Eine Gemeindereise über das ägäische Meer und zu den Bergen des Lichtes.

Mit einer Gruppe von 35 Personen fuhren wir im September 2011 von Athen über die Kykladen nach Kreta in die Ägäis.

Das Geleit oder den roten Faden gab uns Demeter, die griechische Erdmutter, eine geistige Schwester der berühmten Ariadne von Naxos.

Sie erleuchtet die Erde und erhebt sie aus der dunklen Tiefe der Erde zum Licht und zu den Bergen, deren Höhen den Himmel widerspiegeln.

Zu den „Lichtorten“ der Erdmutter sind wir gefahren, um die Zuwendung und das Wohlwollen der göttlichen Welt in uns aufzunehmen, die viele Menschen schon vor uns in der Ägäis gesucht und gefunden haben.

Die „Lichtorte“ der „himmlischen“ Erdmutter findet man überall auf den Hügeln im ägäischen Meer, wenn man mit staunenden Augen die Schönheit der Erde anschaut. Sie geben den Blick frei für einen weiten Himmel. Die „Lichtorte“ in der Natur sind und waren seit Menschengedenken Stätten der Begegnung mit Gott,  der  Freude  in  dem  von  ihm  geschaffene  Leben  will.  Es  sind  Stätten lebensbejahenden Epiphanie. In dieser Begegnung kann das menschliche Herz weit werden und vor Freude springen, wie es die labyrinthischen Tänze der alten Minoer zum Ausdruck bringen.
Die  minoische  Erdgöttin  versinnbildlicht  die  Lebensfreude,  wenn  sie  in  ihren Händen zwei Schlangen erhebt. Ihre jubelnde Erscheinung erzählt von der Frische des am Morgen neu werdenden Lebens. Sie betont die Zartheit und Behutsamkeit, die im jungen Leben steckt und leitet an zur Zärtlichkeit.

Die Erdmutter(Demeter) spendet Trost und befreit von der Angst. Sie schenkt einen  freien  Blick  in  die  Weite  und  Schönheit  der  Schöpfung  und  verkörpert eine  Gegenwelt  zu  der  der  Angst  und  Gewalt.  In  ihr  wird  der  Wert  und  die Würde des Lebens betont. Das Sterben wird nicht als Tragödie angesehen und wird nicht wie bei den Griechen mit Schuld und Schicksal verbunden. Auf den Spuren dieser Erdmutter (Demeter) sollte auch unsere Reise lichtvoll werden, eine Reise, die weit in die lebensfreundliche Welt der Minoer reicht, aus der Demeter   stammte.   Wo   auch   immer   wir   einen   „Lichtort“   der   Demeter aufsuchten, war zuvor schon eine minoische Erdgottheit gewesen und von einer kulturell hochstehenden Menschheit fröhlich verehrt worden.
Demeter ist aus dem Bewusstsein der Menschen nicht verschwunden. Sie ist mit  ihren  Tröstungen  und  ihrer  Zärtlichkeit  eingegangen  in  die  christliche Mutter  Gottes,  die  darüber  selbst  zur  Erdmutter  wurde.  Maria,  die  die Schmerzen einer Mutter durchlebte, die ihr Kind verloren hat, wurde als Mater Dolorosa zur Quelle des Lichtes und des neuen Lebens. Sie umhüllte das Dunkel des Todes mit der Zärtlichkeit der Liebe.

Diese Gruppen-Kulturreise war durchaus geistlich geprägt und somit war auch die spirituelle Phantasie gefragt. Der erste Ort dieser Reise zum Licht und zur der Erleuchtung waren der Besuch des berühmten Demeter-Mysterienheiligtums in Eleusis bei Athen.

Am Ende stand die wundervolle Gestalt der Demeter in Ierapetra auf Kreta. Sie verkörpert den der Liebe und Lied geadelten Menschen.

Vierzehn Tage lang wehte uns Äolos, der milde Nordwind, über das Meer in den Süden  Kretas,  bis  wir  vor  dieser  Skulptur  der  Demeter  standen,  einem Wunderwerk  des  menschlichen  Geistes  und  seiner  Schaffenskraft.  Der verinnerlichte Blick in die Tiefe des werdenden Lebens spiegelt die Schönheit des Lebens wider.

Es ist aber nicht nur eine ungebrochene Harmonie in der Haltung dieser Frau, sondern auch eine Suche nach dem Verlorenen. In der Selbstvergessenheit zeigt sich die Trauer um den Verlust der Tochter. Schaut man länger in dieses in sich gekehrte Gesicht, sieht man in die Tiefe der eigenen Seele, die auf der Suche ist nach dem Trost der Welt. Und doch hört die Seele das erhebende Wort des Beters  aus  dem  139igsten  Psalms:  „Ich  danke  dir,  Gott, dass  ich  wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke, das erkennt meiner Seele.“

Auf  dem  Wege  zu  diesem  Wunderwerk  der  Demeter,  Bild  der  menschlichen Schöpfung,  wurden  wir  nun  14  tage  lang  von  liebevollen  Menschen  aus Griechenland  begleitet,  von  Insel  zu  Insel  des  ägäischen  Meeres,  zu  ihren Bergen  des  Lichtes.  Die  Hügel  des  Lichtes  sind  Abbild  der  minoischen, griechischen und christlichen Erdmutter, die die Einheit der hellen Welt Gottes verkörpert.

Der  erste  Hügel  des  Lichtes  ist  Eleusis.  Hier  ist  der  einzige  und  eigentliche Wohnort  der  Demeter.  Nur  hier  wurden  ihre  Mysterien  aufgeführt.  Hier  hatte Demeter sich nach griechischem Mythos den Menschen offenbart. Eleusis liegt 20 km westlich von Athen am Saronischen Golf, der die westlichste Bucht der Ägäis  ist.  Eleusis  und  Athen  waren  seit  der  archaischen  Zeit  Griechenlands durch eine gepflasterte Heilige Straße verbunden, auf der jährlich im September die Festspiele und Prozessionen zu Ehren der Demeter stattfanden. Sie hatte den Menschen  das  Korn  gegeben  und  damit  auch  den  Wohlstand  und  die Lebensfreude.  Im  Museum von  Eleusis  oberhalb  der  Festspielhalle  dem sog. Telesterion, steht eine Kopie der Reliefs dieses mythischen Ereignisses. Links im Profil übergibt die Erdmutter dem kleinen Menschen das Korn und erklärt ihm  den  Vorgang  von  Saat  und  Ernte.  Links  hält  schützend  Persephone  die Fackeln  über  ihn,  Triptolemos  genannt,  der  Dreimalpflüger.  Die  eine  Fackel weist nach oben zum Licht, die andere in die Tiefe der Erde, in der das Wunder des Werdens und Wachsens beginnt.

Verlässt man das Museum, geht der Blick hinaus über das Meer auf die Bucht von Salamis. In dieser Bucht spielte sich kein Mythos ab, sondern eine berühmte Seeschlacht,  in  der  die  Griechen  gegen  die  Perser  im  Jahre  480  v.  Chr. gewannen.  Hier  war  eine  andere  Göttin  am  Werke  gewesen:  Athene,  die Schützerin der Polis. Sie war aber auch Kriegsgöttin. Ihr zu Ehren wurde der Parthenon auf der Akropolis gebaut, ebenso in drohender Gebärde eine Statue der  Athene  Prochamos.  Zwei  Lebenswelten  traten  uns  entgegen,  als  wir  auf diesem  Hügel  des  Lichtes  von  Eleusis  die  Kommutter  und  die  Mutter  des Krieges  nebeneinander  vor  unseren  geistigen  Augen  auftauchen  sahen.  Sie sollten uns am nächsten Tag auf Ägina wieder begegnen!
Das antike Griechenland war sehr zerrissen und zerstritten. Doch neben den vier olympischen  Stätten  des  Friedens  galt  Eleusis  als  Ort  des  gemeinsamen griechischen  Geistes.  Seine  Mysterienspiele  wurden  noch  gefeiert,  als  der römische Kaiser Theodosius das Christentum zur ausschließlichen Staatsreligion erklärt  hatte.  Eleusis  und  sein  berühmtes  Telesterion  wurden  gewaltsam geschlossen und auf Befehl des Kaisers zerstört.

Man verlässt diesen Hügel des Friedens sehr nachdenklich, auf dem Krieg und Frieden so nahe beieinander liegen. Mit der Zerstörung von Eleusis wurde der ökumenische Gedanken von Reiche Gottes ad absurdum geführt. Der Weg der Kirche führte von dieser Tat in die Intoleranz und einen Absolutheitsanspruch, der den Krieg zum Mittel der Religionspolitik machte.

Sehr nachdenklich fuhr ich die Heilige Straße von Eleusis nach Athen zurück. Was  hat  das  spätere  Europa  geprägt,  die  Schlacht  von  Salamis  oder  die Kommutter von Eleusis? Hat Europa nach dem Holocaust und dem Schrecken des  Weltkrieges  etwas  gelernt  oder  wird  das  Töten  der  Kriegsgöttin  Athene immer noch höher geschätzt als die Leben spendende Demeter, sie, die tröstet wie eine „mater dolorosa“?

„Der Vater aller Dinge ist die Lebensfreude. Die schöpferische Kraft dafür ist die  Liebe.“  Das  ist  ein  verständliches  Credo.  Ähnlich  dachten  viele  von  uns beim Anblick der an den Himmel gemalten Vögel und Blumen. Akrotiri nennt man eine um 1450 v. Chr. in der Vulkanasche verschütteten Stadt auf der Insel Thera (Santorini).

Nach unserer Rückkehr nach Athen sahen wir im Nationalmuseum das 3600 Jahre  alte  Originalffesko  (siehe  oben!),  das  für  mich  zu  den  schönsten impressionistischen Werken der Welt zählt.

Zunächst  erläuterte  uns  Kosta,  unser  hoch  gebildeter  Guide,  die  historische Entwicklung der griechischen Kunst bei einem Rundgang durchs Museum. Das erste  berühmte  Werk,  das  wir  betrachteten,  war  die  sog.  Goldmaske  des Agamemnon. Am Ende standen die wundervollen Bronzeplastiken, zum einen der „Hermes von Marathon“ von Praxitiles und zu anderen „das Kind (Jockey) auf einem galoppierenden Pferd“. So reichte der Bogen der griechischen Kunst von der mykenischen bis zu der hellenistischen Zeit.

Eine kleine Bronzefigur aber hatte uns Kosta nicht erklärt. Es war die„Athene - Prochamos“,  an der wir vorbei gingen. Sie zeigt den kriegerischen Geist der sonst so edlen griechischen Weitsicht. Er spiegelt ein gegensätzliches Weltbild zu  dem  der  Minoer  wider,  die  aus  der  Schönheit  der  Natur  ein  positives Gottesbild entwickelt hatten.

Diese  Athene  nennt  man  „Prochamos“,  weil  sie  zum  Krieg  gerüstet  ist.  Das überlebensgroße  Standbild  stand  ursprünglich  in  kampfbereiter  Haltung  vor dem Besucher, der die Propyläen durchschritten hatte und im heiligen Bezirk der Akropolis angekommen war. Diese große Statue ist verloren gegangen, doch im Nationalmuseum steht eine Miniaturkopie von ihr, die den größten Kontrast darstellt zur Demeter von Ierapetra auf Kreta!

Nach einer Mittagspause im Hof des Museums unter Arkaden und Bäumen bei ca.  35°  im  Schatten  erklommen  wir  in  der  Mittagshitze  den  Nordhang  der Akropolis,  vorbei  am  berühmten  Dionysostheater,  in  dem  das  Drama „Prometheus“  von  Aischylos  uraufgeführt  wurde  und  vorbei  an  dem  wieder erstellten  römischen  Odeon.  Auch  wenn  der  Weg  hinauf  zum  Parthenon  gut ausgebaut ist, mussten wir einige Pausen machen. Glücklicherweise war Kosta so alt wie wir und gönnte sich auch Verschnaufpausen. Die Mühe lohnte sich, denn oben waren wir mit wenigen Rucksacktouristen allein. Von der Freitreppe vor  den  gewaltigen  Säulen  der  Propyläen  ging  der  Blick  hinunter  auf  die Altstadt, den Areopag und die Stoa. Dann gingen wir durch das ca. 30 m tiefe Torhaus auf den weiten Platz, doch sahen wir nicht mehr die gewaltige Skulptur der Athene Prochamos, die dort die Besucher vor 2500 Jahren begrüOte. Dafür sahen wir den dorischen Parthenon-Tempel, der zu Ehren der Jungfrau Athene von  den  Athenern  errichtet  worden  war.  Linker  hand  sahen  wir  die wunderschönen Koren des Erechteion-Tempels. Koren nennt man Jungfrauen, die das Gebälk der Vorhalle des Tempels tragen.

Die wundervoll geformten Säulenschäfte des Parthenon werden seit zwanzig Jahren präzisiös ergänzt oder neu geschaffen. Irgendwann einmal wird dieser größte und schönste alle Tempel Griechenlands im Licht des Südens erstrahlen. Jetzt  aber  ist  er  noch  eine  Baustelle,  um  die  wir  etwas  irritiert  herum schlenderten, weil Gerüste und Kräne den Blick verstellten. Die meisten unserer Gruppe waren bald schon verschwunden auf der Suche nach etwas Trinkbarem, denn der Durst war groß. Am Eingang unten, zu dem wir nun schnell zurück wanderten, gab es einen Getränkeautomaten! Ich hatte den Eindruck, dieser zog mehr an als die kannelierten Marmorsäulen dort oben, obwohl von unten und nun wieder von weitem betrachtet der Parthenon wie ein Weltwunder wirkte. An Weltwunder darf man offensichtlich nicht zu nahe heran gehen.
Wie sich unsere Sinne so täuschen lassen!

Was  wir  auf  der  Akropolis  nicht  erleben  mussten,  war  das  Gedrängel  und Geschiebe der Massen. Vormittags kommen, so sagte unser Guide, ca. 7000 Menschen  (Kreuzfahrer)  den  steilen  Felsen  hinauf.  Im  Geschiebe  auf  der Freitreppe  und  dem  Geschrei  der  vielen  Fremdenführer  vor  dem  Parthenon versteht kaum einer etwas. Am Nachmittag ist dann Ruhe im Heiligtum und nur so  Vernünftige  wie  wir  tummeln  sich  auf  dem  in  praller  Sonne  gleißenden Plateau.
Auch  in  dem  tagsüber  überfüllten  Akropolis-Museum  waren  wir  abends ziemlich  allein.  Doch  ist  es  eine  Illusion,  dem  Massentourismus  wirklich entgehen zu können. Das erlebten wir ein paar Tage später in der Stadt Thera auf Santorin. Dort quälten sich, als wir mittags unseren Bus verließen, große Menschenmassen (Kreuzfahrer) durch die Gassen hinauf zur Seilbahn, die sie zu den Schiffen, die in der Caldera auf Reede lagen, zurück bringen sollten.

Meine Art zu reisen geht gegen den Strom. Ich nenne sie antizyklisch. Das aber ist  anstrengender.  Deutlich  spürten  die  meisten  dies,  wenn  wir  noch  abends Vorträge unserer Guides an berühmten historischen Stätten anzuhören hatten. Sehr deutlich wurde dies in Knossos auf Kreta. Dort schlichen wir, todmüde vom  Straßenpflastertrampeln  und  der  Stadtbesichtigung  von  Heraklion,  durch die  Gänge  des  Labyrinths.  Noch  deutlicher  war  dieses  Phänomen  des antizyklischen  Besichtigens  in  der  anderen  berühmten  und  tagsüber überlaufenen  minoischen  Palaststadt  Phaistos  gewesen.  Dort  brach  nach intensiven Erlebnissen eines langen Reisetages unsere Guide Irene ihre „Uni­ reifen“  Ausführungen  über  die  minoische  Kultur  ab  und  erlöste  uns  kurz  vor Sonnenuntergang von den vielen toten Steinen.

Doch nun zurück zu unserem Tag in Athen. Das Akropolis- Museum gilt als eines der modernsten seiner Art in der Welt. In seinen Glaswänden spiegelt sich die Akropolis und der Parthenon.
Dieser  Glaspalast  verwirrt  unsere  räumlichen  Empfindungen.  Die  Fußböden sind wie die Außenwände ebenfalls aus Glas. Schon der Weg zum Eingang ist ein Glasweg. Unter dem Glas liegen in der Tiefe antike Mauerreste.

Geht  man  drinnen  eine  Rampe  hinauf,  also  eine  schiefe  Ebene,  auf  eine Freitreppe zu, und schaut zur Decke, so ist diese auch aus Glas, auf dem man die  Fußsohlen  gehender  Menschen  sieht  als  seien  die  dort  oben  unsere Antipoden.  Glücklicherweise  tragen  Frauen  heute  kaum  noch  Röcke,  sonst würde manch ein Mann an den wundervollen archaischen Koren und anderen Schönheiten in den Vitrinen in den Wänden des Rampenweges vorbei gehen. Zu den  schönsten  Koren,  die  dort  oben  sind,  wo  Menschen  auf  Glasfußböden laufen, wird der Besucher die Freitreppe hinauf geführt. Dann steht man einer 2500 Jahre alten Kore mit herrlich gelocktem Haar gegenüber, die gerade von einem Restaurator effektiv geputzt wird. Das gibt es sonst wohl kaum woanders, so in die Tiefe der Geschichte hinein genommen zu werden! Dann geht es ganz nach oben und man umrundet einen hoch modern wirkenden Baukörper, um den ein  Fries  mit  antiken  Reliefs  herumläuft.  Es  ist  der  berühmte  Fries  des Bildhauers Phidias, der nicht mehr Götter- oder Heroengeschichten in Reliefs erzählt,  sondern  die  Festvorbereitungen  zu  den  in  der  Antike  berühmten panathenäischen Spielen. Dieser Bilderfries verlief ursprünglich im Inneren des Parthenon  um  den  Pronaos,  die  Cella  und  den  Bau,  den  die  Fachleute Opisthodomos nennen, der hinter der Cella lag. Die schönsten Reliefbilder aber sind  heute  im  Britischen  Museum  in  London  zu  sehen.  Ohne  einen Zusammenhang mit der Geschichte des antiken Athens stehen sie dort! Hier oben  im Museum gegenüber  dem tatsächlichen Parthenon sehen wir sie als Repliken. Wir werden bei diesem Gang zunehmend von der kongenialen Idee des  modernen  Architekten  in  den  Bann  gezogen.  Viel  Raum  ist  dort  oben zwischen  dem  modernen  Tempel  und  der  Glaswand,  die  den  Blick  auf  das heutige Athen freigibt. In diesem weiten und lichten Raum stehen viele schöne Koren, aber auch der Hirte mit seinem Kälbchen auf seinen Schultern. Hier steht auch die berühmte Athene, die die Aigis ausfahrt, um die Stadt zu schützen, ein Ziegenfell ihres göttlichen Vaters Zeus. Die Aigis stammt von einer Ziege, mit der Zeus als Kind auf Kreta aufgewachsen war.
Am  nächsten  Tag  werden  wir  mehr  über  die  Athena  hören,  wenn  wir  am Aphaia-Tempel auf der Insel Ägina stehen werden.

Nach  dem  intensiven  Museumsbesuch  saßen  wir  nach  dem  Essen  auf  der Dachterrasse unseres Hotels und schauten am zunehmenden Mond vorbei auf die beleuchtete Akropolis und die dicht neben einander stehenden siebzehn Säulen der Längsseite des Parthenon. Wir waren todmüde und ein bisschen überanstrengt von so vielen gewaltigen Eindrücken des Tages.

Am zweiten Morgen in Athen brachte ein Reisebus uns 35 Griechenlandfahrer zum  Hafen  von  Piräus.  Es  war  Wochenende  und  in  der  sonst  so  quirligen Großstadt war es ruhig. Demonstrationen waren nicht zu erwarten. Denn die Athener entflohen der aufgestauten Hitze der Mauern. Am Hafen versammelten sich viele, um zu den Inseln im Saronischen Golf zu fahren. Auf dem Fährschiff waren wir mitten unter ihnen. Doch Kontakte und Gespräche über die Situation der  Menschen  in  der  gegenwärtigen  Wirtschaftskrise  entwickelten  sich  nicht. Wir saßen vielmehr unter uns auf dem Oberdeck im prallen Sonnenschein. „Das sei  typisch  für  Touris“,  meinte  Kosta.  Wir  wollten  etwas  sehen  und  den kühlenden  Fahrwind  genießen.  Auf  der  einstündigen  Fahrt  sahen  wir Frachtschiffe, die vor Salamis auf Reede lagen. Sie warteten offensichtlich auf Fracht.  Das  war  wohl  vergebens.  Im  Dunst  tauchten  bald  die  Konturen  von Ägina auf. Als wir an der Nordseite der Insel vorbei fuhren, meinte ich zwischen zwei  Bergen  einen  Hügel  auszumachen,  auf  dem  die  Säulen  des  Aphaia- Tempels  aufragten.  Dies  war  unser  Ziel.  Doch  zuvor  erlebten  wir  nach  dem Verlassen  des  Schiffes  das  quirlige  Durcheinander  im  Ferienstädtchen.  Viele Leute wollte ein geruhsames Wochenende an den weißen Stränden dieses Ortes verleben. Aus dem Bauch unseres Fährschiffes strömten mit uns hunderte von Feriengästen, die lautstark von anderen in Empfang genommen wurden.

Auf  uns  wartete  ein  Bus,  der  uns  in  die  Stille  der  Hügelwelt  brachte  durch auffällig saubere Dörfer.

Aphaia  war  eine  griechische  Nymphe.  Doch  ihr  Name  weist  zurück  in  die minoische Epoche. Er bedeutet, die „Lichtvolle“. In minoischer Zeit gab es hier schon eine Kultstätte für den Ritus der Epiphanie der Erdgöttin. Der lichtvolle Ort lässt dies ahnen.

Der noch teilweise erhaltene Tempel ist ein Werk des Inselvolkes, das Homer in der Ilias die Myrmidonen nennt, ein kriegerischer Stamm der Griechen, der im 7. und 6. Jhd. vor Chr. die entscheidende Handelsmacht im östlichen Mittelmeer war.  Der  Erzrivale  der  Aigineten  waren  die  Athener.  Die  Ägineten,  wie  man das Inselvolk heute nennt, bauten ihren Tempel wie die Athener den Parthenon zu  Ehren  der  Göttin  Athene.  Sie  steht  in  der  Giebelmitte  kampfbereit  mit ausgefahrener Ägis, um das Inselvolk zu schützen. An den Rändern des Fells zischeln viele Schlangen. In der Linken schwingt sie ihre Lanze.

Rechts  und  links  von  ihr  kämpfen  die  Heroen.  Das  sind  die  Ahnherren  des äginetischen  Volkes.  Sie  galten  als  die  Sieger  in  den  beiden  trojanischen Kriegen.

Im ersten Krieg gegen Troja war Telamon der große Held. Im zweiten der durch Homer berühmt gewordenen Ajax, der Sohn des Telamon. Noch berühmter aber wurde  Achilles,  denn  in  der  Ilias  ist  er  der  Held,  der  Hektor  im  Zweikampf besiegt.  Auch  Achill  ist  ein  Aiginet  als  Sohn  des  Peleus,  der  wiederum  ein Bruder des Telamons war.

Alle Skulpturen, die einmal auf den beiden Giebel gestanden haben, sind von deutschen Archäologen vor 200 Jahren im Schutt des eingestürzten Tempels aufgefunden  worden.  Heute  kann  man  diese  Giebelfiguren  restauriert  in  der Glyptothek  im  München  studieren.  Der  Aphaia-Tempel  ist  teilweise  wieder aufgebaut  worden.  Betrachten  wir  nun  genauer  die  kämpfenden  Helden,  die einmal  den  Ostgiebel  zierten,  so  fallt  die  mit  dem  ausgefahrenen  Ägisfell kämpfende  Athene  in  der  Mitte  auf,  wie  sie  die  Ägineten  vor  den  gierigen Athenern schützen will. Sie schaut übers Meer zur anderen Athene Prochamos, die auf der Akropolis steht.
Sie waren Feinde, diese beiden Athenen. Wie geht das? Historisch gesehen hat schließlich  im  Peloponnesischen  Krieg  die  Athena  Prochamos  gesiegt.  Das Volk der Ägineten wurde nach dem Sieg der Athener gewaltsam umgesiedelt und ihre uralte Kultstätte der Aphaia dem Verfall Preis gegeben. Geblieben war über die Jahrhunderte nur der helle offene Hügel mit ein paar Säulen. Doch dieser Ort mit dem seltenen Namen Aphaia faszinierte die Forscher. Sie spürten etwas von der uralten Geschichte der Erdmutter, die durch alle Kriege weiter gelebt hat, auch in ihrem Namen Aphaia, die hell Leuchtende.

So  sahen  wir  im  Sonnenschein  diesen  Hügel  und  bestaunten  die  strahlend weißen Marmorsäulen des Tempels, in dem innen, aber nicht im Dunkeln, die Helle, die Aphaia stand.
Aphaia  und  Demeter  von  Eleusis  haben  eine  gemeinsame  Erdmutter.  Das nehmen die heutigen Forscher an. Sie entspringen alle der minoischen Erdgöttin. Wir werden sie in der Ägäis des Öfteren wieder sehen auf hellen Hügeln unter einem weiten Himmel.

Von  dem  Aphaia-  Hügel  des  Lichtes  fuhren  wir  wieder  hinunter  zum  weißen Sandstrand  von  Ägina,  zum  Hafenstädtchen.  Die  Sonne  brannte  heiß  am Himmel. Die Mittagspause nutzten viele von uns zum ersten Bad im Mittelmeer. Die Wassertemperatur lag so bei 28°. Von einer Abkühlung war da kaum die Rede. Anschließend verteilten wir uns auf die Tavernen und machten am Strand ein  wenig  Siesta.  Leider  war  die  Zeit  dazu  zu  knapp.  Wir  mussten  unser Fährschiff  um  15  Uhr  schon  wieder  erreichen.  Auch  hier  hatte  uns  der Herbstfahrplan für die Schiffe einen Streich gespielt, denn eigentlich sollten wir erst um 16.30 Uhr zurückfahren. Das verschlafene Piräus erwartet uns, wie auch unser Bus, der uns zum Hotel in der Innenstadt zurückbrachte. So ruhten wir uns im Hotel aus oder gingen durch die nahe gelegene Plaka.

Am dritten Tag im griechischen Lande fuhren wir morgens um 6 Uhr von Athen durch  Attika  zum  Hafenstädtchen  Rafina,  das  an  der  Ostküste  der  Halbinsel liegt. Als es allmählich dämmerte und um 7 Uhr die Sonne sich zeigte, wachten auch unsere Lebensgeister auf und wir fingen an zu singen, bis der Bus vor dem Fährschiff  anhielt.  Wir  sahen  das  Meer.  Es  lag  ganz  ruhig  da.  Manch  einer atmete auf, denn vor der Reise war geunkt worden, die Ägäis sei sehr kabbelig. Da sei schon manch einer seekrank geworden! Die Ägäis zeigte sich also von ihrer freundlichen Seite. Äolos, der liebliche Nordwind, blies kühlend mit einer leichten  Brise.  So  wurde  unsere  vierstündige  Schifffahrt  nach  Mykonos  eine traumhaft  schöne  Seereise.  Insel  an  Insel  zog  an  uns  vorbei.  Andros,  die nördlichste der Kykladeninsel blieb backbord liegen. Der Kapitän steuerte Tinos an. Im Hafen der Hauptstadt der Insel scholl uns das Geschrei entgegen, das beim End- und Beladen eines Fährschiffes üblich ist.

Nach einer Pause ging die Fahrt weiter nach Süden. Die Ägäis wurde offener. Der  Wind,  der  das  Schiff  zu  treiben  schien,  nahm  zu  und  wurde  spürbarer. Weiße Schaumkronen veränderten das zuvor blaue Meer. Doch unser Schiff glitt ruhig durch die nun etwas bewegtere See. Dann sahen wir wieder Land. Das Schiff glitt ruhig dem Hafen von Mykonos zu. Chora, so nennt man jede Insel- Hauptstadt in der Ägäis, zeigte sich strahlend Weiß im Blau von Himmel und Meer. Dieses romantische Bild, wie aus dem Reisekatalog zieht viele Touristen an. So erlebten wir nach der Ankunft das sprudelnde Leben einer Touristenstadt. Es war Mittagszeit und unerträglich heiß. Ein klappriger Bus fuhr uns durch die Stadt hinauf zu unserer Hotelanlage, von der wir einen fantastischen Ausblick über die unter uns liegende Stadt genossen. Auch die Insel Delos lag unter uns und war von hier aus gut zu erkennen mit ihrer in der Sonne blinkenden antiken Ruinenstadt.  Im  Altertum  hatte  sie  eine  bedeutende  Rolle  gespielt.  Die Mythologie erzählt, das Delos eine schwimmende Insel gewesen sei. Nur auf ihr konnten die Kinder des Zeus, Apollon und Artemis, von Leto geboren werden. Eine andere Geschichte erzählt von Theseus, dem Heroen aus Athen, der hier so ausgiebig die Befreiung der jungen Menschen aus den Klauen des Minotaurus feierte, dass er vergaß, die weiße Fahne der Rettung zu hissen. Als er mit der schwarzen Fahre der Trauer nach Athen zurückkam, glaubte sein Vater Ägeus, sein Sohn sei tot und sprang von einem Felsen in den Tod. So hat dieses Meer den Namen Ägäis bekommen.

Delos hat auch in historischer Zeit seine Bedeutung. Nach den Perserkriegen ftGZoS entstand auf Delos eine große Stadt als Zentrum des Attischen Seehundes unter Führung von Athen. Hier wurde die Bundeskasse verwaltet.

Heute ist Delos eine tote Stadt. Auf der baumlosen Insel gibt es kein Wasser mehr. Es ist nur heiß zwischen den antiken Ruinen. Das haben wir uns erspart, obwohl mancher seinen Fuß schon gerne auf diese angeblich schwimmende Insel  gestellt  hätte.  Man  kann  ja  nie  wissen!  Doch  uns  erwartete  nach  dem Einchecken  im  Hotel  ein  heißer  Fußmarsch  zwischen  lauten  und  hupenden Autos.  Einen  Bürgersteig  gab  es  nicht.  Wir  37  Wanderer  ärgerten  die Autofahrer,  weil  wir  den  Verkehr  behinderten.  Doch  die  fühlten  sich  auch genervt und hupten. Auf dieser Straße wollte niemand wieder zurückgehen, und dann noch bergauf! Dem Protest schloss sich auch für unseren Guide an und so wurden wir am Nachmittag per Bus in unser Bungalow-Hotel zurück gefahren, das  uns  aber  mit  seinem  Flair  und  seinem  wunderschönen  Schwimmbad entschädigte. Denn in der Hitze des Mittags in Mykonos hätten etliche lieber im warmen Meer ein Bad genommen als durch die Gassen der an sich pituresken Stadt zu gehen. Es gab aber in der Stadt eine echte Alternative. Das waren die Tavernen  am  Meer.  Der  leichte  Weißwein  war  eine  wunderbare  Erfrischung, nicht nur in Mykonos, - wenn man nicht zuviel davon trank! Mykonos hatte für die Naturfreunde unter uns ein Plus: Es gab keine Ruinen zu besichtigen! Hier war alles für das Auge, für den Gaumen und das Gemüt. Das tat am Ende gut nach  den  Anstrengungen  von  Athen,  nicht  nur  für  den  Einzelnen,  auch  für unsere  Gemeinschaft.  Auf  so  manches  „Du“  wurde  beim  Abendessen angestoßen. So sehr unsere Reise zur Bildung unseres Geistes diente, so wichtig waren auch die Gespräche und das Kennen lernen untereinander! Dieser Tag war ein Sonntag.
Der  vierte  Tag  in  der  Ägäis  begann  mit  der  schnellen  Montagsfahrt  mit  der „Cat“  von  Mykonos  nach  Naxos.  In  Mykonos  hatten  wir  noch  viel  Zeit  zum Bummeln,  weil  der  Katamaran  später  anlegte  als  wir  gemeint  hatten.  Unser lieber  Guide  Kosta  saß  in  der  Sonne  und  bewachte  währenddessen  unser Gepäck. So konnten wir unbeschwert spazieren gehen oder in einer Taverne uns erfrischen. Unsere Reise hatte den Stress der ersten Tage verloren.
Allerdings galt dies noch nicht für die Überfahrt. Im „Cat“ saß man ähnlich eng wie im Flugzeug und da der Katamaran ins Schaukeln geriet, revoltierten auch einige Mägen. Von der vorbei flitzenden Inselwelt der Ägäis hatten die meisten nicht  viel.  Leider  fuhr  kein  Fährschiff  mehr  in  der  Nachsaison  von  Mykonos nach  Naxos!  Für  manchen  war  diese  Fahrt  unangenehm,  zumal  wir  unser ganzes Gepäck hinauf ins Schiff schleppen mussten und nach der Fahrt wieder mühsam  hinunter.  Da  sind  die  Fährschiffe  günstiger  gebaut.  Sie  haben  eine ebenerdige  Laderampe.  Für  das  Schleppen  des  Gepäcks  ist  das  sehr  viel angenehmer!

Von Chora auf Naxos fuhren wir mit einem schon auf uns wartenden Bus gleich weiter ins Inselinnere. Dort wollten wir eine byzantinische Kirche aus dem 5. Jhd.  sehen.  Auf  einer  schmalen  Straße  durch  eine  weich  geschwungene Hügelwelt ging es durch kleine Dörfer und Streusiedlungen, bis wir zu einem Dorf mit Namen Chalki kamen. Die Schüler waren gerade aus der Dorfkirche gekommen und tummelten sich auf dem Dorfplatz im Schatten der Platanen. Mit einem Gottesdienst hatte nach dem langen heißen Sommer ein neues Schuljahr begonnen.
Das  war  ein  Glück  für  uns,  die  wunderschöne  Kirche  von  innen  sehen  zu können,  vor  allem  die  bilderreiche  Ikonostasenwand,  die  uns  Kosta  aus  der orthodoxen Liturgie heraus erklärte. Der Pope wachte an der Tür und schaute sittenstreng  auf  unsere  Kleidung.  Er  duldete  sie  mit  einem  griesgrämigen Gesicht.  Wir  waren  ihm  als  eine  christliche  Gruppe  angekündigt  worden,  die die  Ikonographie  in  der  griechisch-orthodoxen  Kirche  studieren  wollten. Säkulare  Touristen  ließ  man  in  die  Gotteshäuser  auf  den  Inseln  nicht  mehr hinein. Sie sind für die Einheimischen nur Diebe, die wertvolle Gegenstände, besonders  Ikonen,  mit  sich  gehen  lassen.  Leider  sind  solche  Diebstähle erschreckend oft vorgekommen.

Die uralte Kirche aus dem 5. Jhd eines lag ein paar Kilometer außerhalb des Dorfes Moni in den Bergen. Eine unberührte Natur umgab uns, als wir einen mit Blumenstauden geschmückten Pfad hinauf zur Kirche wanderten.

Die  Kirche  lag  in  einem  Friedhofsgarten  mit  weiß  leuchtenden  Grabsteinen. Drinnen fanden wir dicht gedrängt Platz. Im Chorraum war es so dunkel, dass wir die Fresken kaum erkennen konnten. Auf allen Inseln in der Ägäis heißen die Priester „Capitano“, erzählte Kosta. Sie geben den Kurs zum Paradies an, wie  ein  Kapitän  den  Kurs  des  Schiffes  gestimmt.  Diese  Kirche  trug  den ungewöhnlichen  Namen  „Panhagia  Drosiani“.  Auf  Deutsch  heißt  das, Gottesmutter  des  Frühtaus.  Es  ist  erstaunlich,  wie  grün  Naxos  nach  dem regenlosen heißen Sommer noch war. Aus dem „Frühtau“ saugen alle Pflanzen ihr Leben. Diese Mutter Gottes ruft die Erinnerung wach an die alte minoische Erdmutter  oder  an  Demeter  der  alten  Griechen.  Alle  „Erdmütter“  erzählen von der Zärtlichkeit in der Begegnung mit der irdischen Natur.

Wir waren also auf der Insel der Erdmutter. Es ist kein Wunder, dass Naxos seit Jahrtausenden das Zentrum der mütterlichen Kykladenkultur war. Naxos ist die Insel des Lichtes, der Epiphanie der mütterlichen Gottheit.

Hier wurde Ariadne verehrt. Als Trost suchende und tröstende Erdgöttin ist sie gleichzeitig  Licht-  und Himmelsgöttin, denn  sie  wurde von Dionysos  von  hier aus in himmlische Gefilde entrückt. Maria Himmelfahrt ist hier schon zu ahnen. Die  Erdmutter  als  Himmelserscheinung  ist  auf  Naxos  wie  vielleicht  nirgends sonst empfunden worden. Das liegt an der Natur, am strahlenden Marmor, der hier abgebaut wird, der die Insel so lichtvoll macht.

Alles wirkt hell wie die weißen Dünen und Sandstrände an der Westküste.
Naxos ist eine Insel des Lichtes!

Warum sind alle Häuser in Weiß getaucht? Überall auf den Bergesspitzen sahen wir weiße Kirchlein sitzen. Sie waren dem Propheten Elia gewidmet, der so wie Dionysos in den Himmel gefahren war, dem Gott der Lebensfreude, der Ariadne mit  sich  genommen  und  zur  Himmelskönigin  gemacht  hatte.  Von  Elia  wird erzählt, dass er als Bote des himmlischen Lichtes auf der Erde erscheinen würde. So erzählt die neutestamentliche Geschichte von der Metamorphose Jesu auf einem Berge. Neben seiner leuchtende Erscheinung gesellt sich als Lichtgestalt Elia. Als Jesus am Kreuz schrie, glaubten die Menschen, Elia würde ihm zur Hilfe kommen. So steht es auch in den Evangelien.
„Drosiani“  als  ein  seltener  Name  für  ein  Naturphänomen  ist  gleichzeitig  eine Metapher für die Epiphanie Gottes. Aus dem in der Morgensonne glitzernden Tau  entsteht  neues  frisches  Leben!  Es  ist  eine  Welt  der  Lebensfreude. „Drosiani“  ist  also  die  Gottesmutter  (Erdmutter),  die  am  frühen  Morgen  das Gras  und  die  Blätter  der  Bäume  und  Blumen  zärtlich  benetzt.  Das  Wort „Drosiani“  beschreibt  das  sanfte  Tun,  vergleichbar  mit  dem  lauen  Wind,  der unsere Haut streichelt. Aus solcher zärtlichen Zuwendung entspringt nicht nur neues Leben, sondern auch die Freude, leben zu dürfen und zu genießen.

So  verzauberte  sich  dieser  Ort  am  Rande  der  Welt  in  einen  Garten  der Zärtlichkeit.  Das  steht  natürlich  nicht  in  einem  Reiseführer  und  es  hat  auch nichts  mit  Naturwissenschaft  zu  tun!  Solch  ein  Nachdenken  über  den  Begriff „Drosiani“ ist belanglos für den normalen Touristen, der sich auch an diesen Ort nicht hin verirrt.

Aus der Tiefe der Seele steigen Bilder auf, die zur Erleuchtung einer neuen, lichten Welt werden wollen. Auf Naxos ist es Ariadne, die verwandt ist mit den Trost spendende Müttern, z. B. mit Demeter oder mit der Panhagia Drosiani, die Mutter der Morgenfrische, die Mutter des neuen Lebens.

Wir  fuhren  nun  hinauf  in  die  Berge.  Überall  leuchteten  rings  herum  die Kirchen  des  Lichtes,  geweiht  dem  Propheten  Elia,  der  für  diese  Insel offensichtlich eine große Bedeutung hat. Seine Seele, so spürten die Menschen, ist verwandt mit der hier lebenden Göttin des Lichtes, Ariadne. Unser Bus hielt an und wir bestaunten von einem Aussichtspunkt die Schönheit dieser Insel.

Dann fuhren wir weiter auf die Ostseite von Naxos. In einem  Gebirgsdorf  namens  Apiranthos  machten  wir  unter  den  Schatten spendenden Schirmen der Platanen zwei Stunden Siesta, bevor wir unser Hotel bezogen, das an der Westküste nahe einem Badestrand lag. Dort hatten wir an diesem  Tag  noch  genügend  Zeit  zum  Schwimmen  und  zur  Ruhe.  Unser Abendessen  war  vorbereitet  in  einer  Taverne,  die  direkt  am  Strand  lag.  Die Sonne war über der Nachbarinsel Paros untergegangen und wir erlebten ein wundervolles  Abendrot  über  den  dunklen  Zacken  der  Berge.  Mit  einem Strandspaziergang im Schein des Mondes endete der erste Tag auf dieser Insel.

Wieder ging die Sonne am blauen Himmel auf und ließ den Tau auf den Gräser und  Blumen  glitzern.  Die  „Mutter  des  Frühtaus“  hatte  ihr  Werk  getan  mit  all ihrer Zärtlichkeit, mit der sie das Leben erweckt. Zu einer anderen Mutter der Erde fuhren wir auf engen, aber geteerten Straßen, wieder ging es durch kleine Dörfer  hinauf  in  die  weich  geschwungenen  Berge,  die  den  Süden  der  Insel charakterisieren. Dann waren wir in einem stillen, hellen Hochtal, das von einem Kranz der Berge umgeben war. Nur nach Süden ging der Blick in eine ferne Weite. Das letzte Stück des Weges zum Tempel der Demeter mussten wir zu Fuß gehen. Begleitet von blühendem Oleander stiegen wir auf den Hügel. Oben stand der aus weißem Marmor gebaute Tempel der Demeter. Er war nur klein. Die  Marmorblöcke  der  Cella  waren  fugenlos  auf  einander  geschichtet.  Doch nicht so sehr das Bauwerk faszinierte uns als vielmehr seine Lage. In der Weite des Himmels konnte man sich auch hier wie in Eleusis oder am Aphaia-Tempel auf  Ägina  vorstellen,  wie  die  Menschen  früher  die  Epiphanie  der  Erdgöttin erlebt hatten. An solchen Orten verbindet unsere Seele Himmel und Erde, so dass sogar die dunkle Erde hell in uns wider scheint.

Ein kleines Museum unterhalb des Tempels zeigt Exponaten vom Tempel, aus denen man das ehemalige Heiligtum rekonstruierten kann. 5o% der ehemaligen Bauteile des ganz aus Marmor gebauten Tempels haben die Archäologen im Gelände befunden. Das Dach war mit dünnen Marmorplatten gedeckt, durch die Licht ins Innere der Cella fiel, wie wir es aus den mittelalterlichen Kathedrale kennen, also schattenloses Licht, das als Zeichen der Gegenwart des göttlichen Lichtes  galt.  Solche  Marmorplatten  konnten  wir  in  dem  kleinen  Museum bestaunen. Leider haben die Archäologen den Tempel nicht mit einem solchen Marmordach   wieder   herstellen   können.   So   sieht   man   heute   nur   die aufgerichteten Tempelmauem. Der ursprüngliche Tempel ist ähnlich alt wie der Aphaia-Tempel auf Ägina, also aus der zweiten Hälfte des 6. Jhds. v. Chr. Marmor fasziniert nicht nur durch seine weiße Strahlkraft, sondern auch durch zwei gegensätzliche Eigenschaften. Es ist gegenüber der Erosion unempfindlich und doch ist der Stein so porenoffen, dass er Licht durchlässt. Vielleicht strahlt Marmor deshalb das Licht so intensiv zurück. Man könnte religiös sagen: Im Marmor durchdringen sich Himmel und Erde.

So versteht man auch von daher den Ausspruch, Naxos sei die Insel des Lichtes. Die Griechen haben dem Glauben vom mütterlichen Weltengrund im Bilde der Epiphanie  der  Erdmutter  eine  männliche  Wendung  gegeben.  Die  Erdmutter Ariadne  verlor  sich in  Dionysos. Außerdem hat bei den alten Griechen jeder Gott  seine  Schattenseite,  so  auch  Demeter,  die  die  Griechen  als  Kommutter verehrten.

Doch auf Naxos, der Insel des Lichtes, blieb Demeter die zärtliche und tröstende Mutter, die das Leben voll und ganz bejaht. Sie streut in der Frühe des Tages liebevoll den Tau auf alles Grün, nach dem die Erde lechzt. Diese Mutter hieß in christlicher Zeit auf Naxos bis heute, „Drosiani“ - die Zärtliche.

Die  Zärtlichkeit sollte für mich Thema des Open Air Gottesdienstes sein, den wir nach dem Abstieg vom Hügel der Demeter in einem lichten Kiefernwald feierten,  mit  Brot  und  Wein.  In  diesen  göttlichen  Zeichen  begegnet  uns  die Liebe Gottes. Denn auch Jesus hat das Brot geteilt aus Freude am Leben. Auf dem Weg zurück zur Küste fuhren wir ganz langsam, denn wir wollten Musik miteinander hören. Wir lauschten im Bus den Klängen einer Kantate von J. S. Bach, die uns Rüdiger u. Edeltraut D. mitgebracht hatten.

Wir fuhren in die Hauptstadt. Jede Inselhauptstadt in der Ägäis heißt Chora. Wir - stiegen durch die in Weiß leuchtenden Gassen hinauf zum venezianischen Kastell, dessen Tore von üppig rot blühender Bouganville umrankt waren. fakf'- Geschmückt wie eine Braut sahen wir dahinter die Fassade der katholischen Marienkirche. Im Inneren fiel der Blick auf eine hohe Marienikone über dem Hauptaltar. Die bedeutendere Ikone mit dem Beinamen „Maria lactans“ sahen wir nicht. Sie war gestohlen worden. Die Zärtlichkeit der stillenden Mutter ist nur noch auf Postkarten zu betrachten.
Ganz oben auf dem Hügel, um den sich die Chora schmiegt, liegt neben der Marienkirche das archäologische Museum. In ihm sind die Idole aus der Zeit der Kykladenkultur in Vitrinen ausgestellt. Vor ihnen hat Picasso gestanden und diese  „Kunst  des  Wesentlichen“  studiert.  Nun  betrachteten  wir  diese  abstrakt geformten  mütterlichen  Figuren,  soweit  die  Hitze  und  die  fortgeschrittene Mittagsstunde das noch zuließen. Die gleichförmigen Gesichter der Idole sind zum Himmel gerichtet und die Arme umschließen den nackten Körper.

Nach  dem  Abstieg  auf  einem  Treppenweg  zum  Hafen  gab  es  die  Kühlung verschaffende Mittagspause im Schatten von Bäumen und Tavernen.

Als  letzte  Besonderheit  wanderten  wir  am  Nachmittag  über  einen  Damm  auf eine kleine Insel, die der Stadt vor gelagert ist. Dort stehen die Reste eines Apollo-Tempels. Apoll ist der Gott des Lichtes und der Vernunft. Zur Insel des Lichtes, wie ich Naxos genannt habe, passt die Verehrung dieses Gottes recht gut. Vom Tempel ist ein riesiges Tor wieder aufgerichtet. Von diesem Tor aus schaut man auf die Stadt, wie sie sich für ein Postkartenfoto präsentiert. Danach fuhren wir zu unseren Strandhotel.

Man hätte meinen können, das Licht des Apolls und der Demeter leuchteten aus den Dünen am Strand, hinter denen unser Hotel lag. Wir hatten genug Zeit, dort  den  weiteren  Nachmittag  zu  verbringen  und  im  warmen  Meer  zu schwimmen.

Zum Abendessen versammelten wir uns in der schon vom Vortag her bekannten Taverne,  von  der  aus  wir  den  Abend  mit  dem  sich  rot-violett  färbenden Himmel genießen konnten.  Wir erlebten  in  dieser Nacht auch den Vollmond, der seine Leuchtkraft allmählich gegen den Sonnenuntergang durchsetzte und den mancher noch lange am späten Abend in sein Herz schloss.

Warum auf dieser Insel die Mutter Gottes als Panhagia Drosiani als Mutter des Taus  und  der  Zärtlichkeit  verehrt  wird,  kann  man  mit  den  Methoden  der Archäologen  nicht  erklären.  Steine  reden  nur,  wenn  unser  Gefühl  und  unser Verstehen dazu kommen. Letztlich aber ist es der Geist, der tausende von Jahren überbrückt und so die Vergangenheit mit uns verbindet.

Am Abreisetag feierten wir morgens in dem lieb gewonnenen Strandhotel auf Naxos den Geburtstag von Christiane Sailaä.

Christiane strahlte an diesem ihrem Ehrentag, wie wenn sie vom Morgentau der Panhagia Drossiani erfrischt worden war. Am Abend in Santorin leuchtete ihr Geburtstagslicht noch immer im Widerschein des Mondes, der über dem Meer aufgegangenen  war.  Da  saßen  wir  an  einer  langen  Tafel  einer  Taverne,  die zwischen  der  Meerespromenade  und  dem  Strand  aufgebaut  worden  war.  Im Mondschein glitzerte das Meer und warf seinen Schein zu uns herüber. Dazu leuchtete in den Gläsern der auf Vulkanboden gewachsene Santoriner Wein. Wer wird schon so romantisch beschenkt an seinem Geburtstag!

Nach  Santorini  waren  wir  von  Naxos  mit  einem  Fährschiff  gekommen.  Nach zwei Stunden auf See sahen wir staunend die schroffen, schwarzen Felsen des Kraters des untergegangenen Vulkan, der einmal in der Mitte der kreisrunden Insel Santorin vor dem Jahr 1450 v. Chr. aufragte. Die Urgewalten der Natur hatten ihn explodieren lassen und der riesige Vulkanberg versank in die Tiefe des  Erdinneren.  Übrig  blieben  die  Kraterwände,  die  heute  300  m  aus  dem Kratersee aufragen. Kratersee heißt auf Griechisch Caldera. Unser Schiff glitt langsam  an  den  schwarzen  Wänden  entlang.  Die  Menschen  standen  an  der Reling und bestaunten dieses Naturwunder. Das Sanfte und Liebliche der Insel Naxos verschwand im diffusen Licht. Grell leuchteten hoch oben die weißen Häuser.  Der  blaue  Himmel  kontrastierte  die  bizarr  geformte  Landschaft.  Eine fremde Welt umfing uns, die viel bewegender war als es ein Foto vermitteln kann.  Die  durch  die  Gewalt  der  Naturkräfte  zerbrochene  Insel  schlug  uns  in ihren Bann.

Das  Schiff  fuhr  ca.  30  km  weit  nach  Süden  an  der  Kraterwand  vorbei  zum heutigen  Hafen.  Hier  wartete  schon  ein  Busfahrer,  der  uns  auf  einer Serpentinenstrasse nach oben brachte. Auf dieser Fahrt taten sich Tiefblicke auf, die erschaudern ließen.

Das herrliche Wetter, der Kontrast vom Weiß des Häusermeeres zum Schwarz der  300  m  tief  abfallenden  Kraterwände  und  dem  Blau  des  sich  wölbenden Himmels ließ die Herzen der Naturfreunde unter uns höher schlagen. Um dieses Bild  aus  der  Vogelperspektive  zu  verstärken,  fuhr  uns  unser  Busfahrer  zum höchsten Punkt der Insel, den man erreichen kann. Von dort oben, ca. 500 m über dem Wasser, sahen wir auf Santorini und die vielen kleinen Inseln in der Caldera  herab.  Santorini  selbst  hat  die  Form  einer  Sichel  wie  die  des zunehmenden  Mondes  und  umrundet  zur  Hälfte  die  Caldera.  Der  Blick  nach Norden  bis  zur  Spitze  dieser  Sichel  reichte  ca.  50  km  weit.  Im  Osten  ist Santorini flach. Dort wächst der berühmte Wein der Insel und an der Ostküste liegen  die  Badeorte  und  die  Strände.  Im  Westen  reihen  sich  die  durch  den Tourismus geplatzten Dörfer: Pirgos, Thera (Fira ausgesprochen) und Oia an einander. Im Südwesten nahe der südlichen Spitze der Insel liegt die ehemalige minoische Stadt, die man nach dem nahe gelegenen Dorf Akrotiri nennt. Sie ist beim  Vulkanausbruch  1450  v.  Chr.  verschüttet  worden.  Unter  der  hohen Ascheschicht  fanden  die  Ausgräber  in  den  in  sich  zusammen  gebrochenen Häusern  die  wundervollen  und  gut  erhaltenen  Fresken,  die  herrlichen Wandbilder. Diese Fresken sind weltberühmt geworden. Wir durften sie in den Museen der Insel am nächsten Tag sehen. Anders als in Pompeji fand man aber keine  konservierten  Menschenkörper.  Man  nimmt  an,  dass  die Bewohner  die Anzeichen des kommenden Vulkanausbruches richtig gedeutet hatten. Sie hatten offensichtlich rechtzeitig die Insel verlassen.

Von diesem Aussichtspunkt ging es nach dem gewaltigen Rundblick hinab zu den Badeorten der Ostküste der Insel. In dem Touristenort Kamari lag unser Hotel  mit  dem  schönen  Namen  Aphroditi-Venus.  Jung  war  diese  Schönheit nicht mehr und verführerisch auch nicht, besonders dem Speisesaal fehlte jede „erotische“  Ausstrahlung.  Allerdings  wandelte  sich  das  Bild,  wenn  man  einen Tisch am Hauptpool zum Essen fand. Mit der Zeit - immerhin waren wir hier dreieinhalb Tage! - fand sich im labyrinthischen Auf und Ab der Gänge manche lauschige  und  schattige  Ecke.  Manche  war  auch  mit  einem  kleinen  Pool ausgestattet. Am Ende der Tage hatten sich wohl alle an diesen „Venusberg“ gewöhnt und mancher wäre als deutscher Tannhäuser gerne noch ein bisschen geblieben. Denn das ferne Kreta ohne unseren vertrauten Kosta wirkte all zu fremd. Und dort sollte uns eine schöne junge Frau fuhren, nicht verführen, denn der  der  Ruf  war  ihr  vorausgeeilt,  hoch  gebildet  zu  sein.  Wer  erträgt  solche Frauen schon!

So baute sich allmählich das Bild des Lebens im Venushotel nach erstem Frust immer  positiver  auf.  Dazu  kam  noch,  dass  unser  Domizil  direkt  an  einer schmalen  Promenade  lag  und  man  im  Badeanzug  ganz  ungezwungen  zum Schwimmen ins ruhige Meer gehen konnte, allerdings in Badeschuhen, denn der Strand bestand aus groben Kieselsteinen. Das aber hielt die meisten von uns nicht ab, ausgiebig zu schwimmen. Wenn man erst im Wasser war, gab es keine Unannehmlichkeiten mehr wie wir sie sehr häufig bei uns in der Ostsee haben, etwa Quallen, Schlick und das kühle 19° warme Wasser. Auf Santorini hatten wir 15. September am späten Nachmittag gleichmäßige warme Wasser- und die Lufttemperatur um die 28°.

Und da die Insel von Hamburg direkt in drei Stunden Flugzeit erreicht werden kann und man eine halbe Stunde später sein Hotel erreicht hat, ist verständlicher weise Santorin ein sehr beliebtes Badeziel. Allerdings liegt der Flughafen direkt neben der Hotelkette. Wir hatten mit unserem Venushotel Glück. Denn es lag am Ende des Badeortes, also am weitesten von Flughafen weg. Dafür konnten wir die lautlos landenden Maschinen beobachten. So etwas gibt es!

Es war aber kein Badeurlaub angesagt, sondern anstrengende Besichtigungen in der  minoischen,  antiken  und  byzantinischen  Welt.  Am  Morgen  des  7.Tages strahlte  die  Sonne  wie  jeden  Tag  zuvor  in  der  Ägäis  vom  Himmel.  Unser Busfahrer brachte uns morgens zunächst in den Süden der Insel. Es war dort sehr ruhig. So konnten wir durch den kleinen Fischerhafen bummeln und müßig aufs Meer schauen. Weit im Süden musste Kreta liegen. Aber auch Akrotiri, die minoische Stadt, lag hier irgendwo. Leider laufen zurzeit Reparaturarbeiten und Ausgrabungen  im  Gelände.  So  erhaschten  wir  nur  einen  Blick  von  den überdachten  Ruinen  der  ca.  4000  Jahre  alten  Stadt,  die  wir  leider  nicht besichtigen  konnten.  Schade!  Aber  das  hatten  wir  im  Vornherein  gewusst! Wenn demnächst sich die Tore zu diesem Ort wieder öffnen, wird im Süden der Insel ein eben solches Gewimmel herrschen wie in Thera. Dahin fuhren wir nun ganz  gemächlich.  Denn  unser  Guide  hatte  gehört,  dass  bis  zu  10 Kreuzfahrtschiffe über Nacht in der Caldera vor Anker gegangen waren. Ihre Menschenmassen waren am Morgen mit einer Gondelbahn nach Thera hinauf gehievt worden, die sich nun durch die Gassen der Stadt ergossen.

Da ich ja die Parole ausgegeben hatte, antizyklisch zu reisen, richtete es Kosta so ein, dass das wundervolle neue Museum für die Minoische Kunst von allen Kreuzfahrern bereits verlassen war, als wir ankamen. Doch konnte man ahnen, was hier oben in Fira am Kraterrand noch vor kurzem los gewesen war!

Im  neuen  prähistorischen  Museum  sahen  wir  ohne  Einschränkungen  die wundervollen Freskenbilder aus den 4000 Jahre alten Häusern sind erst in den letzten Jahren gefunden und restauriert worden. Zum Glück hat man sie nicht, wie  es  mit  den  Funden  vor  40  Jahren  geschah,  nach  Athen  ins  dortige Nationalmuseum  gebracht!  Unter  anderem  sieht  man  im  neuen  Museum  den Fischer  mit  seinem  reichen  Fang,  die  tanzenden  Affen  und  den  oben abgebildeten Mädchenkopf.

Ein  paar  Schritte  oberhalb  des  Museums  steht  die  moderne  orthodoxe Kathedrale  mit  einem  großen  Arkadengang.  Die  vielen  Bilder  aus  der Geschichte  der  Panhagia,  die  das  Innere  der  Kirche  schmücken,  sind  kaum aufzunehmen.  Eine  Erklärung  durch  Kosta  war  nicht  möglich.  Schließlich  ist dies eine lebendige und heilige Kirche. Darin ist Andacht und Stille geboten, die natürlich bei den vielen Menschen nicht eingehalten wurde.

Vom Kirchplatz schaut man in die Caldera hinab. Diesen Blick kann man nicht erklären,  so  überwältigend  ist  er.  An  diesem  windstillen  Tag  lag  der  riesige Kraterpool friedlich glitzernd in der Mittagssonne.

In der Caldera lagen ganz in schwarz gekleidet die vielen kleinen Inseln. Wie dieses Ensemble von Inseln durch ungeheure Naturgewalten entstanden ist, kann man sich nicht vorstellen, so friedlich liegt alles unter einem.

Der  Weg  am  Kraterrand  fuhrt  hinauf  in  die  Oberstadt.  Auf  halber  Höhe,  am archäologischen Museum, stießen wir auf die sich drängenden Massen, die dort warteten, um mit der Gondel wieder hinunter zur Caldera fahren zu können. Schließlich  wollten  am  Nachmittag  alle  Kreuzfahrtschiffe  wieder  aus  dem Kratersee  heraus.  Danach  erlebten  wir  relative  Ruhe  in  dem  auch  sonst „wühligen“ Thera. Wenn man aber wirklich Ruhe haben wollte, musste man in eins der zahlreichen Museum gehen. Da waren wir unter uns. Wen interessiert schon das archäologische Museum mit dem Exponaten aus dem spartanischen Thera des 7. und 6. Jhd. v. Chr. oder die Idole der Zeit der Kykladenkultur?

So  gegen  14  Uhr  waren  wir alle kulturell  gesättigt.  Nun hatten wir  irdischen Hunger.  Dieser  konnte  leicht  gestillt  werden,  denn  unzählige  Tavernen  mit Tiefblick in die Caldera kleben dort oben am Kraterrand. So hatten wir Zeit und konnten essen und ausruhen und zuschauen, wie die Kreuzfahrtschiffe sich nach und nach mit ihrer Menschenfracht füllten.

Es mag sein, dass von uns manch einer dachte: „Die haben es gut. Die brauchen sich nicht so viele Museum 16 Uhr alle wieder da. Wahrscheinlich lockte das Baden im Meer doch sehr. Das entspannte die müden Glieder.

Der  achte  Tag  bescherte  uns  drei  schwierige  Aufgaben.  Die  erste  war  die Besteigung des fast 699 m hohen Inselberges. In luftiger Höhe musste man schon etwas schwindelfrei sein, um bei ständigem Tief- und Weitblick durch das Ruinenfeld des antiken Thera zu gehen. Diese Stadt war im 8. Jhd. von Sparta für  Sklaven  gegründet  worden.  Das  spartanische  Leben  ist  ja  sprichwörtlich bekannt. Später hat der erste König der Ptolemäer, der Ägypten als Pharao ab 320  v.  Chr.  beherrschte,  hier  oben  eine  strategisch  wichtige  Festungsstadt gebaut,  die  sich  zu  einer  hellenistischen  Großstadt  entwickelte.  Als  wir  jetzt durch  ihre  Ruinen  gingen,  fragten  wir  uns,  wo  in  dieser  lebensfeindlichen Gegend Wasser und Korn sei. Das musste tatsächlich ständig den Berg hinauf gekarrt  werden.  Wir  waren  natürlich  nicht  die  600  m  Höhenunterschied  den Berg  hinauf  gewandert,  sondern  waren  in  Shuttlebussen  eine  enge Serpentinenstraße hinauf gefahren worden. Von einem ehemaligen Kloster aus ging dann die Wanderung zunächst steil hinauf. Oben führte dann der Weg auf der alten hellenistischen Hauptstraße an den typischen Bauwerken dieser Zeit entlang  wie  dem  Markt  mit  den  Tempelresten  und  dem  Denkmal  der Schicksalsgöttin  der  Zeit  namens  Tyche  und  anderem.  Da  aber  nichts  mehr aufrecht steht, war einigen doch eine gewisse Enttäuschung anzumerken, was man in der Hitze in diesen Ruinen bloß soll, zumal es nicht einmal etwas aus der Minoischen  Zeit  war,  die  ja  eigentlich  mit  Santorini  verknüpft  ist.  Doch  der fantastische  Ausblick  über  die  Insel  und  das  Meer  von  so  hoch  oben entschädigte diese Erwartungen. Das Naturerlebnis war schließlich ein wichtiger Teil dieser Reise.

Nach einer ausgiebigen Mittagspause im Hotel fuhren wir in Richtung Thera, um die byzantinischen Fresken und Ikonen der Kirche von Episkopi zu sehen. Dieser Bau ist 1000 Jahre alt. Unser Guide erklärte uns, was Ikonen und Bilder im  orthodoxen  christlichen  Glauben  bedeuten,  wie  eine  Ikonostasenwand aufgeteilt ist und welche Bilder an ihr wichtig sind. Besondere Aufmerksamkeit erweckten  drei  Bilder  mit  der  Darstellung  der  „Entschlafung  Mariens“.  Die Seele  Mariens  ist  als  ein  neugeborenes  Kind  dargestellt,  das  in  Tüchern gewickelt  ist  wie  eine  Mumie.  Das  gewickelte  Kind  (Seele)  wird  von  einem Engel  über  den  toten  lang  hingestreckten  Leib  Marias  erhoben.  In  der orthodoxen Glaubenswelt ist dies ein Bild für die Auferstehung von den Toten. Ostern ist in der orthodoxen Kirche wichtiger als Karfreitag.

Dieser zweite Höhepunkt des Tages schenkte geistige Konzentration und gab uns Einkehr und Andacht. Jedenfalls konnte sich einige von dieser Kirche kaum trennen.

Bei  der  Weiterfahrt  tauchten  wir  sehr  schnell  wieder  in  das  touristische Gewimmel  der  Inselhauptstadt  ein!  Wir  fuhren  nach  Norden  zur  Spitze  von Santorini.  Eigentlich  wollten  wir  das  letzte  Stück  eine  Wanderung  von  drei Stunden machen. Unser Guide Kosta hatte aber Sorge, einige von uns könnten unterwegs schlapp machen und warnte vor der Anstrengung und der Länge des Weges. Das war sehr schade. Denn weder wanderten wir drei, sondern nur eine Stunde, noch war der Weg allzu steil oder am Abgrund entlang. Dafür boten sich uns so herrliche Ausblicke über die Caldera und die Inselwelt, dass immer wieder  zu  hören  war:  „O,  wie  schön!“  Ein  Drittel  der  Gruppe  hatte  die Warnungen Kostas sehr ernst genommen und ließ sich mit dem Bus nach Oia, dem  Zielort  der  Wanderung,  bringen.  Dort  mussten  sie  auf  die  Gruppe  der  / Wanderer warten. Der Ort Oia ist ruhiger als Thera und ein Geheimtipp fiir die, die etwas vornehmer Urlaub machen wollen und können. Am Abend füllte sich aber auch dieser Ort, als alle Welt den Sonnenuntergang an der Spitze der Insel erleben wollte.

Wir ersparten uns dieses Massenvergnügen und gingen in eine Taverne, die wie ein  Schwalbennest  am  Kraterrand  klebte.  Von  dort  hatten  wir  einen fantastischen Blick in die Welt der Caldera. In der Taverne wurden wir köstlich bewirtet und nach dem Essen nahmen wir Abschied von Kosta, den alle lieb gewonnen  hatten,  denn  er  war  wie  einer  von  uns  geworden.  Es  war  ein wundervoller Abend in dieser luftigen Höhe und ein unvergessliches Erlebnis.

Der Sprung nach Kreta dauerte länger als gedacht, da wir noch am nächsten Tag auf Santorin bleiben durften. Ursprünglich sollte uns schon am Vormittag ein Fährschiff übersetzen. Doch hatten die Fahrplanmacher diese Fährverbindung im  Herbstplan  gestrichen.  So  hatten  wir  nun  einen  richtigen  Erholungstag  in unserem  Hotel.  Manch  einer  empfand  aber  unsere  Reise  gar  nicht  so anstrengend, da sie ja auf den Inseln ziemlich gemächlich verlief. Außerdem war ja die als lang und anstrengend angekündigte Wanderung vom Vortage nur ein Spaziergang gewesen. So machte sich nach dem Frühstück eine Gruppe auf, einen  Berg  zu  besteigen.  Auf  halber  Höhe  lockte  eine  Kirche  am  Hang,  die wollte man genauer besehen. Die meisten anderen genossen das Schwimmen im Meer und das Relaxen im Hotel.

Am Nachmittag ging es dann die Serpentinenstrasse, die ja in die Kraterwand gebaut war, wieder hinab zum Hafen. Dort mussten wir über eine Stunde auf den Katamaran warten, der uns übers Meer nach Heraklion auf Kreta übersetzen sollte.  Es  dämmerte  schon,  als  wir  endlich  losfuhren.  Die  Überfahrt  dauerte mehr als zwei Stunden. Die Sonne im Meer versank. Danach wurde es schnell dunkel und wir fuhren in die Nacht von Kreta.

Am Kai von Heraklion erwartete uns schon winkend Irene. Sie war es nun, die uns als hoch gebildete Reiseführerin angekündigt worden war. Wir freuten uns, wie  freundlich  die  Junge  Mutter  zweier  Kinder“  uns  am  späten  Abend  in Heraklion empfing.

Diese Freundlichkeit sollte sich noch verstärken, als wir nach längerer Busfahrt in dem Ausweichhotel in der Nähe von Rethimnon ankamen. Es war schon sehr spät. Neun Uhr abends war längst verstrichen, als wir von der versammelten Hotelmannschaft  empfangen  wurden.  Man  hatte  für  uns  noch  ein  üppiges warmes Essen in Buffetform vorbereitet und die Kellner gossen immer wieder voll in die Gläser ein. So empfanden wir uns wie in einem Schlaraffenland. Untergebracht  waren  wir  in  Suiten,  hatten  also  Räume  zum  Verlaufen.  Kreta empfing uns ganz schön üppig! Außerdem lag diese Clubanlage direkt am Meer. Kreta  ist  eine  andere  Welt  als  die der Kykladen.  Doch das geistige  Ziel  der Reise war auch hier Demeter.

Sie ist die griechische Erdmutter auf minoischem Boden. Denn auch Demeter trägt die Schlangen als Abbild der mütterlichen Erde.

Die alten Griechen sahen überhaupt Kreta als ihr Ursprungsland. Hier wurde in einer  Höhle  von  der  Erdmutter  Rhea  Zeus  geboren  worden.  Der  jugendliche Zeus zeugte hier mit seiner orientalischen Geliebten Europa den ersten König des Abendlandes. Jedenfalls sahen das so die Griechen.

Kreta ist durch die heilige Hochzeit zwischen dem jungen Europa und dem alten Orient die Wiege einer neuen Weltkultur. Das ist auch archäologisch bewiesen. Doch liegt Kreta am südlichen Rande Europas. Die Griechen empfanden die Kreter  als  Mischvolk,  als  welsch.  Seit  ihrem  sagenhaften  König  Idomeneos, dem Mozart eine Oper komponiert hat, gelten die Kreter als geborene Lügner. In diesem Sinne stellte sich schmunzelnd auch Irene als geborene Kreterin vor. Kreta  ist  tatsächlich  anders  als  die  Inselwelt  der  Kykladen!  Denn  die Urbevölkerung  Kretas  waren  keine  Indoeuropäer  wie  die  Griechen.  Ihre Herkunft, evtl. Pontosgebirge, ihre Sprache und ihre Schrift liegen im Dunkeln. Die  Kreter  waren  wegen  ihrer  geographischen  Lage  immer  ein  Spielball  der Mächte.

Die  Insel  erstreckt  sich  250  km  lang  von  Ost  nach  West  im  östlichen Mittelmeer und wirkt wie ein Bollwerk gegenüber der orientalischen Welt. Auf der  Insel  liegen  wie  eine  Last  drei  alpine  Gebirge  mit  bis  zu  2500  m  hoch ragenden Gipfeln. Hier also entwickelte sich die erste Hochkultur Europas. Ihre Blütezeit  war  zur  gleichen  Zeit  wie  die  Hochkultur  des  Mittleren  und  Neuen Reiches Altägyptens, also zwischen 2000 v. Chr. und 1300 v. Chr.

Zu den Orten der minoischen Erdmütter sollte unsere Reise in Kreta fuhren. Kreta ist das Kemland für die lebensbejahende Religion der Erdmütter, aus der auch  die  griechische  Demeter  hervor  gegangen  ist.  Die  Erdmütter  sind  dem Menschen  zugewandte  Götter,  sie  schenken  äußeren  Wohlstand  und  innere Lebensfreude. Erdmütter werden noch in den Fresken der byzantinischen Zeit dargestellt,  die  ebenfalls  Schlangen  erheben  und  ihnen  Wasser  zum  Trinken geben. So trägt auch die christliche Mutter Gottes noch 3000 Jahre später die Symbole der minoischen Erdgöttin an sich. Diese Art der Darstellung der Mutter Gottes gibt es nur auf Kreta. Das haben wir am letzten Tag im Freskenzyklus der Kirche von Kritsa in Osten der Insel erstaunt sehen dürfen!

Doch nun der Reihe nach! Zunächst fuhren wir in den Westen der Insel. Irene erzählt auf der morgendlichen Fahrt von dem vielen Wasser, das es auf Kreta gibt.  Auch  im  Spätsommer  sind  manche  Feuchtgebiete  in  den  Niederungen nicht  ausgetrocknet.  Kreta  ist  grün,  ganz  anders  als  Santorin.  Es  gibt  viele Obstplantagen und Wälder, besonders im Westen der Insel. Irene erzählte aber auch  von  den  Menschen,  die  hoch  oben  in  den  weißen  Bergen  ihr  karges Bauemleben  fuhren.  Wir  sahen  dieses  weiße  nackte  Kalkgebirge  sich majestätisch über dem grünen Hügelland erheben. Bis in den Juni hinein liegt dort oben der Schnee. Aus Irene sprudelte ihr Wissen heraus. Sie war etwas aufgeregt, weil sie glaubte, dem Charme von Kosta nicht gewachsen zu sein, der uns ja zehn Tage begleitet hatte und jeden Wunsch von uns erfüllt hatte.
Das westlichste Ziel unserer Reise war die orthodoxe Akademie, die hoch über einer Bucht beim Kloster Gonia liegt. Irene wollte uns in der Klosterbibliothek eine Ikonensammlung zeigen und uns in diese Malkunst und in deren tieferen Sinn einführen. Sie hatte von der Agentur gehört, wir wären eine kunsthistorisch gut informierte und christlich geprägte Gemeindegruppe. Leider war an diesem Tag -es war Sonntag - die Ikonensammlung nicht zugänglich. Überhaupt hatte der Pope, der nach dem Gottesdienst eine Taufe abhalten wollte, für uns keinen Sinn. Wir sahen für ihn aus wie gewöhnliche Touristen. Die sind, wie schon oben  aus  besagten  Gründen  berichtet,  bei  den  Popen  nicht  sehr  beliebt. Immerhin durfte uns Irene etwas zur Ikonostase dieser Kirche sagen und am Taufbecken  den  Ritus  einer  orthodoxen  Taufhandlung  erklären.  Zum  Beispiel erzählte sie, dass die Paten mit ihrem Amt eine wesentlich höhere Stellung in der Familie haben als es bei uns so üblich ist. Die Eltern brauchen gar nicht bei der Taufe dabei sein. Sehr abrupt wurden wir mitten in Irenes Ausführungen aus der Kirche heraus komplimentiert.

Der Geist dieses Popen ist noch weit entfernt von dem, der hundert Meter weiter in den modernen Gebäuden der orthodoxen Akademie herrscht.

Dort  hatte  eine  junge  Frau,  Emanuela,  das  Sagen,  mit  der  sich  Irene  gerne gemessen hätte. So eiferten zwei kretische junge „Erdmütter“ um die Gunst ihrer Gäste.

Was  wollten  wir  nun  eigentlich  in  der  Akademie  der  orthodoxen  Kirche?  Wir wollten  mit  unserem  Besuch  einen  Brückenschlag  durchführen  zwischen  der orthodoxen  Ostkirche  zu  den  Kirchen  Westeuropas.  Gerade  in  der  Zeit  der Spannungen, die in der Ökumene zurzeit latent herrschen, erschien uns dies wichtig.  Die  orthodoxen  Kirchen  lehnen  ja  das  Priesteramt  für  die  Frau kategorisch ab. Die augenblickliche Eiszeit zwischen den protestantischen und orthodoxen Kirchen kann aber von solchen Orten der Begegnung überwunden werden.  Dieser  in  der  Akademiearbeit  herrschende  Geist  ist  offen  für  die Begegnungen  der  Konfessionen.  Man  begegnet  sich  hier  nicht  mit festgeschriebenen  Wahrheiten,  sondern  geht  gemeinsam  auf die Suche nach Antworten  auf  die  drängenden  Fragen  unserer  Zeit.  Diese  Akademie  will Grenzen und Fremdheiten überwinden.

Eine Bronzefigur steht in der Halle der Akademie. Sie zeigt zwei Menschen, die mit  ihren  Rücken  aneinander  gebunden  sind.  Das  sei  ein  Sinnbild  für  ihr Verschiedenheit  und  Fremdheit,  sagte  Emanuela.  Weil  sie  sich  nicht  sehen können, können sie sich nicht verstehen. Doch hier in der Akademie sollen die Fesseln  fallen  und  durch  Anschauen  und  Begegnen  Fremdheit  überwunden werden. Für uns alle war diese Figur der beiden mit dem Rücken aneinander gebundenen  Menschen  ein  Mahnmal  für  die  vielen  Grenzen  und  Mauern zwischen  Menschen  und  Kulturen.  Wir  wurden  zu  einem  gemeinsamen Mittagsmahl  auch  mit  anderen  Gästen,  die  dort  eine  Tagung  abhielten, eingeladen. Wir saßen unter Arkaden geschützt vor der immer noch heißen Sonntags-Sonne.  Die  Gespräche,  die  wir  hier  fuhren  konnten,  waren  sehr beeindruckend.  Wir  wussten  wieder  einmal,  nur  Brückenbau  d.  h.  direkte Begegnung  fuhrt  zur  Verständigung  und  zum  Abbau  von  Feindbildern.  Dazu diente auch diese Reise. Denn was nützt es, geistige Brücken zwischen der minoischen  Erdgöttin  und  unserer  Weitsicht  zu  schlagen,  wenn  das  keine Konsequenzen hat für unser weiteres Leben! Wir suchen heute alle ein positives Weltverständnis und doch spalten wir immer noch diese eine Welt in Gut und Böse auf. Gerechte und Schuldige und verschanzen uns hinter Argumenten und Waffen. Hier in diesen Winkel Europas, hinter dem der arabische und persische Orient für viele droht, herrscht ein befreiender Geist, der uns gut tat. Deshalb zählte  die  orthodoxe  Akademie  zu  den  wichtigsten  Stationen  unserer  Reise. Übrigens ist das gemeinsame fröhliche Essen Ausdruck für eine positive Welt, an der wir alle bauen sollten. Das spürten wir hier im Westen Kretas und das sollten wir am Abend in der Taverne unseres so gastlichen Hotels auch unter einander erleben. Dort begegneten wir uns von Mensch zu Mensch, indem jeder dem anderen das DU anbot. Hier wurden wir zu einer Gruppe. Dieses herzliche aufeinander Zugehen an jenem Abend war für mich ein Bild der Lebensfreude, denn  ich  möchte  ja  nicht  eine  Reiseleiter  für  „Touris“  sein,  sondern Gemeinschaft unter Menschen stiften. Nicht zufällig meinten nachher alle: „Die Kellner wären alle so nett gewesen.“ Aber auch mit Emanuela hatten wir schon eine Perle der freundlichen Begegnung in der Akademie gefunden.

Für  den  Stadtbummel  an  diesem  Sonntagnachmittag  durch  die  schönen, venezianische Stadt Chania hätten wir Freizeit gebraucht, um uns irgendwo in eine lauschige Gartentaveme setzen zu können. Doch die Zeit fehlte hier, leider! Als wir am Vormittag des nächsten Tages Heraklion besichtigten und wir einen Rundgang durch die Altstadt machten, spürten wir den Unterschied zu diesem schönen ersten Tag auf Kreta. Das Pflastertrampeln war sehr ermüdend. Es war Montag und das Leben war wie in jeder City voller Menschen und Lärm und Autos.  Irene  versuchte  uns  die  Sehenswürdigkeiten  zu  erklären.  Doch  wir verstanden kaum etwas. In den Kirchen war Stille geboten. Also konnte Irene nur  ganz  leise  reden.  Wieder  bekamen  die  meisten  nicht  viel  von  den Ausführungen mit. Draußen im Gewimmel der Stadt ging es vorrangig darum, nicht den Anschluss an die Gruppe zu verlieren. Als alle begriffen hatten, wo der Löwenbrunnen war, an dem wir uns nach einer Mittagspause wieder treffen sollten, verschwanden alle in kleinen Grüppchen, wie es mittags so üblich war, zumeist in Tavernen im Boulevard oder am Hafen.

Am  Nachmittag  wanderten  wir  zu  der  berühmten  Sammlung  der  minoischen Kunst ins Nationalmuseum. Leider öffnete es erst eine Stunde später als Irene und andere Gäste erwartet hatten. Außerdem wurde das große Haus gerade renoviert.  So  waren  alle  berühmten  Exponate  in  einen  viel  zu  kleinen Raum gepresst.  Beides  hatte  zur  Folge,  dass  viele  Besucher  und  wir  als  Gruppe gleichzeitig durch die Tür in den Ausstellungsraum drängten. Vor den Vitrinen drinnen sah man nur Köpfe. Die arme Irene erklärte Figuren und Vasen, die von uns kaum einer sah. Glücklicherweise sind die meisten „Touris“ am Detail gar nicht so interessiert. So leerte sich der Raum nach einer halben Stunde und nun sahen wir, was uns Irene vorführte, zum Beispiel das Fresko der Pariserin oder die Stierspringer oder den blauen Vogel und den Diskus von Festos und den kleinen  Sarkophag  von  Hagia  Triada  mit  den  zum  Opfer  schreitenden Priesterinnen. Wir hatten genügend Zeit, nun manche berühmte Schönheit in Ruhe zu betrachten wie die drei elegant hergerichteten Frauen, die Bienen in Gold von Mallia, die jubelnden Erdgöttinnen mit den Schlangen in den erhobnen Armen und die schwarze, sog. „Schnittervase“ und vieles mehr. Alles an dieser Kunst  ist  in  Bewegung  und  alles  strahlt  Lebensfreude  aus.  Auch  wenn  die minoische Schrift immer noch nicht zum Verstehen gebracht ist, spürt man eine Welt,  die  man  das  Goldene  Zeitalter  genannt  hat.  Viele  Wunderwerke  der minoischen Künstler, die wir im Museum gesehen hatten, stammten aus dem priesterlichen Palast aus Knossos, in dem die alten Griechen 500 Jahre nach seinem Verschwinden unter dem Schutt der Geschichte das berühmte Labyrinth sahen.  Knossos  gehört  zu  den  „Top  ten“  einer  Griechenlandreise.  Am  Tage quälen sich Massen von Menschen durch die langen Gänge und Stiegen zu den Obergeschossen, besonders wenn morgens um zehn Uhr die Kreuzfahrtschiffe in Heraklion  anlegen  und  viele  Menschen  gleichzeitig  mit  Bussen  zu  den wiederhergestellten Teilen der Anlage gekarrt werden. Diesem Andrang wollte ich  unbedingt  mit  unserer  Gruppe  entgehen.  Als  wir  ein  wenig  später,  als ursprünglich  geplant-  das  Museum  hatte  ja  erst  eine  Stunde  später  geöffnet gehabt  -  dort  ankamen,  fuhr  der  letzten  beiden  Reisebusse  gerade  ab.  Ein riesiger Platz für Busse lag leer vor uns und da wir Zeit hatten, machten wir erst einmal eine Kaffeepause. Dann ging es mit Irene hinauf durch die neuerdings mit Repliken bebilderten Korridore bis zu dem berühmten Thronsaal, der leider nicht mehr betreten werden darf. Es gilt heute die These, der Westliche Teil mit den  bedeutenden  Gebäuden  und  Räumen  sei  dem  Kult  und  der  Religion Vorbehalten und nur die östlich vom großen Platz liegenden Räume wären für die königliche Familie bestimmt gewesen. Der König spielt in der minoischen Kultur  sicher  nicht  eine  so  herausragende  Rolle  wie  der  Pharao  in Ägypten. Man  hat  zum  Beispiel  keine  ausgeschmückten  Königsgräber  gefunden.  Der große,  unter  freiem  Himmel  liegende  Platz  galt  vorwiegend  der  religiösen Begegnung, für Feste und Prozessionen.

Der  sog.  Thronsaal  war  wohl  das  Allerheiligste,  zu  dem  nur  die  oberste Priesterin  Zutritt  hatte.  Viele  Räume  waren  für  die  Aufbewahrung  der  Waren bestimmt und für die wirtschaftliche Administration. In Knossos war es jetzt am späten Nachmittag wunderbar. Die Hitze war gewichen und überall waren wir allein und konnten Irenes Ausführungen verstehen. Einziger Nachteil war, dass wir erst kurz vor Sonnenuntergang in unserem neuen Hotel ankamen, weil wir zum Baden im Meer kaum Zeit hatten. Die meisten von uns waren froh, sich ausstrecken zu können. Dazu kam, dass einige sich mit Husten und Unwohlsein quälten. Einige waren richtig krank geworden.

Am dritten Tag auf Kreta ging es in den Süden der Insel. Der Bus fuhr uns zunächst an den östlichen Hängen des Idagebirges entlang. Dann verließen wir die  ausgebaute  Nationalstrasse  und  folgten  einer  kurvenreichen  Straße  nach Westen durch die grünen Vorberge des gewaltigen Kalksteinmassivs. Das Tal öffnete sich mit dem Blick auf den 2500 m hohen Gipfel des Idagebirges. Wir schauten  in  eines  der  schönsten  Hochtäler,  die  wir  auf  dieser  Reise  sehen durften. Im Hintergrund zeigte sich der „Gehörnte“ Berg“, der 2100 m hoch ist und den kretischen Stier (Zeus) abbildet. Die Fahrt ging nun hinab ins Tal durch Weinfelder und Obstplantagen. In den steilen Berghängen kraxelten Ziegen, die leider auch zur Verkarstung beigetragen haben. Die Straße wurde enger und führte wieder in den Talschluss hinauf. Der Busfahrer musste ganz langsam das riesige Gefährt durch die Serpentinen jonglieren. Es wurde deutlich, weshalb in diese  Einsamkeit  sich  keine  „Touris“  verirren.  So  erlebten  wir  das  Kloster  in seiner Bergeinsamkeit allein für uns. Wir hatten hier auch viel Zeit, um uns die Freskenmalerei  im  Inneren  der  Kirche  von  Irene  genau  erklären  zu  lassen. Vorlage für die Bilder ist der Marienhymnus, der in 24 Strophen die Geschichte Mariens, Tochter von Anna und Joachim, die Mutter Jesu, besingt. Die 24 Bilder sind nur dann richtig zu erkennen, wenn man in einer Art labyrinthischem Tanz von  Wand  zu  Wand  hin  und  her  pendelt.  So  wanderte  wir  wie  bei  einem allerdings ungeordneten Tanz von einer Wand des Kirchenschiffes zur anderen, und von vorne nach hinten und zurück, um die Darstellungen gut zu sehen. Uns Protestanten ist der Marienhymnus wenig bekannt.

Er  ist  in  der  frühen  byzantinischen  Zeit  komponiert  worden  aus  den  uns unbekannten apokryphen Evangelien.

Die Bilder erzählen die Legende Mariens. Sie sind sehr detailliert im kretischen Stil  gemalt,  der  venezianische  geprägt  ist.  Der  Marien-  Hymnus  ist  auch  in Padua, das zu Venedig gehörte, in der Arena Kapelle zu sehen, deren Decke und Wände von Giotto zur selben Zeit ausgemalt worden sind.

Anschließend  genossen  wir  noch  ein  wenig  die  Natur  und  die  Stille  dieses einsamen  klösterlichen  Ortes.  Die  Fahrt  führte  uns  weiter  durch  die  grünen Hügel  hinunter  in  die  fruchtbare  Ebene  von  Messara.  Dieses  Kulturland  war bereits von den Minoem besiedelt und bestellt worden. Hier liegen auf einem Hügel  die  minoischen  Paläste  von  Hagia  Triada  und  Phaistos.  Wir  machten zunächst  Station  an  der  sog.  Villa  von  Hagia  Triada  und  ließen  uns  das Ruinefeld erklären. Hier hat man die schönsten Schätze der minoischen Kunst ausgegraben u. a. die „Schnittervase“ und den farbig erhaltenen Sarkophag. Der Blick vom Hang geht nach Westen zur Bucht von Hagia Galini über die Weite der  Messaraebene.  Bis  vor  kurzem  war  Hagia  Galini  nach  ein  verträumtes Fischerdorf an der Südküste Kretas. Heute ist es fest in „Touris“ Hand. Hier spielt  übrigens  der  Roman  „Der  kretische  Gast“  von  Klaus  Modick,  der  sehr lesenswert ist.
Wir fuhren zur Mittagspause in eine andere kleinere Bucht. Auch dieses Kleinod Kretas  ist  schon  entdeckt.  Als  wir  ankamen,  stand  eine  lange  Schlange  von Bussen an der Straße. Die Tavernen am Strand waren sehr belebt und das Meer auch, allein schon mal durch uns. Das Meereswasser war am 20. September „Südsee“  -  warm,  wohl  um  die  30°.  Dieses  Traumbaden  in  der  Bucht  von Matala wird wohl unvergesslich bleiben.

Auf dem Rückweg machten wir an einer alten Kirche Station, die dem Apostel Paulus  geweiht  ist.  Er  soll  auf  seinen  Wege  zum  Winterquartier  hier  entlang gezogen  sein,  um  nach  Gortys  zu  gelangen,  die  Hauptstadt  des  römischen Kreta.  Sein  Begleiter  war  Titus,  der  auf  Kreta  zurück  blieb,  während  Paulus weiter nach Rom fuhr. Titus gründete in Gortys eine christliche Gemeinde. Er gilt bis heute als Schutzpatron und als Heiliger Kretas. Die alten Mauern des Paulus-Kirchleins erzählen also eine lange Geschichte.

Als wir den minoischen Palast von Phaistos wenige Kilometer später erreichten, war es schon wieder später Nachmittag. Auch hier war der große Busparkplatz schon leer. Die Touris waren schon längst auf dem Heimweg zu ihren Hotels. So konnten  wir  durch  die  Ausgrabungsstätte  ohne  Geschiebe  von Menschenmengen  wandern  und  den  Ausführungen  von  Irene  ohne  Lärm lauschen.  Doch  der  Tag  war  lang  gewesen  und  die  Konzentration  hatte abgenommen, sich irgendetwas in den Ruinen noch vorstellen zu können. Wir genossen aber den Blick, der sich von dem großen Freiplatz nach Osten in die fruchtbare Ebene von Messara bot. Nach Norden lag majestätisch die Kette des Idagebirges vor uns, besonders die Spitzen des gehörten Berges, der als Symbol für Zeus gilt. Es war spät geworden, die Sonne hatte sich gesenkt und zwei Stunden Busfahrt lagen noch vor uns. Wir mussten die Insel von Süd nach Nord zu durchqueren. Es dämmerte schon, als wir unser Hotel erreichten. Es soll aber noch einige unter uns gegeben haben, die ins Meer baden gingen. Für alle, die sonst noch nicht genug hatten, reichte der Pool zum Schwimmen.

Nun blieb noch ein Tag auf Kreta übrig. Der galt dem Osten der Insel und der Demeter  und  den  christlichen  Erdmüttem.  Im  Osten  liegt  das  dritte  alpine Gebirge, das auch Höhen über 2000m erreicht. Das Wetter war umgeschlagen. Es war etwas kühler geworden. Dunkle Regenwolken versuchten über die Berge nach  Osten  vorzudringen.  Doch  gelang  es  ihnen  den  ganzen  Tag  nicht,  die Sonne  zu  verdrängen.  Für  uns  waren  die  weißen  und  dunklen  bauschigen Wolken ein heimatlicher Anblick, nachdem wir vierzehn Tage keine Wolke am blauen  Himmel  gesehen  hatten.  Die  Busfahrt  nach  Osten  bot  viel  großartige Tiefblicke  aufs  Meer.  Die  Hänge  des  Dikty  Gebirges  reichen  hier  ans  Meer heran.  Erst  hinter  der  Hafenstadt  Hagios  Nikolaos  weitet  sich  wieder  das Vorland und die Straße biegt rechts nach Süden ab und umrundet die Gipfel. Unsere erste Station war ein mit wunderschönen Fresken ausgemalten Kirchlein namens  Kera.  Der  Kanon  des  Bilderzyklus  im  Mittel-  und  Südschiff  ist  der Panhagia  geweiht.  Im  Nordschiff  sahen  wir  dann  die  Mutter  Gottes  mit  dem Symbol  der  minoischen  Erdmutter.  Sie  erhebt  die  Schlange  als  Zeichen  des neuen Lebens und gibt ihr zu trinken. Die Schlange verkörpert die Erde, die nach Feuchtigkeit lechzt. Die Mutter Gottes erfrischt das Leben und stärkt es. Höhepunkt  der  Reise  war  eine  Skulptur  der  Demeter.  Sie  war  vor  wenigen Jahren   in   einem   Acker   bei   Ierapetra   gefunden   worden.   Heute   steh   sie wundervoll aufgebaut im Museum der Stadt. Sie erhebt die den rechten Arm und zeigt zwischen Daumen und Zeigefinger das Samenkorn, über dem linken Arm trägt sie ein Bündel Ähren und in ihren Haaren winden sich Schlagen. Ihr Gesicht  ist  wunderschön  moduliert,  ihr  Blick  geht  in  die  Weite  und  ihre Körperhaltung zeigt den Adel des menschlichen Lebens. „Das Leben ist schön“! Wollte das uns die Demeter sagen!? Sie hatte ihr einziges Kind verloren. Ist deshalb ihr Blick so in sich gekehrt? Doch er wirkt auch verklärt. Ich spüre beim Anblick dieser  mütterlichen  Augen, dass  ihre Tränen  die Erde benetzen, und diese kann wieder aufatmen.

Das Adventslied von Friedrich Spee kommt mir in den Sinn, das er 1622 im Dreißigjährigen Krieg geschrieben hat:

„O  Gott,  ein  Tau  vom  Himmel  gieß,  im  Tau  herab  vom  Himmel  fließ.  Ihr Wolken brecht und regnet aus, dem König über Jakobs Haus.

O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd, dass Berg und Tal grün alles wird. O Erd, herfur dies Blümlein bring, o Heiland aus der Erden spring.

O klare Sonn, du schöner Stern, dich wollten wir anschauen gem, o Sonn geh auf, ohn deinen Schein, in Finsternis wir alle sein.“

Epilog

Ierapetra,  das  Städtchen  an  der  Südküste  Kretas,  schenkte  uns  noch  einen warmen Sommertag. Im Norden Kretas in Heraklion soll schon an diesem Tag der erste Regen nach vier Monaten Trockenzeit gefallen sein. So wie im Regen die Natur des Südens tief aufatmet, so nahmen wir die letzten Sonnenstrahlen mit uns in den Norden. Wir wanderten am Meer auf der Strandpromenade dieser geruhsamen Sonnen-Stadt, setzten uns in Tavernen direkt am Meer und schauten den Fischen im klaren Wasser zu.

Auf dem Rückweg kehrten wir am späten Nachmittag zu einem Abschiedsessen bei griechischen Freunden von Ingrid und Günther H. ein. In Mochlos, das an der Nordküste Kretas in Richtung Sitia liegt, fuhren die beiden eine Taverne. Wir wurden von Gaby und Manolis ganz herzlich empfangen. Es wurde feucht fröhlich gefeiert, gegessen, getrunken und getanzt. Günther und Ingrid hatten für die Getränke gesorgt und unsere Agentur ECC spendierte das Essen. Danach nahmen  wir  Abschied  von  unserem  Guide  Irene,  die sich in  unserer Gruppe zunehmend  wohl  gefühlt  hatte.  Wir  dankten  ihr  für  ihre  freundliche  und kompetente  Begleitung.  Sie  hätte  uns  gerne  länger  durch  ihre  Heimat  Kreta geführt. So hatte sie uns nur im Eilgang Kreta nahe gebracht, allerdings für mich mit  den  so  wichtigen  Eckpunkten  im  Westen  der  Insel  mit  der  Orthodoxen Akademie  und  ihrer  in  die  Zukunft  weisenden,  Völker  verbindenden  Arbeit, und dem im Osten mit der wunderschönen, doch so nachdenklich schauenden Demeter von Ierapetra. Ihre herrlich geformte Gestalt ist voller Zärtlichkeit. Sie soll uns ein Beispiel sein für die Würde des Menschen.

Im  Dunklen  wanderten  wir  von  der  Taverne  am  Meer  den  Weg  hinauf  zu unserem  Bus,  der  uns  von  Mochlos  auf  der  Nationalstraße  nach  Heraklion brachte. Wir waren sehr spät im Hotel. Da hieß es Koffer packen, kurz schlafen und früh am nächsten Tag zum Flughafen fahren! Als das Flugzeug der Aegean Airline  in  Heraklion  abhob,  hingen  über  der  Stadt  und  dem  sie überragenden„Schlafenden Zeus“ (So nennt man den Hausberg von Heraklion) dunkle Regenwolken. Wundervolle Wolkenberge über der Ägäis begleiteten uns auf dem Flug nach Athen. Erkennbar unter uns tauchte noch Santorin auf. Dann ging es durch die Wolken. Als wir in Athen landeten, schien schon wieder die Sonne.  Es  war  spürbar  kühler  geworden,  als  wir  das  Flughafengebäude verließen. Wir hatten viel Zeit, bis unser Lufthansa-Maschine nach Düsseldorf abfliegen  sollte.  So  nutzten  wir  die  Stunden,  um  das  berühmte  Kloster Kaisariani  in  den  bewaldeten  Bergen  östlich  von  Athen  zu  besichtigen.  Wir hatten einen Bus gechartert, der uns ins Hymettos-Gebirge brachte. Das Kloster mitten im Kiefernwald ist vor kurzem mit Hilfe der UNESCO restauriert worden und gehört seitdem zum Weltkulturerbe. Die Kirche des Klosters, indem aber keine Mönche mehr leben, trägt zwei byzantinische Kuppeln. Wir konnten im Inneren die vielen Freskenbilder bestaunen, die auch wieder hergestellt sind und in  frischer  Farbgebung  leuchten.  Wir  hatten  auf  unserer  Reise  von  unseren beiden Guides viel über die Ikonographie byzantinischer Malerei gelernt. Dieses Wissen  konnten  wir  hier  nun  selbsttätig  anwenden.  Nach  dem  geruhsamen Rundgang  durch  die  wieder  her  gestellte  Klosteranlage,  wanderten  wir  auf einem Waldweg zu einem Aussichtspunkt. Von dort schauten wir hinab auf das Häusermeer  der  Stadt  Athen.  Inmitten  ragt  die  Akropolis  heraus  mit  dem Parthenon. Weiße Wölkchen zogen über einen klaren Himmel. So konnten wir bis  nach  Piräus  und  nach  Salamis  im  Saronischen  Golf  sehen.  Was  für  ein Glück, dieser Blick mit der Sonne im Rücken! So Athen sehen zu dürfen! Denn sonst liegt die Stadt im Sommer unter einer dreckigen Dunstglocke.

Wir hätten ruhig noch eine Stunde länger hier oben am Kloster bleiben sollen, denn  als  wir  wieder  ins  Flughafengebäude  kamen,  hörten  wir,  dass  der  uns bekannte spontane Streik an diesem Tag den gesamten Verkehr in Athen, auch den auf dem Flughafen, lahm gelegt hatte. Wir mussten also warten und wurden allmählich  unruhig,  als  wir  feststellten,  dass  unsere  Anschlussmaschine  von Düsseldorf nach Hamburg kaum noch zu erreichen war. Um 18 Uhr, mit drei Stunden Verspätung, hob endlich unsere Lufthansamaschine ab. Als wir um 21 Uhr 15 in Düsseldorf landeten, empfingen uns zwei freundliche Angestellte der Lufthansa,  um  uns  zu  einem  klapprigen  Bus  zu  bringen,  der  uns  durch  die Nacht nach Hamburg bringen sollte. So verlängerte sich unsere Reise um fünf Stunden und eine Nacht.

Doch letzten Endes waren wir auf so vielen Wegen geschützt gefahren und gut geleitet worden, dass wir getrost Dank sagen konnten dem, der das Leben liebt, der immer beides ist: Vater und Mutter von alle Geschöpfen.

Von guten Mächten treu und still umgeben
Behütet und getröstet wunderbar
So will ich diese Tage mit Euch leben
Und mit Euch gehen in ein neues Jahr. D. Bonhoeffer

So grüße ich Euch mit weihnachtlichem Segen und Dank

Hartmut Nielbock Seth, Weihnachten 2011 Christa ist wieder gesund zuhause!