Reisebericht einer Kultur-Gruppenreise zu den Inseln der Minoer

Kultur-Gruppenreise und Gemeindereise nach Kreta und Santorin
1. -11. Mai 2000

2. Reisetag
Dienstag, 2. Mai

Nachdem die “Group Becks 2000" während der Übernachtung im Hotel Santa Marina in Heraklion sich von den kleinen Mühen der Anreise am Vortag nach Kreta erholt und mit einem kräftigen Frühstück von dem reichhaltigen Büffet gestärkt hatte, trafen wir vor dem Hotel

  • Karen Beijer, unsere ebenso charmante wie sachkundige und fürsorgliche Reiseführerin,
  • Giorgios, den umsichtigen und gewandten Fahrer, und
  • seinen etwas betagten, aber durchaus bequemen und meist gut gekühlten Reisebus.

Nach Vorstellung und Begrüßung fuhren wir im  chaotischen  Verkehrsgewühl  der  größten  Stadt  Kretas  (130.000 Einwohner  =  1/4  der  kretischen  Bevölkerung)  zur  Palastanlage  von Knossos. Auf das ausgedehnte Gelände - Größe von etwa vier Fußball­ feldern  -  strömten  mit  uns  Hunderte  weiterer  Touristen:  Deutsche, Holländer, Franzosen, Italiener, Asiaten u. e. a.; das griechische Staats­volk war durch das Aufsichts-personal vertreten.

Die  Palastanlage  von  Knossos  ist  ein  großartiges  Zeugnis  der  minoischen Kultur, der ältesten Hochkultur auf europäischem Boden, und die größte der bislang ausgegrabenen Anlagen.

Von Alters her rankten sich Mythen um das Volk der Minoer, ihrer Herrscher und Götter (König Minos, Labyrinth, Theseussage, Ariadnefaden), aber Baureste aus der Bronzezeit des 2. vorchristlichen Jahrtausends wurden erstmals mit den von dem englischen Archäologen  Arthur  Evans  am  23.  März  1900  begonnenen  Ausgrabungen  südöstlich  von Heraklion freigelegt. Eine frühe Besiedlung des Geländes konnte schon für die Jungsteinzeit (7000 - 3000 v. Chr.) nachgewiesen werden. Ein erster “Alter” Palast war um 2000 v. Chr. errichtet und ca. 300 Jahre später zerstört worden, wahrscheinlich durch eine Naturkatastrophe, und auf seinem Terrain wurde der “Neue” Palast erbaut, der möglicherweise im Zusammenhang mit dem Vulkanausbruch auf Santorin um 1450 v. Chr. der Zerstörung anheimfiel.

Das  heutige  Erscheinungsbild  von Knossos unterscheidet sich von den anderen   von   uns   besuchten   minoischen Zentren insbesondere durch die - in der Fachwelt umstrittenen - Rekonstruktionen von Evans, die jedoch dem Laien mit den Wiederaufbauten von Räumen und deren Ausschmückung mit Fresken mehr Anschaulichkeit als bloße Grundmau­ern vermitteln und die dazu willkommene Fotomotive abgeben.

Unter der Führung von Karen sahen wir viele Zeugnisse der hoch­ stehenden Zivilisation der Minoer - zahlreiche Bäder mit wahrschein­lich z. T. kultischer Funktion, ein ausgeklügeltes Abwassersystem, Einrichtungen für die Belüftung und Beleuchtung der Gebäude, Werkstätten der  Goldschmiede,  Steinmetze  oder  Töpfer,  Vorratsräume  und  große Vorratskrüge (mit um sie herum errichteten Gebäuden).

Die Mauern der bis zu drei Stockwerken hohen Gebäude wiesen durch Fachwerk Elastizität und damit eine gewisse Sicherheit bei Erdbeben auf. Nach den Funden war der Hauptpalast mit Stierhömem gekrönt, eine Art der Ausschmückung, die sich in Form der Zinnen von Burgen bis in das europäische Mittelalter erhalten hat.

Den Kem von Knossos bildete der über 100 qm große, gepflasterte und ungefähr  in  Nord-Süd-Richtung  verlaufende  Zentralplatz,  dessen  Längsachse  in  Richtung  auf den Berg Juchtas (“Ruhender Zeus”) zeigt. Weiterhin gab es heute noch erkennbare Prozessions­ straßen und eine gepflasterte Straße, die zum Hafen hinunterführte.

Die hauptsächliche touristische Attraktion in Knossos ist der sogenannte Thronsaal mit prachtvoller Ausschmückung, in dem ein aus Alabaster gefertigter und heute im Museum befindlicher Thron gefunden wurde. Vor dem Eingang zum Thronsaal allerdings hatte sich eine so lange Schlange gebildet, daß die meisten unserer Gruppe, die sich entgegen der Empfehlung von Karen nicht an den Wartenden vorbeimogeln wollten, auf eine Besichtigung verzichteten.

Unter einem übergroßen Andrang von Besuehern litt auch die anschließende Führung von Karen  durch  das  Archäologische  Museum  von  Heraklion.  Dort  sind neben den Funden aus Knossos und anderer minoischer Stätten unzäh­lige kulturelle Zeugnisse der gesamten kretischen Geschichte vom Neo­lithikum bis zur byzantinischen Epoche ausgestellt.

Zu den besonders bemerkenswerten Stücken zählen: die Stadtmosaiken, die Diskusscheibe aus Festos, bronzene Doppeläxte, der Stierkopf aus Speckstein,  die  drei  Schlangengöttinnen  oder  -priesterinnen  mit  rafiniertem Dekollete, die Gold-Bienen aus Mallia und Edelsteinschmuck, feinste  dünnwandige  Keramik,  Kupfertalente  zu  je  29  kg  aus Hagia Triada (Zahlungsmittel!), fein geschnittene Siegel mit Darstellungen von.

Gottheiten, Tieren und Menschen und am meisten beeindruckend die (weitgehend restaurierten) Fresken wie die Stierakrobaten oder die “Delphine. - Eine Sonderausstellung, für die leider kaum Zeit blieb, wid­mete sich den kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Kreta und Ägypten.

Nach einem individuellen Bummel durch die geschäftigen Straßen des Zentrums  von  Heraklion  beschloß  eine  Rundfahrt  durch  die  antike- hellenistische-römische-byzantinische-venezianische-türkische und  mo­derne Stadt unseren ersten Studienreisetag.

Franz Mackholt

 

 

3. Reisetag
Mittwoch, 3. Mai

Auf der Fahrt in Richtung Süden gab Karen zunächst allgemeine Informatio nen über Kreta. Neben den Städten Iraklion mit 72.000 und Rethymnon mit 32.000 Einwohnern haben die übrigen Städte auf Kreta eine Einwohnerzahl zwischen 8.000 und 15.000. In den vielen Dörfern wohnen im Schnitt zwischen 100 und 1.000 Personen.

Ehe der Tourismus kam, lebten die Kreter von der Landwirtschaft, die bis heute der wichtigste Wirtschaftszweig ist. Hauptfrüchte sind Oliven, Trauben und Gemüse, das vor allem an der Südküste - vielfach in Treibhäusern - angebaut wird. Wegen der hohen Erträge  und  des  starken  Exports auf  das  Festland  wird  Kreta  der “Garten  Griechenlands”  genannt, Neu  eingefuhrt  wurde  der  Sultaninenanbau,  der  aber  wegen  einer sich  stark  ausbreitenden  Rosinenkrankheit  vielfach  wieder  durch Olivenpflanzungen  ersetzt  wird, Größtes  von  vier  Hauptweinbaugebieten ist die Ebene von Knossos Es werden fast ausschließlich trokkene  Weine  gekeltert. Hauswein­ herstellung ist auf den Dörfern all­ gemein üblich. Trester wird zu Raki gebrannt. Protoraki dient zum Einreiben  gegen  alle  möglichen Erkältungs- und rheumatischen Erkrankungen.  Raki  wird  regelmäßig getrunken. Aber Karen legt Wert auf die Feststellung, daß die Kreter sich nur selten betrinken, weil sie zum Schnaps immer etwas essen. In den Bergen weiden fast eineinhalb Millionen Schafe und Ziegen (und machen meist alle Versuche zunichte, die kahlen Hänge  wieder  aufzuforsten). Der Absatz der landwirtschaftlichen Pro­dukte  erfolgt  meist  über  Genossenschaften.  Inzwischen  gibt  es  auch Probleme durch die EU-Mitgliedschaft. Das kann man z. B. sehen, wenn man in den städtischen Läden in Massen Sonnenblumen- und andere importierte Speise­öle sieht.

Während der Fahrt durch das Idagebirge wur­den wir nicht nur auf den “Schlafenden  Zeus” und einen Tafelberg  aufmerksam gemacht, auf dem früher ein Heiligtum stand. Wir fuhren auch durch das “längste Dorf” Kretas mit Namen Agia Varvara, das wegen seiner Lage auch der Nabel Kretas heißt. Es ist u. a. wegen seines Kirschen- und Weinkohlanbaus bekannt. Während der Fahrt über die Idaausläufer mit Blick auf die Messara-Ebene  (der größten  und fruchtbarsten  Tiefebene  Kretas)  beeindruckten die von niederländischen Investoren erbauten vielen Windkrafträder, die allerdings nach der Aussage Karens wirtschaftlich wenig bringen (wie zu ver­muten war).

Wir  fuhren  an  Agii  Deka  vorbei,  einem  Ort,  in dem die Bewohner des antiken Gortys nach dem
Arabereinfall  übersiedelten.  Der  Name  bedeutet “Zehn Heilige” und erinnert daran, daß 250 n.
Chr. in Gortys zehn Priester von den Römern enthauptet  worden  waren,  die  später  heiliggesprochen  wurden.  Bei  den  Ausgrabungen  von Gortys hielten wir Andacht. Pfarrer Becks verwies im Hinblick auf die Besichtigung der Tituskathedrale daraufhin, daß - im Unterschied zu den “echten” Paulusbriefen im Neuen Testament der Titusbrief wie die beiden anderen Pastoralbriefe nicht von Paulus selbst, sondern aus nach­apostolischer Zeit stammt. Interessant ist, daß dies schon früh anhand der Wortstatistik erkannt und durch die heutige begriffsgeschichtliche Ana­ lyse erhärtet wurde.

Anschließend wurde zunächst die Ruine der aus dem  Anfang  des  7.  Jahrhunderts  stammenden Titusbasilika besichtigt, die am Rand der antiken Stadt steht. Nach Gortys kam das Christentum
vermutlich  schon  im  1.  Jahrhundert.  Titus  ließ sich in der Stadt nieder (Legende?), die zu jener Zeit Sitz des römischen Präfekten der vereinigten Provinz Kreta und Kyrenaika war.

In Gortys wurde auch der älteste Gesetzeskodex Europas gefunden, der aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. stammt. Zwölf Steinblöcke sind in der Wand verbaut, die einmal die Sitze des kleinen römischen  Theaters  stützte.  Dank  dieser  “Verwendung”  durch  die  Römer  sind  sie  erhalten geblieben.  Inhalt  des  Kodex  sind  neben  staatsrechtlichen  vor  allem  ehe-  und  erbrechtliche Bestimmungen. Interessant waren auch die Reste der Stadt, bei der sich verschiedene u. a. ägyptische Einflüsse überlagern. Zu erkennen sind noch Agora und Straßen der seit dem 12. Jahrhundert unbewohnten Stadt. Hingewiesen wurden wir u. a. auf den Apollon-Pythius-Tempel, der mit vom Festland importierten Marmor gebaut worden war. Zu loben ist Karen wegen der häufig wiederholten Hinweise auf die Vorläufigkeit der archäologischen Deutungen, die immer wieder durch neue Ausgrabungen usw. ergänzt und bestätigt, aber ebenso gut auch revidiert werden können. Besonders zu erwähnen ist die berühmte Platane, unter der Zeus der Sage nach mit Europa drei Söhne gezeugt hat, darunter den Minos.

Bei der Weiterfahrt nach Phaistos gab es noch einige Informationen über die seit der Jungstein­ zeit ständig bewohnte Messara-Ebene. So sollen in Gortys die ältesten angeblich 800 Jahre alten Olivenbäume Kretas stehen. Nicht weit entfernt soll einer sogar 2.000 Jahre alt sein. Die kleinflüchtigen Olivensorten tragen alle zwei Jahre, wenn sie nicht bewässert werden. Die Früchte werden  heruntergeschlagen  und  zur  Ölgewinnung  verwendet.  Die  großfruchtigen  für  den Direkt verzehr werden allerdings gepflückt.

Agia  Triada  (Heilige  Dreifaltigkeit),  das  wir  wegen  des  befürchteten  Andrangs  in  Phaistos zuerst besuchten, ist nach einer Kirche aus byzantinischer Zeit benannt. Der minoische Name ist unbekannt. Über die Funktion dieser Siedlung unweit eines alten Hafens, der an der Bucht von Messara liegt und noch in römischer Zeit benutzt wurde, gibt es verschiedene Theorien. Nach einer handelt es sich um einen Sommerpalast aus minoischer Zeit, auf dem später ein weiterer Palast  gebaut  wurde.  Agia  Triada  lieferte  besonders  wertvolle  und  reichhaltige  Funde  aus minoischer Zeit.

Anschließend wurde Phaistos besucht, der Fund­ort  des  berühmten  Diskos  mit  der  noch  immer
nicht entzifferten Linear-A-Schrift. Angeblich von Minos gegründet, war der Palast etwa von
2000 bis 1400 v. Chr. von Minoem bewohnt. Der vermutlich dreietagige Bau ist 1844 entdeckt und
seit 1902 von Italienern ausgegraben worden. Er brachte zahlreiche Funde zutage. U. a. fiel ein
Metallschmelzofen sowie guterhaltene Alabaster­platten, die ein Lustralbad auskleideten, beson­
ders auf. Der auf die Kamares-Grotte ausgerichtete Palast, der einige von den üblichen Grundris­ sen minoischer Paläste abweichende Besonderheiten aufweist, beherrschte die Messara-Ebene. Unterhalb des Palastes finden sich die Ruinen einer dazugehörigen Siedlung, von der offensicht­ lich auch die Bediensteten, Handwerker u.s.w. kamen, die im Palast arbeiteten.

Auf der Fahrt gab es wieder einige Informationen zur wirtschaftlichen Entwicklung. Neu war, daß - durch landwirtschaftliche Schulen gefordert - im Süden  der  Insel  inzwischen  ein  erfolgreicher Avokado-  und  Kiwi-Anbau  eingefuhrt  wurde. Nach  kurzer  Fahrt  erreichten  wir  Matala.  Dort soll Zeus mit Europa an Land gegangen sein. In den 70er Jahren war es ein beliebter Hippiestand­ ort.  Die  (vielleicht)  schon  neolithischen  Wohn­höhlen wurden von Aussteigem aus ganz Europa bewohnt, bis der Bereich von den Behörden zur archäologischen Zone erklärt wurde.

Auf dem Rückweg wurde schließlich noch das Kloster Panagia Kalyviani besucht, das der Muttergottes geweiht ist und in dem heute Wai­sen Aufnahme und eine gute Ausbildung finden. Besichtigt wurde die typisch orthodoxe Klosterkirche, und der Andenkenladen machte offen­
sichtlich guten Umsatz. Zumindest sollte man das hoffen, weil sich das Kloster weitgehend von Spenden erhält.

Gerhard Drobig

4. Reisetag
Donnerstag, 4. Mai

Ein kühler Morgen. Es hat die Nacht über gestürmt und zeitweise geregnet. Das  Meer  ist  aufgewühlt  und  trägt  viele  Schaumkronen.  Was  werden  die Badegäste, die im Hotel zahlreich vertreten sind, wohl machen?

Wir fahren unverzagt wieder nach Osten. Die Oleandersträucher an der neuen Nationalstraße wachsen nicht etwa wild, sondern werden zur Zierde planmäßig angepflanzt. Sie sind dabei aufeublühen. Es geht an der Insel Dia vorbei, die aussieht wie ein im Wasser liegendes Krokodil. Bevor es aber Kreta verschlingen konnte, wurde ihm ein Zwieback (die kleine Insel Paximardi) vorgeworfen.

Nach  der  großen  Kreuzung  bei  Agios  Nikolaos fahren wir nach rechts in die Berge und direkt in den Sonnenschein. Wir be­sichtigen ein Juwel byzantinischer Kunst, die Kirche Panagia Kera, uns bereits be­kannt  vom  Andachtsheftchen.  Sie  enthält relativ gut erhaltene Wandmalereien aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. In der Kuppel ist nicht wie üblich Christus als Pantokrator dargestellt, sondern Szenen von besonderer Bedeutung der griechisch-orthodoxen Kir­che: Die Darstellung Marias im Tempel, die Taufe Jesu im Jordan, die Aufwerweckung des Lazarus und der Einzug Jesu am Palm­sonntag in Jerusalem. In den zum Kirchen­schiff überleitenden Zwickeln sind wie üb­lich die vier Evangelisten zu sehen. Die Darstellung der Höllenstrafen an der inneren Westwand ist besonders beeindruckend.

Dann besuchen wir das schöne und viel besuchte Weber- und Bergdorf Kritsä mit vielen Souve­nirgeschäften, Cafes und Tavernen in der Haupt­straße. Man rechnet offenbar nicht mit schlech­tem Wetter, denn es hängen viele Teppiche und Handarbeiten  vor  den  Geschäften  im  Freien. Von den 23 Kirchen des Dorfes sehen wir eini­ge, aber nur von außen.

Bei  der  Weiterfahrt,  die  uns  zurück  in  den  Verwaltungsbezirk  Iraklion  fuhrt,  scheint  unsere Reiseführerin schon zu ahnen, daß das Wetter heute nicht bei allem mitspielen wird: Sie gönnt uns eine Besichtigung von Agios Nikolaos vom Bus aus. Das Wetter ist dunstig und kühl, die Sonne  blieb  zurück  in  Kritsä.  In  der  Bucht  von  Mirabello  sehen  wir  in  der  Feme  die  Insel Spinalonga. Ihr nördlich vorgelagert ist die kleine Insel Kalidón. Sie war von 1913 bis 1957 der Veibannungsort für alle kretischen Leprakranken.

Wir  kommen  nach  Malia  und  besichtigen  die Grundmauern des minoischen Palastes mit der gleichen    architektonischen    Formenwelt    wie Knossos - also Vorratsräume, West- und Zentralhof, Prozessionswege, eine theaterähnliche Schautreppe,   Kultbäder   und   sog.   Kapellen.
Manchmal brauchen wir den Regenschirm. Bei der anschließenden Fahrt durch den immer mehr ausufemden Badeort Malia - man ist dabei, im Hinblick auf die im Bau befindliche Umgehungsstraße jetzt schon riesige Hotels am Berghang zu errichten - schenkt uns Karen, unsere Führerin, je eine “endemische“ Banane.

Dann fahren wir auf einer atemberaubend angelegten Bergstraße hinauf zur fruchtbarsten Hochebene Kretas, die Lasithi-Hochebene in 800 m Höhe im Dikti-Gebirge. Zunächst  haben  wir  noch  herrliche  Blicke  auf Malia und das stürmische Meer. Dann kommen wir  in  Dunst,  schließlich  in  Nebel,  in  dem  wir noch ahnen, daß da am Wegrand eine Mühle stehen soll. Die Sichtweite beträgt schließlich nur noch 10 m. Wir kehren in eine Gaststätte ein, aber auch nach einer längeren Pause tritt keine Besserung ein. Deshalb verzichten wir auch auf  eine Besichtigung  der  Tropfsteinhöhle  Dikteon  Andron,  in  der  der  Gottvater  Zeus  von Ziegen aufgezogen worden sein soll. Karen schenkt uns eine Ansichtskarte von der Lasithi-Hochebene und dann geht es den Berg wieder hinunter und zurück nach Traktion.

Was Wetterkundige ahnten, wurde Wahrheit: Die kältere Luft zeigte an, daß dem Sturmtief ein Hoch folgte. Außerdem soll es in Kreta im Mai durchschnittlich nur an zwei Tagen regnen. Diese hatten wir erlebt und es folgte in den nächsten Tagen herrlichstes Wetter.

Helmut Wolf

5. Reisetag
Freitag, 5. Mai

An diesem Tag fand die weite­ste  Busreise  statt:  von Iraklion bis  in  den  Osten  Kretas.  -  In
der Andacht zu den Herrnhuter Losungen wurde besonders auf die Gemeinschaft der Christen zur gegenseitigen Stärkung der einzelnen Personen hingewiesen. - Während  der  Fahrt  auf  der  Nationalstraße  75 konnten  wir  immer  wieder  herrliche  Ausblicke auf  die  Küstenlandschaft  genießen;  recht  stark brandeten die Wellen gegen Felsen und Strände.

Frau Karen erzählte uns mancherlei Interessantes über Oliven. Man nimmt an, daß die Oliven von den Phöniziern nach Kreta gebracht wurden; die Bäume gedeihen auch auf sehr kargem Boden, treiben tiefe Wurzeln und bilden hartes Holz. Ziegen und Schafe verschmähen die Blätter. Auf Kreta gibt es etwa 30.000.000 Ölbäume. Aus den Oliven, die von Oktober bis März geerntet werden, können 120.0001 Öl gewonnen werden. Vom siebten Jahr an tragen die Bäume Früchte; die von bewässerten Bäumen gewonnenen Oliven sind die besten. Unreife grüne Oliven werden - besonders in Mittelkreta - mit Stäben von den Bäumen heruntergeschlagen; die reifen schwarzen Oliven fallen von selbst herunter und werden in Netzen aufgefangen oder einzeln aufgelesen. Das beste Öl - Säurewert 0,1 - 1,0% - wird durch das erste Pressen erzeugt und ist recht teuer; die weiteren Pressungen ergeben mindere Qualitäten, solches Öl kann dann zur Seifenherstellung oder zu technischen Zwecken verwendet werden. Studien haben ergeben, daß kretisches Öl bester Art gegen mancherlei Erkrankungen hilft, z. B. Herz-Kreislauf-Beschwerden, Osteoporo­ se,  Diabetes.  Viele  Kreter  -  besonders  die  ältere  Generation  die  regelmäßig  Olivenöl  und Rotwein konsumieren, bleiben lange gesund und erreichen ein hohes Alter.

Längst  sind  wir  an  Mallia  vorbeigefahren  und  nähern  uns  der  wirklich  wunderschönen Mirabella-Bucht.  Von  fern  sehen wir  Neapolis  und nehmen  zur Kenntnis,  daß  hier um  1340 Pietro Filargo / Philaretos geboren wurde (?); 1409 wurde er vom Reformkonzil zu Pisa zum - anerkanten (!) Gegen- - Papst gewählt (Alexander V ), starb aber schon ein Jahr später.
Wie  in  fast  jedem  Ort  stehen  auch  in  Agios Nikolaos viele Häuser halbfertig an den We­ gen; sobald die betreffende Familie wieder et­ was  Geld  zur  Verfügung  hat,  wird  weiterge­ baut und so für das Alter vorgesorgt. Früher wurden viele Bauten illegal errichtet, jetzt ko­stet eine Baugenehmigung (um 120 m2 Wohn­fläche) rund 15.000 Drachmen. Ein besonders eindrucksvolles  Pilotprojekt  entstand  in  Archanes am Juchtas, (wo ein weiterer sehr gro­ßer minoischer Palast ausgegraben wird); leider konnten wir das schönste Dorf Kretas nicht besuchen.

Vom  Straßenrand  aus  blickten  wir  kurz  auf Gournia; selbst aus großer Entfernung war die
minoische  Stadtanlage  deutlich  zu  erkennen. Dieser  Ort  war  zwischen  3300  und  1100  v.
Chr. besiedelt - ein sehr frühes Beispiel euro­päischen  Städtebaus!  Der  Name  Gournia  (=
Krüge) weist daraufhin, daß hier viele Gefäße gefunden wurden, die von Hirten als Tröge für
ihre Tiere genutzt wurden.

Auch auf den Inseln Psira und Mochlos, die wir im blauen Meer liegen sehen, wurden Überreste minoischer Siedlungen gefunden.

Endlich gelangten wir nach Sitia, einer sehr malerisch gelegenen Kleinstadt, dort gab es eine Pause zum Photographieren des Hafens, der dichtgedrängten weißen Häuser und der trutzigen venezianischen Festung Kasarma (= Waffenhaus) aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts.

Der Ostzipfel Kretas birgt etliche Besonderhei­ten:  Anbau  eines  guten  Weines,  Rosinen-Produktion, viele kleine Ikonostasien (mit “persön­lichen Heiligen” und Öllämpchen), Mispeln, Feigen, Kakteen, Ginster und Oleander, Windräder in  großer  Anzahl,  Dörfer  in  afrikanischem  Stil bei  Pale  Kastro,  auffallend  rote  Erde  (Bauxit) und tiefe Schluchten. Endlich erreichten wir Zakros und durchwanderten das “Tal des Todes”, so wohl benannt nach den minoischen Begräb­
nisstätten in den Felsenhöhlen. Nun konnte Ka­to Zakros besichtigt werden: ein minoischer
Palast mit der Hafenstadt, von wo aus Handel mit dem Orient und Ägypten betrieben wurde. Bemerkenswert  sind  der  rechteckige  Mittelhof,  die  Megara  des  Königs  und  der  Königin,  der Säulensaal, die Schatzkammer, ein Heiligtum, Werkstätten,Wasserbecken, Küche, Speisesaal, Kultbad, Hafenstraße, Metallschmelze.

Die nächste Station war Vai an der Nordostspitze der Insel, wo sich an der schönen Sandbucht der einzige Palmenhain Kretas befindet. Der Überlieferung nach haben Sarazenen im 9. Jahr­hundert n. Chr. Dattelkerne nach dem Essen zurückgelassen, aus denen dann die Palmen wuch­ sen. Oder sollten gar Westafrikaner die Überbringer gewesen sein?

Kurz war schließlich noch der Besuch des ab gelegenen  Klosters  Toplou  (türkisch  “Kano­ne”). Der Bau wurde wahrscheinlich schon um 1340 errichtet, mehrmals zerstört, u. a. durch ein schweres Erdbeben 1612. Jetzt leben nur noch  drei  Mönche  hier.  Durch  ein  schönes Rundbogentor  kommt  man  in  einen  Vorhof, danach in den malerisch-schönen Innenhof, der von dreistöckigen Gebäuden umgeben ist. Alte Inschriften - u. a. ein Vertrag zwischen zwei Städten aus vorchristlicher Zeit - sind erkennbar, und in der zweischiffigen Kirche wurden Fresken aus dem 14. Jahrhundert freigelegt. Besonders berühmt ist die Ikone des Johannes Komaros (um 1770), die in Miniaturmalerei zahlreiche Szenen aus der Bibel darstellt. Im  Museum  befindet  sich  eine  reichhaltige  Ikonensammlung.  Weiterhin  werden  Erinnerungs­ stücke aus der Zeit der Befreiungskämpfe gegen Türken und Deutsche gezeigt. Während des 2. Weltkrieges beherbergte das Kloster eine alliierte Funkstation.

Die Rückfahrt nach Iraklion (etwa 150 km) dauerte recht lange. Der Speisesaal des Hotels war jedoch  um  21.00  Uhr  noch  geöffiiet,  so  daß  wir  das  Abendessen  wie  gewohnt  einnehmen konnten.

Wolfgang Knörrlich

6. Reisetag
Samsstag, 6. Mai

Der Morgen war noch kühl, als wir gegen 9.00 Uhr von unserem Hotel Santa Marina  in  Iraklion  aufbrachen  Doch  die  Sonne  lugte  bereits  zwischen  den Resten der nächtlichen Schauerbewölkung hervor und versprach einen freund­ lich hellen Tag.

Zunächst führen wir auf der Nationalstraße in nordwestlicher Richtung, die wir jedoch schon bald wieder verließen, um in ein liebliches Seitental einzubiegen. Inmitten von Zitrusplantagen gelegen, erreichten wir schon bald den kleinen Ort Fódele, der für sich in Anspruch nimmt, der Ge­ burtsort des bekannten Malers EL Greco zu sein. Gerne hätten wir die schöne  byzantinische  Kuppelkirche  mit  ihren  wertvollen  Fresken  von innen besichtigt, doch sie war leider geschlossen. Dafür aber war ein kleines El Greco-Museum zu besichtigen. Hier wurden Kopien wichti­ ger Gemälde des Meisters so präsentiert, daß die Farben eine besondere Leuchtkraft entfalteten und somit den Bildern starke Ausdruckskraft verliehen.

Was  liegt  näher,  als inmitten  einer  solch schönen Natur eine An­dacht zu halten und ein frohes Lied in den noch jungen Tag zu singen?

Weiter ging die Fahrt zu dem  in  500  m  Höhe gelegenen  Arkadi  Kloster, das im 5.Jht. unter Kaiser  Arkadius,  der dem  Kloster  auch  seinen Namen gab, erbaut wurde.  Die  heutige zweischiffige  Klosterkirche mit ihrer reich verzierten venezianischen Fassade stammt aus dem Ende des 16. Jahrhunderts.

Im  Freiheitskampf  der  Griechen  gegen  die  Türkenherrschaft  1866-69 erlangte  das  Kloster  eine  herausragende  Bedeutung.  Zu  Beginn  des Aufstandes hatten 700 Frauen und Kinder in dem Kloster Zuflucht ge­ sucht, außerdem befanden sich im Kloster 287 bewaffnete Männer, die versuchten, das Kloster zu verteidigen. Die türkische Übermacht aber war zu groß, so wurde das Kloster gestürmt. Die Türken metzelten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. 36
junge Kämpfer, denen die Munition ausgegangen war, hatten im Refektorium Schutz gesucht.
Die Türken brachen jedoch die Türe auf und machten auch sie nieder. Als die noch Lebenden
merkten, daß alles verloren war, sprengten sie sich in einem Gewölbekeller, in dem das Arsenal
untergebracht war, selbst in die Luft, um nicht lebend in die Hände der Türken zu fallen. - Lag es an dem Gehörten oder an der mittagshitze, daß  wir  etwas  beklommen  waren,  als  wir  das Kloster verließen?

Unser Ziel war nun Rethimnon, die driftgrößte Stadt  Kretas.  Sie liegt  an der Nordküste  zwi­ schen Iraklion und Chania. Wir machten einen Stadtrundgang und genossen das liebliche, leicht orientalische Flair dieses Ortes, der schon in der Antike bewohnt war. Seine Prägung aber bekam die  Stadt  durch  Venezianer, die diese Stadt zur Hauptstadt einer  der  vier  Verwaltungsbezirke  Kretas  machten.  Die Festung  Fortezza  auf  einem nahen Hügel und die Hafenanlage gehören zu den heraus­ ragenden,  noch  heute  sichtbaren Bauwerken aus venezianischer Zeit. Auch in der Altstadt  sind  noch  sehr  schöne Baustrukturen  aus  jener  Zeit zu  bewundern  wie  den Rimondi-Brunnen.  An  die Türkenzeit  erinneren  einige Moscheen, die jedoch alle nicht mehr in Betrieb sind.

Die Freizeit am Ende des Stadtrundgangs nutzten einige zu Museumsbesuchen, z. B. im Archäologischen Museum oder auch im Schiffahrtsmuseum. Andere genossen ganz einfach in einer Hafentaveme bei einem Kaffee oder Eis die besondere Atmosphäre dieser bezaubernden Stadt. - Der Tag neigte sich und so verließen wir Rethimnon und fuhren nach Chania, wo wir unser neues Quartier bezogen.

Horst Thiedecke

7. Reisetag
Sonntag, 7. Mai

Bei strahlendem Sonnenschein starteten wir um 9.00 Uhr wohlausgeruht - die angekündigte  abendlich/nächtliche  Hochzeitsfeier  im  Hotel  „Santa  Marina“ störte uns kaum - zu unserem Rundgang durch die zweitgrößte Stadt Kretas: Chania. Sie liegt umgeben von einer grünen, fruchtbaren Landschaft an der Nordwest-Küste Kretas. Wir genossen den Blick auf die hochalpin anmutenden Gipfel der Weißen Berge, die noch Schneekappen trugen und denen sanfte Hügel und landwirt­ schaftlich genutzte Ebenen vorgelagert sind, schon bei der Anreise am Vortag.

Chania zeigte sich ganz sonntäglich, ohne Hektik, geprägt von der Kultur ihrer Bewohner in Jahrhunderten, in denen sie ihren Namen, der arabischen Ursprungs ist, wechselte: In der Antike hieß sie Kydonia, die Venezianer nannten sie La Canea. Die venezianischen und türkischen
Häuser in den schmalen Gäßchen der Altstadt sind mit viel Sinn fürs Schöne und Geschmack renoviert worden, - man fühlt sich ein wenig wie in Venedig.

Der  sonntäglich  griechisch-orthodoxe  Gottesdienst  in  der  Hauptkirche der Stadt (Isodia tis Panagias) ging gerade dem Ende zu, lebhaftes Ein- und Ausgehen erlaubte uns, in das weite Gotteshaus hineinzuschauen und den Erklärungen unserer Reiseleiterin zu lauschen.
Unser Stadtgang führte vorbei an der Agios Nikolaos-Kirche, die heute ebenfalls ein griechischorthodoxes Gotteshaus ist. Sie wurde in venezia­ nischer Zeit als Dominikanerkirche erbaut und später in eine Moschee verwandelt. Aus jener Epoche stammt das Minarett, das die Kirche zu einem Kuriosum macht: Sie ist die einzige weit und breit, die sowohl einen Kirchturm als auch ein Minarett besitzt! Sogar eine Janitscharen- Moschee von 1645 gibt es noch. Und wenn es nicht Sonntag gewesen wäre, hätten wir noch „Kretas schönste Markhalle“, erbaut 1913 nach dem Vorbild der Hallen von Marseille, von innen besichtigen können. Der  Bummel  durch  die  Altstadtgassen  war  faszinierend:  Schmuck, Silberfiligran, nach alten Motiven gestaltete Webdecken und kunstvolle Schachbretter! In der Skridloff-Straße gibt es noch Schuhmacher, die sich auf die alte Kunst des Schaftstiefelmachens verstehen und gut verdienen, weil auch die jungen Kreter die kriegerische Tracht ihrer Vorväter an Festtagen tragen.

Das „Archäologische Museum“, das in einer renovierten Franziskaner­kirche im gotischen Stil aus venezianischer Zeit untergebracht ist, gehörte zum „Programm“. Auch das „Historische Museum“, in dem die Geschichte Kretas im Mittelpunkt steht, und das „Nautische  Museum“  in  der  Firkas-Bastion  im  Hafen,  das  Erinnerungs-stücke  an  die  See schlachten von Salamis (480 v. Chr.) bis zum 2. Weltkrieg zeigt, hatten Anzie­hungskraft.

Mein  eigene  (körperliche)  Kraft  reichte  jedoch nur bis zum Hafen, der von der Festung Firkas,
einem   venezianischen   Leuchtturm   und   einer schön   geschwungenen   Häuserfront   umrandet
wird und mit einer Menge von Tavernen und Ca­fes  einlädt.  Unvergeßlich  bleibt  mir  die  malerische,   erholsame   Atmosphäre   bei   Raki   und griechisch-türkischem Kaffee im bequemen Sessel.

Aber bald, am frühen Mittag, starteten wir (nun wieder alle beisammen) mit unserem Bus zu einem ganz anderen Ziel: zum Deutschen Soldatenfriedhof, etwa 20 km westlich Chania und ein Kilometer von dem Dorf Maleme an der Meeresküste entfernt.

Der Friedhof liegt auf einem sanft geneigten, unveränderten Hang und hat nur eine Terrasse zur Befestigung des Geländes. Über eine Zufahrtsstraße kurz hinter dem Dorf, durch Weinberge fahrend, erreichten wir den Friedhof. In einem offenen, überdachten Vorhof liegen die Namenbü­ cher der Gefallenen, an den Wänden hängen Bil­der und Texte, die an das Kriegsgeschehen auf Kreta im 2. Weltkrieg erinnern. Nachdem am 1. September 1939 die deutsche Wehrmacht in Po­len einmarschiert war und dadurch die Kriegser­ klärung von England und Frankreich ausgelöst hatte, entschloss sich Hitler, die Insel Kreta am 21. April 1941 zu erobern, um die Ägäis gegen briti­sche Aktionen im östlichen Mittelmeer zu sper­ren, die Angriffslinien für die Luftwaffe und die Marine gegen Nordafrika, Ägypten und Zypern zu verkürzen und die Flugplätze Maleme, Iraklion und Rethymnon zu verteidigen. In kürzester Zeit und  mit  geringsten  Mitteln  wurde  das  Unternehmen  in  die  Hände  der  Luftflotte  gelegt,  die Fliegerkorps  unter  den  Generälen  Student  und  des  Freiherm  von  Richthofen  erhielten  den Auftrag, mit Fallschirmjägern und Luftlande-truppen die Insel in Besitz zu nehmen und gegen etwaige Gegenangriffe zu halten, bis eine Ablösung durch Heeresteile erfolgen konnte.

Nach dieser Information führten uns die Plattenwege hinauf in die Höhe zu den ummauerten Gräberfeldern, die unter einem geschlossenen Teppich aus rot blühenden Mittagsblumen die Gefallenen  bergen.  Je  zwei  Grabsteine  zeigen  vier  Namen  und  Daten  der  4.465  deutschen Soldaten, die ihr Leben auf Kreta lassen mussten, außerdem sind inmitten der Gräberfelder auf Metalltafeln die Namen von 360 Gefallenen eingraviert, die nicht geborgen werden konnten. Ein 8 m hohes, weithin sichtbares schmiedeeisernes Hochkreuz erhebt sich über der Anhöhe. „Die Inbesitznahme der Höhe 107 oberhalb des Flugplatzes Maleme wurde nur durch den freiwilligen Rückzug  der  britischen  Verteidiger  möglich...  Weil  der  Kampf  um  diese  Höhe  und  um  den Flugplatz so viele Opfer gefordert hatte, ist dies auch der richtige Platz für diesen deutschen Soldatenfriedhof.“

Tief  beeindruckt  und  sehr  nachdenklich  bestiegen  wir  zur  Weiterfahrt unseren Bus, der uns nun über die Ebene Alikianou hinauf zur Omalos- Hochebene fuhr. Die rund 25 km beschauliche Fahrt durch das men­ schenleere Weideland für Ziegen und Schafe brachte uns über 1200 m hoch  bis  zum  Einstieg  in  die  Sa-Maria-Schlucht.  Dort  beginnt  an  der Hyloskala,  der  Holztreppe,  der  Abstieg  in  die  von  hoch  auftagenden Felsen umrahmte, an engster Stelle nur 3 m breite Schlucht. - Wir aber fanden hier oben die „geeignete Stelle“ unter Schatten spendenden Oli- venbäumen für unsere tägliche Besinnungsstunde mit dem Herrnhuter Losungen, an die sich unsere Gratulationswünsche zum Geburtstag von Frau Müller mit Lied und Kanon anschlossen. - Ein unvergeßlicher Tag ging zu Ende, Dank sei denen, die ihn geplant und geführt hatten: Herrn Pfarrer Becks und unserer hervorragenden Reiseleiterin!

Siglinde Herzog-Heltzel

8. Reisetag
Montag, 8. Mai

Vierzehn   Mutige   aus   unserer Gruppe  hatten  sich  entschlos­ sen, heute durch die 16 km lan­ge  Samaria-Schlucht,  eine  der wohl  grandiosesten  Schluchten Europas, zu wandern. Sie ist nur von Mai bis September begehbar. Es gibt mehrere Schluchten auf Kreta und manche werden ganz­ jährig von einem Bach durchflossen, andere nur z. Zt des Winterregens oder der Schneeschmelze.

Schon um 6.00 Uhr in der Früh, noch bei Dunkelheit, ging die Fahrt mit unserem Bus von Chania aus auf den Südrand der 1227 m hoch gelegenen Omalos-Hochebene. Sie liegt in den Weißen Bergen - Lefka Ori genannt - neben dem Ida- und Diktigebirge das drittgrößte. Kurz vor 7.00 Uhr zeichnete sich hinter den dunstigen Hügeln das Morgenlicht ab, und die Gegend wirkte noch sehr verschlafen. Doch kurz vor Ankunft ging strahlend die Sonne auf und wir Wanderer durften uns auf einen herrlichen Tag freuen.

Nach gut einer Stunde Fahrt kaum dem Bus entstiegen, empfing uns ein kalter, ja fast eisiger Wind. Schnell wurden sämtliche Knöpfe und Reißverschlüsse geschlossen, und wir warteten bibbernd auf das Abstiegssignal.

Ein stufenreicher, doch gut begehbarer Waldweg führte uns rasch in gut einer Stunde in die Schlucht hinunter. Schon jetzt nahmen uns die herr­lichen  Ausblicke  und  die  wilde Bergschönheit  gefangen.  Man  musste einfach fotografieren und nun war es allen auch gleich schon wieder wärmer. Das steilste Stück hatten wir nun gut überwunden und unseren ersten Rastplatz erreicht. Allmählich bekamen wir auch einen Eindruck von dem Schwierigkeitsgrad des Weges, war es doch überwiegend das Flußbett eines Sturzbaches mit großsteinigem oder großfelsigem Geröll, was begangen werden musste. Sicher eine Herausforderung für manche, denn z. T. war der Untergrund wackelig und es gab zu balancieren. Do erforderte der Wanderweg bis zum Ziel ständig unsere Aufmerksamkeit. Eine hilfreiche Hand wurde dabei manches Mal gerne angenommen. Links und rechts der Schlucht ragten fast bis zu 600 m hoch die schroffen und steilen Wände empor. An ihrer breitesten Stelle mißt die Schlucht ca. 300 m, an der engsten Stelle jedoch nur ca. 3,50 m. Doch diese wohl bekannteste Stelle war noch weit entfernt.

Neugierig  ging  es  weiter,  immer  begleitet  von  der  von  mir  besonders  geliebten  großartigen Bergwelt.  So  manch  interessante  Pflanze  entdeckte  ich  am  Wegesrand  und  empfand  tiefe Dankbarkeit.  Dankbar  darüber,  daß  ein  langgehegter  Wunsch  für  mich  Wirklichkeit  wurde, diesen Teil Kretas kennenlemen zu dürfen.

Einer der nächsten Rastplätze war Risa Sikias und dann wieder nach einer weiteren Stunde Agios Nikolaos mit dem kleinen Kirchlein. Dort entdeckte ich hinter einer der Quellen, die durch die ganze  Schlucht  hindurch  unseren Durst  stillten,  das  kleinblütige  Alpenveilchen  in  Weiß.  Daneben  in voller Blüte den Aronstab und eine Art Pfingstrose, die bereits verblüht war. Welch eine Pracht! Es wurden von einigen unserer Gruppe natürlieh viele, viele Bilder geschossen.

Bei zunehmender Temperatur stiefeiten wir weiter bis zum Rastplatz Samaria. Dort hatte man Maultiere stationiert,  die  eventuell  Hilfsbe dürftigen  zur  Verfügung  standen, den Weg aus der Schlucht auf dem Eselsrücken zu nehmen. Denn immer wieder gibt es wohl Leichtsinn und  Überschätzung  der  eigenen Kräfte. Ein zügiges Durchschreiten besonders der engen und steilen Stellen war wegen der Steinschlaggefahr geraten. Und wie einige von uns zu sehen und zu hören bekamen, nicht ohne Grund. Kurz hinter der Trinkpause sah man noch die Überreste des “Alten Dorfes”. Immer wieder beein­ druckend  diese  Naturgewalten  in  Form  von  Felsverschiebungen,  Auffaltungen  und  bizarren Baumriesen. Hier hatten wir gut die Hälfte des Weges zurückgelegt, so daß unsere Rast etwas länger ausfallen konnte.

Das  nächste  Ziel  galt  der  “Eisernen  Pforte”. Und immer bei den Pausenplätzen wurde aufein­
ander gewartet. Man erkundigte sich nach dem Befinden des Einzelnen. Für mich war es ein fast
“besinnliches” gemeinsames Erlebnis draußen in der Allmacht Gottes: Von einigen fast schwei­gend und von anderen wiederum munter erzäh­lend erwandert.

Immer spannender ging es der engsten Stelle entgegen. Auch immer mehr Wanderer schienen mittlerweile unterwegs. So war es gut empfohlen, recht früh gestartet zu sein. Genau an der Kaminstelle  trafen  wir  dann  auch  auf  die  anderen  Teilnehmer  der  “Becks-Gruppe”,  die  es vorgezogen hatten, vom Meer aus, also von dem Hafen- und Badeort Roumeli aus langsam in die Schlucht hinaufzuwandem. Auch diese Gruppe hielt gut zwei Stunden bei großer Wärme durch, da dieser Weg sich nun um die Mittagszeit schattenlos zeigte.

Alle  waren  wir  nun  bei  unserem  Sammelplatz  im  Restaurant  “Kri-Kri”  stolz  über  unsere Leistung und froh und glücklich, heil nach gut sechs Stunden angekommen zu sein. Der sahnige Joghurt mit Honig oder das Omelett, bzw. der griechische Kaffee schmeckten noch köstlicher als sonst. Endlich konnten sich auch unsere tapferen und müden Füße ausruhen. Auch unsere Guide Karen empfing uns strahlend und erleichtert, daß ein jeder den langen und hier und da auch schwierigen Weg ohne größere Blessuren überstanden hatte. Hatte sie doch nicht zuviel ver­ sprochen über diese atemberaubende Wandertour.

So gestärkt brachte uns und viele weitere Urlauber ein Schiff entlang der herrlichen Südküste nach Chora Sfakion, wo uns unser Bus aufnahm. Auf der Heimfahrt wurden wir noch auf die benachbarte “Imbros-Schlucht” aufmerksam gemacht. Es ging über Ammoedarios Petras nach Chania zurück, nicht jedoch ohne bei dieser Gelegenheit noch zwei Bergdörfer angefahren zu haben, um dort den inseltypischen Thymianhonig zu erwerben. Auch dabei war uns Karen sehr behilflich.

Bei deren Verabschiedung - leider unterwegs, weil dies für sie am Weg lag - wurde es trotzdem noch lustig, gab doch ein Mitreisender unserer Gruppe unserer Guide und uns noch nette “Interpretationen” über die Abkürzung “G R P” auf unserem Busschild zum Besten. Müde, doch sehr dankbar und bereichert an neuen Eindrücken kamen wir gegen 19.00 Uhr im Hotel an, wo wir von einigen unserer Gruppe, die sich tagsüber am Meer erholten, empfangen wurden.

Sicher wurde so mancher sich dieses wunderbaren geschenkten Tages bewußt und hat unterwegs stille Andacht für sich gehalten.

Ingrid Drüen

Der große Tag der Samaria-Schlucht! Hier scheiden sich die Geister, je nach physischer Leistungsfähigkeit: Sechzehn Leute wagen die “Long-Tour” brechen in  nächtlicher  Morgenstunde  auf,  um  frühzeitig  die  Omalos-Hochebene  zu erreichen, um den Einstieg vor dem großen Andrang der späteren Gruppen zu starten. - Sieben Leute bleiben im Hotel, um einen Strand- und Stadttag zu verbringen - Chania lockt und das Meer!

Sechs ziehen unter Karens Führung die “Lazy-Tour“ vor. Um 7 Uhr 3o Abfahrt vor dem Hotel Santa Marina in zwei Taxen nach Chania, zu einem Hotel, in dem die Gruppe wohnt, der wir uns anschließen sollen. Es liegt bei den Markthallen. So ist ein Blick auf den regen Fischmarkt möglich.

Wir Sieben schließen uns der Gruppe von Irina an (über 30 Leute) und steigen in einen komfortablen Bus (gut gefedert, mit Fußstützen, Netzen und  Abstelltablett  an  den  Sitzen!)  nicht  so  spartanisch,  wie  der  uns zugeteilte). So hatten wir unter der Führung von Irina und Karen eine
angenehme Fahrt. Wir verließen Chania in Richtung Rethimnon, bogen dann bei Vrisses nach Süden ab. In Vrisses kurzer Halt: Karen deponiert ihr Gepäck, es ist ihr letzter Tag mit unserer Gruppe. Weiter geht die Fahrt in Serpentinen durch die Hochebene Askifou, zwischendurch ein
Blick  auf  die  Weißen  Berge  /  Levki  Ori.  Irina  erklärt  die  Landschaft. Hier gibt es seltene Tiere, vor allem Vögel und natürlich die kretischen Wildziegen, die sich selten den Touristen zeigen.

In den Dörfern gibt es als lukullische Spezialität Ziegenmilchjoghurt mit Thymianhonig.  Aufenthalt  im  Gebirgsort  Askifou.  Auf  der  Weiterfahrt  kurzer  Fotostop,  um eine türkische Festung im Libyschen Meer auf den Film zu bannen. Irina erzählt von den Freiheits­ kämpfen gegen die Türken, die in dieser Gebirgsgegend geschlagen wurden, nachdem sie das Kloster Arkadi vorher erobert hatten. Aus dieser Zeit stammt auch die Legende vom Heiligen Nanulis, “der jüngste Heilige Kretas”, wie uns vermittelt wird. (Leider konnte ich nichts Genaue­ res über ihn erfahren, trotz verschiedener Kretabücher.)

Der nächste Paßübergang ist bei dem Dorf Imbros, hier ist der Einstieg zur Imbros-Schlucht (7 km lang Wanderung 2 1/2 Stunden). Abwärts fuhrt die Straße wieder in Serpentinen nach Chora
Sfakion.  Immer  wieder  grüßt  uns  goldener  Ginster  am  Straßenrand, manchmal  auch  rosa  Oleander.  In  Chora  Sfakion  besteigen  wir  das Schiff, das uns nach Agia Roumeli bringt (1 1/2 Stunden Fahrt). Karen führt  uns  zum  Restaurant  Krikri,  dem  Treffpunkt  unserer  Gruppe  am Nachmittag.

Bei  Agia  Roumeli  münden  die  Wildwasser  der  Samaria-Schlucht  ins Libysche Meer, ein weites, helles Flußbett mit Schottersteinen, mühsam zu gehen, ohne Schatten weithin, aber anfangs gesäumt von blühendem Oleander. Auch seltene Blumen sind zu finden, z. B. die ungenießbare “Schlangenwurz”, “Drachenwurz” nannte sie Karen. Es ist ein mühsames Unterfangen  in  der  heißen  Mittagssonne  der  Long-Tour-Gruppe  ent­ gegenzugeben. Vier von uns steuern trotz sengender Hitze das “Eiser­ ne Tor*‘ an, die engste Stelle der Schlucht. Zu zweit kehren wir nach 3/4 Stunde des Weges um, treffen auf Karen im Lokal “Krikri“, in dem wir uns unter schattigen Bäumen erholen, - wartend auf die Wanderer aus der Schlucht. Wer wird als erster kommen? Die Zeit zieht sich hin. Ca. 14  Uhr  30  treffen  die  ersten  ein,  an  der  Spitze  Frau  Knörrlich.  Die Schönheit der Schlucht wird gerühmt. Trotz aller Anstrengungen habe sich die Wanderung sehr gelohnt. Wir sind froh, daß alle gesund zurück sind, es “geschafft“ haben.

Gemeinsam geht die Fahrt zurück: Mit dem Schiff von Agia Roumeli nach Chora Sfakion, von dort zurück mit dem Bus nach Chania. Es ist schön, diese Fahrt noch einmal zu erleben, nun in umgekehrter Weise. Die Serpentinenstraßen durch die Berge, die Ausblicke, z.B. auf Fraggiokastello (1371 nach der Eroberung der Insel von den Venezianern errichtet).  Karen erklärt  diesmal die  Strecke,  für  die meisten  neu,  für uns eine  willkommene Wiederholung.  Bei  Askifou  halten  wir  kurz,  um  Thymian-Honig  einzukaufen.  In  Vrisses  ver­ abschieden wir Karin, die ihr Gepäck holt, mit einem Taxi zum Flugplatz fährt, um am nächsten Tag eine neue Gruppe zu übernehmen. Sie war uns eine gute, liebenswerte Führerin. Erfüllt von den Ereignissen eines reichen Tages treffen wir am Abend im Hotel in Santa Marina ein.

Elfriede Hamm

9. Reisetag
Dienstag, 9. Mai

Was erwartet uns nach einer Woche auf Kreta mit anfangs kalten, nun aber sommerlichen Temperaturen, und nach viel “Minoischem”?

Nun, wer immer gut zuhört und alles liest, wenn es ihm denn der Zimmernachbar zu lesen gibt, der weiß: Heute abend um 20.00 Uhr geht es mit der Fähre auf die Insel Santorin. Alle wissen: 12.00 Uhr Zimmerräumen, 14.30 Uhr Abfahrt mit dem Bus nach Heraklion, mit zu erwartendem Abendessen.

Dann taucht für die nächsten Stunden eine rothaarige Elisabeth aus der Schweiz auf, um uns zu begleiten. Wir dürfen gerade noch unsere Andacht halten mit Lied und Losung, bevor ihr uns ausgesprochen wohltuen­ der Redestrom einsetzt. Sie knüpft an: eine so echt protestantische Andacht im Bus habe sie noch nie erlebt, bei den Orthodoxen sei eben der Gottesdienst ganz anders, da sie aber mit einem Kreter verheiratet sei, besuche sie natürlich diese Gottesdienste. Als sie 1989 in ein Dorf nahe Heraklion gezogen sei mit ihrem Mann und dem noch in der Schweiz geborenen Sohn, habe es dort weder warmes Wasser noch Telefon im Haus gegeben. Die kretischen Dorfbewohner hätten sie genau beobachtet, wann sie im Cafe telefoniert, und wann sie in der Nacht heimgekommen sei. Dann gibt sie eine witzige Beschreibung ihrer Schwiegermutter, aber in großem Respekt! Von der jeweils anderen, fremden Küche allerdings mögen sie beide nicht alles probieren.

Zum heranwachsenden Sohn schildert sie das Schulwesen. Die Frage, ob wir schon etwas über
Olivenanbau gehört hätten, können wir bejahen. Schließlich steckt in unserem Gepäck längst das
“Extra Virgin” mit 0,1 - 1% Ac. Im Nu sind wir in Heraklion, laufen bergan zur Taverne “Klimataria”. Frau Winden - es wundert uns schon nicht mehr - kennt den Wirt, und es gibt eine rustikale
Mahlzeit: Vorspeise von verschiedenen Gemüsen und  Kartoffeln,  lauwarm,  Salat,  Fleischbällchen
mit Kräutern gewürzt, Reis, und als Dessert eine einheimische Orange, deren Ernte gerade ausläuft.

Am Quai angelangt, wissen weder Elisabeth noch Herr Becks, in welches der Schiffe wir gehören.
Aber es klärt sich rasch: in die Riesenfähre “El Greco”, die auf dem Weg nach Thessaloniki in Santorin anlegen soll. Nachdem die Passagiere und ihr Gepäck verstaut sind, befahren Laster, Kleinlaster und PKW das Schiff. Die ruhige See­ fahrt dauert vier Stunden, wir sitzen erst draußen, dann  drinnen,  mehrere  Bars  bieten  alles  zum Trinken, aber weniges zum Knabbern an. Die
Frage kursiert, wo das Schiff anlegen wird, in Athinios oder im alten Hafen von Phira. Und wie dann zum Hotel, 300 m über dem Meer, mit recht schweren Koffern? Herr Becks hat diesen Ausflug noch nie gemacht! Aber die Frage löst sich, als Diana mit dem Azubi aus Bogota und einem Luxusbus auf uns wartet. Irgendwann am 10. Mai liegen wir in einem wunderschönen Hotel in ebenso wunderschönen Zimmern und wissen noch gar nicht so recht, daß der Aufenthalt auf dieser Insel für viele von uns der Höhepunkt der Reise sein wird. - Doch nun bin ich still, denn Herr Haase wird weiter berichten.

Anke Becks

10. Reisetag
Mittwoch, 10. Mai

Der zehnte Tag begann im Hafen von Fira. Kurz vor Mittemacht hatte die Fähre angelegt. Die Insel, von den Alten liebevoll Kalliste (die Schöne) ge­nannt, hielt ihre Reize im Dunkel verborgen. Die himmelan huschenden Lichter der Omnibusse, vom Meer aus wie Wetterleuchten über der Insel anzusehen, ließen den jähen Felsabfall zum Hafen ahnen. Bald wand sich auch unser Bus in die Höhe. In Fira war noch ein kurzer, steiler Fußweg zu nehmen; dann langten wir, ein wenig müde, im Santorini Palace an. Am Morgen sah alles anders aus. Die Schöne bot besonnt ihr Antlitz dar, weiß wie Schnee, und die blauen Augen hatte sie aufgeschlagen. Wir alle kannten Santorin schon lange vor unserer Ankunft - das Lieblingskind der Fotografen und Reiseprospekte. Doch in Wirklichkeit war es viel schöner, waren die weißen Mauern und Türmchen noch heller, die blau­ en  Kuppeln  und  Tore  noch  leuchtender,  als  hätten  sich Himmel  und Meer hier vereint.

Auf  den  Besichtigungsfahrten  erführen  wir  Näheres  über  die  geheim nisvolle Insel, in der einige Archäologen ein letztes Stück des unterge­ gangenen Atlantis sehen.

Sie ist die südlichste der Kykladen, 73 qkm groß und mit einer längsten Ausdehnung von 72 km. Ihre Entstehung verdankt sie dem Vulkanismus, der hier durch das Zusammentreffen zweier Platten der Erdrinde hervor­ gerufen wird. Die sichelförmige Gestalt stellt den Rest einer größeren, annähernd runden Insel dar, die durch einen gewaltigen Vulkanausbruch um 1500 v. Chr. auseinanderbrach und in deren Mitte das Meer ein­ strömte. Der alte Umriß läßt sich noch ungefähr erkennen, wenn man einen Halbbogen vom Nordwesten Santorins über die Inseln Therasia
und Aspronissi zum Südwesten zieht. Bis heute hat die Vulkantätigkeit nicht aufgehört. So sind Jahrhunderte nach der großen Katastrophe aus dem Kratersee in der ehemaligen Inselmitte, der sog. Caldera, durch neue Eruptionen die Inseln Paläa Kameni und Nea Kameni entstanden. Auf Nea Kameni treten immer noch heiße Dämpfe aus, und das Wasser zwischen den beiden eng benachbarten Inseln ist 30 Grad warm. Die Berge, die die Caldera einrahmen, stürzen bis zu 300 m in die Tiefe. An ihren Abhängen läßt sich sehr gut die geologische Schichtung studieren: zuunterst schwarzes, dann rotes Eruptivgestein, darüber heller Bimsstein.

Umstritten  ist,  ob  und  inwieweit  der  große  Vulkanausbruch  mit  dem  raschen  Untergang  der minoischen Kultur auf Kreta zusammenhängt. Zwischen beiden Ereignissen liegt immerhin nach allem, was man bisher weiß, eine Zeitspanne von etwa 50 Jahren. Die durch den Ausbruch hervorgerufene Flutwelle hat sicherlich die Küsten Kretas verwüstet, aber kaum die Insel in ihrer Gesamtheit. Eine Theorie besagt, daß die Flutwelle die kretische Handelsflotte vernichtet und damit sehr bald zum Niedergang der zu jener Zeit stark vom Seehandel abhängigen kretischen Wirtschaft geführt haben könne. Nach einer ganz anderen Erklärung für das Ende der minoischen Kultur muss man schließlich suchen, wenn man der Meinung einiger Vulkanologen folgt, die den Ausbruch schon um das Jahr 1630 v. Chr. vermuten.

Nach  dem  verheerenden  Vulkanausbruch  blieb  die  Insel  jahrhundertelang  unbewohnt.  Erste Anzeichen einer Neubesiedlung finden sich um 1300 v. Chr. Im neunten Jahrhundert v. Chr. wurde sie von den Dorern (Spartanern), die vom Peloponnes kamen, in Besitz genommen. Die Dorer gaben ihr nach dem Namen ihres Anführers Theras den Namen Thera. Der älteste, aus vordorischer  Zeit  überlieferte  Name  ist  Strongyle (die Runde). Den  späteren  Namen Kalliste ersetzten die Kreuzritter durch Santorin, abgeleitet von der heiligen Irene (Sancta Irene). Er konnte jedoch die dorische Bezeichnung nicht ganz verdrängen, die bis heute neben der christli­ chen verwendet wird. Im Mittelalter wechselten die Besitzverhältnisse häufig. Lange Zeit stand die  Insel  unter  venezianischer,  von  ausgehenden  16.  Jahrhundert  bis  1821  unter  türkischer Herrschaft.

Die ältesten Zeugnisse menschlicher Siedlung auf Santorin stammen aus der Zeit um 3000 bis 2000 v. Chr. Zwischen 2000 und 1500 v. Chr. mehren sich die archäologischen Funde stark. Sie zeigen eine enge Ver­ bindung der alten Kultur der Kykladen mit der neueren der Minoer. Es kann aber nicht von einem Aufgehen Santorins in dieser neuen Kultur gesprochen werden. Dazu bleibt die Siedlungsweise und auch die hand­ werkliche Gestaltung in vielen Punkten zu selbständig. Vielmehr muss angenommen werden, dass die Insel ihre Autonomie bewahrt hat, wenn auch Kreta die Rolle des primus inter pares zugefallen sein mag.

Auf Santorin leben 10.000 Menschen ständig; dazu kommen im Som­ merhalbjahr etwa 15.000 Saisonkräfte von auswärts, die in der Touris- musbranche  arbeiten.  Die  Hauptstadt  ist  Fira  (vom  dorischen  Thera abgeleitet). Nicht weniger als 300 Kirchen finden sich auf der Insel. Die
älteste stammt aus dem 10. Jahrhundert. Auch die Kirchen sind überwie­ gend in den Farben der Insel, Weiß und Blau, gehalten. Meist handelt es sich um kleine und kleinste Privatkirchen. Viele sind heute geschlossen. Die Zahl der Priester ist auf 13 gesunken. In Fira befindet sich eine griechisch-orthodoxe  Metropolitankirche  sowie  eine  katholische  Kirche und ein Nonnenkloster, außerdem eine weiterführende Schule (Lyzeum).

Grundlage der Ernährung waren bis in die jüngste Vergangenheit Land­ wirtschaft und Fischfang. Die mineralstoflreiche Vulkanerde fördert den Anbau von Getreide, Gemüse und Trauben.
Ziegen- und Schafherden versorgten die Bevölkerung mit Fleisch, Milch und  Wolle.  Im  späten  Mittelalter  wurde  sogar  mit  Erfolg  Baumwolle angebaut. Gegenwärtig nimmt die landwirtschaftliche Betätigung auf der Insel ständig ab, da immer mehr einheimische Arbeitskräfte vom wach­ senden Tourismus, der leichtere Arbeit und besseres Einkommen bietet,
angezogen werden. Eine größere Rolle spielt noch der Anbau von Gemü­se, besonders einer kleinen, wohlschmeckenden Tomatensorte, sowie von weißen Trauben. Die Trauben werden zu 90% zu Weißwein und zu 10% zu Rość-Wein verarbeitet. Zur Herstellung des Rość-Weins werden
die Trauben nach der Lese längere Zeit der Sonne ausgesetzt; dadurch nehmen sie die rosa Farbe an. Eine Kuriosität, die sich uns im Vorbeifahren bot, waren die zahllosen auf den Weinfeldem ausgelegten kleinen weißen  Steine,  die  die Vögel  angeblich davon  abhalten, die  Trauben aufeupicken, ohne daß es dafür eine plausible Erklärung gibt.

Aus den archäologischen Funden ergibt sich, daß bereits in minoischer Zeit ein beachtlicher Seehandel mit Nachbarinseln, vor allem mir Kreta, stattgefunden hat. So wurden Gegenstände aus Marmor gefunden, der auf Santorin nicht vorkommt. Die Dorer haben die Außenhandelsbezie­ hungen ausgebaut und bis zum griechischen Festland ausgedehnt. Um 630 v. Chr. haben sie sogar die Nordküste Afrikas erreicht und Kyrene, die heutige Cyrenaika, gegründet.

Gute Bademöglichkeiten bieten die schwarzsandigen Strände im Osten der Insel, vor allem im Gebiet von Monolithos, Kamaris und Perissa. Für einen Urlaubsaufenthalt sind das Frühjahr oder der Frühherbst die besten Jahreszeiten. Der Sommer ist wegen der großen Hitze und der Überfül­
lung durch Touristen nicht zu empfehlen, auch der Winter nicht, da es dann empfindlich stürmisch und naßkalt werden kann und viele Häuser noch keine Heizung haben.

Von Natur aus leidet die Insel unter Wassermangel. Es fehlen Seen und oberirdische Wasserläufe. Das nicht gerade reichliche Regenwasser wird auf Dächern gesammelt und in Zisternen aufbewahrt. Zusätzlich muss Grundwasser aus Brunnen geschöpft werden. Außerdem wird Wasser auf dem Seeweg eingeführt, um insbesondere die Touristenströme im Sommer zu versorgen. Die Landwirtschaft kommt im allgemeinen ohne künstliche Bewässerung aus, da der poröse Bimsstein, der die Insel mit einer   unterschiedlich   dicken   Schicht   bedeckt,   das   Regenwasser schwammartig festhält.

Unsere  erste  Exkursion  galt  den  Ausgrabungsstätten  bei  Akrotiri. 1967  haben  hier  die  Grabungsarbeiten  im  großen  Stil  begonnen.  In Anbetracht des verhältnismäßig kurzen Seewegs von Kreta nach Santo­rin hatten die Ausgräber zunächst einen weiteren minoischen Palast in der Tiefe vermutet. Zum Vorschein kamen aber unter einer 30 bis 35 in dicken Bimssteinschicht die Ruinen einer größeren Stadt aus der Zeit von 1600 bis 1500 v. Chr., die sich mit ihren krummen Straßen und Gassen, ihren unregelmäßig angelegten Plätzen und dem aus vielen Häusern sprechenden Wohlstand  einer  größeren  Bevölkerung  nicht  unerheblich  von  der  zentralen  Organisation minoischer Paläste unterschied. Aus dem archäologischen Befund ist auch auf soziologische Unterschiede zu schließen: Santorin muss in jener Zeit mehr von einer städtischbürgerschaftlich organisierten Gesellschaft geprägt gewesen sein und weniger oder gar nicht von einer autokra­ tisch regierten wie in Kreta. Ein bemerkenswerter technischer Standard, der besonders in einem zentralen Wasser- und Abwassersystem zum Ausdruck kommt, sowie Vielfalt und Reichtum der Funde, die wir kurz darauf im Museum in Fira sehen konnten, vermitteln das Bild einer grossen Kulturblüte zu jener Zeit. In Akrotiri lebten vor der grossen Katastrophe schätzungsweise 5.000 bis 6.000 Einwohner. Bewohnt war die Stadt aber schon seit dem dritten bis zweiten Jahrhundert v. Chr., wie die ältesten Funde beweisen.

Die  Ausgrabungen haben  weder Skelette  noch Schmuckstücke  zutage gefordert. Das deutet darauf  hin,  daß  die  Bevölkerung  den  Vulkanausbruch,  vielleicht  aufgrund  vorangegangener kleinerer Beben, vorausgesehen und versucht hat, sich mit ihrer wichtigsten Habe in Sicherheit zu bringen. Ob sie nach einer anderen Kykladeninsel oder nach Kreta ausgewichen ist oder außerhalb der Stadt das Unheil abwarten wollte und dann doch umgekommen ist, bleibt ungewiß.

Akrotiri war nicht das größte, aber wegen seines guten Erhaltungszustandes, insbesondere des teilweise noch bis zu mehreren Metern aufragenden Mauerwerks, das eindrucksvollste und anschaulichste Zeugnis aus kykladisch-minoischer Zeit,  das  uns  auf  der  Reise  begegnet  ist.  DerRundgang durch die alte Stadt führte an zwei- bis dreistöckigen Wohnhäusern vorbei, an Magazi­nen mit einer Fülle von Tongefäßen und an einer Mühle.  Die  Straßen  waren  gepflastert.  An  mehreren Stellen waren Reste der Kanalisation zu sehen, die unter der Straße die Abwässer aus den Häusern ableitete. Zum Bau der Häuser wurden unregelmäßige,  für  Hausecken,  Tür-  und  Fen­sterrahmen  sowie  für  anspruchsvollere  Bauten  insgesamt  auch  sorgfältig  behauene  Steine verwendet. In das Mauerwerk eingezogene Gerüste aus Holzbalken dienten - wie auf Kreta - der Elastizität und damit dem Schutz gegen leichtere Erdbeben. Die Häuser waren außen mit einem Gemenge  aus  Stroh  und  Lehm  verputzt,  innen  mit  (oftmals  farbigem)  Kalkmörtel.  Im  Erd­ geschoß lagen Vorratsräume und Werkstätten. Die Obergeschosse dienten als Wohnräume. Sie waren mit Wandmalereien geschmückt, die nach den bisherigen Grabungen in keinem Hause fehlen. Die wertvollsten werden in den Museen von Athen und Akrotiri aufbewahrt.

Malerisch  war  der  Dreiecksplatz  im  westlichen  Mittelteil  des  Ausgrabungsfeldes,  der  schon durch  seine  Form  und  seine  begrenzten  Maße  den  Eindruck  mittelalterlicher  Gemütlichkeit machte. Seine Nordwest-Seite, gewissermaßen die Hypotenuse des Dreiecks, wird von einem
stattlichen Bau eingenommen, in dem besonders kostbare Wandmalereien aufgefunden wurden.
Ein großer Freskenzyklus mit Segelschiffen, Ru­derbooten und Kriegern hat dem Anwesen den Namen  “Haus  des Admirals“  gegeben. Nördlich davon liegt ein weiterer großer Bau, das “Haus der Damen“, das seinen Namen von den fast le­ bensgroßen  Portrait-Fresken  elegant  gekleideter Frauen erhielt.

Im  Gegensatz  zur  ehrfürchtgebietenden  Wucht minoischer Paläste erschien uns Akrotiri seltsam
vertraut. Unser Weg führte hier weniger durch Ruinen als an alten Häusern vorbei, auf krummen Sträßchen und Gäßchen und über anheimelnde Plätze - und all das unter einer weiträumigen, vor Witterungseinflüssen schützenden Dachkonstruktion, die kaum merken ließ, daß die Dächer der Häuser längst eingestürzt waren. Wäre das alles unter der Bimssteinschicht unversehrt geblieben, hätte sich uns nicht viel anderes dargeboten als ein deutsches Stadtbild vor fünfhundert Jahren.
Doch die Steinplatten unter unseren Füßen waren vor dreieinhalbtausend Jahren verlegt worden.

2. Auf der Rückfahrt nach Fira machten wir Rast in Pyrgos, einem malerischen Bergdorf, dessen
Häuserreihen in immer engeren Ringen aufwärts steigen bis zu einem alten Kastell. Wer auf Kaffee oder Raki verzichten konnte, hatte Gelegen­ heit, treppauf durch den verwinkelten Ort bis zur Höhe zu eilen. Die Bauweise unterschied sich hier wie auch in Fira, das wir am nächsten Morgen ausgiebiger durchstreifen konnten, wenig von der  in  Akrotiri.  Wir  hatten  damit  das  lebendige  Akrotiri  vor  Augen.  Lange  Zeit  war  Pyrgos Hauptstadt der Insel. Erst zu Beginn des letzten Jahrhunderts ist es von Fira abgelöst worden.

3.  Nächstes  Ziel  war  das  Archäologische  Museum  in  Fira.  Hier  sind zahlreiche  Funde  aus  der  frühzeitlichen  Besiedlung  von  Santorin  zu­sammengetragen. Die ältesten Stückeaus der Zeit zwischen 3000 und 2000 v. Chr. waren einfachere Tonfiguren und Tongefäße sowie Faust­keile und Messer aus Feuerstein und Obsidian. Ab 2000 traten zu den Keramikerzeugnissen  Gegenstände  der  Bronzezeit:  Pfannen,  Krüge, Werkzeuge (z.B. Messer und Zangen), Pfeilspitzen; eine zierliche Waage erinnerte geradezu an unsere Apotheken. Explosionsartig mehren sich die Funde in der Zeit um 1700 v. Chr. An Besonderheiten seien erwähnt: Tonbadewannen, Brustwarzenkannen, eine Reihe von gleich dekorierten, in der Größe aber abgestuften Krügen, die offenbar als Maße gedient haben, ein ausdrucksstarker, in den Farben erstaunlich erhaltener Toten-
klagesänger aus Ton sowie ein versteinerter Holztisch und Holzstuhl. Ein Unikat, die massiv-goldene Statuette eines Rehbocks ist erst 1999 in Akrotiri  gefunden  worden.  Ob  sie  dort  von  den  Bewohnern  auf  der Flucht vor der Katastrophe vergessen oder aus kultischen Gründen zu­
rückgelassen wurde, ist ebenso wie ihre Herkunft unbekannt.

Unter den Wandmalereien heben sich heraus: zwei Fischer aus dem Haus des Admirals, die stolz mit erhobenen Händen ihren Fang präsentieren, ein kostbares Damenporträt und die großen Papyrus-Gewächse aus dem Haus der Damen, ferner - aus anderen Häusern in Akrotiri - die felsige Landschaft mit Lilien und Schwalben und schließlich die springenden blauen Affen, die Franz Marc vor hundert Jahren nicht viel anders gemalt hätte.

4. Die letzte Exkursion am Nachmittag führte nach AJt-Thera. Auf einem Felsrücken aus Kalkstein liegen in 360 in Höhe die Ruinen der antiken Stadt. Der Platz fällt nach allen Seiten steil ab, ist daher schwer zugänglich und leicht zu verteidigen. Auf der anderen Seite ermöglicht er
die weiträumige Beobachtung der südöstlichen Ägäis - für die neuen Inselherren, die Dorer, also ein hervorragender Stützpunkt. Die etwa 800 in lange und 160 in breite Anlage zeigt die Struktur, welche die Stadt in hellenistischer Zeit erhalten hat. Wir durchquerten die Stadt auf der gepflasterten Hauptstraße, die, von kleineren Straßen und Gassen gekreuzt, dem Verlauf des Bergrückens folgend vom nordwestlichen Ende der Stadt zum südöstlichen führt.

Gleich am Anfang war der aus dem Fels gehauene, von Artemidoros von Perge, einem Admiral Alexanders des Großen, gestiftete Tempelbezirk (Temenos) zu sehen. In die Felsfront sind Symbole der Götter gemeißelt.

denen das Heiligtum gewidmet war (Adler für Zeus, Löwe für Apoll und Delphin für Poseidon). Artemidoros  hatte  hier  eine  Residenz.  Das  alte  Thera  war  hauptsächlich  als  Garnison  von Bedeutung. Auf dem höchsten Punkt im Nordwesten liegen die Reste zweier großer Gebäude, die als Kommandantur und Gymnasion der Garnison bezeichnet werden. Ein langer Stufenweg führt von unten hinauf. Die Hauptstraße weitet sich im weiteren Verlauf zu einer Agora mit einer Breite von 17 bis 30 in aus. Westlich der Agora ziehen sich Tempel und öffentliche Bauten bis zum  Berggipfel  hinauf;  die  östliche,  abfallende  Seite  ist  den  Wohnhäusern  Vorbehalten.  Als Baustoff wurde Kalkstein verwendet, der in nächster Nähe zu finden ist. Anders als in Akrotiri ist das Mauerwerk nur noch in geringer Höhe erhalten. Im Südwesten schließt sich an die Agora die königliche Säulenhalle an, ein rechteckiger Raum von 460 qm aus der Zeit des Augustus; an den Wänden waren Gesetzestafeln angebracht und das Dach wurde von zehn dorischen Säulen getragen, deren Schaftstümpfe noch zu sehen waren. Der weitere Straßenverlauf führte an einem in den abfallenden Hang eingebauten Theater vorbei, das im ersten Jahrhundert n. Chr. eine Umgestaltung im römischem Stil erfuhr.

Am südöstlichen Ende der Stadt befindet sich der heiligste Bezirk des alten Thera, der Platz der Gymnopädien, wo zu Ehren des Apollon Kameios, des dorischen Stammesgottes, im Spätsom­ mer  bei  Vollmond  das  höchste  kultische  Fest  mit  Tänzen  und  Gesängen  nackter  Jünglinge stattfand.  An  der  Nordseite  des  Platzes  steht  der  Tempel  dieses  Gottes.  Südöstlich  davon befindet sich das Gymnasion der Epheben. Hier fanden auch athletische Wettkämpfe statt. In die Mauer der südlichen Terrasse sind die Namen von Gewinnern eingeritzt, darunter jeweils ein Phallus als Symbol männlicher Kraft.

Am Ende der Stadtwanderung hielten wir, inmitten der alten Steine und der verwitterten Götter­ bilder, eine Weile inne und schauten hinauf zum höchsten Berg der Insel, dem Propheten Elias, der sich wie ein Hochaltar über Thera erhebt, und schauten auf der anderen Seite hinunter zu den
Stränden von Kamari und Perissa und weit darüber ins offene Meer hinaus. Ein unbeschreibliches Hochgefühl kam bei dem Anblick auf.

Am  Abend  versammelten  wir  uns  alle  auf  der Hotelterrasse.  Pfarrer  Becks  sprach  Worte  der Dankbarkeit und der Freude über den glücklichen Verlauf  der  Reise.  Die  Mitreisenden,  die  zum erstenmal  zur  Becks-Gruppe  gefunden  hatten, schlossen sich dem an. Neue und alte Teilnehmer hatten sich in den vergangenen Tagen gut kennen gelernt. Es gab viel zu erzählen, und vieles blieb noch unerzählt.

Bald wurde es dunkel. Der Große Wagen erschien am Himmel. Er wies den Weg nach Norden, und danach ließ sich leicht Nordwest anpeilen. Das war der Kurs, auf dem uns das Flugzeug am nächsten Tag nach Hause bringen sollte, immer weiter fort vom schönen Santorin.

Christoph Haase