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Studienreise nach Armenien – ein Land der Gegensätze

Gedanken und Reiserückblick auf eine Gemeindereise, Kulturreise nach Armenien

Armenien, Kloster Tatev

Armenien – ein Land der Gegensätze: Kalte Winter und heiße Sommer, schneebedeckte Berge und blühende Wiesen, grandiose Gebirgslandschaften und bedeutende Kulturdenkmäler, gewaltige Hagelgewitter und tropische Hitze, verrottete Sowjetindustrie und aufblühende Klosterzentren. Ein Land zwischen dem großen Ararat und dem kleinen Kaukasus, 90% des Landes über 1000 m hoch, 40% über 2000 m gelegen. Dazu schöne Menschen immer wieder, die Männer, hochgewachsen mit Adlernasen und Frauen mit leuchtenden Augen und schlanken Figuren.

Mag Armenien auch eingezwängt sein zwischen der Türkei und Ascherbaidschan – da sind die Grenzen noch zu – und zwischen Georgien und dem Iran – da sind die Grenzen offen, – es bemüht sich, das Land aufzubauen und zu entwickeln, auch wenn das momentan nach der Befreiung von der Sowjetherrschaft und dem Krieg um Berg-Karabach mit Ascherbaidschan nur langsam vorangeht. Die vielen Auslandsarmenier, die Zweidrittel der Bevölkerung stellen, helfen dabei so gut sie können.

Aber es ist ein christliches Land, das von seinen Nachbarn oft angefeindet, überfallen und verfolgt wurde, von Medern und Persern, Römern und Parthern, Sassaniden und Scheldschuken und schließlich von den Osmanen bis hin zur Vertreibung und zum Genozid 1915, den die Jungtürken und Atatürk ihnen antaten, und dabei 1,5 Millionen Armenier umbrachten. Auch die Bolschewiken überfielen ab 1920 das christliche Land, versperrten oder zerstörten die meisten Klöster und Kirchen, nur vier Klöster und zwei Priesterseminare wurden übrig gelassen.

Doch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion blüht diese leidgeprüfte Kirche wieder auf, denn die Armenier sind dankbar und stolz auf ihre lange christliche Tradition. War doch der christliche Glaube oft der einzige Halt, der ihnen bei den vielen Fremdherrschaften im Laufe ihrer Geschichte geblieben war.

Leider besitzen wir keine zweite Apostelgeschichte, nämlich eine, die uns den Weg des Christentums nach dem Osten beschreibt und uns erzählen könnte, wie die Jesusbotschaft nach Armenien gelangt ist. Wir wissen nur, dass die Apostel Thaddäus und Bartholomäus nach Osten gezogen sind wie auch Thomas, welcher der Überlieferung nach bis nach Indien gekommen sein soll. Tatsache ist, dass es in Ostanatolien in der heutigen Türkei – damals zu Armenien gehörig – und im Nordiran - damals ebenfalls armenisches Gebiet - alte Thaddäus- und Bartholomäus-Klöster gibt. Die beiden Apostel haben die Botschaft Jesu zuerst nach Armenien gebracht und sicher dort christliche Spuren hinterlassen.

Dann aber kam Gregor genannt Lusaworitsch (der Erleuchter) nach Armenien und trat in den Dienst des Königs Tiridates /armenisch Trdat III. Als er begann, den christlichen Glauben zu verbreiten, ließ ihn der König in einen Kerker werfen, wo er dreizehn Jahre gefangen war. Agathangelos, der erste armenische Historiker, berichtet weiter, dass eines Tages der König lebensgefährlich erkrankte und ihm niemand helfen konnte. Da besann sich ein Diener auf den Gefangenen, dem Wunderheilungen nachgesagt wurden, und tatsächlich konnte Gregor den König heilen. Daraufhin nahm Tiridates III. das Christentum an, zog mit Gregor durch das Land, vertrieb die heidnischen Priester, zerstörte die alten Kultstätten und errichtete an ihrer Statt christliche Kirchen.

Offiziell wurde das Christentum bereits 301 zur Staatsreligion erklärt und Armenien zum ersten christlichen Land noch vor Rom, das erst 324 durch Kaiser Konstantin das Christentum zur bevorzugten Staatsreligion erklärte. 302 wurde Gregor der Erleuchter zum armenischen Bischof geweiht und 303 ließ er die Kathedrale von Etschmiadsin errichten – die erste Kirche mit einem quadratischen Grundriss in Form eines griechischen Kreuzes und einer Kuppel auf vier säulenartigen Stützen. Etschmiadsin ist heute noch mit einem späteren Neubau auf den Grundsteinen der ersten Kirche die Zentrale der Armenisch-Apostolischen Kirche, die mit dem Katholikos als Oberhaupt und höchsten Bischof eine autokephale (selbständige) Kirche ist.

Diese Kirche, von deren Existenz ich in meinem Theologie-Studium kaum etwas erfahren habe, hat einige Besonderheiten, die im Westen wenig bekannt sind. Sie gehört nicht zum Verbund der orthodoxen Kirchen wie die griechische, die georgische oder die russische, sondern ist eigenständig wie die äthiopische, koptische und syrische Kirche. Man hat sie im Westen und in der byzantinischen Orthodoxie als mono-physitische Kirche diffamiert, dass sie nur an die göttliche Natur Jesu glauben, aber die Armenier waren auf dem 1. ökumenischen Konzil 325 in Nizäa anwesend, haben auch das 2. Konzil von 380 in Konstantinopel und das 3. ökumenische Konzil von Ephesus 431 anerkannt, nur nicht mehr das sog. Chalcedon, das 4. ökumenische Konzil von 451, da waren sie gerade mit den Sassaniden in einen Krieg verwickelt, den sie siegreich beendeten. Sie erkennen die zwei Naturen Jesu an (wahrer Gott und wahrer Mensch) wie es Athanasius in Nizäa ausgedrückt hat, sie anerkennen auch Maria als Gottesmutter (griechisch: „theodokos“ Gottesgebärerin), aber sie lehnen ein Auseinanderdividieren der göttlichen und der menschlichen Natur Jesu als uns Menschen nicht zustehend ab, wie es mit typisch griechischen, spitzfindigen Formeln in Chalcedon ausgedrückt wurde, sondern betonen die Einheit in Christus.

Im Kirchenbau haben sie die reine Architektur, immer wieder mit dem Kreuzkuppelgewölbe und dem typischen Schirmdach auf den Türmen, aber sie haben keine ausgemalten Innenräume und keine Bilder, höchstens ein kleines Altarbild. Man kann sie im Westen mit dem Orden der Zisterzienser vergleichen, die auch außer der Darstellung der Gottesmutter (Maria mit Jesuskind) keine bildlichen Darstellungen duldeten, nur die reine Architektur. Es fehlt auch die Ikonostase, diese Bilderwand, typisch für die orthodoxen Kirchen, sie haben nur einen erhöhten Altarraum und meist einen Vorhang, der bei der Wandlung im Abendmahl zugezogen wird. Der Priester steht frei da, er hat allerdings herrlich-prächtige, leuchtend bunte Gewänder an und während einer besonderen Liturgie wie in der äthiopischen Kirche eine Krone auf dem Haupt. (“Ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk...“ 1. Petr. 2,9)

Eine weitere Besonderheit sind die Kreuze, die sog. Chatsch´khare. Es gibt in ganz Armenien nur drei gegenständliche Kreuzesdarstellungen mit Christus, Maria und Johannes. Die meisten sind abstrakt dargestellt in feinen filigranen Mustern und Ranken, fast wie Geheimzeichen, den Ungläubigen verborgen in ihrer Bedeutung, als Schutz vor den Moslems oder als Rücksichtnahme auf deren Bilderverbot? Jedenfalls weiß jeder Armenier, was sie aussagen. Sie stellen für den Eingeweihten die ganze Wahrheit des Christentums dar. Oben ist Gott der Allmächtige symbolisiert in seinem unvergänglichem Himmel mit Sonne und Mond an den Seiten, Schöpfer und Herr des ganzen Kosmos, unten ist meist die Welt als Kugel und ihr sterbliches Sein dargestellt mit Adam als Totenkopf unter dem Kreuz, aber wie gesagt ist das meist nur verschlüsselt angedeutet. Dazwischen also das Kreuz Jesu nicht als Todeszeichen, sondern als Triumph über den Tod, als lebendiger Baum, der neu ausschlägt, Zeichen des neuen Lebens und der ewigen Verbindung in Christus von Himmel und Erde. Das Kreuz wird nicht in erster Linie als Leidenssymbol gesehen, sondern als lebendiges Siegeszeichen des göttlichen Christus über alle Mächte der Finsternis und des Todes. Es ist typisch für die armenischen Kirche, dass das Johannes-Evangelium als Hauptbuch des Neuen Testamentes gilt und nicht das Evangelium nach Matthäus wie in der römisch-katholischen Kirche. Im Johannes-Evangelium nennt Jesus seine Kreuzigung „Erhöhung“, etwa in dem Satz: „Wenn ich erhöht werde von der Erde, will ich sie alle zu mir ziehen!“ (Joh. 12,32) Für den Armenier ist in seinem Chatsch´khar schon die ganze biblische Wahrheit enthalten und die Erklärung über den Sinn des irdischen Lebens dazu. Von daher hat diese Glaubenspraxis eine starke spirituelle Ausrichtung. Mehr braucht ein Armenier nicht. Deswegen haben z.B. die 1915ff nach Aleppo in Syrien geflüchteten Armenier ihre Kreuze mitgenommen und sie in der dortigen Kirche einmauern lassen.

Das Alte Testament spielt eine große Rolle in der Verkündigung, besonders die Urväter und die Propheten, aber bisweilen auch das ursprünglich zweite Gebot mit seinem Bilderverbot. Manche Tore und Kirchenportale, Kapitelle und Lukarne (Deckenlicht-Öffnungen) sind mit Stalaktiten und Filigranen geschmückt und scheinen vom Islam beeinflusst zu sein, bei mancher Klostertüre wird man an den Eingang einer Moschee erinnert.

Vielleicht sind die Armenier ähnlich wie die Juden dadurch zum abstrakten Denken erzogen worden. Sie gelten nicht gerade als geistig unterentwickelt und sind als berühmt-berüchtigte Händler bekannt.

Heutzutage zeigt sich Letzteres in dem schwunghaften Handel mit dem Iran. Auch eine Pipeline bringt vom Iran Öl ins Land, dazu fahren ständig Lastwagen zwischen beiden Ländern. Neben den Geschäftsleuten kommen viele junge Iraner meist über das Wochenende nach Armenien per Auto oder Flieger und lernen da die Freiheit der armenischen Lebensart kennen. Das wirkt sich auf die Dauer auch auf die Herrschaft der Mullahs im Iran aus, wie man bei der vorletzten Wahl dort sehen konnte. Die jungen Leute haben die Unterdrückung durch die Mullahs gründlich satt, wie ich schon bei meinen Iran-Reisen 2001 und 2006 feststellen konnte.

Was mir noch auffiel in der Begegnung mit der armenischen Kirche: Sie will nicht mit Angst oder Druck arbeiten wie es oft die r.k. Kirche im Laufe ihrer Geschichte getan hat und subtil z.T. bis heute noch tut, sondern sie lädt zum Glauben ein. Sie kennt nicht den Zwangszölibat wie die römische Kirche, sondern erlaubt den einfachen Priestern, wie die orthodoxe Kirchen auch, die Heirat, die dadurch mit dem Kirchenvolk mehr verbunden sind. Wer allerdings sich zu Höherem berufen weiß, der geht ins Kloster und legt die Mönchsgelübde ab, aber freiwillig, und kann dann in der Hierarchie aufsteigen (Kennzeichen die Spitzhaube!). Die armenische Liturgie hebt auch nicht ständig Maria als Jungfrau hervor, - woraus im Laufe der Kirchengeschichte öfters merkwürdige Kulte und manche sexuelle Verirrung entstanden sind - sondern betont das Mütterliche. Sie ist die Gottesmutter und das ist das Wichtigste an ihr. Alle Marienkirchen werden Mutter-Gottes-Kirchen (Surb Astavatsatsin = heilige Mutter Gottes) genannt. Sie wird deswegen auch nicht allein dargestellt, sondern immer mit ihrem Jesuskind wie bei den Orthodoxen.

Im den praktischen Alltagsfragen zeigt sich die armenische Kirche liberal. Als wir nach Pille- und Kondom-Verbot fragten, war die Antwort unserer versierten Reiseleiterin: Der Katholikos habe anderes zu tun als sich darum zu kümmern, das überlasse er den Frauen und Familien. Allerdings sei die Scheidung nicht üblich. Sie kann nur in schwierigsten Fällen z.B. bei geistiger Umnachtung der Frau erlaubt werden. Man kann aus dieser Kirche nicht austreten, auch wenn man mal mit dem Glauben nicht so viel anfangen kann. Man wird in diese Kirche hineingeboren und die Taufe gilt, lebenslänglich wie „an sich“ bei uns auch. Die armenische Kirche lebt von Spenden und besonderen Zuwendungen reicher Armenier.

Zusammengefasst habe ich ziemlichen Respekt vor dieser Kirche, die oft bedrängt, verfolgt und fast vernichtet wurde, auch wenn sie orientalische Riten und Bräuche hat, die mir als westlichem Christen fremd sind. Die vielen Märtyrer haben diese Kirche stark gemacht. Ihre Spiritualität und Glaubwürdigkeit hat das Volk der Armenier durch all diese dunklen Täler getragen. Wie bei den Polen war die Kirche oft der einzige Halt und in all dem Chaos ihrer Geschichte die einzige Hoffnung und der einzige Trost. Ich bin der festen Überzeugung, dass es auch in der Zukunft gut mit dieser Kirche weiter geht und dass wir hier im Westen manches von ihrem leidgeprüften, bewährten und doch toleranten Christentum lernen können.

Pfarrer G. Nörr, Grünwald

Wir möchten uns bei unseren Gruppenleiterinnen und Gruppenleitern sowie deren Teilnehmern ganz herzlich für die tollen und umfassenden Reiseberichte, Tagebücher, Gedichte und Gedanken zu den Reisen bedanken!