Eine Gemeindereise über das ägäische Meer und zu den Bergen des Lichtes.
Mit einer Gruppe von 35 Personen fuhren wir im September 2011 von Athen über die Kykladen nach Kreta in die Ägäis.
Das Geleit oder den roten Faden gab uns Demeter, die griechische Erdmutter, eine geistige Schwester der berühmten Ariadne von Naxos.
Sie erleuchtet die Erde und erhebt sie aus der dunklen Tiefe der Erde zum Licht und zu den Bergen, deren Höhen den Himmel widerspiegeln.
Zu den „Lichtorten“ der Erdmutter sind wir gefahren, um die Zuwendung und das Wohlwollen der göttlichen Welt in uns aufzunehmen, die viele Menschen schon vor uns in der Ägäis gesucht und gefunden haben.
Die „Lichtorte“ der „himmlischen“ Erdmutter findet man überall auf den Hügeln im ägäischen Meer, wenn man mit staunenden Augen die Schönheit der Erde anschaut. Sie geben den Blick frei für einen weiten Himmel. Die „Lichtorte“ in der Natur sind und waren seit Menschengedenken Stätten der Begegnung mit Gott, der Freude in dem von ihm geschaffene Leben will. Es sind Stätten lebensbejahenden Epiphanie. In dieser Begegnung kann das menschliche Herz weit werden und vor Freude springen, wie es die labyrinthischen Tänze der alten Minoer zum Ausdruck bringen.
Die minoische Erdgöttin versinnbildlicht die Lebensfreude, wenn sie in ihren Händen zwei Schlangen erhebt. Ihre jubelnde Erscheinung erzählt von der Frische des am Morgen neu werdenden Lebens. Sie betont die Zartheit und Behutsamkeit, die im jungen Leben steckt und leitet an zur Zärtlichkeit.
Die Erdmutter(Demeter) spendet Trost und befreit von der Angst. Sie schenkt einen freien Blick in die Weite und Schönheit der Schöpfung und verkörpert eine Gegenwelt zu der der Angst und Gewalt. In ihr wird der Wert und die Würde des Lebens betont. Das Sterben wird nicht als Tragödie angesehen und wird nicht wie bei den Griechen mit Schuld und Schicksal verbunden. Auf den Spuren dieser Erdmutter (Demeter) sollte auch unsere Reise lichtvoll werden, eine Reise, die weit in die lebensfreundliche Welt der Minoer reicht, aus der Demeter stammte. Wo auch immer wir einen „Lichtort“ der Demeter aufsuchten, war zuvor schon eine minoische Erdgottheit gewesen und von einer kulturell hochstehenden Menschheit fröhlich verehrt worden.
Demeter ist aus dem Bewusstsein der Menschen nicht verschwunden. Sie ist mit ihren Tröstungen und ihrer Zärtlichkeit eingegangen in die christliche Mutter Gottes, die darüber selbst zur Erdmutter wurde. Maria, die die Schmerzen einer Mutter durchlebte, die ihr Kind verloren hat, wurde als Mater Dolorosa zur Quelle des Lichtes und des neuen Lebens. Sie umhüllte das Dunkel des Todes mit der Zärtlichkeit der Liebe.
Diese Gruppen-Kulturreise war durchaus geistlich geprägt und somit war auch die spirituelle Phantasie gefragt. Der erste Ort dieser Reise zum Licht und zur der Erleuchtung waren der Besuch des berühmten Demeter-Mysterienheiligtums in Eleusis bei Athen.
Am Ende stand die wundervolle Gestalt der Demeter in Ierapetra auf Kreta. Sie verkörpert den der Liebe und Lied geadelten Menschen.
Vierzehn Tage lang wehte uns Äolos, der milde Nordwind, über das Meer in den Süden Kretas, bis wir vor dieser Skulptur der Demeter standen, einem Wunderwerk des menschlichen Geistes und seiner Schaffenskraft. Der verinnerlichte Blick in die Tiefe des werdenden Lebens spiegelt die Schönheit des Lebens wider.
Es ist aber nicht nur eine ungebrochene Harmonie in der Haltung dieser Frau, sondern auch eine Suche nach dem Verlorenen. In der Selbstvergessenheit zeigt sich die Trauer um den Verlust der Tochter. Schaut man länger in dieses in sich gekehrte Gesicht, sieht man in die Tiefe der eigenen Seele, die auf der Suche ist nach dem Trost der Welt. Und doch hört die Seele das erhebende Wort des Beters aus dem 139igsten Psalms: „Ich danke dir, Gott, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke, das erkennt meiner Seele.“
Auf dem Wege zu diesem Wunderwerk der Demeter, Bild der menschlichen Schöpfung, wurden wir nun 14 tage lang von liebevollen Menschen aus Griechenland begleitet, von Insel zu Insel des ägäischen Meeres, zu ihren Bergen des Lichtes. Die Hügel des Lichtes sind Abbild der minoischen, griechischen und christlichen Erdmutter, die die Einheit der hellen Welt Gottes verkörpert.
Der erste Hügel des Lichtes ist Eleusis. Hier ist der einzige und eigentliche Wohnort der Demeter. Nur hier wurden ihre Mysterien aufgeführt. Hier hatte Demeter sich nach griechischem Mythos den Menschen offenbart. Eleusis liegt 20 km westlich von Athen am Saronischen Golf, der die westlichste Bucht der Ägäis ist. Eleusis und Athen waren seit der archaischen Zeit Griechenlands durch eine gepflasterte Heilige Straße verbunden, auf der jährlich im September die Festspiele und Prozessionen zu Ehren der Demeter stattfanden. Sie hatte den Menschen das Korn gegeben und damit auch den Wohlstand und die Lebensfreude. Im Museum von Eleusis oberhalb der Festspielhalle dem sog. Telesterion, steht eine Kopie der Reliefs dieses mythischen Ereignisses. Links im Profil übergibt die Erdmutter dem kleinen Menschen das Korn und erklärt ihm den Vorgang von Saat und Ernte. Links hält schützend Persephone die Fackeln über ihn, Triptolemos genannt, der Dreimalpflüger. Die eine Fackel weist nach oben zum Licht, die andere in die Tiefe der Erde, in der das Wunder des Werdens und Wachsens beginnt.
Verlässt man das Museum, geht der Blick hinaus über das Meer auf die Bucht von Salamis. In dieser Bucht spielte sich kein Mythos ab, sondern eine berühmte Seeschlacht, in der die Griechen gegen die Perser im Jahre 480 v. Chr. gewannen. Hier war eine andere Göttin am Werke gewesen: Athene, die Schützerin der Polis. Sie war aber auch Kriegsgöttin. Ihr zu Ehren wurde der Parthenon auf der Akropolis gebaut, ebenso in drohender Gebärde eine Statue der Athene Prochamos. Zwei Lebenswelten traten uns entgegen, als wir auf diesem Hügel des Lichtes von Eleusis die Kommutter und die Mutter des Krieges nebeneinander vor unseren geistigen Augen auftauchen sahen. Sie sollten uns am nächsten Tag auf Ägina wieder begegnen!
Das antike Griechenland war sehr zerrissen und zerstritten. Doch neben den vier olympischen Stätten des Friedens galt Eleusis als Ort des gemeinsamen griechischen Geistes. Seine Mysterienspiele wurden noch gefeiert, als der römische Kaiser Theodosius das Christentum zur ausschließlichen Staatsreligion erklärt hatte. Eleusis und sein berühmtes Telesterion wurden gewaltsam geschlossen und auf Befehl des Kaisers zerstört.
Man verlässt diesen Hügel des Friedens sehr nachdenklich, auf dem Krieg und Frieden so nahe beieinander liegen. Mit der Zerstörung von Eleusis wurde der ökumenische Gedanken von Reiche Gottes ad absurdum geführt. Der Weg der Kirche führte von dieser Tat in die Intoleranz und einen Absolutheitsanspruch, der den Krieg zum Mittel der Religionspolitik machte.
Sehr nachdenklich fuhr ich die Heilige Straße von Eleusis nach Athen zurück. Was hat das spätere Europa geprägt, die Schlacht von Salamis oder die Kommutter von Eleusis? Hat Europa nach dem Holocaust und dem Schrecken des Weltkrieges etwas gelernt oder wird das Töten der Kriegsgöttin Athene immer noch höher geschätzt als die Leben spendende Demeter, sie, die tröstet wie eine „mater dolorosa“?
„Der Vater aller Dinge ist die Lebensfreude. Die schöpferische Kraft dafür ist die Liebe.“ Das ist ein verständliches Credo. Ähnlich dachten viele von uns beim Anblick der an den Himmel gemalten Vögel und Blumen. Akrotiri nennt man eine um 1450 v. Chr. in der Vulkanasche verschütteten Stadt auf der Insel Thera (Santorini).
Nach unserer Rückkehr nach Athen sahen wir im Nationalmuseum das 3600 Jahre alte Originalffesko (siehe oben!), das für mich zu den schönsten impressionistischen Werken der Welt zählt.
Zunächst erläuterte uns Kosta, unser hoch gebildeter Guide, die historische Entwicklung der griechischen Kunst bei einem Rundgang durchs Museum. Das erste berühmte Werk, das wir betrachteten, war die sog. Goldmaske des Agamemnon. Am Ende standen die wundervollen Bronzeplastiken, zum einen der „Hermes von Marathon“ von Praxitiles und zu anderen „das Kind (Jockey) auf einem galoppierenden Pferd“. So reichte der Bogen der griechischen Kunst von der mykenischen bis zu der hellenistischen Zeit.
Eine kleine Bronzefigur aber hatte uns Kosta nicht erklärt. Es war die„Athene - Prochamos“, an der wir vorbei gingen. Sie zeigt den kriegerischen Geist der sonst so edlen griechischen Weitsicht. Er spiegelt ein gegensätzliches Weltbild zu dem der Minoer wider, die aus der Schönheit der Natur ein positives Gottesbild entwickelt hatten.
Diese Athene nennt man „Prochamos“, weil sie zum Krieg gerüstet ist. Das überlebensgroße Standbild stand ursprünglich in kampfbereiter Haltung vor dem Besucher, der die Propyläen durchschritten hatte und im heiligen Bezirk der Akropolis angekommen war. Diese große Statue ist verloren gegangen, doch im Nationalmuseum steht eine Miniaturkopie von ihr, die den größten Kontrast darstellt zur Demeter von Ierapetra auf Kreta!
Nach einer Mittagspause im Hof des Museums unter Arkaden und Bäumen bei ca. 35° im Schatten erklommen wir in der Mittagshitze den Nordhang der Akropolis, vorbei am berühmten Dionysostheater, in dem das Drama „Prometheus“ von Aischylos uraufgeführt wurde und vorbei an dem wieder erstellten römischen Odeon. Auch wenn der Weg hinauf zum Parthenon gut ausgebaut ist, mussten wir einige Pausen machen. Glücklicherweise war Kosta so alt wie wir und gönnte sich auch Verschnaufpausen. Die Mühe lohnte sich, denn oben waren wir mit wenigen Rucksacktouristen allein. Von der Freitreppe vor den gewaltigen Säulen der Propyläen ging der Blick hinunter auf die Altstadt, den Areopag und die Stoa. Dann gingen wir durch das ca. 30 m tiefe Torhaus auf den weiten Platz, doch sahen wir nicht mehr die gewaltige Skulptur der Athene Prochamos, die dort die Besucher vor 2500 Jahren begrüOte. Dafür sahen wir den dorischen Parthenon-Tempel, der zu Ehren der Jungfrau Athene von den Athenern errichtet worden war. Linker hand sahen wir die wunderschönen Koren des Erechteion-Tempels. Koren nennt man Jungfrauen, die das Gebälk der Vorhalle des Tempels tragen.
Die wundervoll geformten Säulenschäfte des Parthenon werden seit zwanzig Jahren präzisiös ergänzt oder neu geschaffen. Irgendwann einmal wird dieser größte und schönste alle Tempel Griechenlands im Licht des Südens erstrahlen. Jetzt aber ist er noch eine Baustelle, um die wir etwas irritiert herum schlenderten, weil Gerüste und Kräne den Blick verstellten. Die meisten unserer Gruppe waren bald schon verschwunden auf der Suche nach etwas Trinkbarem, denn der Durst war groß. Am Eingang unten, zu dem wir nun schnell zurück wanderten, gab es einen Getränkeautomaten! Ich hatte den Eindruck, dieser zog mehr an als die kannelierten Marmorsäulen dort oben, obwohl von unten und nun wieder von weitem betrachtet der Parthenon wie ein Weltwunder wirkte. An Weltwunder darf man offensichtlich nicht zu nahe heran gehen.
Wie sich unsere Sinne so täuschen lassen!
Was wir auf der Akropolis nicht erleben mussten, war das Gedrängel und Geschiebe der Massen. Vormittags kommen, so sagte unser Guide, ca. 7000 Menschen (Kreuzfahrer) den steilen Felsen hinauf. Im Geschiebe auf der Freitreppe und dem Geschrei der vielen Fremdenführer vor dem Parthenon versteht kaum einer etwas. Am Nachmittag ist dann Ruhe im Heiligtum und nur so Vernünftige wie wir tummeln sich auf dem in praller Sonne gleißenden Plateau.
Auch in dem tagsüber überfüllten Akropolis-Museum waren wir abends ziemlich allein. Doch ist es eine Illusion, dem Massentourismus wirklich entgehen zu können. Das erlebten wir ein paar Tage später in der Stadt Thera auf Santorin. Dort quälten sich, als wir mittags unseren Bus verließen, große Menschenmassen (Kreuzfahrer) durch die Gassen hinauf zur Seilbahn, die sie zu den Schiffen, die in der Caldera auf Reede lagen, zurück bringen sollten.
Meine Art zu reisen geht gegen den Strom. Ich nenne sie antizyklisch. Das aber ist anstrengender. Deutlich spürten die meisten dies, wenn wir noch abends Vorträge unserer Guides an berühmten historischen Stätten anzuhören hatten. Sehr deutlich wurde dies in Knossos auf Kreta. Dort schlichen wir, todmüde vom Straßenpflastertrampeln und der Stadtbesichtigung von Heraklion, durch die Gänge des Labyrinths. Noch deutlicher war dieses Phänomen des antizyklischen Besichtigens in der anderen berühmten und tagsüber überlaufenen minoischen Palaststadt Phaistos gewesen. Dort brach nach intensiven Erlebnissen eines langen Reisetages unsere Guide Irene ihre „Uni reifen“ Ausführungen über die minoische Kultur ab und erlöste uns kurz vor Sonnenuntergang von den vielen toten Steinen.
Doch nun zurück zu unserem Tag in Athen. Das Akropolis- Museum gilt als eines der modernsten seiner Art in der Welt. In seinen Glaswänden spiegelt sich die Akropolis und der Parthenon.
Dieser Glaspalast verwirrt unsere räumlichen Empfindungen. Die Fußböden sind wie die Außenwände ebenfalls aus Glas. Schon der Weg zum Eingang ist ein Glasweg. Unter dem Glas liegen in der Tiefe antike Mauerreste.
Geht man drinnen eine Rampe hinauf, also eine schiefe Ebene, auf eine Freitreppe zu, und schaut zur Decke, so ist diese auch aus Glas, auf dem man die Fußsohlen gehender Menschen sieht als seien die dort oben unsere Antipoden. Glücklicherweise tragen Frauen heute kaum noch Röcke, sonst würde manch ein Mann an den wundervollen archaischen Koren und anderen Schönheiten in den Vitrinen in den Wänden des Rampenweges vorbei gehen. Zu den schönsten Koren, die dort oben sind, wo Menschen auf Glasfußböden laufen, wird der Besucher die Freitreppe hinauf geführt. Dann steht man einer 2500 Jahre alten Kore mit herrlich gelocktem Haar gegenüber, die gerade von einem Restaurator effektiv geputzt wird. Das gibt es sonst wohl kaum woanders, so in die Tiefe der Geschichte hinein genommen zu werden! Dann geht es ganz nach oben und man umrundet einen hoch modern wirkenden Baukörper, um den ein Fries mit antiken Reliefs herumläuft. Es ist der berühmte Fries des Bildhauers Phidias, der nicht mehr Götter- oder Heroengeschichten in Reliefs erzählt, sondern die Festvorbereitungen zu den in der Antike berühmten panathenäischen Spielen. Dieser Bilderfries verlief ursprünglich im Inneren des Parthenon um den Pronaos, die Cella und den Bau, den die Fachleute Opisthodomos nennen, der hinter der Cella lag. Die schönsten Reliefbilder aber sind heute im Britischen Museum in London zu sehen. Ohne einen Zusammenhang mit der Geschichte des antiken Athens stehen sie dort! Hier oben im Museum gegenüber dem tatsächlichen Parthenon sehen wir sie als Repliken. Wir werden bei diesem Gang zunehmend von der kongenialen Idee des modernen Architekten in den Bann gezogen. Viel Raum ist dort oben zwischen dem modernen Tempel und der Glaswand, die den Blick auf das heutige Athen freigibt. In diesem weiten und lichten Raum stehen viele schöne Koren, aber auch der Hirte mit seinem Kälbchen auf seinen Schultern. Hier steht auch die berühmte Athene, die die Aigis ausfahrt, um die Stadt zu schützen, ein Ziegenfell ihres göttlichen Vaters Zeus. Die Aigis stammt von einer Ziege, mit der Zeus als Kind auf Kreta aufgewachsen war.
Am nächsten Tag werden wir mehr über die Athena hören, wenn wir am Aphaia-Tempel auf der Insel Ägina stehen werden.
Nach dem intensiven Museumsbesuch saßen wir nach dem Essen auf der Dachterrasse unseres Hotels und schauten am zunehmenden Mond vorbei auf die beleuchtete Akropolis und die dicht neben einander stehenden siebzehn Säulen der Längsseite des Parthenon. Wir waren todmüde und ein bisschen überanstrengt von so vielen gewaltigen Eindrücken des Tages.
Am zweiten Morgen in Athen brachte ein Reisebus uns 35 Griechenlandfahrer zum Hafen von Piräus. Es war Wochenende und in der sonst so quirligen Großstadt war es ruhig. Demonstrationen waren nicht zu erwarten. Denn die Athener entflohen der aufgestauten Hitze der Mauern. Am Hafen versammelten sich viele, um zu den Inseln im Saronischen Golf zu fahren. Auf dem Fährschiff waren wir mitten unter ihnen. Doch Kontakte und Gespräche über die Situation der Menschen in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise entwickelten sich nicht. Wir saßen vielmehr unter uns auf dem Oberdeck im prallen Sonnenschein. „Das sei typisch für Touris“, meinte Kosta. Wir wollten etwas sehen und den kühlenden Fahrwind genießen. Auf der einstündigen Fahrt sahen wir Frachtschiffe, die vor Salamis auf Reede lagen. Sie warteten offensichtlich auf Fracht. Das war wohl vergebens. Im Dunst tauchten bald die Konturen von Ägina auf. Als wir an der Nordseite der Insel vorbei fuhren, meinte ich zwischen zwei Bergen einen Hügel auszumachen, auf dem die Säulen des Aphaia- Tempels aufragten. Dies war unser Ziel. Doch zuvor erlebten wir nach dem Verlassen des Schiffes das quirlige Durcheinander im Ferienstädtchen. Viele Leute wollte ein geruhsames Wochenende an den weißen Stränden dieses Ortes verleben. Aus dem Bauch unseres Fährschiffes strömten mit uns hunderte von Feriengästen, die lautstark von anderen in Empfang genommen wurden.
Auf uns wartete ein Bus, der uns in die Stille der Hügelwelt brachte durch auffällig saubere Dörfer.
Aphaia war eine griechische Nymphe. Doch ihr Name weist zurück in die minoische Epoche. Er bedeutet, die „Lichtvolle“. In minoischer Zeit gab es hier schon eine Kultstätte für den Ritus der Epiphanie der Erdgöttin. Der lichtvolle Ort lässt dies ahnen.
Der noch teilweise erhaltene Tempel ist ein Werk des Inselvolkes, das Homer in der Ilias die Myrmidonen nennt, ein kriegerischer Stamm der Griechen, der im 7. und 6. Jhd. vor Chr. die entscheidende Handelsmacht im östlichen Mittelmeer war. Der Erzrivale der Aigineten waren die Athener. Die Ägineten, wie man das Inselvolk heute nennt, bauten ihren Tempel wie die Athener den Parthenon zu Ehren der Göttin Athene. Sie steht in der Giebelmitte kampfbereit mit ausgefahrener Ägis, um das Inselvolk zu schützen. An den Rändern des Fells zischeln viele Schlangen. In der Linken schwingt sie ihre Lanze.
Rechts und links von ihr kämpfen die Heroen. Das sind die Ahnherren des äginetischen Volkes. Sie galten als die Sieger in den beiden trojanischen Kriegen.
Im ersten Krieg gegen Troja war Telamon der große Held. Im zweiten der durch Homer berühmt gewordenen Ajax, der Sohn des Telamon. Noch berühmter aber wurde Achilles, denn in der Ilias ist er der Held, der Hektor im Zweikampf besiegt. Auch Achill ist ein Aiginet als Sohn des Peleus, der wiederum ein Bruder des Telamons war.
Alle Skulpturen, die einmal auf den beiden Giebel gestanden haben, sind von deutschen Archäologen vor 200 Jahren im Schutt des eingestürzten Tempels aufgefunden worden. Heute kann man diese Giebelfiguren restauriert in der Glyptothek im München studieren. Der Aphaia-Tempel ist teilweise wieder aufgebaut worden. Betrachten wir nun genauer die kämpfenden Helden, die einmal den Ostgiebel zierten, so fallt die mit dem ausgefahrenen Ägisfell kämpfende Athene in der Mitte auf, wie sie die Ägineten vor den gierigen Athenern schützen will. Sie schaut übers Meer zur anderen Athene Prochamos, die auf der Akropolis steht.
Sie waren Feinde, diese beiden Athenen. Wie geht das? Historisch gesehen hat schließlich im Peloponnesischen Krieg die Athena Prochamos gesiegt. Das Volk der Ägineten wurde nach dem Sieg der Athener gewaltsam umgesiedelt und ihre uralte Kultstätte der Aphaia dem Verfall Preis gegeben. Geblieben war über die Jahrhunderte nur der helle offene Hügel mit ein paar Säulen. Doch dieser Ort mit dem seltenen Namen Aphaia faszinierte die Forscher. Sie spürten etwas von der uralten Geschichte der Erdmutter, die durch alle Kriege weiter gelebt hat, auch in ihrem Namen Aphaia, die hell Leuchtende.
So sahen wir im Sonnenschein diesen Hügel und bestaunten die strahlend weißen Marmorsäulen des Tempels, in dem innen, aber nicht im Dunkeln, die Helle, die Aphaia stand.
Aphaia und Demeter von Eleusis haben eine gemeinsame Erdmutter. Das nehmen die heutigen Forscher an. Sie entspringen alle der minoischen Erdgöttin. Wir werden sie in der Ägäis des Öfteren wieder sehen auf hellen Hügeln unter einem weiten Himmel.
Von dem Aphaia- Hügel des Lichtes fuhren wir wieder hinunter zum weißen Sandstrand von Ägina, zum Hafenstädtchen. Die Sonne brannte heiß am Himmel. Die Mittagspause nutzten viele von uns zum ersten Bad im Mittelmeer. Die Wassertemperatur lag so bei 28°. Von einer Abkühlung war da kaum die Rede. Anschließend verteilten wir uns auf die Tavernen und machten am Strand ein wenig Siesta. Leider war die Zeit dazu zu knapp. Wir mussten unser Fährschiff um 15 Uhr schon wieder erreichen. Auch hier hatte uns der Herbstfahrplan für die Schiffe einen Streich gespielt, denn eigentlich sollten wir erst um 16.30 Uhr zurückfahren. Das verschlafene Piräus erwartet uns, wie auch unser Bus, der uns zum Hotel in der Innenstadt zurückbrachte. So ruhten wir uns im Hotel aus oder gingen durch die nahe gelegene Plaka.
Am dritten Tag im griechischen Lande fuhren wir morgens um 6 Uhr von Athen durch Attika zum Hafenstädtchen Rafina, das an der Ostküste der Halbinsel liegt. Als es allmählich dämmerte und um 7 Uhr die Sonne sich zeigte, wachten auch unsere Lebensgeister auf und wir fingen an zu singen, bis der Bus vor dem Fährschiff anhielt. Wir sahen das Meer. Es lag ganz ruhig da. Manch einer atmete auf, denn vor der Reise war geunkt worden, die Ägäis sei sehr kabbelig. Da sei schon manch einer seekrank geworden! Die Ägäis zeigte sich also von ihrer freundlichen Seite. Äolos, der liebliche Nordwind, blies kühlend mit einer leichten Brise. So wurde unsere vierstündige Schifffahrt nach Mykonos eine traumhaft schöne Seereise. Insel an Insel zog an uns vorbei. Andros, die nördlichste der Kykladeninsel blieb backbord liegen. Der Kapitän steuerte Tinos an. Im Hafen der Hauptstadt der Insel scholl uns das Geschrei entgegen, das beim End- und Beladen eines Fährschiffes üblich ist.
Nach einer Pause ging die Fahrt weiter nach Süden. Die Ägäis wurde offener. Der Wind, der das Schiff zu treiben schien, nahm zu und wurde spürbarer. Weiße Schaumkronen veränderten das zuvor blaue Meer. Doch unser Schiff glitt ruhig durch die nun etwas bewegtere See. Dann sahen wir wieder Land. Das Schiff glitt ruhig dem Hafen von Mykonos zu. Chora, so nennt man jede Insel- Hauptstadt in der Ägäis, zeigte sich strahlend Weiß im Blau von Himmel und Meer. Dieses romantische Bild, wie aus dem Reisekatalog zieht viele Touristen an. So erlebten wir nach der Ankunft das sprudelnde Leben einer Touristenstadt. Es war Mittagszeit und unerträglich heiß. Ein klappriger Bus fuhr uns durch die Stadt hinauf zu unserer Hotelanlage, von der wir einen fantastischen Ausblick über die unter uns liegende Stadt genossen. Auch die Insel Delos lag unter uns und war von hier aus gut zu erkennen mit ihrer in der Sonne blinkenden antiken Ruinenstadt. Im Altertum hatte sie eine bedeutende Rolle gespielt. Die Mythologie erzählt, das Delos eine schwimmende Insel gewesen sei. Nur auf ihr konnten die Kinder des Zeus, Apollon und Artemis, von Leto geboren werden. Eine andere Geschichte erzählt von Theseus, dem Heroen aus Athen, der hier so ausgiebig die Befreiung der jungen Menschen aus den Klauen des Minotaurus feierte, dass er vergaß, die weiße Fahne der Rettung zu hissen. Als er mit der schwarzen Fahre der Trauer nach Athen zurückkam, glaubte sein Vater Ägeus, sein Sohn sei tot und sprang von einem Felsen in den Tod. So hat dieses Meer den Namen Ägäis bekommen.
Delos hat auch in historischer Zeit seine Bedeutung. Nach den Perserkriegen ftGZoS entstand auf Delos eine große Stadt als Zentrum des Attischen Seehundes unter Führung von Athen. Hier wurde die Bundeskasse verwaltet.
Heute ist Delos eine tote Stadt. Auf der baumlosen Insel gibt es kein Wasser mehr. Es ist nur heiß zwischen den antiken Ruinen. Das haben wir uns erspart, obwohl mancher seinen Fuß schon gerne auf diese angeblich schwimmende Insel gestellt hätte. Man kann ja nie wissen! Doch uns erwartete nach dem Einchecken im Hotel ein heißer Fußmarsch zwischen lauten und hupenden Autos. Einen Bürgersteig gab es nicht. Wir 37 Wanderer ärgerten die Autofahrer, weil wir den Verkehr behinderten. Doch die fühlten sich auch genervt und hupten. Auf dieser Straße wollte niemand wieder zurückgehen, und dann noch bergauf! Dem Protest schloss sich auch für unseren Guide an und so wurden wir am Nachmittag per Bus in unser Bungalow-Hotel zurück gefahren, das uns aber mit seinem Flair und seinem wunderschönen Schwimmbad entschädigte. Denn in der Hitze des Mittags in Mykonos hätten etliche lieber im warmen Meer ein Bad genommen als durch die Gassen der an sich pituresken Stadt zu gehen. Es gab aber in der Stadt eine echte Alternative. Das waren die Tavernen am Meer. Der leichte Weißwein war eine wunderbare Erfrischung, nicht nur in Mykonos, - wenn man nicht zuviel davon trank! Mykonos hatte für die Naturfreunde unter uns ein Plus: Es gab keine Ruinen zu besichtigen! Hier war alles für das Auge, für den Gaumen und das Gemüt. Das tat am Ende gut nach den Anstrengungen von Athen, nicht nur für den Einzelnen, auch für unsere Gemeinschaft. Auf so manches „Du“ wurde beim Abendessen angestoßen. So sehr unsere Reise zur Bildung unseres Geistes diente, so wichtig waren auch die Gespräche und das Kennen lernen untereinander! Dieser Tag war ein Sonntag.
Der vierte Tag in der Ägäis begann mit der schnellen Montagsfahrt mit der „Cat“ von Mykonos nach Naxos. In Mykonos hatten wir noch viel Zeit zum Bummeln, weil der Katamaran später anlegte als wir gemeint hatten. Unser lieber Guide Kosta saß in der Sonne und bewachte währenddessen unser Gepäck. So konnten wir unbeschwert spazieren gehen oder in einer Taverne uns erfrischen. Unsere Reise hatte den Stress der ersten Tage verloren.
Allerdings galt dies noch nicht für die Überfahrt. Im „Cat“ saß man ähnlich eng wie im Flugzeug und da der Katamaran ins Schaukeln geriet, revoltierten auch einige Mägen. Von der vorbei flitzenden Inselwelt der Ägäis hatten die meisten nicht viel. Leider fuhr kein Fährschiff mehr in der Nachsaison von Mykonos nach Naxos! Für manchen war diese Fahrt unangenehm, zumal wir unser ganzes Gepäck hinauf ins Schiff schleppen mussten und nach der Fahrt wieder mühsam hinunter. Da sind die Fährschiffe günstiger gebaut. Sie haben eine ebenerdige Laderampe. Für das Schleppen des Gepäcks ist das sehr viel angenehmer!
Von Chora auf Naxos fuhren wir mit einem schon auf uns wartenden Bus gleich weiter ins Inselinnere. Dort wollten wir eine byzantinische Kirche aus dem 5. Jhd. sehen. Auf einer schmalen Straße durch eine weich geschwungene Hügelwelt ging es durch kleine Dörfer und Streusiedlungen, bis wir zu einem Dorf mit Namen Chalki kamen. Die Schüler waren gerade aus der Dorfkirche gekommen und tummelten sich auf dem Dorfplatz im Schatten der Platanen. Mit einem Gottesdienst hatte nach dem langen heißen Sommer ein neues Schuljahr begonnen.
Das war ein Glück für uns, die wunderschöne Kirche von innen sehen zu können, vor allem die bilderreiche Ikonostasenwand, die uns Kosta aus der orthodoxen Liturgie heraus erklärte. Der Pope wachte an der Tür und schaute sittenstreng auf unsere Kleidung. Er duldete sie mit einem griesgrämigen Gesicht. Wir waren ihm als eine christliche Gruppe angekündigt worden, die die Ikonographie in der griechisch-orthodoxen Kirche studieren wollten. Säkulare Touristen ließ man in die Gotteshäuser auf den Inseln nicht mehr hinein. Sie sind für die Einheimischen nur Diebe, die wertvolle Gegenstände, besonders Ikonen, mit sich gehen lassen. Leider sind solche Diebstähle erschreckend oft vorgekommen.
Die uralte Kirche aus dem 5. Jhd eines lag ein paar Kilometer außerhalb des Dorfes Moni in den Bergen. Eine unberührte Natur umgab uns, als wir einen mit Blumenstauden geschmückten Pfad hinauf zur Kirche wanderten.
Die Kirche lag in einem Friedhofsgarten mit weiß leuchtenden Grabsteinen. Drinnen fanden wir dicht gedrängt Platz. Im Chorraum war es so dunkel, dass wir die Fresken kaum erkennen konnten. Auf allen Inseln in der Ägäis heißen die Priester „Capitano“, erzählte Kosta. Sie geben den Kurs zum Paradies an, wie ein Kapitän den Kurs des Schiffes gestimmt. Diese Kirche trug den ungewöhnlichen Namen „Panhagia Drosiani“. Auf Deutsch heißt das, Gottesmutter des Frühtaus. Es ist erstaunlich, wie grün Naxos nach dem regenlosen heißen Sommer noch war. Aus dem „Frühtau“ saugen alle Pflanzen ihr Leben. Diese Mutter Gottes ruft die Erinnerung wach an die alte minoische Erdmutter oder an Demeter der alten Griechen. Alle „Erdmütter“ erzählen von der Zärtlichkeit in der Begegnung mit der irdischen Natur.
Wir waren also auf der Insel der Erdmutter. Es ist kein Wunder, dass Naxos seit Jahrtausenden das Zentrum der mütterlichen Kykladenkultur war. Naxos ist die Insel des Lichtes, der Epiphanie der mütterlichen Gottheit.
Hier wurde Ariadne verehrt. Als Trost suchende und tröstende Erdgöttin ist sie gleichzeitig Licht- und Himmelsgöttin, denn sie wurde von Dionysos von hier aus in himmlische Gefilde entrückt. Maria Himmelfahrt ist hier schon zu ahnen. Die Erdmutter als Himmelserscheinung ist auf Naxos wie vielleicht nirgends sonst empfunden worden. Das liegt an der Natur, am strahlenden Marmor, der hier abgebaut wird, der die Insel so lichtvoll macht.
Alles wirkt hell wie die weißen Dünen und Sandstrände an der Westküste.
Naxos ist eine Insel des Lichtes!
Warum sind alle Häuser in Weiß getaucht? Überall auf den Bergesspitzen sahen wir weiße Kirchlein sitzen. Sie waren dem Propheten Elia gewidmet, der so wie Dionysos in den Himmel gefahren war, dem Gott der Lebensfreude, der Ariadne mit sich genommen und zur Himmelskönigin gemacht hatte. Von Elia wird erzählt, dass er als Bote des himmlischen Lichtes auf der Erde erscheinen würde. So erzählt die neutestamentliche Geschichte von der Metamorphose Jesu auf einem Berge. Neben seiner leuchtende Erscheinung gesellt sich als Lichtgestalt Elia. Als Jesus am Kreuz schrie, glaubten die Menschen, Elia würde ihm zur Hilfe kommen. So steht es auch in den Evangelien.
„Drosiani“ als ein seltener Name für ein Naturphänomen ist gleichzeitig eine Metapher für die Epiphanie Gottes. Aus dem in der Morgensonne glitzernden Tau entsteht neues frisches Leben! Es ist eine Welt der Lebensfreude. „Drosiani“ ist also die Gottesmutter (Erdmutter), die am frühen Morgen das Gras und die Blätter der Bäume und Blumen zärtlich benetzt. Das Wort „Drosiani“ beschreibt das sanfte Tun, vergleichbar mit dem lauen Wind, der unsere Haut streichelt. Aus solcher zärtlichen Zuwendung entspringt nicht nur neues Leben, sondern auch die Freude, leben zu dürfen und zu genießen.
So verzauberte sich dieser Ort am Rande der Welt in einen Garten der Zärtlichkeit. Das steht natürlich nicht in einem Reiseführer und es hat auch nichts mit Naturwissenschaft zu tun! Solch ein Nachdenken über den Begriff „Drosiani“ ist belanglos für den normalen Touristen, der sich auch an diesen Ort nicht hin verirrt.
Aus der Tiefe der Seele steigen Bilder auf, die zur Erleuchtung einer neuen, lichten Welt werden wollen. Auf Naxos ist es Ariadne, die verwandt ist mit den Trost spendende Müttern, z. B. mit Demeter oder mit der Panhagia Drosiani, die Mutter der Morgenfrische, die Mutter des neuen Lebens.
Wir fuhren nun hinauf in die Berge. Überall leuchteten rings herum die Kirchen des Lichtes, geweiht dem Propheten Elia, der für diese Insel offensichtlich eine große Bedeutung hat. Seine Seele, so spürten die Menschen, ist verwandt mit der hier lebenden Göttin des Lichtes, Ariadne. Unser Bus hielt an und wir bestaunten von einem Aussichtspunkt die Schönheit dieser Insel.
Dann fuhren wir weiter auf die Ostseite von Naxos. In einem Gebirgsdorf namens Apiranthos machten wir unter den Schatten spendenden Schirmen der Platanen zwei Stunden Siesta, bevor wir unser Hotel bezogen, das an der Westküste nahe einem Badestrand lag. Dort hatten wir an diesem Tag noch genügend Zeit zum Schwimmen und zur Ruhe. Unser Abendessen war vorbereitet in einer Taverne, die direkt am Strand lag. Die Sonne war über der Nachbarinsel Paros untergegangen und wir erlebten ein wundervolles Abendrot über den dunklen Zacken der Berge. Mit einem Strandspaziergang im Schein des Mondes endete der erste Tag auf dieser Insel.
Wieder ging die Sonne am blauen Himmel auf und ließ den Tau auf den Gräser und Blumen glitzern. Die „Mutter des Frühtaus“ hatte ihr Werk getan mit all ihrer Zärtlichkeit, mit der sie das Leben erweckt. Zu einer anderen Mutter der Erde fuhren wir auf engen, aber geteerten Straßen, wieder ging es durch kleine Dörfer hinauf in die weich geschwungenen Berge, die den Süden der Insel charakterisieren. Dann waren wir in einem stillen, hellen Hochtal, das von einem Kranz der Berge umgeben war. Nur nach Süden ging der Blick in eine ferne Weite. Das letzte Stück des Weges zum Tempel der Demeter mussten wir zu Fuß gehen. Begleitet von blühendem Oleander stiegen wir auf den Hügel. Oben stand der aus weißem Marmor gebaute Tempel der Demeter. Er war nur klein. Die Marmorblöcke der Cella waren fugenlos auf einander geschichtet. Doch nicht so sehr das Bauwerk faszinierte uns als vielmehr seine Lage. In der Weite des Himmels konnte man sich auch hier wie in Eleusis oder am Aphaia-Tempel auf Ägina vorstellen, wie die Menschen früher die Epiphanie der Erdgöttin erlebt hatten. An solchen Orten verbindet unsere Seele Himmel und Erde, so dass sogar die dunkle Erde hell in uns wider scheint.
Ein kleines Museum unterhalb des Tempels zeigt Exponaten vom Tempel, aus denen man das ehemalige Heiligtum rekonstruierten kann. 5o% der ehemaligen Bauteile des ganz aus Marmor gebauten Tempels haben die Archäologen im Gelände befunden. Das Dach war mit dünnen Marmorplatten gedeckt, durch die Licht ins Innere der Cella fiel, wie wir es aus den mittelalterlichen Kathedrale kennen, also schattenloses Licht, das als Zeichen der Gegenwart des göttlichen Lichtes galt. Solche Marmorplatten konnten wir in dem kleinen Museum bestaunen. Leider haben die Archäologen den Tempel nicht mit einem solchen Marmordach wieder herstellen können. So sieht man heute nur die aufgerichteten Tempelmauem. Der ursprüngliche Tempel ist ähnlich alt wie der Aphaia-Tempel auf Ägina, also aus der zweiten Hälfte des 6. Jhds. v. Chr. Marmor fasziniert nicht nur durch seine weiße Strahlkraft, sondern auch durch zwei gegensätzliche Eigenschaften. Es ist gegenüber der Erosion unempfindlich und doch ist der Stein so porenoffen, dass er Licht durchlässt. Vielleicht strahlt Marmor deshalb das Licht so intensiv zurück. Man könnte religiös sagen: Im Marmor durchdringen sich Himmel und Erde.
So versteht man auch von daher den Ausspruch, Naxos sei die Insel des Lichtes. Die Griechen haben dem Glauben vom mütterlichen Weltengrund im Bilde der Epiphanie der Erdmutter eine männliche Wendung gegeben. Die Erdmutter Ariadne verlor sich in Dionysos. Außerdem hat bei den alten Griechen jeder Gott seine Schattenseite, so auch Demeter, die die Griechen als Kommutter verehrten.
Doch auf Naxos, der Insel des Lichtes, blieb Demeter die zärtliche und tröstende Mutter, die das Leben voll und ganz bejaht. Sie streut in der Frühe des Tages liebevoll den Tau auf alles Grün, nach dem die Erde lechzt. Diese Mutter hieß in christlicher Zeit auf Naxos bis heute, „Drosiani“ - die Zärtliche.
Die Zärtlichkeit sollte für mich Thema des Open Air Gottesdienstes sein, den wir nach dem Abstieg vom Hügel der Demeter in einem lichten Kiefernwald feierten, mit Brot und Wein. In diesen göttlichen Zeichen begegnet uns die Liebe Gottes. Denn auch Jesus hat das Brot geteilt aus Freude am Leben. Auf dem Weg zurück zur Küste fuhren wir ganz langsam, denn wir wollten Musik miteinander hören. Wir lauschten im Bus den Klängen einer Kantate von J. S. Bach, die uns Rüdiger u. Edeltraut D. mitgebracht hatten.
Wir fuhren in die Hauptstadt. Jede Inselhauptstadt in der Ägäis heißt Chora. Wir - stiegen durch die in Weiß leuchtenden Gassen hinauf zum venezianischen Kastell, dessen Tore von üppig rot blühender Bouganville umrankt waren. fakf'- Geschmückt wie eine Braut sahen wir dahinter die Fassade der katholischen Marienkirche. Im Inneren fiel der Blick auf eine hohe Marienikone über dem Hauptaltar. Die bedeutendere Ikone mit dem Beinamen „Maria lactans“ sahen wir nicht. Sie war gestohlen worden. Die Zärtlichkeit der stillenden Mutter ist nur noch auf Postkarten zu betrachten.
Ganz oben auf dem Hügel, um den sich die Chora schmiegt, liegt neben der Marienkirche das archäologische Museum. In ihm sind die Idole aus der Zeit der Kykladenkultur in Vitrinen ausgestellt. Vor ihnen hat Picasso gestanden und diese „Kunst des Wesentlichen“ studiert. Nun betrachteten wir diese abstrakt geformten mütterlichen Figuren, soweit die Hitze und die fortgeschrittene Mittagsstunde das noch zuließen. Die gleichförmigen Gesichter der Idole sind zum Himmel gerichtet und die Arme umschließen den nackten Körper.
Nach dem Abstieg auf einem Treppenweg zum Hafen gab es die Kühlung verschaffende Mittagspause im Schatten von Bäumen und Tavernen.
Als letzte Besonderheit wanderten wir am Nachmittag über einen Damm auf eine kleine Insel, die der Stadt vor gelagert ist. Dort stehen die Reste eines Apollo-Tempels. Apoll ist der Gott des Lichtes und der Vernunft. Zur Insel des Lichtes, wie ich Naxos genannt habe, passt die Verehrung dieses Gottes recht gut. Vom Tempel ist ein riesiges Tor wieder aufgerichtet. Von diesem Tor aus schaut man auf die Stadt, wie sie sich für ein Postkartenfoto präsentiert. Danach fuhren wir zu unseren Strandhotel.
Man hätte meinen können, das Licht des Apolls und der Demeter leuchteten aus den Dünen am Strand, hinter denen unser Hotel lag. Wir hatten genug Zeit, dort den weiteren Nachmittag zu verbringen und im warmen Meer zu schwimmen.
Zum Abendessen versammelten wir uns in der schon vom Vortag her bekannten Taverne, von der aus wir den Abend mit dem sich rot-violett färbenden Himmel genießen konnten. Wir erlebten in dieser Nacht auch den Vollmond, der seine Leuchtkraft allmählich gegen den Sonnenuntergang durchsetzte und den mancher noch lange am späten Abend in sein Herz schloss.
Warum auf dieser Insel die Mutter Gottes als Panhagia Drosiani als Mutter des Taus und der Zärtlichkeit verehrt wird, kann man mit den Methoden der Archäologen nicht erklären. Steine reden nur, wenn unser Gefühl und unser Verstehen dazu kommen. Letztlich aber ist es der Geist, der tausende von Jahren überbrückt und so die Vergangenheit mit uns verbindet.
Am Abreisetag feierten wir morgens in dem lieb gewonnenen Strandhotel auf Naxos den Geburtstag von Christiane Sailaä.
Christiane strahlte an diesem ihrem Ehrentag, wie wenn sie vom Morgentau der Panhagia Drossiani erfrischt worden war. Am Abend in Santorin leuchtete ihr Geburtstagslicht noch immer im Widerschein des Mondes, der über dem Meer aufgegangenen war. Da saßen wir an einer langen Tafel einer Taverne, die zwischen der Meerespromenade und dem Strand aufgebaut worden war. Im Mondschein glitzerte das Meer und warf seinen Schein zu uns herüber. Dazu leuchtete in den Gläsern der auf Vulkanboden gewachsene Santoriner Wein. Wer wird schon so romantisch beschenkt an seinem Geburtstag!
Nach Santorini waren wir von Naxos mit einem Fährschiff gekommen. Nach zwei Stunden auf See sahen wir staunend die schroffen, schwarzen Felsen des Kraters des untergegangenen Vulkan, der einmal in der Mitte der kreisrunden Insel Santorin vor dem Jahr 1450 v. Chr. aufragte. Die Urgewalten der Natur hatten ihn explodieren lassen und der riesige Vulkanberg versank in die Tiefe des Erdinneren. Übrig blieben die Kraterwände, die heute 300 m aus dem Kratersee aufragen. Kratersee heißt auf Griechisch Caldera. Unser Schiff glitt langsam an den schwarzen Wänden entlang. Die Menschen standen an der Reling und bestaunten dieses Naturwunder. Das Sanfte und Liebliche der Insel Naxos verschwand im diffusen Licht. Grell leuchteten hoch oben die weißen Häuser. Der blaue Himmel kontrastierte die bizarr geformte Landschaft. Eine fremde Welt umfing uns, die viel bewegender war als es ein Foto vermitteln kann. Die durch die Gewalt der Naturkräfte zerbrochene Insel schlug uns in ihren Bann.
Das Schiff fuhr ca. 30 km weit nach Süden an der Kraterwand vorbei zum heutigen Hafen. Hier wartete schon ein Busfahrer, der uns auf einer Serpentinenstrasse nach oben brachte. Auf dieser Fahrt taten sich Tiefblicke auf, die erschaudern ließen.
Das herrliche Wetter, der Kontrast vom Weiß des Häusermeeres zum Schwarz der 300 m tief abfallenden Kraterwände und dem Blau des sich wölbenden Himmels ließ die Herzen der Naturfreunde unter uns höher schlagen. Um dieses Bild aus der Vogelperspektive zu verstärken, fuhr uns unser Busfahrer zum höchsten Punkt der Insel, den man erreichen kann. Von dort oben, ca. 500 m über dem Wasser, sahen wir auf Santorini und die vielen kleinen Inseln in der Caldera herab. Santorini selbst hat die Form einer Sichel wie die des zunehmenden Mondes und umrundet zur Hälfte die Caldera. Der Blick nach Norden bis zur Spitze dieser Sichel reichte ca. 50 km weit. Im Osten ist Santorini flach. Dort wächst der berühmte Wein der Insel und an der Ostküste liegen die Badeorte und die Strände. Im Westen reihen sich die durch den Tourismus geplatzten Dörfer: Pirgos, Thera (Fira ausgesprochen) und Oia an einander. Im Südwesten nahe der südlichen Spitze der Insel liegt die ehemalige minoische Stadt, die man nach dem nahe gelegenen Dorf Akrotiri nennt. Sie ist beim Vulkanausbruch 1450 v. Chr. verschüttet worden. Unter der hohen Ascheschicht fanden die Ausgräber in den in sich zusammen gebrochenen Häusern die wundervollen und gut erhaltenen Fresken, die herrlichen Wandbilder. Diese Fresken sind weltberühmt geworden. Wir durften sie in den Museen der Insel am nächsten Tag sehen. Anders als in Pompeji fand man aber keine konservierten Menschenkörper. Man nimmt an, dass die Bewohner die Anzeichen des kommenden Vulkanausbruches richtig gedeutet hatten. Sie hatten offensichtlich rechtzeitig die Insel verlassen.
Von diesem Aussichtspunkt ging es nach dem gewaltigen Rundblick hinab zu den Badeorten der Ostküste der Insel. In dem Touristenort Kamari lag unser Hotel mit dem schönen Namen Aphroditi-Venus. Jung war diese Schönheit nicht mehr und verführerisch auch nicht, besonders dem Speisesaal fehlte jede „erotische“ Ausstrahlung. Allerdings wandelte sich das Bild, wenn man einen Tisch am Hauptpool zum Essen fand. Mit der Zeit - immerhin waren wir hier dreieinhalb Tage! - fand sich im labyrinthischen Auf und Ab der Gänge manche lauschige und schattige Ecke. Manche war auch mit einem kleinen Pool ausgestattet. Am Ende der Tage hatten sich wohl alle an diesen „Venusberg“ gewöhnt und mancher wäre als deutscher Tannhäuser gerne noch ein bisschen geblieben. Denn das ferne Kreta ohne unseren vertrauten Kosta wirkte all zu fremd. Und dort sollte uns eine schöne junge Frau fuhren, nicht verführen, denn der der Ruf war ihr vorausgeeilt, hoch gebildet zu sein. Wer erträgt solche Frauen schon!
So baute sich allmählich das Bild des Lebens im Venushotel nach erstem Frust immer positiver auf. Dazu kam noch, dass unser Domizil direkt an einer schmalen Promenade lag und man im Badeanzug ganz ungezwungen zum Schwimmen ins ruhige Meer gehen konnte, allerdings in Badeschuhen, denn der Strand bestand aus groben Kieselsteinen. Das aber hielt die meisten von uns nicht ab, ausgiebig zu schwimmen. Wenn man erst im Wasser war, gab es keine Unannehmlichkeiten mehr wie wir sie sehr häufig bei uns in der Ostsee haben, etwa Quallen, Schlick und das kühle 19° warme Wasser. Auf Santorini hatten wir 15. September am späten Nachmittag gleichmäßige warme Wasser- und die Lufttemperatur um die 28°.
Und da die Insel von Hamburg direkt in drei Stunden Flugzeit erreicht werden kann und man eine halbe Stunde später sein Hotel erreicht hat, ist verständlicher weise Santorin ein sehr beliebtes Badeziel. Allerdings liegt der Flughafen direkt neben der Hotelkette. Wir hatten mit unserem Venushotel Glück. Denn es lag am Ende des Badeortes, also am weitesten von Flughafen weg. Dafür konnten wir die lautlos landenden Maschinen beobachten. So etwas gibt es!
Es war aber kein Badeurlaub angesagt, sondern anstrengende Besichtigungen in der minoischen, antiken und byzantinischen Welt. Am Morgen des 7.Tages strahlte die Sonne wie jeden Tag zuvor in der Ägäis vom Himmel. Unser Busfahrer brachte uns morgens zunächst in den Süden der Insel. Es war dort sehr ruhig. So konnten wir durch den kleinen Fischerhafen bummeln und müßig aufs Meer schauen. Weit im Süden musste Kreta liegen. Aber auch Akrotiri, die minoische Stadt, lag hier irgendwo. Leider laufen zurzeit Reparaturarbeiten und Ausgrabungen im Gelände. So erhaschten wir nur einen Blick von den überdachten Ruinen der ca. 4000 Jahre alten Stadt, die wir leider nicht besichtigen konnten. Schade! Aber das hatten wir im Vornherein gewusst! Wenn demnächst sich die Tore zu diesem Ort wieder öffnen, wird im Süden der Insel ein eben solches Gewimmel herrschen wie in Thera. Dahin fuhren wir nun ganz gemächlich. Denn unser Guide hatte gehört, dass bis zu 10 Kreuzfahrtschiffe über Nacht in der Caldera vor Anker gegangen waren. Ihre Menschenmassen waren am Morgen mit einer Gondelbahn nach Thera hinauf gehievt worden, die sich nun durch die Gassen der Stadt ergossen.
Da ich ja die Parole ausgegeben hatte, antizyklisch zu reisen, richtete es Kosta so ein, dass das wundervolle neue Museum für die Minoische Kunst von allen Kreuzfahrern bereits verlassen war, als wir ankamen. Doch konnte man ahnen, was hier oben in Fira am Kraterrand noch vor kurzem los gewesen war!
Im neuen prähistorischen Museum sahen wir ohne Einschränkungen die wundervollen Freskenbilder aus den 4000 Jahre alten Häusern sind erst in den letzten Jahren gefunden und restauriert worden. Zum Glück hat man sie nicht, wie es mit den Funden vor 40 Jahren geschah, nach Athen ins dortige Nationalmuseum gebracht! Unter anderem sieht man im neuen Museum den Fischer mit seinem reichen Fang, die tanzenden Affen und den oben abgebildeten Mädchenkopf.
Ein paar Schritte oberhalb des Museums steht die moderne orthodoxe Kathedrale mit einem großen Arkadengang. Die vielen Bilder aus der Geschichte der Panhagia, die das Innere der Kirche schmücken, sind kaum aufzunehmen. Eine Erklärung durch Kosta war nicht möglich. Schließlich ist dies eine lebendige und heilige Kirche. Darin ist Andacht und Stille geboten, die natürlich bei den vielen Menschen nicht eingehalten wurde.
Vom Kirchplatz schaut man in die Caldera hinab. Diesen Blick kann man nicht erklären, so überwältigend ist er. An diesem windstillen Tag lag der riesige Kraterpool friedlich glitzernd in der Mittagssonne.
In der Caldera lagen ganz in schwarz gekleidet die vielen kleinen Inseln. Wie dieses Ensemble von Inseln durch ungeheure Naturgewalten entstanden ist, kann man sich nicht vorstellen, so friedlich liegt alles unter einem.
Der Weg am Kraterrand fuhrt hinauf in die Oberstadt. Auf halber Höhe, am archäologischen Museum, stießen wir auf die sich drängenden Massen, die dort warteten, um mit der Gondel wieder hinunter zur Caldera fahren zu können. Schließlich wollten am Nachmittag alle Kreuzfahrtschiffe wieder aus dem Kratersee heraus. Danach erlebten wir relative Ruhe in dem auch sonst „wühligen“ Thera. Wenn man aber wirklich Ruhe haben wollte, musste man in eins der zahlreichen Museum gehen. Da waren wir unter uns. Wen interessiert schon das archäologische Museum mit dem Exponaten aus dem spartanischen Thera des 7. und 6. Jhd. v. Chr. oder die Idole der Zeit der Kykladenkultur?
So gegen 14 Uhr waren wir alle kulturell gesättigt. Nun hatten wir irdischen Hunger. Dieser konnte leicht gestillt werden, denn unzählige Tavernen mit Tiefblick in die Caldera kleben dort oben am Kraterrand. So hatten wir Zeit und konnten essen und ausruhen und zuschauen, wie die Kreuzfahrtschiffe sich nach und nach mit ihrer Menschenfracht füllten.
Es mag sein, dass von uns manch einer dachte: „Die haben es gut. Die brauchen sich nicht so viele Museum 16 Uhr alle wieder da. Wahrscheinlich lockte das Baden im Meer doch sehr. Das entspannte die müden Glieder.
Der achte Tag bescherte uns drei schwierige Aufgaben. Die erste war die Besteigung des fast 699 m hohen Inselberges. In luftiger Höhe musste man schon etwas schwindelfrei sein, um bei ständigem Tief- und Weitblick durch das Ruinenfeld des antiken Thera zu gehen. Diese Stadt war im 8. Jhd. von Sparta für Sklaven gegründet worden. Das spartanische Leben ist ja sprichwörtlich bekannt. Später hat der erste König der Ptolemäer, der Ägypten als Pharao ab 320 v. Chr. beherrschte, hier oben eine strategisch wichtige Festungsstadt gebaut, die sich zu einer hellenistischen Großstadt entwickelte. Als wir jetzt durch ihre Ruinen gingen, fragten wir uns, wo in dieser lebensfeindlichen Gegend Wasser und Korn sei. Das musste tatsächlich ständig den Berg hinauf gekarrt werden. Wir waren natürlich nicht die 600 m Höhenunterschied den Berg hinauf gewandert, sondern waren in Shuttlebussen eine enge Serpentinenstraße hinauf gefahren worden. Von einem ehemaligen Kloster aus ging dann die Wanderung zunächst steil hinauf. Oben führte dann der Weg auf der alten hellenistischen Hauptstraße an den typischen Bauwerken dieser Zeit entlang wie dem Markt mit den Tempelresten und dem Denkmal der Schicksalsgöttin der Zeit namens Tyche und anderem. Da aber nichts mehr aufrecht steht, war einigen doch eine gewisse Enttäuschung anzumerken, was man in der Hitze in diesen Ruinen bloß soll, zumal es nicht einmal etwas aus der Minoischen Zeit war, die ja eigentlich mit Santorini verknüpft ist. Doch der fantastische Ausblick über die Insel und das Meer von so hoch oben entschädigte diese Erwartungen. Das Naturerlebnis war schließlich ein wichtiger Teil dieser Reise.
Nach einer ausgiebigen Mittagspause im Hotel fuhren wir in Richtung Thera, um die byzantinischen Fresken und Ikonen der Kirche von Episkopi zu sehen. Dieser Bau ist 1000 Jahre alt. Unser Guide erklärte uns, was Ikonen und Bilder im orthodoxen christlichen Glauben bedeuten, wie eine Ikonostasenwand aufgeteilt ist und welche Bilder an ihr wichtig sind. Besondere Aufmerksamkeit erweckten drei Bilder mit der Darstellung der „Entschlafung Mariens“. Die Seele Mariens ist als ein neugeborenes Kind dargestellt, das in Tüchern gewickelt ist wie eine Mumie. Das gewickelte Kind (Seele) wird von einem Engel über den toten lang hingestreckten Leib Marias erhoben. In der orthodoxen Glaubenswelt ist dies ein Bild für die Auferstehung von den Toten. Ostern ist in der orthodoxen Kirche wichtiger als Karfreitag.
Dieser zweite Höhepunkt des Tages schenkte geistige Konzentration und gab uns Einkehr und Andacht. Jedenfalls konnte sich einige von dieser Kirche kaum trennen.
Bei der Weiterfahrt tauchten wir sehr schnell wieder in das touristische Gewimmel der Inselhauptstadt ein! Wir fuhren nach Norden zur Spitze von Santorini. Eigentlich wollten wir das letzte Stück eine Wanderung von drei Stunden machen. Unser Guide Kosta hatte aber Sorge, einige von uns könnten unterwegs schlapp machen und warnte vor der Anstrengung und der Länge des Weges. Das war sehr schade. Denn weder wanderten wir drei, sondern nur eine Stunde, noch war der Weg allzu steil oder am Abgrund entlang. Dafür boten sich uns so herrliche Ausblicke über die Caldera und die Inselwelt, dass immer wieder zu hören war: „O, wie schön!“ Ein Drittel der Gruppe hatte die Warnungen Kostas sehr ernst genommen und ließ sich mit dem Bus nach Oia, dem Zielort der Wanderung, bringen. Dort mussten sie auf die Gruppe der / Wanderer warten. Der Ort Oia ist ruhiger als Thera und ein Geheimtipp fiir die, die etwas vornehmer Urlaub machen wollen und können. Am Abend füllte sich aber auch dieser Ort, als alle Welt den Sonnenuntergang an der Spitze der Insel erleben wollte.
Wir ersparten uns dieses Massenvergnügen und gingen in eine Taverne, die wie ein Schwalbennest am Kraterrand klebte. Von dort hatten wir einen fantastischen Blick in die Welt der Caldera. In der Taverne wurden wir köstlich bewirtet und nach dem Essen nahmen wir Abschied von Kosta, den alle lieb gewonnen hatten, denn er war wie einer von uns geworden. Es war ein wundervoller Abend in dieser luftigen Höhe und ein unvergessliches Erlebnis.
Der Sprung nach Kreta dauerte länger als gedacht, da wir noch am nächsten Tag auf Santorin bleiben durften. Ursprünglich sollte uns schon am Vormittag ein Fährschiff übersetzen. Doch hatten die Fahrplanmacher diese Fährverbindung im Herbstplan gestrichen. So hatten wir nun einen richtigen Erholungstag in unserem Hotel. Manch einer empfand aber unsere Reise gar nicht so anstrengend, da sie ja auf den Inseln ziemlich gemächlich verlief. Außerdem war ja die als lang und anstrengend angekündigte Wanderung vom Vortage nur ein Spaziergang gewesen. So machte sich nach dem Frühstück eine Gruppe auf, einen Berg zu besteigen. Auf halber Höhe lockte eine Kirche am Hang, die wollte man genauer besehen. Die meisten anderen genossen das Schwimmen im Meer und das Relaxen im Hotel.
Am Nachmittag ging es dann die Serpentinenstrasse, die ja in die Kraterwand gebaut war, wieder hinab zum Hafen. Dort mussten wir über eine Stunde auf den Katamaran warten, der uns übers Meer nach Heraklion auf Kreta übersetzen sollte. Es dämmerte schon, als wir endlich losfuhren. Die Überfahrt dauerte mehr als zwei Stunden. Die Sonne im Meer versank. Danach wurde es schnell dunkel und wir fuhren in die Nacht von Kreta.
Am Kai von Heraklion erwartete uns schon winkend Irene. Sie war es nun, die uns als hoch gebildete Reiseführerin angekündigt worden war. Wir freuten uns, wie freundlich die Junge Mutter zweier Kinder“ uns am späten Abend in Heraklion empfing.
Diese Freundlichkeit sollte sich noch verstärken, als wir nach längerer Busfahrt in dem Ausweichhotel in der Nähe von Rethimnon ankamen. Es war schon sehr spät. Neun Uhr abends war längst verstrichen, als wir von der versammelten Hotelmannschaft empfangen wurden. Man hatte für uns noch ein üppiges warmes Essen in Buffetform vorbereitet und die Kellner gossen immer wieder voll in die Gläser ein. So empfanden wir uns wie in einem Schlaraffenland. Untergebracht waren wir in Suiten, hatten also Räume zum Verlaufen. Kreta empfing uns ganz schön üppig! Außerdem lag diese Clubanlage direkt am Meer. Kreta ist eine andere Welt als die der Kykladen. Doch das geistige Ziel der Reise war auch hier Demeter.
Sie ist die griechische Erdmutter auf minoischem Boden. Denn auch Demeter trägt die Schlangen als Abbild der mütterlichen Erde.
Die alten Griechen sahen überhaupt Kreta als ihr Ursprungsland. Hier wurde in einer Höhle von der Erdmutter Rhea Zeus geboren worden. Der jugendliche Zeus zeugte hier mit seiner orientalischen Geliebten Europa den ersten König des Abendlandes. Jedenfalls sahen das so die Griechen.
Kreta ist durch die heilige Hochzeit zwischen dem jungen Europa und dem alten Orient die Wiege einer neuen Weltkultur. Das ist auch archäologisch bewiesen. Doch liegt Kreta am südlichen Rande Europas. Die Griechen empfanden die Kreter als Mischvolk, als welsch. Seit ihrem sagenhaften König Idomeneos, dem Mozart eine Oper komponiert hat, gelten die Kreter als geborene Lügner. In diesem Sinne stellte sich schmunzelnd auch Irene als geborene Kreterin vor. Kreta ist tatsächlich anders als die Inselwelt der Kykladen! Denn die Urbevölkerung Kretas waren keine Indoeuropäer wie die Griechen. Ihre Herkunft, evtl. Pontosgebirge, ihre Sprache und ihre Schrift liegen im Dunkeln. Die Kreter waren wegen ihrer geographischen Lage immer ein Spielball der Mächte.
Die Insel erstreckt sich 250 km lang von Ost nach West im östlichen Mittelmeer und wirkt wie ein Bollwerk gegenüber der orientalischen Welt. Auf der Insel liegen wie eine Last drei alpine Gebirge mit bis zu 2500 m hoch ragenden Gipfeln. Hier also entwickelte sich die erste Hochkultur Europas. Ihre Blütezeit war zur gleichen Zeit wie die Hochkultur des Mittleren und Neuen Reiches Altägyptens, also zwischen 2000 v. Chr. und 1300 v. Chr.
Zu den Orten der minoischen Erdmütter sollte unsere Reise in Kreta fuhren. Kreta ist das Kemland für die lebensbejahende Religion der Erdmütter, aus der auch die griechische Demeter hervor gegangen ist. Die Erdmütter sind dem Menschen zugewandte Götter, sie schenken äußeren Wohlstand und innere Lebensfreude. Erdmütter werden noch in den Fresken der byzantinischen Zeit dargestellt, die ebenfalls Schlangen erheben und ihnen Wasser zum Trinken geben. So trägt auch die christliche Mutter Gottes noch 3000 Jahre später die Symbole der minoischen Erdgöttin an sich. Diese Art der Darstellung der Mutter Gottes gibt es nur auf Kreta. Das haben wir am letzten Tag im Freskenzyklus der Kirche von Kritsa in Osten der Insel erstaunt sehen dürfen!
Doch nun der Reihe nach! Zunächst fuhren wir in den Westen der Insel. Irene erzählt auf der morgendlichen Fahrt von dem vielen Wasser, das es auf Kreta gibt. Auch im Spätsommer sind manche Feuchtgebiete in den Niederungen nicht ausgetrocknet. Kreta ist grün, ganz anders als Santorin. Es gibt viele Obstplantagen und Wälder, besonders im Westen der Insel. Irene erzählte aber auch von den Menschen, die hoch oben in den weißen Bergen ihr karges Bauemleben fuhren. Wir sahen dieses weiße nackte Kalkgebirge sich majestätisch über dem grünen Hügelland erheben. Bis in den Juni hinein liegt dort oben der Schnee. Aus Irene sprudelte ihr Wissen heraus. Sie war etwas aufgeregt, weil sie glaubte, dem Charme von Kosta nicht gewachsen zu sein, der uns ja zehn Tage begleitet hatte und jeden Wunsch von uns erfüllt hatte.
Das westlichste Ziel unserer Reise war die orthodoxe Akademie, die hoch über einer Bucht beim Kloster Gonia liegt. Irene wollte uns in der Klosterbibliothek eine Ikonensammlung zeigen und uns in diese Malkunst und in deren tieferen Sinn einführen. Sie hatte von der Agentur gehört, wir wären eine kunsthistorisch gut informierte und christlich geprägte Gemeindegruppe. Leider war an diesem Tag -es war Sonntag - die Ikonensammlung nicht zugänglich. Überhaupt hatte der Pope, der nach dem Gottesdienst eine Taufe abhalten wollte, für uns keinen Sinn. Wir sahen für ihn aus wie gewöhnliche Touristen. Die sind, wie schon oben aus besagten Gründen berichtet, bei den Popen nicht sehr beliebt. Immerhin durfte uns Irene etwas zur Ikonostase dieser Kirche sagen und am Taufbecken den Ritus einer orthodoxen Taufhandlung erklären. Zum Beispiel erzählte sie, dass die Paten mit ihrem Amt eine wesentlich höhere Stellung in der Familie haben als es bei uns so üblich ist. Die Eltern brauchen gar nicht bei der Taufe dabei sein. Sehr abrupt wurden wir mitten in Irenes Ausführungen aus der Kirche heraus komplimentiert.
Der Geist dieses Popen ist noch weit entfernt von dem, der hundert Meter weiter in den modernen Gebäuden der orthodoxen Akademie herrscht.
Dort hatte eine junge Frau, Emanuela, das Sagen, mit der sich Irene gerne gemessen hätte. So eiferten zwei kretische junge „Erdmütter“ um die Gunst ihrer Gäste.
Was wollten wir nun eigentlich in der Akademie der orthodoxen Kirche? Wir wollten mit unserem Besuch einen Brückenschlag durchführen zwischen der orthodoxen Ostkirche zu den Kirchen Westeuropas. Gerade in der Zeit der Spannungen, die in der Ökumene zurzeit latent herrschen, erschien uns dies wichtig. Die orthodoxen Kirchen lehnen ja das Priesteramt für die Frau kategorisch ab. Die augenblickliche Eiszeit zwischen den protestantischen und orthodoxen Kirchen kann aber von solchen Orten der Begegnung überwunden werden. Dieser in der Akademiearbeit herrschende Geist ist offen für die Begegnungen der Konfessionen. Man begegnet sich hier nicht mit festgeschriebenen Wahrheiten, sondern geht gemeinsam auf die Suche nach Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit. Diese Akademie will Grenzen und Fremdheiten überwinden.
Eine Bronzefigur steht in der Halle der Akademie. Sie zeigt zwei Menschen, die mit ihren Rücken aneinander gebunden sind. Das sei ein Sinnbild für ihr Verschiedenheit und Fremdheit, sagte Emanuela. Weil sie sich nicht sehen können, können sie sich nicht verstehen. Doch hier in der Akademie sollen die Fesseln fallen und durch Anschauen und Begegnen Fremdheit überwunden werden. Für uns alle war diese Figur der beiden mit dem Rücken aneinander gebundenen Menschen ein Mahnmal für die vielen Grenzen und Mauern zwischen Menschen und Kulturen. Wir wurden zu einem gemeinsamen Mittagsmahl auch mit anderen Gästen, die dort eine Tagung abhielten, eingeladen. Wir saßen unter Arkaden geschützt vor der immer noch heißen Sonntags-Sonne. Die Gespräche, die wir hier fuhren konnten, waren sehr beeindruckend. Wir wussten wieder einmal, nur Brückenbau d. h. direkte Begegnung fuhrt zur Verständigung und zum Abbau von Feindbildern. Dazu diente auch diese Reise. Denn was nützt es, geistige Brücken zwischen der minoischen Erdgöttin und unserer Weitsicht zu schlagen, wenn das keine Konsequenzen hat für unser weiteres Leben! Wir suchen heute alle ein positives Weltverständnis und doch spalten wir immer noch diese eine Welt in Gut und Böse auf. Gerechte und Schuldige und verschanzen uns hinter Argumenten und Waffen. Hier in diesen Winkel Europas, hinter dem der arabische und persische Orient für viele droht, herrscht ein befreiender Geist, der uns gut tat. Deshalb zählte die orthodoxe Akademie zu den wichtigsten Stationen unserer Reise. Übrigens ist das gemeinsame fröhliche Essen Ausdruck für eine positive Welt, an der wir alle bauen sollten. Das spürten wir hier im Westen Kretas und das sollten wir am Abend in der Taverne unseres so gastlichen Hotels auch unter einander erleben. Dort begegneten wir uns von Mensch zu Mensch, indem jeder dem anderen das DU anbot. Hier wurden wir zu einer Gruppe. Dieses herzliche aufeinander Zugehen an jenem Abend war für mich ein Bild der Lebensfreude, denn ich möchte ja nicht eine Reiseleiter für „Touris“ sein, sondern Gemeinschaft unter Menschen stiften. Nicht zufällig meinten nachher alle: „Die Kellner wären alle so nett gewesen.“ Aber auch mit Emanuela hatten wir schon eine Perle der freundlichen Begegnung in der Akademie gefunden.
Für den Stadtbummel an diesem Sonntagnachmittag durch die schönen, venezianische Stadt Chania hätten wir Freizeit gebraucht, um uns irgendwo in eine lauschige Gartentaveme setzen zu können. Doch die Zeit fehlte hier, leider! Als wir am Vormittag des nächsten Tages Heraklion besichtigten und wir einen Rundgang durch die Altstadt machten, spürten wir den Unterschied zu diesem schönen ersten Tag auf Kreta. Das Pflastertrampeln war sehr ermüdend. Es war Montag und das Leben war wie in jeder City voller Menschen und Lärm und Autos. Irene versuchte uns die Sehenswürdigkeiten zu erklären. Doch wir verstanden kaum etwas. In den Kirchen war Stille geboten. Also konnte Irene nur ganz leise reden. Wieder bekamen die meisten nicht viel von den Ausführungen mit. Draußen im Gewimmel der Stadt ging es vorrangig darum, nicht den Anschluss an die Gruppe zu verlieren. Als alle begriffen hatten, wo der Löwenbrunnen war, an dem wir uns nach einer Mittagspause wieder treffen sollten, verschwanden alle in kleinen Grüppchen, wie es mittags so üblich war, zumeist in Tavernen im Boulevard oder am Hafen.
Am Nachmittag wanderten wir zu der berühmten Sammlung der minoischen Kunst ins Nationalmuseum. Leider öffnete es erst eine Stunde später als Irene und andere Gäste erwartet hatten. Außerdem wurde das große Haus gerade renoviert. So waren alle berühmten Exponate in einen viel zu kleinen Raum gepresst. Beides hatte zur Folge, dass viele Besucher und wir als Gruppe gleichzeitig durch die Tür in den Ausstellungsraum drängten. Vor den Vitrinen drinnen sah man nur Köpfe. Die arme Irene erklärte Figuren und Vasen, die von uns kaum einer sah. Glücklicherweise sind die meisten „Touris“ am Detail gar nicht so interessiert. So leerte sich der Raum nach einer halben Stunde und nun sahen wir, was uns Irene vorführte, zum Beispiel das Fresko der Pariserin oder die Stierspringer oder den blauen Vogel und den Diskus von Festos und den kleinen Sarkophag von Hagia Triada mit den zum Opfer schreitenden Priesterinnen. Wir hatten genügend Zeit, nun manche berühmte Schönheit in Ruhe zu betrachten wie die drei elegant hergerichteten Frauen, die Bienen in Gold von Mallia, die jubelnden Erdgöttinnen mit den Schlangen in den erhobnen Armen und die schwarze, sog. „Schnittervase“ und vieles mehr. Alles an dieser Kunst ist in Bewegung und alles strahlt Lebensfreude aus. Auch wenn die minoische Schrift immer noch nicht zum Verstehen gebracht ist, spürt man eine Welt, die man das Goldene Zeitalter genannt hat. Viele Wunderwerke der minoischen Künstler, die wir im Museum gesehen hatten, stammten aus dem priesterlichen Palast aus Knossos, in dem die alten Griechen 500 Jahre nach seinem Verschwinden unter dem Schutt der Geschichte das berühmte Labyrinth sahen. Knossos gehört zu den „Top ten“ einer Griechenlandreise. Am Tage quälen sich Massen von Menschen durch die langen Gänge und Stiegen zu den Obergeschossen, besonders wenn morgens um zehn Uhr die Kreuzfahrtschiffe in Heraklion anlegen und viele Menschen gleichzeitig mit Bussen zu den wiederhergestellten Teilen der Anlage gekarrt werden. Diesem Andrang wollte ich unbedingt mit unserer Gruppe entgehen. Als wir ein wenig später, als ursprünglich geplant- das Museum hatte ja erst eine Stunde später geöffnet gehabt - dort ankamen, fuhr der letzten beiden Reisebusse gerade ab. Ein riesiger Platz für Busse lag leer vor uns und da wir Zeit hatten, machten wir erst einmal eine Kaffeepause. Dann ging es mit Irene hinauf durch die neuerdings mit Repliken bebilderten Korridore bis zu dem berühmten Thronsaal, der leider nicht mehr betreten werden darf. Es gilt heute die These, der Westliche Teil mit den bedeutenden Gebäuden und Räumen sei dem Kult und der Religion Vorbehalten und nur die östlich vom großen Platz liegenden Räume wären für die königliche Familie bestimmt gewesen. Der König spielt in der minoischen Kultur sicher nicht eine so herausragende Rolle wie der Pharao in Ägypten. Man hat zum Beispiel keine ausgeschmückten Königsgräber gefunden. Der große, unter freiem Himmel liegende Platz galt vorwiegend der religiösen Begegnung, für Feste und Prozessionen.
Der sog. Thronsaal war wohl das Allerheiligste, zu dem nur die oberste Priesterin Zutritt hatte. Viele Räume waren für die Aufbewahrung der Waren bestimmt und für die wirtschaftliche Administration. In Knossos war es jetzt am späten Nachmittag wunderbar. Die Hitze war gewichen und überall waren wir allein und konnten Irenes Ausführungen verstehen. Einziger Nachteil war, dass wir erst kurz vor Sonnenuntergang in unserem neuen Hotel ankamen, weil wir zum Baden im Meer kaum Zeit hatten. Die meisten von uns waren froh, sich ausstrecken zu können. Dazu kam, dass einige sich mit Husten und Unwohlsein quälten. Einige waren richtig krank geworden.
Am dritten Tag auf Kreta ging es in den Süden der Insel. Der Bus fuhr uns zunächst an den östlichen Hängen des Idagebirges entlang. Dann verließen wir die ausgebaute Nationalstrasse und folgten einer kurvenreichen Straße nach Westen durch die grünen Vorberge des gewaltigen Kalksteinmassivs. Das Tal öffnete sich mit dem Blick auf den 2500 m hohen Gipfel des Idagebirges. Wir schauten in eines der schönsten Hochtäler, die wir auf dieser Reise sehen durften. Im Hintergrund zeigte sich der „Gehörnte“ Berg“, der 2100 m hoch ist und den kretischen Stier (Zeus) abbildet. Die Fahrt ging nun hinab ins Tal durch Weinfelder und Obstplantagen. In den steilen Berghängen kraxelten Ziegen, die leider auch zur Verkarstung beigetragen haben. Die Straße wurde enger und führte wieder in den Talschluss hinauf. Der Busfahrer musste ganz langsam das riesige Gefährt durch die Serpentinen jonglieren. Es wurde deutlich, weshalb in diese Einsamkeit sich keine „Touris“ verirren. So erlebten wir das Kloster in seiner Bergeinsamkeit allein für uns. Wir hatten hier auch viel Zeit, um uns die Freskenmalerei im Inneren der Kirche von Irene genau erklären zu lassen. Vorlage für die Bilder ist der Marienhymnus, der in 24 Strophen die Geschichte Mariens, Tochter von Anna und Joachim, die Mutter Jesu, besingt. Die 24 Bilder sind nur dann richtig zu erkennen, wenn man in einer Art labyrinthischem Tanz von Wand zu Wand hin und her pendelt. So wanderte wir wie bei einem allerdings ungeordneten Tanz von einer Wand des Kirchenschiffes zur anderen, und von vorne nach hinten und zurück, um die Darstellungen gut zu sehen. Uns Protestanten ist der Marienhymnus wenig bekannt.
Er ist in der frühen byzantinischen Zeit komponiert worden aus den uns unbekannten apokryphen Evangelien.
Die Bilder erzählen die Legende Mariens. Sie sind sehr detailliert im kretischen Stil gemalt, der venezianische geprägt ist. Der Marien- Hymnus ist auch in Padua, das zu Venedig gehörte, in der Arena Kapelle zu sehen, deren Decke und Wände von Giotto zur selben Zeit ausgemalt worden sind.
Anschließend genossen wir noch ein wenig die Natur und die Stille dieses einsamen klösterlichen Ortes. Die Fahrt führte uns weiter durch die grünen Hügel hinunter in die fruchtbare Ebene von Messara. Dieses Kulturland war bereits von den Minoem besiedelt und bestellt worden. Hier liegen auf einem Hügel die minoischen Paläste von Hagia Triada und Phaistos. Wir machten zunächst Station an der sog. Villa von Hagia Triada und ließen uns das Ruinefeld erklären. Hier hat man die schönsten Schätze der minoischen Kunst ausgegraben u. a. die „Schnittervase“ und den farbig erhaltenen Sarkophag. Der Blick vom Hang geht nach Westen zur Bucht von Hagia Galini über die Weite der Messaraebene. Bis vor kurzem war Hagia Galini nach ein verträumtes Fischerdorf an der Südküste Kretas. Heute ist es fest in „Touris“ Hand. Hier spielt übrigens der Roman „Der kretische Gast“ von Klaus Modick, der sehr lesenswert ist.
Wir fuhren zur Mittagspause in eine andere kleinere Bucht. Auch dieses Kleinod Kretas ist schon entdeckt. Als wir ankamen, stand eine lange Schlange von Bussen an der Straße. Die Tavernen am Strand waren sehr belebt und das Meer auch, allein schon mal durch uns. Das Meereswasser war am 20. September „Südsee“ - warm, wohl um die 30°. Dieses Traumbaden in der Bucht von Matala wird wohl unvergesslich bleiben.
Auf dem Rückweg machten wir an einer alten Kirche Station, die dem Apostel Paulus geweiht ist. Er soll auf seinen Wege zum Winterquartier hier entlang gezogen sein, um nach Gortys zu gelangen, die Hauptstadt des römischen Kreta. Sein Begleiter war Titus, der auf Kreta zurück blieb, während Paulus weiter nach Rom fuhr. Titus gründete in Gortys eine christliche Gemeinde. Er gilt bis heute als Schutzpatron und als Heiliger Kretas. Die alten Mauern des Paulus-Kirchleins erzählen also eine lange Geschichte.
Als wir den minoischen Palast von Phaistos wenige Kilometer später erreichten, war es schon wieder später Nachmittag. Auch hier war der große Busparkplatz schon leer. Die Touris waren schon längst auf dem Heimweg zu ihren Hotels. So konnten wir durch die Ausgrabungsstätte ohne Geschiebe von Menschenmengen wandern und den Ausführungen von Irene ohne Lärm lauschen. Doch der Tag war lang gewesen und die Konzentration hatte abgenommen, sich irgendetwas in den Ruinen noch vorstellen zu können. Wir genossen aber den Blick, der sich von dem großen Freiplatz nach Osten in die fruchtbare Ebene von Messara bot. Nach Norden lag majestätisch die Kette des Idagebirges vor uns, besonders die Spitzen des gehörten Berges, der als Symbol für Zeus gilt. Es war spät geworden, die Sonne hatte sich gesenkt und zwei Stunden Busfahrt lagen noch vor uns. Wir mussten die Insel von Süd nach Nord zu durchqueren. Es dämmerte schon, als wir unser Hotel erreichten. Es soll aber noch einige unter uns gegeben haben, die ins Meer baden gingen. Für alle, die sonst noch nicht genug hatten, reichte der Pool zum Schwimmen.
Nun blieb noch ein Tag auf Kreta übrig. Der galt dem Osten der Insel und der Demeter und den christlichen Erdmüttem. Im Osten liegt das dritte alpine Gebirge, das auch Höhen über 2000m erreicht. Das Wetter war umgeschlagen. Es war etwas kühler geworden. Dunkle Regenwolken versuchten über die Berge nach Osten vorzudringen. Doch gelang es ihnen den ganzen Tag nicht, die Sonne zu verdrängen. Für uns waren die weißen und dunklen bauschigen Wolken ein heimatlicher Anblick, nachdem wir vierzehn Tage keine Wolke am blauen Himmel gesehen hatten. Die Busfahrt nach Osten bot viel großartige Tiefblicke aufs Meer. Die Hänge des Dikty Gebirges reichen hier ans Meer heran. Erst hinter der Hafenstadt Hagios Nikolaos weitet sich wieder das Vorland und die Straße biegt rechts nach Süden ab und umrundet die Gipfel. Unsere erste Station war ein mit wunderschönen Fresken ausgemalten Kirchlein namens Kera. Der Kanon des Bilderzyklus im Mittel- und Südschiff ist der Panhagia geweiht. Im Nordschiff sahen wir dann die Mutter Gottes mit dem Symbol der minoischen Erdmutter. Sie erhebt die Schlange als Zeichen des neuen Lebens und gibt ihr zu trinken. Die Schlange verkörpert die Erde, die nach Feuchtigkeit lechzt. Die Mutter Gottes erfrischt das Leben und stärkt es. Höhepunkt der Reise war eine Skulptur der Demeter. Sie war vor wenigen Jahren in einem Acker bei Ierapetra gefunden worden. Heute steh sie wundervoll aufgebaut im Museum der Stadt. Sie erhebt die den rechten Arm und zeigt zwischen Daumen und Zeigefinger das Samenkorn, über dem linken Arm trägt sie ein Bündel Ähren und in ihren Haaren winden sich Schlagen. Ihr Gesicht ist wunderschön moduliert, ihr Blick geht in die Weite und ihre Körperhaltung zeigt den Adel des menschlichen Lebens. „Das Leben ist schön“! Wollte das uns die Demeter sagen!? Sie hatte ihr einziges Kind verloren. Ist deshalb ihr Blick so in sich gekehrt? Doch er wirkt auch verklärt. Ich spüre beim Anblick dieser mütterlichen Augen, dass ihre Tränen die Erde benetzen, und diese kann wieder aufatmen.
Das Adventslied von Friedrich Spee kommt mir in den Sinn, das er 1622 im Dreißigjährigen Krieg geschrieben hat:
„O Gott, ein Tau vom Himmel gieß, im Tau herab vom Himmel fließ. Ihr Wolken brecht und regnet aus, dem König über Jakobs Haus.
O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd, dass Berg und Tal grün alles wird. O Erd, herfur dies Blümlein bring, o Heiland aus der Erden spring.
O klare Sonn, du schöner Stern, dich wollten wir anschauen gem, o Sonn geh auf, ohn deinen Schein, in Finsternis wir alle sein.“
Epilog
Ierapetra, das Städtchen an der Südküste Kretas, schenkte uns noch einen warmen Sommertag. Im Norden Kretas in Heraklion soll schon an diesem Tag der erste Regen nach vier Monaten Trockenzeit gefallen sein. So wie im Regen die Natur des Südens tief aufatmet, so nahmen wir die letzten Sonnenstrahlen mit uns in den Norden. Wir wanderten am Meer auf der Strandpromenade dieser geruhsamen Sonnen-Stadt, setzten uns in Tavernen direkt am Meer und schauten den Fischen im klaren Wasser zu.
Auf dem Rückweg kehrten wir am späten Nachmittag zu einem Abschiedsessen bei griechischen Freunden von Ingrid und Günther H. ein. In Mochlos, das an der Nordküste Kretas in Richtung Sitia liegt, fuhren die beiden eine Taverne. Wir wurden von Gaby und Manolis ganz herzlich empfangen. Es wurde feucht fröhlich gefeiert, gegessen, getrunken und getanzt. Günther und Ingrid hatten für die Getränke gesorgt und unsere Agentur ECC spendierte das Essen. Danach nahmen wir Abschied von unserem Guide Irene, die sich in unserer Gruppe zunehmend wohl gefühlt hatte. Wir dankten ihr für ihre freundliche und kompetente Begleitung. Sie hätte uns gerne länger durch ihre Heimat Kreta geführt. So hatte sie uns nur im Eilgang Kreta nahe gebracht, allerdings für mich mit den so wichtigen Eckpunkten im Westen der Insel mit der Orthodoxen Akademie und ihrer in die Zukunft weisenden, Völker verbindenden Arbeit, und dem im Osten mit der wunderschönen, doch so nachdenklich schauenden Demeter von Ierapetra. Ihre herrlich geformte Gestalt ist voller Zärtlichkeit. Sie soll uns ein Beispiel sein für die Würde des Menschen.
Im Dunklen wanderten wir von der Taverne am Meer den Weg hinauf zu unserem Bus, der uns von Mochlos auf der Nationalstraße nach Heraklion brachte. Wir waren sehr spät im Hotel. Da hieß es Koffer packen, kurz schlafen und früh am nächsten Tag zum Flughafen fahren! Als das Flugzeug der Aegean Airline in Heraklion abhob, hingen über der Stadt und dem sie überragenden„Schlafenden Zeus“ (So nennt man den Hausberg von Heraklion) dunkle Regenwolken. Wundervolle Wolkenberge über der Ägäis begleiteten uns auf dem Flug nach Athen. Erkennbar unter uns tauchte noch Santorin auf. Dann ging es durch die Wolken. Als wir in Athen landeten, schien schon wieder die Sonne. Es war spürbar kühler geworden, als wir das Flughafengebäude verließen. Wir hatten viel Zeit, bis unser Lufthansa-Maschine nach Düsseldorf abfliegen sollte. So nutzten wir die Stunden, um das berühmte Kloster Kaisariani in den bewaldeten Bergen östlich von Athen zu besichtigen. Wir hatten einen Bus gechartert, der uns ins Hymettos-Gebirge brachte. Das Kloster mitten im Kiefernwald ist vor kurzem mit Hilfe der UNESCO restauriert worden und gehört seitdem zum Weltkulturerbe. Die Kirche des Klosters, indem aber keine Mönche mehr leben, trägt zwei byzantinische Kuppeln. Wir konnten im Inneren die vielen Freskenbilder bestaunen, die auch wieder hergestellt sind und in frischer Farbgebung leuchten. Wir hatten auf unserer Reise von unseren beiden Guides viel über die Ikonographie byzantinischer Malerei gelernt. Dieses Wissen konnten wir hier nun selbsttätig anwenden. Nach dem geruhsamen Rundgang durch die wieder her gestellte Klosteranlage, wanderten wir auf einem Waldweg zu einem Aussichtspunkt. Von dort schauten wir hinab auf das Häusermeer der Stadt Athen. Inmitten ragt die Akropolis heraus mit dem Parthenon. Weiße Wölkchen zogen über einen klaren Himmel. So konnten wir bis nach Piräus und nach Salamis im Saronischen Golf sehen. Was für ein Glück, dieser Blick mit der Sonne im Rücken! So Athen sehen zu dürfen! Denn sonst liegt die Stadt im Sommer unter einer dreckigen Dunstglocke.
Wir hätten ruhig noch eine Stunde länger hier oben am Kloster bleiben sollen, denn als wir wieder ins Flughafengebäude kamen, hörten wir, dass der uns bekannte spontane Streik an diesem Tag den gesamten Verkehr in Athen, auch den auf dem Flughafen, lahm gelegt hatte. Wir mussten also warten und wurden allmählich unruhig, als wir feststellten, dass unsere Anschlussmaschine von Düsseldorf nach Hamburg kaum noch zu erreichen war. Um 18 Uhr, mit drei Stunden Verspätung, hob endlich unsere Lufthansamaschine ab. Als wir um 21 Uhr 15 in Düsseldorf landeten, empfingen uns zwei freundliche Angestellte der Lufthansa, um uns zu einem klapprigen Bus zu bringen, der uns durch die Nacht nach Hamburg bringen sollte. So verlängerte sich unsere Reise um fünf Stunden und eine Nacht.
Doch letzten Endes waren wir auf so vielen Wegen geschützt gefahren und gut geleitet worden, dass wir getrost Dank sagen konnten dem, der das Leben liebt, der immer beides ist: Vater und Mutter von alle Geschöpfen.
Von guten Mächten treu und still umgeben
Behütet und getröstet wunderbar
So will ich diese Tage mit Euch leben
Und mit Euch gehen in ein neues Jahr. D. Bonhoeffer
So grüße ich Euch mit weihnachtlichem Segen und Dank
Hartmut Nielbock Seth, Weihnachten 2011 Christa ist wieder gesund zuhause!