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Studienreise nach Äthiopien und Djibouti

Zeitungsartikel der Braunschweiger Zeitung über die Deutsche Schule in Addis Abeba im Rahmen einer Gemeindereise nach Äthiopien - von Paul-Josef Rauhe

 

In der Schule greifen die Ärmsten der Armen einen Zipfel vom Glück

Braunschweiger Domprediger Joachim Hempel wirkte zu Beginn seiner pastoralen Laufbahn in Äthiopien. Er begann zusammen mit seiner Frau in einer Hütte Unterricht für die Ärmsten der Armen anzubieten, anfangs waren es gerade mal 25 aus den umliegenden Slums. Das war der Beginn einer Erfolgsgeschichte in vierzig Jahren wuchs die Deutsche Kirchenschule in Addis Abeba zu einem sozialen Vorzeige-Projekt in Afrika.

Die meisten Spenden für die Schule sammelte der Braunschweiger Dom. So schenkten die Schausteller des Weihnachtsmarkts dem Domprediger zum Abschied nicht nur einen Dauer-Trinkgutschein für Glühwein, sondern auch 30000 Euro für die Deutsche Schule, 4000 Euro kamen von dem berühmten anonymen Spender, der heimlich acht Scheine auf den Marienaltar gelegt hatte. Dies und weitere Braunschweiger Spenden überreichte Hempel im Februar der Deutschen Schule bei seinem Abschieds-Besuch in Äthiopien.

Die Schule ist aus! Aber die Schüler wollen nicht nach Hause gehen. Die Lehrer  müssen die Kinder regelrecht nach Hause treiben. Was ist das für eine Schule, in die alle Kinder so gerne gehen? Was ist das für eine Schule, den Kindern zur Heimat geworden ist? Die Deutsche Schule in Addis Abeba ist eine Oase in der lärmenden Millionenstadt, die chaotische ist und heiß, aber auch grün und lebendig. Arme, sehr Arme und Wohlhabende leben noch nebeneinander. Hochhäuser und Villen, mit Stacheldraht und Stromdrähten gesichert, daneben Hütten, nur einige von ihnen mit Satellitenschüsseln auf dem Dach.

Für die Wohlhabenden und Reichen gibt es in Äthiopien die teuren privaten Schulen; für die Armen gibt es zwar staatliche Bildung, aber nur die Hälfte der Kinder erreicht überhaupt das Ende der Grundschule, nicht einmal jedes dritte Kind lernt weiter.

Für die ganz Armen, für die Kinder aus den Hütten, ist die Deutsche Schule da vor 40 Jahren von der evangelischen Gemeinde gegründet. Wer sie besucht, mitten in Addis sieht 12000 Schüler in ihren blau-gelben Uniformen, sieht meist strahlende Augen, bekommt viele Hände zu drücken – und reibt sich die Augen: so begeisternd kann Schule sein – wenn Kinder wissen, dass sie nicht nur Frühstück bekommen und Milch an zwei Tagen die Woche, sondern dass sie hier ihre Zukunft greifen, dass sie sich aus den Slums befreien können und dass sie den ersten Zipfel von Zufriedenheit packen, wenn nicht vom Glück.

Vielen Eltern in den Slums ist der Bildungshunger ihrer Kinder unheimlich, manche Väter, die keine Arbeit haben, macht er sogar aggressiv. Zwei Drittel der erwachsenen Äthiopier können nach einem Bericht der Weltbank nicht lesen und schreiben, in den Viertenln der Armen dürften noch mehr sein.

Gleichwohl ist die Zahl der Bewerber ungleich höher als die Zahl der Schüler, die die Deutsch Schule aufnehmen kann. Nur der hat eine Chance, der so arm ist, dass seine Eltern das Schulgeld für die staatliche Schulen nicht bezahlen können; nur wer sechs oder sieben Jahre alt ist und in einem Umkreis von drei Kilometern wohnt, kommt auf die Bewerberliste.

Eine Kommission besucht die Eltern in den Slums – und mancher Deutsche, der in Äthiopien arbeitet, wird so zum ersten Mal mit der Armut konfrontiert in einem der ärmsten Länder der Welt – das war den halben Kontinent ernähren könnte, aber nicht einmal ein Drittel der eigenen Bevölkerung ausreichend versorgen kann.

Die Eltern bleiben ein Thema für die 24 Lehrer, den Sozialarbeitern und die Krankenschwestern an der Schule. Merdassa Kasaye ist einer der Lehrer, er unterrichtet auch Deutsch, das als eine der Fremdsprachen gewählt werden kann. „Die Kinder sprechen mit uns über die Probleme in ihren Familien. Oft müssen sie hungern, besonders wenn der Vater arbeitslos wird und das Geld nicht einmal für die Miete reicht.“ Vor allem die Mädchen leiden: Sie müssen zu Hause hart arbeiten und haben keine zeit, ihre Hausaufgaben zu erledigen – und sind trotzdem Opfer von Gewalt, die immer vom Vater ausgeht.

Der Vater gerät, wenn er die Arbeit verliert, oft in einen Teufelskreis. Er kaut die Blätter und Zweigspitzen, der Kath-Pflanze, einer relativ preiswerten Droge, die seit Jahrtausenden in Äthiopien bekannt ist, das Hungergefühl dämpft und ähnlich wirkt wie das Amphetamin in der Modedroge Speed. So besuchen die Lehrer jeden Freitag die Eltern der Schüler. „Wir schauen uns beispielsweise an, wie die Mädchen schlafen“ berichtet Merdassa Kassaye. „Manche schlafen auf dem Boden“ wir besorgen ihnen eine Matratze. Die meisten haben keinen Schreibtisch und machen ihre Hausaufgaben im Bett, wir besorgen ihnen einen Tisch“.

Die Lehrer helfen auch den Eltern. „Wenn sie ein stabiles Einkommen haben, werden die Kinder sofort besser in der Schule“. Die Schule verleiht zinslose Mikro-Kredite bis zu hundert Euro; das reicht, um ein kleines Geschäft zu eröffnen, eine Bäckerei oder eine Holz-Werkstatt. Die Schule hat auch eine Maschine für Holzarbeiten angeschafft; Ein Kriegsveteran, der ein Bein verloren hat, zeigt Eltern wie Schüler, wie sie einen Schrank oder einen Stuhl herstellen können.

Seit einigen Jahren nimmt die Deutsche Schule auch blinde und sehbehinderte Schüler auf, die gemeinsam mit den anderen Schülern lernen. Lehrer haben die Braille-Schrift der Blinde die Wörter ertasten können, extra für die Landessprache Amharisch entwickelt – die aus 276 Buchstaben besteht. Das gemeinsame Lernen „Inklusion“ genannt, gelingt ohne Schwierigkeiten, anders als beispielsweise in deutschen Ländern, wo Lehrer wie Eltern über Probleme klagen. In der Deutschen Schule von Addis bekommt ein blindes Kind einen Paten aus seiner Klasse, der ihm jederzeit hilft. „Freiwillige“ melden sich immer mehr Schüler, die als Paten benötigt werden, und meist sind es die Klassenbesten.

Der Erfolg der Schule ist unglaublich: Wenn die Schüler die ersten acht Klassen durchlaufen haben, wechseln fast alle zur weiterführenden staatlichen Schule oder auf eine Berufsschule; auch während dieser Zeit hilft ihnen die Schule. Anschließend besuchen viele die Universität – auch mit Erfolg. Einer der Absolventen, ein Blinder, hat Karriere als Staatsanwalt gemacht und ist Sprecher der Staatsanwälte in Äthiopien.

Die Absolventen schließen den Himmelskreis. Sie fördern die Schule, kaufen Bücher und Schulmaterialien und spenden Geld für Projekte wie den Kindergarten, Förderunterricht oder die Erweiterung der Schule. Viele Schulen wie die deutsche braucht das arme Land, das nach dem Ende eines kommunistischen Schreckens-Regimes den chinesischen Weg geht: Staats-Kapitalismus mit einem hauch von Demokratie.

Als Bundespräsident Gauck vor einem Jahr Äthiopien, das Sitz der Afrikanischen Union ist, besuchte, sprach er die Verletzung der Menschenrechte an und den Mangel an Freiheit. Der Ministerpräsident hörte sich in Addis den deutschen Demokratie-Lehrer freundlich an und sagte nur: „Wir haben hier eine andere Vorstellung von Politik“.

Aber an einem wird Äthiopien nicht vorbeikommen: Nur Bildung gibt den Menschen und dem Land Hoffnung auf eine gute Zukunft, auf Wohlstand und Freiheit.

 

Wir möchten uns bei unseren Gruppenleiterinnen und Gruppenleitern sowie deren Teilnehmern ganz herzlich für die tollen und umfassenden Reiseberichte, Tagebücher, Gedichte und Gedanken zu den Reisen bedanken!