vom schwedischen Heer unter Karl XII. geplündert. Im 19. Jahrhundert gab es weidereine Blütezeit: 1878 -wurden Wasserleitungen verlegt, 1885 die ersten Telefonleitun­gen und ab 1894fuhr die Straßenbahn. Der übel riechende Fluss Poltva vor der Stadtmauer -wurde überbaut und darauf das Opernhaus gestellt.

1939 wurde die Stadt zunächst von den Sowjets erobert, dann 1941 von den Deutschen und 1944 wieder von den Sowjets.

9 Uhr Abfahrt zur Stadtrundfahrt. Als erstes zur benachbarten Georgskathedrale. Sie ist die Hauptkirche der griechisch-katholischen Kirche. Zwar ist der Großerzbischof Lubomir Husar vor kurzem nach Kiew umgezogen, jedoch ist die dortige neue große Kathedrale noch nicht fertig - in jeder griechisch-katholischen Kirche wird aber auf Plakaten um Spenden da­für gebeten.

Hatte Fürst Danylo seine Burg auf einem ersten Hügel gebaut, so gründete sein Sohn Lev auf diesem Hügel ein Kloster, dass er nach seinem Sohn Juri dem Heiligen Georg weihte. Das erste Klostergebäude war aus Holz. Nachdem dieses durch Brand zerstört war, wurde es in Renaissancestil aufgebaut und dann 1744-61 im Barockstil völlig umgestaltet.

Über dem Eingang stehen die beiden Symbolfiguren der westlichen und der östlichen Kirche, die die unierte Kirche Zusammenhalten möchte: Papst Leo und Patriarch Athanagoras. Ganz oben reitet der heilige Georg, der in beiden Kirchen verehrt wird.

In der „Höhle“ unter dem Treppenaufgang zur Kirche sehen wir den heiligen Eremiten Onophrius.

In der Kirche fallt mir eine Frau auf, die vor einer Kreuzigungsgruppe kniend betet, woanders betet ein Mann mit weit ausgebreiteten Händen. Die Ikonostase ist „durchsichtig“ hin zum Altarraum.

Das Altarbild stellt den „lehrenden Christus“ dar. Unter dem Altar in der Krypta sind die frü­heren Metropoliten begraben, auch die Särge der ersten Metropoliten aus Halyc wurden hier­ her gebracht.

Im rechten Seitenschiff hängt die 7. Kopie des Turiner Grabtuches. Als es aus Italien hierher gebracht wurde, wurde es zunächst monatelang in verschiedenen ukrainischen Kirchen zur Schau gestellt. - In der Sowjetzeit stand die Kirche der orthodoxen Kirche zu Verfügung.

Der Kirche gegenüber wurde um 1770/80 das Haus des Metropoliten - ebenfalls im „Ukrai­nischen Barock“ gebaut. Das ist eine Mischung von Barock und Rokoko. Hier übernachtete der Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch 2001.

An der Wand ist ein Denkmal zur Erinnerung an den früheren unierten Metropoliten Andre Scheptyzki angebracht. Er wurde schon mit 35 Jahren Metropolit von Lemberg war wichtig für die ukrainische kulturelle Bewusstseinsbildung. Er wies die Klöster an, Juden vor den Deutschen zu verstecken und rettete so vielen von ihnen das Leben. Im politischen Leben trat er immer für Gewaltlosigkeit ein.

Wir besteigen wieder den Bus und fahren zunächst eine Rundtour um die Innenstadt. Wir kommen vorbei an der neugotischen Olga- und Elisabeth-Kirche. Sie wurde 1910 für die katholische Gemeinde gebaut. Den Namen „Elisabeth-Kirche“ bekam sie nach der ermordeten Kaiserin Elisabeth, der „Sissi“, Gemahlin von Kaiser Franz Josef - übrigens der einzige Neubau einer Kirche in der österreichischen Zeit von 1772 bis 1918! 1990 wurde sie der grie­chisch-katholischen Kirche übergeben, die im Namen der Kirche noch die „Olga“ hinzufügte.

Rechts liegt die einzige noch aktive Synagoge (1927). Sie hat einen Rabbiner, der aus den USA kam. (Bekannt ist noch die zerstörte frühere Privatsynagoge „Goldene Rose“ in der Alt­stadt, deren Fundamente gerade ausgegraben werden.)

Die Tschemowitzer Straße fuhrt auf den großartigen Bahnhof zu. Die Bahn erreichte die Stadt 1861 von Wien aus. Das jetzige Bahnhofsgebäude im Stil des Wiener Historismus stammt wurde 1899-1903 gebaut. Es ist mit seiner großen Kuppel eine Mischung aus Moder­nismus und Jugendstil. Zwei Skulpturen stellen „das Wandern“ und „Die Technik“ dar. Das Gebäude wurde vor kurzen renoviert - mitsamt seinen drei Wartesälen für die Passagiere der ersten, zweiten und dritten Klasse.

Vorbei am Denkmal von Bandery, der die Organisation der ukrainischen Nationalisten leitete und 1959 in München starb.

Dann die Polytechnische Universität mit 20.000 Studenten. Dann rechts die Kirche des ehe­maligen Lazarus-Klosters; heute eine griechisch-katholische Kirche. Links der große Palast eines polnischen Adligen. Dann links das griechisch-katholische Priesterseminar, anschlie­ßend ein Teil der Gemäldegalerie. Und rechts die Nationalbibliothek.

Vorbei am ehemaligen Hotel Austria zum ehemaligen Halycer Tor, wo ein Denkmal des Für­sten Danylo von 2003 steht. Vorbei am ehemaligen Klarissenkloster (heute ein Kunstmuse­um) und am ehemaligen Sitz des Gouverneurs (1889), heute Sitz der Gebietsverwaltung, wo wir einen Teil des östlichen Stadtwalls sehen können. Links das Arsenal, dann das Denkmal für den ersten Drucker Lembergs und der Pulverturm auf dem Wall. Vorbei am Theater und dem ehemaligen Brigittenkloster. Nach einer riesigen St. Georgsstatue kommen wir zur Uni­versität. Sie bezog 1920 das Gebäude des ehemaligen Provinzparlaments von Galizien.

Wir kommen zum Palast der Familie Potocki, das heute ein Museum der europäischen Male­rei beherbergt. Das bekanntest Werk ist der „Wucherer“ von Georg de la Tour.

Über den Mickiewicz-Platz kommen wir zum Opernhaus. Nach dieser einmaligen Umran­dung der Altstadt verlassen wir den Bus und gehen zu Fuß weiter.

Das 1897 - 1900 im Stil des Eklektizismus gebaute Opernhaus ist „die Visitenkarte der Stadt“. Es ist gebaut über dem Fluss Poltva, der dafür eingemauert wurde. Es ist außen und innen wunderschön - mit viel Marmor und venezianischen Spiegeln. Bei der letzten Renovie­rung wurden 7 kg Blattgold gebraucht.

Vordem Theater steht an Stelle des früheren Lenin-Denkmals ein Springbrunnen.

Der breite Boulevard der Freiheit (Prospekt Svobody) führt über den eingemauerten Fluss Poltva. Wir kommen vorbei am 1894 gebauten Palast für die Wirtschaftsausstellungen; später wurde hier eine Ikonenausstellung eingerichtet. Dann wurde es ein Leninmuserum und heute beherbergt es wieder die Ikonen.

Wir sehen einen kleinen Rest der Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert. Die 1800 m lange Mauer hatte 24 Türme.

Zum großen Taras Tschewtschenko-Denkmal gehört auch die große bronzene Dnepr-Welle. Sie wurde in Argentinien von Exil-Ukrainern gestiftet und auch dort gegossen. Die Reliefs darauf stellen Szenen a Tschewtschenkos Werken und aus der Geschichte der Ukraine dar. - Früher stand an dieser Stelle das Denkmal eines polnischen Königs.

Wir machen Mittagspause in einem „Wiener Kaffee“. Zwischen den Gästen sitzt ein bronze­ner Schwejk - und jeder darf sich zu ihm setzen.

Dann geht es von der ehemaligen Wallanlage in die Innenstadt. Grob kann man sagen, dass die Gebäude in der Innenstadt aus der polnischen Zeit und die Gebäude außerhalb aus der österreichischen Zeit stammen.

Wir gehen vorbei an der Petrus- und Paulus-Kirche, 1610-30 von den Jesuiten als Teil ihrer Klostemalge und als erste Barockkirche und in der Stadt nach dem Vorbild von „II Gesu“ in Rom gebaut.

Daneben steht das Denkmal von „Iwan“ (1984). Gemeint ist Iwan Pitkowa, ein ukrainischer Kosak. Er kämpfte gegen die Türken. Daraufhin verlangte der Sultan vom polnischen König, er solle Iwan hinrichten, sonst werde er Polen angreifen. Der polnische König gab nach und ließ Iwan 1575 hier enthaupten. - Früher stand hier das Deutsche Spital.

Vor der katholischen Kathedrale Mariä Himmelfahrt werden wir von zwei bettelnden Zi­ geunerinnen mit Kleinkind sehr bedrängt. Der Bau der katholischen Hauptkirche wurde bald nach dem Anschluss an Polen in gotischem Stil begonnen. Gebaut wurde von 1360 bis 1480 und auch später wurde noch öfter umgebaut, so dass vom gotischen Stil nur noch ein schönes Kreuzrippengewölbe im Chor zu sehen ist.

Draußen an der Kirchenwand hängt eine „schwedische Kugel“ aus der Zeit der Belagerung durch das Heer von Karl XII im Jahr 1704.

Um die Kirche war - wie bei allen anderen Kirchen in der Stadt - früher ein Friedhof ange­legt. Kaiser Joseph ordnete dann an, dass die Friedhöfe nur nach außerhalb der Stadt angelegt werden dürfen. So wurde auch dieser Friedhof eingeebnet. Letzter Rest davon ist die die Grabkapelle der Familie Boim, eine „Perle der Spätrenaissance“.

Wir kommen zum Marktplatz = Ringplatz = Rinok. Die 45 Häuser um den Platz - allesamt
als Renaissancebauten errichtet und dann barock geschmückt - sind ein architektonisches Denkmal. Als Regel waren hier drei Fenster an der Frontseite des Hauses erlaubt, wer mehr Fenster haben wollte, musste dafür Steuern zahlen.

Das Rathaus hat einen 65 m hohen Turm .Über dem Eingang ist zu lesen, dass die Innenstadt zum UNESCO Weltkulturerbe gehört. - Igor erzählt, dass es allerdings gerade einen Streit mit der UNESCO gibt über die Verwendung von Plastikfensterrahmen in der Innenstadt.

In einem Haus ist nicht nur das „Deutsche Heim“, sondern ebenso die Organisation der Polen und anderer Volkgruppen zu Hause. ((Partnerstadt ist Freiburg))

Wir kommen vorbei an der Stelle, wo früher das Tor zum Jüdischen Viertel war. (Es gibt noch einen zweiten jüdischen Wohnbezirk nördlich der Innenstadt.) Hier im Viertel stand früher die berühmte Privatsynagoge „Goldene Rose“ (1572). Sie wurde im 2. Weltkrieg ge­ sprengt. Die Fundamente werden jetzt ausgegraben.

Wir kommen zu Mariä Entschlafens-Kirche, der alten ruthenischen, also orthodoxen Kir­che. Davor sehen wir die Fundamente der beiden inneren Ringmauern der alten Stadt. Außer­halb davon gab es noch eine dritte Mauer auf dem Wall.

Wir gehen in den Innenhof neben der Kirche. Der Komplex besteht aus 3 Gebäuden: den 66 m hohen Glockenturm, der schönen Kapelle der heiligen drei Könige und der Ende des 16. Jahrhunderts gebauten Kirche. Heute gehört der Komplex der Autokephalen Kirche. Wir kön­nen die Gebäude nicht besichtigen, weil gerade eine hochrangige Delegation von Kirchenführem und Seminaristen aus Kiew da ist.

Vor der Kirche steht das Denkmal für Iwan Fjodorow, den ersten Drucker der Stadt, der in kyrillischer Schrift 1574 in einer Klosterdruckerei das Buch „Apostel“ druckte. Um seine Statue gibt es heute - ganz passend - einen Bücherflohmarkt.

Gleich daneben steht die Dominikanerkirche Corpus Christi, die im 18. Jahrhundert barock umgebaut wurde im Stil der Karlskirche in Wien. In Sowjetzeiten war hier zunächst ein Lager und dann Museum des Atheismus. Das linke Seitenschiff enthält ein Relief von Bertel Thorwaldsen auf dem Grabmal der Gräfin (Hrabina) Josefa Dunin-Borkowska (gest. 1811). Seit 1991 ist sie im Gebrauch der griechisch-katholischen Gemeinde. Die Ikonostase ist nur angedeutet, das Schiff enthält Stuhlreihen zum Sitzen.

Wir kommen zurück zum Markt. Igor weist auf verschiedene Häuser hin: Das Museum für Kostbarkeiten im Bandinelli-Haus; das „Schwarze Haus“ mit einer Abteilung des Histori­ schen Museums, das Komak-Haus, in dem König Kasimir residierte und ein Haus mit Cafe im Renaissance-Innenhof.

Wir machen Mittagspause. Mit einer kleinen Gruppe gehe ich in das das Haus mit Cafe in seinem wunderschönen Renaissance-Innenhof und esse etwas.

Auf dem Rückweg zum Bus versuchen wir, die Armenische Kirche zu besichtigen - finden aber den Eingang nicht. So haben wir aber Zeit, die katholische Kathedrale auch von innen anzuschauen.

Bei der Oper steigen wir wieder in den Bus und fahren hinaus zum riesigen Lycakivska- Friedhof, der über 300.000 Gräber hat und ein größere Fläche einnimmt als die alte Innen­ stadt. Er wurde 1786 angelegt, nachdem die Begräbnisse in der Innenstadt verboten worden waren. Früher schon wurden an dieser Stelle die Opfer von Epidemien begraben. Hier sind die Gräber von vielen bedeutenden Ukrainern und Polen zu sehen.

Wir gehen durch den Friedhof. Friedlich durcheinander sehen wir Grabmäler mit ukraini­schen, polnischen und deutschen Inschriften. Ich lerne das Wort „Lacrymarium“ für den Krug, in dem symbolisch die Tränen der Trauenden gesammelt werden.

Ich fotografiere das Grab von „Peter Krausneher ... Rector Magnificus an der hiesigen K. K. Franzens-Universität...“ Es ist das erste Mal, dass ich der Abkürzung „K.K.“ hier begegne.

Das Grab von Iwan Franko ist geschmückt mit der Statue „Der Steinbrecher“, einer Figur aus einem seiner Werke.

Wieder fahren wir mit dem Bus in die Innenstadt und parken zwischen der Oper und dem Dramatischen Theater. In der Mitte des 19. Jahrhunderts soll es das größte Theater Europas gewesen sein. Es wurde gebaut vom polnischen Grafen Stanislaw Skarbek und ist gegründet auf 16.000 Eichenpfählen, die in den sumpfigen Untergrund gerammt wurden.

Vorbei am Souvenirmarkt und der griechisch-katholischen Christi-Verklärungs-Kirche
gehen wir zur Armenischen Mariä-Himmelfahrt-Kathedraie.

Sie liegt mitten im ehemaligen Armenierviertel und wurde 1363 gegründet. Architekt war wie bei der Georgskirche der Italiener Döring. Er knüpfte dabei an die Architektur der Armenier auf der Krim an. - Der Eingang fuhrt durch das später angebaute Langhaus. Dieser Anbau wurde nötig, als die Gemeinde wuchs und die ursprüngliche Kreuzkuppelkirche nicht mehr ausreichte. Außerdem hatte sich die Gemeinde der Armenisch-katholischen Unionskirche angeschlossen und das Langschiff war ein Zeichen der Annäherung an die katholische Kirche. Da die unierten Armenier fast alle auswanderten, gehört die Kirche heute wieder der arme­ nisch-apostolischen Kirche.

Die Kuppel und die Wände wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Mosaiken und Bildern neu geschmückt, die zum Teil sehr schön und faszinierende sind. Es ist eine Mischung aus Jugendstil und orientalischem Stil. Faszinierend sind die Bilder von Jan Henryk Rosen aus den Jahren 1925-29. In einem großen auf Stoff gemalten Kreuzigungsbild gibt er den darge- stellten Heiligen die Gesichter von Zeitgenossen: so stellt der Erzbischof Teodorowicz als Thomas von Aquin dar und sich selbst als Johann Nepomuk. Auf dem Bild „Begräbnis des hl. Odilon“ hat er nicht nur sich selbst in die Schar der Leichenträger hineingestellt, sondern auch die schon gestorbenen Mönche als Silhouetten mit in den Trauerzug aufgenommen. Das passt besonders deshalb, weil Odilon anscheinend als erster das Totengedenken in die Liturgie auf­genommen hat.

Die Kuppel ist seit 1989 für Besucher zugänglich, das Schiff erst seit 2003.

Die berühmte „Holzkapelle Golgata“, ein Kleinod der Schnitzkunst, ist auf der Außenseite der Kirche angebracht. Wir hatten sie schon mittags bei unserer Suche nach dem Eingang der Kirche gefunden.

Zum Abendessen fahren wir in ein kleines Restaurant, das in einer früheren Privatwohnung eingerichtet ist. Da hier früher eine berühmte Sängerin wohnte, sind die Wände mit Bildern und Collagen aus dem Musik- und Theaterleben geschmückt.

Donnerstag, 22.5. Ausflug: Pochajiv, Olesko, Brody

Da ich in der Nacht Probleme mit dem Herzen und dem Blutdruck habe, bleibe ich am Don­nerstag im Hotel und lese im Reiseführer, was die anderen bei ihrem Ausflug vermutlich se­hen:

Das Kloster Pochajiv ist nach dem Kiever Höhlenkloster des zweitgrößte im Land trägt wie jedes seit 1833 den Ehrennamen Lawra. Schon um 1200 gab es hier eine Einsiedelei, die ein griechischer Mönch begründete, der von Berg Athos aus Griechenland gekommen war. Nach dem Tartarenüberfall verschlug es Kiever Mönche hierher, die in Höhlen lebten. Die Ein­siedler hatten eine Marienerscheinung, die einen Fußabdruck Marias hinterließ. An dieser Stelle errichtete man eine Holzkirche. Das heutige Ensemble wrude zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert errichtet.

Die Hauptkirche ist die Mariä-Entschlafens-Kathedrale, die in barockem Stil in den Jahren 1771 bis 1773 errichtet wurde. Sie ist ein ein dreischiffiger Kreuzkuppelbau mit Platz für bis zu 6000 Personen. Das Bauwerk wird von einer 45 m hohen Kuppel dominiert.

Besonders verehrt wird die Ikone der Muttergottes von Pocajiv. Diese ist ein Geschenk der Gutsherrin Anna Gojska und kam 1597 ins Kloster.

Das Innere ist für eine orthodoxe Kirche erstaunlich lichtdurchflutet. Beeindruckend ist der Blick in die Kuppel. Ikonostase und Wandmalerei stammen aus dem 19. Jh. - Die Kathedrale ist das ausgewogenste und schönste Bauwerk des Klosters - waagerechte und senkrechte Li­nien, Details wie Säulen, Ziergiebel und Fensterumrahmungen gliedern das Bauwerk.

Unter der Kirche befinden sich die Höhlen. Die Einsiedlerhöhle mit dem Sarg des Kloster­ gründers ist auch heute noch zugänglich.

Weitere Gebäude: Dreieinigkeitskirche und der hohe Glockenturm mit 65 m

Das Kloster gehört bis heute zum Moskauer Patriarchat und war hier ein orthodoxer Vorpo­sten und Hort des Widerstandes gegen die Lubliner Union. „Umgeben von katholischen polen und unierten Ukrainern demonstrierte es den Anspruch Moskaus auf geistliche Vorherr­schaft.“

Fahrt nach Olesko: Ikonensammlung in der Burg.
Reiseführer: „Freunde der Ikonenmalerei kommen auf ihre Kosten. Die Ausstellung umfasst vor allem Werke aus dem Zeitraum vom 10. bis zum 18. Jahrhundert und ist ein Teil der Lemberger Gemäldegalerie.“
Das Schloss wird erstmals 1327 erwähnt. Die jetzige Gestalt stammt aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. 1629 wurde der spätere polnische König Jan III. Sobieski im Schloss geboren, der 1683 vor Wien die kaiserlichen Truppen zum Sieg über die Türken führte.

Ort Brody
Reiseführer: Die Geschichte Brodys beginnt 1630 mit dem Bau einer Stadtanlage und einer Festung. Hier lebte Anfang des 19. Jahrhunderts die größte jüdische Gemeinde Galiziens, zeitweise waren es über 70% der Bevölkerung. Die jüdische Gemeinde in Brody hatte ein hohes Ansehen unter den ostjüdischen Gemeinden und galt als Zentrum der jüdischen Ortho­ doxie.

Wegen des regen Handels und der nahen Grenze kam es zu vielen Kontakten, auch zu deut­ schen Juden. Die Gedanken der deutschen Aufklärung und der jüdischen Haskala fanden in Brody Einzug. Von den Orthodoxen war das nicht gern gesehen, es wurde sogar wegen der Gründung einer deutschsprachigen Realschule ein Bann gegen Brody ausgesprochen. Letzt­ lich setzt sich aber eine offene, bildungsffeundliche Haltung unter den Juden der Stadt durch, wobei in der privaten Religionsausübung doch die Regeln der Orthodoxie befolgt wurden.

Bereits 1773 besuchte Kaiser Joseph II. die ein Jahr zuvor durch die 1. polnische Teilung an Österreich gefallene Stadt.

Die jüdische Gemeinde hatte wegen der Nähe zu Russland eine besondere Last zu tragen: Junge Juden flohen aus Russland, um den 10jährigen Militärdienst zu entgehen. Zeitweise sollen bis zu 1000 Flüchtlinge pro Tag gekommen sein. Viele wurden zunächst in Brody ver­sorgt und konnten danach mit Unterstützung von Hilfsorganisationen auswandem, meist nach Amerika.

Darüber hinaus wurden Flüchtlinge auch integriert und in wohlhabende Familien aufgenommen. Die Entscheidung zwischen Assimilation (und Aufklärung) und Orthodoxie oder der
(antimodemen) Strömung des Chassidismus bedeutete für die Juden zugleich auch die Ent­scheidung für die bevorzugte Sprache. Von den gebildeten und wohlhabenden Juden der Stadt wurde Deutsch und später vor allem Polnisch gesprochen. Die unteren Schichten und damit die Mehrheit der Juden in Galizien sprachen Jiddisch. Städte wie Brody und Lemberg bildeten eine Ausnahme.

Heute leben kaum noch Juden in der Stadt; die Überlebenden sind in alle Welt verstreut. 1993 kamen viele zurück zum 3. Weltkongress der Broder. Typische Namen sind Broder, Brody oder Brodski.

Der 18jährige Joseph Roth schrieb über seine Heimatstadt an seinen Onkel: „In Brody ist alles eintönig und langweilig; eine kleine Abwechslung brachte nur die Zeit in Lemberg. ... Die
Welt ist so schön und ich dürste danach, sie in ihrer Herrlichkeit einmal sehen zu können. Ich will hoffen, dass die Gelegenheit einmal dazu kommen wird ...“ - Sein Geburtshaus steht
nicht mehr, aber die Schule, die er besuchte. Außerhalb des Ortes liegt der jüdische Friedhof.

Freitag, 23.5. Heimflug

Abflug Lemberg 9.05 Uhr                Beim Flug wird die Uhr wieder umgestellt.

Ankunft Frankfurt Lokalzeit 10.05 Flugzeit also nur zwei Stunden. Die Ukraine liegt ganz in der Nähe!

Anhang 1
Begegnung mit Pfr. Peter Sachi (51) Kiew, Montag, 12.5. abends

Pfarrer Sachi (51) ist hier in Kiev seit 8 Jahren als EKD-Pfarrer. 2009 wird er nach Bayern zurückkehren.

Er studierte in München, Tübingen, Erlangen und Jerusalem 1984 macht er das 1. Examen. Er war Pfarrer in Waldflecken in der Rhön, betreute dort lange ein Aussiedlerheim. 2000 wurde er hier von Kirchengemeinderat gewählt. Im Oktober 2000 hier angefangen. Damals war die Kirche gerade wieder von Erzbischof Kretzschmar eingeweiht worden.

Es gibt vier luth. Kirchen in der Ukraine

Einmal: Deutsche evang.-luth. Kirche in der Ukraine (in Kiev verbunden mit der EKD als Auslandsgemeinde)

Ukrainische luth. Kirche. Sie wurde im 19. Jh gegründet (u.a. mit Pff. Zöckler in Iwan Frankiwsk) im alten polnischen Gebiet. Sie ist eine vor allem ländliche Kirche, die von Ukrainern gegründet wurde. Sie holte sich ihre Pfarrer aus Polen, aus Deutschland und vor allem aus der Missouri-Synode in USA. Wir haben keine Kirchengemeinschaft.

Dann gibt es leider zwei Abspaltungen aus der deutschen Kirche: einmal von Herrn Gräfenstein, der sich nach 1990 abspaltete, und dazu auch von Herrn Follbort eine Abspaltung. Diese beiden Gemeinden haben auch jeweils einige hundert Gemeindeglieder.

Wichtigste evang. Konfession ist hier die Baptisten, die hier eine lange Tradition - seit der Reformation - haben.

Die Traditionskirchen sind hier: die vier orth. Kirchen, die Katholiken, Lutheraner, Baptisten, Anglikaner und Methodisten. Dann viele andere kleine Gruppen.

Es gibt drei wichtige Institutionen für die kirchliche Zusammenarbeit:
- Ministerium für religiöse Angelegenheiten.
- Eine wichtige ökumenische Institution ist die Bibelgesellschaft
- Wichtig ist auch der „Rat der Kirchen und Religionen“: Die Tartaren auf der Krim sind Muslime. Dazu einige alte Buddhisten im Osten. Und noch einige Juden.

Die Konrad Adenauer Stiftung tat viel, um 1. die verschiedenen Orthodoxen an einen Tisch zu bringen und 2. auch alle anderen christlichen Gruppen. Ökumene ist hier harte Arbeit! Es geht nicht nur um Profil, sondern auch um das Gesicht.

„Auch unsere Gemeinde ist eine gute ökumenische Kontaktstelle.“

Die Ukraine ist noch „in der Pubertät“. Es gibt große Probleme, es gibt z.B. keine Altersheim und für viele nur 80 Euro Rente.

Bis 1919 gab es hier eine „Deutsche Schule“, dann wurde sie enteignet. 1991 meldeten wir Ansprüche auf das Gebäude an. Aber die Besitzverhältnisse sind ungeklärt. - Im Herbst wird in angemieteten Räumen eine Deutsche Schule eröffnet. Die wird Unterricht in deutsch und ukrainisch geben. - Ukrainische Lehrer bekommen 100 Euro monatlich, das ist nicht viel. Daher werden die Leute hier nicht gerne Lehrer.

„Wir sind in einem europäischen Land und nicht in Russland.“ Auch die Situation in Weiß­russland ist ganz schlimm. Insgesamt ist es ein ländliches Land; Kiew ist eine Ausnahme.

Das Land ist orthodox, d.h. geprägt durch „eine Lebenshaltung, die sich bückt und die dul­det“. Da kommt jetzt die Globalisierung - mit allen Vor- und allen Nachteilen. Die Firmen-
und Ladenketten fallen jetzt hier ein - nachdem sie Ungarn und Slowakei gesättigt haben. Die haben um Kiew einen Industriegürtel gelegt.

Es gibt eine Mittelschicht (25-35 Jährige), die von den Firmen angestellt werden und Karrie­re machen - und Geld haben zum Ausgeben. Und viele Menschen, die wenig Geld, zu wenig haben. „Kiew ist das Schaufenster und die Ukraine ist außen herum.“ „Die Ukrainer sind gastfreundlich, extremistisch und gewalttätig.“

Viele Auslandsukrainer kaufen sich Grundstücke, tun aber nichts außer es zu umzäunen. Sie warten bis das Gebiet mehr wert wird: Bodenspekulation.

2004 die „Orangene Revolution“ hat die Leute weithin aufgeweckt. Seitdem machen mehr Leute den Mund auf.

Ein Drittel der Gemeinde sind Rentner. Mit 55 gehen Frauen, Männer mit 60 in Rente - aber die Rente ist zu wenig zum Leben.

Viele Frauen gehen als Prostituierte nach Italien und Spanien - Hunderttausende! Mit der Hans-Seidel-Stiftung machen wir ein Projekt für zurückkehrende Frauen - vor allem miss­handelte Frauen. - Alkoholismus ist großes Problem, vor allem bei Männern.

Es gibt 1 Mio Aids-Infizierte, es sind „afrikanische Verhältnisse“. Die Korruption im Ge­sundheitsdienst - vor allem im Verwaltungsmittelbau - ist katastrophal. Die Polikliniken auf dem Land sind zusammengebrochen. Das zweite Problem ist Tschernobyl, wo immer noch Leute krank werden. - Es gibt eine gute Medizin im Land - aber die Gehälter für die Ärzte sind so klein, dass diese nicht normal arbeiten können. Es gibt viele Abtreibungen, wo dann aus den Föten Kosmetikartikel hergestellt werden.

Lehrer verdienen 100 Euro - und fahren dann Taxi dazu.

24.8.1991 wurde hier - ohne innere und äußere Vorbereitungszeit - die Unabhängigkeit ver­kündet. Daher ist ein neuer demokratischer Lebensstil sehr schwer.

„Aber insgesamt bin ich optimistisch. In einigen Jahren wird es besser sein.“

Anhang 2
Begegnung mit Bischof Günsch - Odessa, Samstag, 17.5.2008

Zunächst die Andacht von Wolfgang Wagner zu Off 2 „Sei getreu bin in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens gegeben.“ - Unsere Tradition: „getreu“ sein auch im Kleinen, auch im Beruf, hat die Berufstätigkeit in Deutschland und in unserer Kultur geprägt. Das merken wir oft erst, wenn wir in andere Kulturbereiche kommen.

Bischof Georg Günsch, Die Lutherische Kirche in der Slowakei

Der heute 66 Jahre alte Georg Günsch war Dekan in Bayern. Kurz vor seinem Ruhestand wurde er von der Kirchenleitung gefragt, ob er nach Odessa will. Er beherrscht die die ukrai­nische Sprache etwas, aber nicht gut. Meistens spricht er auf deutsch und wird übersetzt.

Das Bistum ist anderthalb mal so groß Deutschland. Viele Reisen z.B. nach Charkow, Lem­berg, Krim, Kiew u.s.w.

Die Lutherische Kirche in Russland war einmal eine große Kirche, vor allem durch Einwan­derer aus Württemberg und Baden, die entweder arm oder besonders fromm waren (z.B. wan­derten viele aus, als der Exorzismus bei Taufe in Deutschland verboten wurde). Viele wurden auch gerufen von der Zarin Katharina und ihren Nachfolgern, da Neu-Russland urbar gemacht werden sollte. Der Anfang war sehr hart. Daher kommt das Sprichwort: „Die erste Generation hatte den Tod, die zweite: die Not, die dritte das Brot.“

Es wurden große und wohlhabende Gemeinden, vor allem waren es Bauern; in Odessa auch Handwerker und Akademiker. Um 1900 gab es hier über 10.000 Gemeindeglieder.

Heute ist die ELKRAS der Dachverband der lutherischen Kirchen in der ehemaligen Sowjet­union. Es gibt 40 Gemeinden in Ukraine; Kiev ist die größte. Die Gemeinde dort ist zugleich eine Auslandsgemeinde der EKD.

Zahlen sind schwer zu sagen, da es ein Verein ist. Ca. 10.000 - 12.000 werden erreicht, aber Mitglieder des Vereins sind nur wenige.

Die Mitglieder kommen aus zwei Quellen: „brüderisch-pietistische Traditon in Russland“
und „an Nationalität geknüpftes Gemeindebewusstsein.“ Beide Strömungen kommen heute zusammen. Das ist schwierig und führte auch zu Trennung. Es gab z.B: einen jungen Super­intendenten, der sehr „fromm“ war; es störte ihn, dass manche Gemeindeglieder Wein tranken - das führte zu einer Kirchenspaltung.

Eine meiner Hauptaufgaben ist noch heute, Streit zu schlichten. Früher wurde von oben ge­sagt, was gilt. Heute gibt es viele Machtkämpfe in den Gemeinden. Z.B. ist in einer Gemein­de der Pfarrer von der polnischen lutherischen Kirche ausgeliehen. Dort gibt es Streit in der Gemeinde: wer ist der Größte, der Einflussreichste: Pfarrer, Gemeindeleiter oder Prädikant? - Wir sollen ein missionarische Kirche sein - das können wir aber nur als versöhnte Gemeinde sein.

Der Kommunismus hat die Menschen geprägt. Der Präsident der Synode schrieb eine Seminararbeit nach seiner Ausbildung in Hermannsburg über den „homo sowjeticus“. Er schreib das als Russlanddeutscher aus eigener Erfahrung, wie der Kommunismus die Menschen prägte: sie wurden misstrauisch, hatten ein hierarchisches Denken und wollten keine Fehler zugeben, weil das gefährlich war. Dazu kommt die Gewohntheit, versorgt zu werden. (Viele Rentner betonen, dass es für sie das Leben früher viel leichter war.)

204 Jahre alt ist die Gemeinde. Luthertum ist hier „Traditionskirche“. Am Anfang bei der Einwanderung war ein völliger Neuaufbau nötig. Die ersten Gottesdienste fanden in einem Wohnzimmer statt. Dann wurde hier eine Kirche gebaut. Nach 80 Jahren wurde dann die jet­zige Kirche gebaut. Und bald drumm herum ein kirchliches Zentrum: Schule, Pfarrhaus, Krankenhaus. Alles liegt auf einem kleines Hügel; es ist der höchste Punkt von Odessa.

In sowjetischer Zeit wurde die Kirche zur Bibliothek. 1976 brannte die Kirche aus.

Dieses Haus hier ist das ehemalige Pastorenhaus. Es wurde 2003 wieder eingeweiht, nachdem die 50 hier wohnenden Menschen anderswo untergebracht worden waren. Hier sind die Got­tesdienste, das Büro, das Pfarramt und die Kirchenleitung.

Die Einführung der Frauenordination gäbe eine neue Kirchenspaltung.

Zur Zeit wird die Kirche renoviert und umgebaut: der Kirchenraum wird viel kleiner. Abgetrennt wird ein „Deutsches Zentrum“: das „Bayrische Haus“ - Stiftung von Land und Kirche Bayern zieht hier ein. Auch die GTZ. Auch der Treffpunkt der deutschen Minderheit wird integriert. Auch werden wir Räume vermieten. Einweihung hoffentlich Ende 2009.
Ein bayrischer OKR in Ruhe ist der Beauftragter für den Wiederaufbau.

Meine Hauptaufgabe ist es, den Aufbau der kleinen Gemeinden zu unterstützen. Wir wollen oft die früher beschlagnahmten und enteigneten großen alten Kirchengebäude nicht zurück bekommen, weil dann die Denkmalschutzauflage zu groß wären. Mein Schwerpunkt ist die Einrichtung von „Hauskirchen“. „Predigen und Betteln“ sind meine wichtigsten Beschäfti­gungen.

Die alten Deutschen in den Gemeinden machen es jungen russisch-sprachigen Menschen schwer, in der Gemeinde heimisch zu werden. Jugendarbeit geschieht vor allem als Jugendla­ger. Jugendgruppen gibt es wenige.

Fragen

Das Wort „deutsch“ im Kirchennamen: Es ist nicht nur eine Frage der Tradition, sondern
es geht um die Rechtsnachfolge der Deutschen Evangelischen Russischen Kirche. Das ist nö­tig, um Kirchen, Gemeindehäuser und Pfarrhäuser zurückzubekommen.

In der Gemeindearbeit muss es eine Offenheit geben. Diese Offenheit ist unser „missionari­sches“ Element.

Die viele Hilfe aus Deutschland für die Deutschen fördert Neid und Misstrauen gegen Deut­sche heute.

Deutsche Sprache wird in den Gemeinden nur verwandt, wo deutsche Pfarrer tätig sind und wo ein Gemeindekem verlangt, das einige Elemente der Liturgie deutsch bleiben. Ähnlich geht es der katholischen Kirche mit der polnischen Sprache. - Wir müssen Offenheit lernen. In der Ukraine gibt es in unserer Kirche nur gemeinsame Gottesdienste, nicht nach Sprache getrennte.

Deutschland und Deutsche sind in der Ukraine angesehen. Es gibt aber noch verstecktes Mistrauen. Vor allem aber Bewunderung für deutschen Fleiß und die Hoffnung, dass man wirt­schaftlich von Deutschen etwas gewinnen kann.

Antisemitismus gibt es bei Russen, bei Ukrainern wohl nicht so sehr.

Verhältnis zu orthodoxen Kirchen: Hier sind es von den verschiedenen orthodoxen Kirchen vor allem die Vertreter des Moskauer Patriarchats, die ihre Macht stark betonen. Bei meiner Einführung waren alle orth. Kirchen vertreten und sprachen ein Grußwort. Zu einigen Prie­stern haben wir gute persönliche Kontakte.

Sitz der Kirchenleitung ist Odessa nur aus Tradition, sachlich müsste die Kirchenleitung in Kiew sein. Die Mehrheit hier in Odessa spricht Russisch. Die Amtssprache ist allerdings Ukrainisch. Im Gottesdienst gebrauchen wir Russisch.

Ich höre dieses Jahr auf. Die Stelle ist nun für fünf Jahre ausgeschrieben - und nicht mehr für einen Pfarrer im Ruhestand, sondern für einen im aktiven Dienst.

An Pfarrern sind heute hier 6 bayrische Pfarrer tätig, davon zwei im Ruhestand (bis 70 Jah­re). Dann 2 deutsch-russische Pfarrer. Dazu fünf ukrainische Pfarrer, die teils Schnellkurse machten oder das Seminar der ELKRAS in Novosaratowska bei St. Petersburg besuchten. - Wir haben genügend Interessenten für Nachwuchs. Einer war für ein Jahr in Unterweisach. Aber er musste die Ausbildung dort abbrechen, weil er zu wenig deutsch kann. - Die bayri­schen Pfarrer bekommen ein bayrisches Gehalt. Wir beiden Rentner bekommen kein Gehalt. Die Deutsch-Russen bekommen von der bayrischen Landeskirche ein Gehalt wie deutsche Gemeinschaftsprediger. Hier ausgebildete ukrainische Pfarrer bekommen 250 Euro im Monat - wie die Lehrer. Einige haben daher Zusatzberufe.

Die Gemeinde wächst kaum. - „Wir müssen aus dem Westen vor allem helfen, eine Rechts­ordnung und Verwaltungsordnung einzufuhren. Beispiel: In Jalta hat Mesner eine kleine Ge­meindegruppe abgespalten, sich als Kirche registrieren lassen und der offiziellen Gemeinde das Kirchengebäude durch Besetzung abgenommen. Das war möglich, weil die Gemeinde sich nicht hatte registrieren lassen. Der ehemalige Mesner fahrt nun nach Deutschland und sammelt dort Spenden, ebenso bei Touristen.“

Diakonie: Mit Hilfe der Johanniter werden Altenpflegerinnen ausgebildet. Der LWB hilft für Präventionsarbeit gegen Aids; das wird durchgeführt durch das Bayrische Haus in Verbin­dung mit uns. Da werden vor allem Kurse für Lehrer gemacht, die das an die Schüler weiter­geben.
In kleinen Gemeinden läuft die Diakonie vor allem als Nachbarschaftshilfe, wo wir für die nötigen Medikamente zahlen.
Viel fehlt bei Altenpflege. Es gibt kaum Altersheime; da träumen wir davon. Dann haben wir hier im Haus eine Diakoniestation, die vor allem Alte betreuen. Es gibt auch Hilfe aus Deutschland für die Betreuung ehemaliger Zwangsarbeiten

„Kirchenmusik ist ganz wichtig. Wir haben gute Chöre.“

Anhang 3
Gespräch mit Peter Richlow - Tschernotwitz, 18.5.08

Die literarische Landschaft Galiziens

Er ist Professor für fremdsprachliche Litertur an der Universität und gibt uns einen faszinie­renden Überblick über die literarische Landschaft der Bukowina.

Zum Raum: Wir sitzen im Georg Drozdowski-Saal hoch unter dem Dach des Deutschen Hauses. Hier war ursprünglich der Sitz der Männergesellschaft Schlaraffia Brutal, wo er auch Mitglied war. Er war deutschstämmig, wobei seine Mutter einen französischen und sein Vater einen polnischen Anteil mitbrachte. 1940 wurde „heim ins Reich“ geholt. Ende des Krieges war er noch Soldat in Zagreb. Nach dem Krieg ließ er sich in Klagenfurt/Kämten nieder, das ihm zur zweiten Heimat wurde. Die alte Heimat vergaß er nicht, wie besonders sein Essay „Zwischen zwei Herzogtümern“ deutlich macht. Mit seinem Buch „Damals in Czernowitz
und rundum“ verewigte er die Erinnerungen all derer, die die Stadt vor dem 2. Weltkrieg kannten. Er starb 1988. - Tschemowitz hat heute eine Partnerschaft mit Klagenfurt.

Die Bukowina war immer multi-ethnisch. Autochthon sind die Ruthenen (auch: Russinen, später: Ukrainer) und die Rumänen. Im Mittelalter kamen die Juden. Um 1800 kamen die Deutschen, die sich besonders in der Vorstadt Rosch niederließen. Dazu kamen Polen, Un­garn, Russische Altgläubige und Armenier. - Um 1900 bauten sich die fünf großen Nationen ein eigenes Haus.

Daher gab es auch Literatur in verschiedenen Sprachen. - sie begann mit rumänischen und ukrainischen kirchlichen Chroniken, Gedichten und Erzählungen.

Der erste wichtige ukrainische Schriftsteller war der Huzule Jurij Osyp Tedkovyc (1834-
88). Nach ihm ist heute die Universität benannt. Er gründete die erste ukrainische Zeitung. In seiner Jugend war er österreichischer Offizier und schrieb Gedichte auf deutsch, z.B. das
„Nachtlager bei Verona“. Dann schrieb er auch ukrainische Gedichte und Dramen, oft beide Sprachen parallel.

Eine wichtige ukrainische Schriftstellerin ist Olga Kobyljanska (1863-1942)
Sie stammte aus einer ukrainisch-polnisch-deutschen Familie, wo zu Hause alle drei Sprachen gesprochen wurden. Sie besuchte die deutsche Volksschule und zeigte früh literarisches Ta­lent. Sie publizierte in der „Gartenlaube“ und in „Westermanns Monatsheften“. Dann wollte sie sich als Ukrainerin zeigen und schrieb daher ukrainisch. Sie liebte Nietzsche, übernahm von ihm den Gedanken des „Übermenschen“ - übertrug dieses Bild aber auf die Frauen. Ihre Prosawerke drehen sich vor allem um starke Frauen. Sie gehört zu den Anfängerinnen des Feminismus in der Bukowina. Viele ihre Romane wurden auch dramatisiert.

Nun die wichtigen rumänischen Schriftsteller. - Da ist vor allem Mihai Eminescu (1850-89) zu nennen. Er war der Sohn eines kleinen rumänischen Gutsbesitzers. Er ging hier in Tschernowitz aufs Gymnasium. Als er 17 Jahre alt war, kam eine Wandertruppe in den Ort - er war fasziniert und besuchte jede Vorstellung. Er verließ das Gymnasium und zog mit der Gruppe weiter. Mit 16 oder 17 Jahren schrieb er sein erstes Gedicht.
Er war der „letzte Romantiker“ der Literatur. Er las gerne Schopenhauer.
Beispiel: das Gedicht „Ich kann weder an Jehova ... glauben ... Nichts kann mir meinen Zweifel rauben“. Er starb früh mit 39 in einer Irrenanstalt - wie so viele Romantiker.
Er zeigte den Menschen die Schönheit der rumänischen Sprache und gilt als der größte rumä­nische Autor.

Nun die jiddischen Autoren
Sie waren geprägt von der Haskala, der jüdischen Aufklärung, die zur Assimilierung führte. Das Jiddische ist eine Kombination von altem Deutsch, Slawische und Hebräisch.
Die assimilierten Juden wollten aufsteigen, das ging nur über die deutsche Sprache.

1908 fand in Czernowitz der „Weltkongress für jüdische Sprache“ statt. Es ging darum ,was als Jüdische Nationalsprache“ gelten kann: Hebräisch (das vertraten die Zionisten), Deutsch (das meinten die Assimilierten) oder Jiddisch. Das Ergebnis der vom Wiener Nathan Birn­baum organisierten Konferenz nach zwei Wochen Verhandlungen (die wegen eines internen Streites zunächst im Ukrainischen Haus beginnen musste): Legitimierung des Jiddischen als einer Nationalsprache des jüdischen Volkes neben dem Hebräischen. - Diese Entscheidung führte zu einem Aufblühen der jiddischen Literatur.

Elieser Steinbarg (1880-1932), Märchen- und Fabelautor
Beispiel: Fabel von „Spieß und Nadel“.
Er schrieb in Jiddisch. Einige seiner Werke wurden auch in andere Sprachen übersetzt. An seiner Beerdigungsfeier nahmen viel tausend Menschen teil, denn er war die „Stimme der armen Juden“ und war auch selber arm.

Itzig Manger (1901-69), jiddischer Balladendichter

Sein Vorbild im Dichten und Leben war der französische Vagabundendichter Vallon. Von Beruf war er Reporter. Vor 1939 reiste er nach England aus und dann weiter in die USA. Er starb in Israel.

Nun die deutschen Autoren
Die deutsche Kultur wirkte sich erst langsam durch ihre Institutionen aus: Gründung von Schule - Theater - Universität.

Karl Emil Franzos (1848 - 1904)
Sein Vater war Anhänger der Assimiieri8jung. Er sagte seinem Sohn: Du bist nach deiner Nationalität Deutscher, nur nach deiner Religion bist du mosaisch. Schon als Jurastudent in Wien schrieb er Artikel. Schreib viele Kulturskizzen, zunächst in Zeitungen und gab sie dann als Bücher heraus.
Beispiel: Beschreibung einer Reise von Wien nach Tschemowitz, wo er am Ende schreibt, dass die hohe Kultur in Tschemowitz nur durch den deutschen Einfluss kam.

Dann die Zwischenkriegs-Generation: Alfred Margul Sperber (1898-1967), Moses Rosen­kranz (1904-2001), Alfred Kirtner (1906-91), Rose Ausländer (geb. 1901).

Diese ging aus Angst vor Pogromen der Kosaken zunächst nach Westen, kamen dann aber nach dem 1. Weltkrieg wieder zurück. Sie beteiligten sich an den Experimenten des Expres­sionismus.
Aber dann wurde alles zwangsweise rumänisiert. Es blieb wenig Raum für die deutsche Spra­che, fast nur noch im privaten Pressewesen. Das war kein Klima mehr für sprachliche Expe­rimente. Sie besannen sich auf den klassischen Stil.
Beispiel: Sperber, Ethymologie

Zur nächsten Generation gehören Paul Celan (eigentlich Paul Antschel), Alfred Gong und Emanuel Weißglas (1920-79. - Sie alle konnten in Tschemowitz nichts mehr publizieren. Die „Eiserne Garde“ der Rumänen machten Jagd auf Juden. Über ein Drittel der Bevölkerung waren Juden. Das Ghetto wurde eingerichtet; von dort gingen Transporte in die Arbeitslager in Transnistrien. Von den 50.000 Deportierten kamen dort 45.000 um.

Gong und Weißglas mussten nach Transnistrien. Celans Eltern wurden dorthin deportiert und kamen dort um. Er selber kam in ein Arbeitsbatallion in Rumänien. Er schrieb dort Gedichte, auch Liebesgedichte in ein kleines Heft. 1970 nahm er sich in Paris das Leben.

Selma Meerbau-Eisinger (1924-42) wurde mit 18 Jahren umgebracht.

Lit:
Die Ukraine entdecken, S. 174-176 und 177
Europa erlesen: Czernowitz, Hrsg. Peter Rychlow, Wieser Verlag, 2004

Anhang 4
Oleh Turij, Kirchengeschichte der Ukraine - 20.5.2008 Lemberg

Oleh Turij ist Professor für Kirchengeschichte an der Katholischen Universität, die erst vor kurzem auf der Grundlage einer Katholischen Akademie gegründet wurde. Es ist die erste Katholische Universität im Bereich der früheren Sowjetunion.

Es gibt 1000 Studierende, darunter 600 Theologen. Es sind meistens Priesteramtskandidaten für die griech.-kath. Kirche, aber auch Laientheologen und Frauen. Dazu einige Katholiken und Orthodoxe.

Er leitet ein Forschungsprojekt über die kommunistische Verfolgung der Kirche, über Wider­stand und Anpassung.

Thema: Die religiöse Vielfalt der Ukraine

Ukraine ist ein Land in der Mitte Europas, oder besser gesagt: ein Land zwischen Ost und West. Aber das Wort „zwischen“ stimmt nicht, wir sind weder „Barriere“, noch sind wir ein
„Nichts“. Ich meine: Osten und Westen haben hier Jahrhunderte lang zusammen gelebt, teils friedlich, teils im Konflikt.
Die Begriffe „ost“ und „west“ sind aber Konstrukte, es sind keine eindeutigen Begriffe; sie müssen immer definiert werden. Je nachdem, wo man lebt, versteht man Unterschiedliches darunter.
Neben den Juden, die schon in ältesten Chroniken um 1000 als ansässig genannt werden, gibt es seit dem Ansturm der Mongolen auch Muslime, die hier „zu Hause“ sind.

Der erste Bischof, der hierher kam mit Absicht der Mission war Adalbert von Trier, später Bischof in Magdeburg in 960/961. Er hatte keinen Erfolg. Er schrieb nach Hause, dass es kei­ne Chance gäbe, dass die Leute hier Christen werden.

Erste Christen gab es hier schon in den ersten Jahrhunderten als Verbannte auf der Krim.

Neben der Orthodoxen gab es später immer auch kleine Gruppen von Katholiken in allen Städten, die das Magdeburger Recht hatten. Zur Zeiten der Kiever Rus gab es fast ausschließ­lich ein friedliches Zusammenleben. Nur die die Bischöfe und Metropoliten, die anfangs fast alle aus Griechenland hierher kamen, redeten manchmal schlecht über die Katholiken.

Es gab bei den Fürstenfamilien gelegentlich Mischehen. Beispiel: Dalinos Sohn heiratete eine ungarische Prinzessin. Sie brachte Franziskanermönche mit, die hier in Lemberg ein Kloster gründeten. Bald stand daneben auch ein Dominikanerkloster.

Dann kamen Teile des Landes unter litauische und polnische Herrschaft. Da spielte dann die Religion auch eine wichtige Rolle. Es ging z. B um die Frage, ob der Papst hier statt der orth. eine lateinische Hierarchie einführen wollte. Es kam statt dessen zu parallelen Hierarchien: einer lateinischen und einer ruthenisch (orthodoxen). Auch die Armenier gründeten eine eige­ ne Hierarchie. - In der neuen Stadt Lemberg war der erste Bischof ein Armenier (1364). Da­nach kam 1412 der lateinische Bischof aus Halic hierher. Erst 1539 kam auch der orth. Bischof von Halyc hierher. So hatte die Stadt drei Bischöfe in ihrer Mauer.

Dann kam die Reformation über einige deutschsprachige Bürger: erst Lutheraner, dann Calvi- nisten, dann auch radikale Strömungen wie die Unitarier und die Böhmischen Brüder. - Dann kamen die Jesuiten und Sigismund III. forderte die Gegenreformation, die die Reformation völlig auslöschte.

Es gab auch Spaltungen in der Orthodoxie. Die Kiewer Metropolie wurde nach Zerfall des Kiewer Rus-Reiches 1299 zunächst nach Wladimir und 1326 nach Moskau verlegt. 1589 er­hielt der Metropolit in Moskau den Titel eines Patriarchen. In Galizien wurde 1303 und in Litauischen-Ruthenischen Teil 1299 ein eigener Metropolit eingesetzt. Dabei blieb die Kiewer Kirche zunächst unter Byzanz, die neu eroberten Gebiete des russischen Reiches kamen unter die Moskauer Metropolie bzw. Patriarchat.

1596 kam es zur Union von Brest, weil ein Teil der ukrainischen und der weißrussischen or­thodoxen Bischöfe zur Union mit Rom bereit war. Das galt für den Bereich des polnisch­litauischen Staates.

Ebenso gab es eine Unierte Kirche im österreichisch verwalteten Teil des Landes. So ist die Unierte Kirche heute im Westen der Ukraine die größte Kirche. Die katholische Kirche war hier eine polnische Kirche, die griechisch-katholische Kirchen - wie die unierte Kirche dann in Österreich genannt wurde - entwickelte sich zu einer ukrainisch geprägten Nationalkirche.

Konflikte gab es über die Union, in Verbindung mit den politischen Fragen. Z.B. zwischen Polen und Ukrainer nach 1. Weltkrieg, die bis heute nicht vergessen sind.

Die jetzt hier lebenden Juden sind fast alle aus Russland gekommen. Sie haben kein Bewusst­sein über die Tradition und kaum Frömmigkeit.

Armenier wurden sowohl von Sowjets wie von Deutschen vernichtet. Alle Armenier, die
heute hier sind, kamen in der sowjetischen Zeit neu hierher.

Dazu kam später noch die „Autokephale Ukrainisch-orthodoxe Kirche“.

Im Protestantische Bereich gibt es sehr viele verschiedene Gruppierungen, vor allem auf Grund koreanischer und amerikanischer Mission. Es sind über 100 verschiedene registrierte Gemeinden. In Sowjetischer Zeit waren hier 16 Gruppen registriert.

Die Baptisten sind die größte Gruppe. Dann die Pfingstler. „Neuprotestanten“. Charismati­sche Abspaltungen. Jehovas Zeugen. Neu und aktiv sind die Mormonen.

Die Ukraine war immer liberal und immer fromm. Über die Hälfte der orthodoxen Gemein­den in der SU lagen in der Ukraine.

Fragen:
Wie ist das Verhältnis zwischen der katholischen und der griechisch-katholischen Kirche? — Die Teilnahme an der Kommunion ist für ihre Glieder in beiden Kirchen möglich. Es gibt
keine Probleme bei Taufe und Trauung. Die Liturgie kann jeweils nur in einem Ritus gefeiert werden, es gibt also keine „ökumenischen Gottesdienste“. Aber als Konzelebranten können Priester der anderen Kirche mitfeiem. „Wir sind keine Kirche unter dem Papst, sondern in Gemeinschaft mit dem Papst. Wir haben einen Großerzbischof, den wir gern auch als „Patri­arch“ hätten, aber das verweigert der Papst noch.“ Er hat auch den Titel eines Kardinals, dar­auf legt er aber keinen großen Wert. Beim Empfang in Rom trug er nicht das Kardinalrot.

Was können die Laientheologen beruflich werden? — Sie arbeiten vor allem im karitativen Bereich. Viele der Theologie-Studentinnen heiraten auch spätere Priester. Sie können auch in der Schule „Christliche Ethik“ im Rahmen des Faches „Ethik“ geben. Religionsunterricht gibt es an den Schulen nicht.

Wir sehen so viele Menschen in den Kirchen. Sind die Menschen wirklich so fromm? — Ja, sie sind so fromm. Der Kommunismus herrschte hier in der Westukraine nur kurz. Und die Kommunisten waren gegen die Religion eingestellt. So hat der Kommunismus gegen seinen Willen den Menschen die Religion lieb und wert gemacht.

Wie ist Verhältnis der Intellektuellen zu Kirche und Theologie? — Nach allen Umfragen ha­ben wir nie mehr als 3% Atheisten.

Die Politik ist in Ukraine „noch in der Pubertät“. Hilft die Kirche da zu demokratischem Stil und zum Aufbau einer Zivilgesellschaft? — Ja, z.B. lieferte sie nach Wende in der Zeit unter Kucmar den Kritikern einen Raum.

Allgemein zur Lage in der Ukraine: „Es ist besser, wenn die Politiker sich streiten als wenn die Leute auf der Straße sich streiten.“

PS
Lesetipp:

Marina Lewycka: Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch, 2006.

Der zunächst in England veröffentlichte Roman einer dort aufgewachsenen Dozentin aus ei­ner ukrainischen Familie erzählt in durchaus lustiger Weise das Drama eines Witwers, der sich im hohen Alter in eine wesentliche jüngere Ukrainerin verliebt, die es auf sein Geld und zwecks Einbürgerung auf die Ehe mit ihm angesehen hat. Die beiden Töchter versuchen diese Verbindung erst zu verhindern, später die Trennung zu erreichen. In all dem Beziehungswirrwar schreibt der ehemalige Ingenieur unverdrossen an seiner durchaus interessanten Ge­schichte des Traktors. Durch verschiedene Rückblenden erfahrt man anhand der ande­ren Familienmitglieder viel über die jüngste Geschichte der Ukraine, aber auch über die Schwierigkeiten für Migranten, im Westen heimisch zu werden.

Man darf annehmen, dass die Autorin nicht nur in den angegebenen Quellen, sondern auch aus ihrer eigenen Biografie geschöpft hat.

w.w.

2.PS: Man muss nicht weit verreisen, um ein russisches Kloster zu besuchen.

Russisches Kloster in der Uckermark
Anfang des Jahres 2008 haben die ersten von etwa 30 Mönchen ein Kloster in der Uckermark bezogen. Das Kloster, dem heiligen Georg geweiht, gehört zum Schloß Götschendorf, einem spätklassizistischen Bau mit 1300 Quadratmetern Fläche und einem vier Hektar großen Park am Kölpinsee. Zu DDR-Zeiten hatte es der SED des Bezirks Frankfurt/Oder als Tagungsstätte gedient.  Die  deutsche  Diözese  der  Russischen  Orthodoxen  Kirche  hatte  das  gesamte  Areal dem Bundesland Brandenburg für einen symbolischen Euro mit der Auflage abgekauft, es zu sanieren  (geschätzte  Kosten:  sieben  bis  acht  Millionen).  Die  Mönche  wohnen  im  Dienstbotengebäude.  Das  eigentliche  Schloß  soll  als  Tagungs-  und  ökumenische  Begegnungsstätte ausgebaut werden sowie ein Restaurant und eine Gärtnerei aufhehmen. Eine eigene Kirche ist im Bau. (G2W 3/08).

Wir möchten uns bei unseren Gruppenleiterinnen und Gruppenleitern sowie deren Teilnehmern ganz herzlich für die tollen und umfassenden Reiseberichte, Tagebücher, Gedichte und Gedanken zu den Reisen bedanken!