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Erfahrung von Wüste im Heiligen Land

Reminiszenz an eine Studienreise ins Heilige Land nach Israel, Jordanien und Palästina

Studienreise ins Heilige Land

Im Frühjahr 2014 ging die Geographische Gesellschaft zu Hannover auf eine ECC-Studienreise nach Jordanien, Israel und Palästina. Neben den zahlreichen Exkursionspunkten und Gesprächen zur Siedlungs- und Landnutzungsgeschichte und zur Geschichte der Religionen sowie zur aktuellen politischen Situation gab es auch manche Erfahrungen mit „Wüste“.

„Wüste“ als trockener, vegetationsloser und lebensfeindlicher Raum ist im Nahen Osten allgegenwärtig. Geographen sprechen auch von ariden Gebieten; über ein Fünftel der Erdoberfläche ist von Aridität geprägt. Hier übertrifft die mögliche Verdunstung von Wasser bei Weitem die sehr sporadisch, meist – im Nahen Osten - in den Wintermonaten fallenden Niederschläge. Nur in den Höhenlagen der Gebirge ist es feuchter; dort können sogar mediterrane Trockenwälder gedeihen. Die ökologischen Folgen sind vielfältig: Das Fehlen einer Pflanzendecke lässt umfangreiche Gesteinsverwitterung und Erosion durch die sehr gelegentlichen Sturzregenabflüsse und durch Wind zu, und am Ende der meist trockenen Wadis liegen Dünenfelder und Salztonebenen. Die bemerkenswerteste Anreicherung von Salz im Boden und Wasser findet sich im Toten Meer, das über 400 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Dort fallen weniger als fünfzig Liter Niederschlag pro Jahr, es kann allerdings dreißigmal so viel verdunsten. Das Tote Meer ist – wie der Name sagt – so gut wie ohne Leben: Fische im Jordan weichen vor dem extrem salzhaltigen Wasser zurück - wie schon das wundervolle, fast 1500 Jahre alte Mosaik mit einer Karte Palästinas in der Georgskirche im jordanischen Madaba, das wir betrachten konnten, zeigt.

Auf einer Jeeptour durch das Wadi Rum im südlichen Jordanien sind die skurrilsten Formen arider Landschaften zu erkunden: ausgedehnte Dünenfelder, Kiesebenen mit einzeln stehenden Schirmakazien, deren Wurzeln tiefes Grundwasser erreichen, vom Treibsand beschliffene Pilzfelsen und Felsmassive mit braunschwarzem Wüstenlack. Wenn die Sonne brennt und Staub in der Luft liegt, stärkt das Picknick im Schatten mit Hummus und frischem Fladenbrot, Oliven, Datteln und gebratenem Lammfleisch und viel Wasser und Tee. Unser Übernachtungslager erreichen wir noch rechtzeitig, um den phantastischen blutroten Sonnenuntergang erleben zu können. Danach ist es ganz schnell stockfinster, und der prachtvolle Sternenhimmel erstrahlt über der Wüste. Außerhalb des Camps herrscht unglaubliche Stille.

In der Arava-Senke und im israelischen Negev finden sich ebenfalls durch die Trockenheit von Vegetation entblößte, äußert farbige Gesteine. Da sind das Violett und Rostrot der berühmten Säulen Salomos und altägyptischen Kupferminen bei Timna und die Gelb-, Ocker- und Orangetöne des sog. „Kraters“ Maktesh Ramon, der gar kein Krater ist. Die Wüste ist nicht fahl, sie ist bunt! Und besonders bunt wird sie, wenn nach der Schneeschmelze in den Hochlagen des Golan in Nordisrael oder im westlichen Jordanien oder nach den Winterregen die wenigen Pflanzen, deren Überdauerungsorgane lange im Boden geschlummert haben und nun Wasser bekommen, „explodieren“ und die Wüste zum Leben erblüht. Wir haben es im Dana-Naturschutzgebiet im jordanischen Hochland erlebt, wo wir – inmitten mediterraner Blütenpracht stehend – fast zweitausend Meter hinab in die knochentrockende, wüstenhafte Arava-Senke schauen konnten.

Die Erfahrung, dass Wasser Leben bedeutet, wird in Wüstengebieten besonders deutlich, wenn man Oasen kennenlernt. Die Flussoase des Jordan im jordanischen Bethanien oberhalb des Toten Meeres mit seinen Tamarisken-reichen Überflutungsauen, wo Jesus getauft wurde, oder die von Grundwasser gespeisten Quelloasen von En Avdat oder En Gedi in Israel sind hervorragende Beispiele auf unserer Exkursion dafür. Hier konnten Menschen, die ansonsten wie seinerzeit Abraham, der Urvater der monotheistischen Religionen, als Nomaden dem Regen folgend von einem unsicheren Weidegebiet zum nächsten ziehen mussten, sesshaft werden und Siedlungen mit Landwirtschaft und Gartenbau begründen. In Jericho, der möglicherweise ältesten Siedlung der Menschheit, wird deren Geschichte seit Jahrzehnten von Archäologen ausgegraben. Und König Herodes wusste genau, weshalb er unterhalb seiner Bergfeste Massada große Zisternen zum Auffangen von selten Sturzregenfällen, in deren Tiefen wir schauen konnten, schlagen ließ.

„Wüste“ ist aber nicht nur mit ihren spezifischen naturgeographischen Extremen eine Herausforderung für den Menschen. Weniger wegen der harschen klimaökologischen Bedingungen und Veränderungen gingen Kulturen unter und hinterließen uns nur Ruinenstätten, zum Beispiel die der um die Zeitenwende die Region ökonomisch beherrschenden Nabatäer mit ihren Fernhandelswegen und besonderen Wasserbautechniken, Anpassungen an den ariden Raum, wie wir sie in Petra oder Avdat studieren konnten. Die meisten „Wüstungen“, also verlassene Siedlungsorte – heute häufig noch als „Tells“ unter dem Schutt des Verfalls liegende Leckerbissen für Archäologen – verloren ihre Existenz jedoch durch vom Menschen verursachte Katastrophen … Krieg, Zerstörung und Vertreibung.

„Wüste“ hat allerdings noch eine weitere Komponente für den Menschen, sowohl für den in ihr Lebenden als auch für den in sie Reisenden: Sie steht – spirituell – für Entbehrung und Konzentration auf das Wesentliche. Das Volk Israel wurde auf seinem vierzigjährigen Marsch durch die Wüste geprüft und zusammengeschweißt, und Moses, Jesus und übrigens auch Mohammed gingen vierzig Tage in die Wüste zum Fasten, um Grenzerfahrungen und daraus Kraft für das Leben zu gewinnen.

Nun müssen wir keine extremen Wüstenerlebnisse zur Selbstfindung haben, können uns aber auch durch wenige Tage des Aufenthaltes, Wanderns und Innehaltens in der Wüste der Fragilität des Lebens bewusst werden. Der Blick für die Herausforderungen der Zukunft in der Region werden geschärft: In der Wüste, deren Trockenheit das Leben bedroht, muss der Mensch die kostbare lebensspendende Ressource Wasser sparsam nutzen … und teilen, damit alle überleben können!

J. F. Venzke
Professor für Physische Geographie an der Universität Bremen

Wir möchten uns bei unseren Gruppenleiterinnen und Gruppenleitern sowie deren Teilnehmern ganz herzlich für die tollen und umfassenden Reiseberichte, Tagebücher, Gedichte und Gedanken zu den Reisen bedanken!