Reisebericht einer Begegnungs- und Gemeindereise nach Albanien

- Bericht von Georg Weis -

Unsere Reise nach Albanien war vor allem wegen der Gesprächspartner außergewöhnlich. Gleich am ersten Tag gab uns Herr Hantke von der Friedrich-Ebert-Stiftung einen ungeschminkten Einblick in eine Gesellschaft im Umbruch, in der die kommunistischen Errungenschaften (Krankenhäuser, Schulen, Unis) zerschlagen sind und wo ohne Schmiergeld nichts mehr geht. Lehrer verdienen gerade mal 260 €. Private Unis geben für viel Geld bei wenigen Kenntnissen Zertifikate, deren Wert zweifelhaft ist. Die Bauern produzieren meistens nur noch für sich selbst, die großen Ketten haben Großlieferanten. Eine große Landflucht hat eingesetzt, 60% der Bewohner sind inzwischen Städter. Für produzierende Firmen lohnt sich die Ansiedlung wegen des kleinen Absatzgebietes und der politischen Unsicherheiten nicht. Fehlende Grundbücher erschweren eine geordnete Entwicklung.
Wegen der osmanischen Struktur bis 1912 gibt es kein Bürgertum und keine Handwerkstradition. Wer aufsteigen will, studiert Jura oder Sozialwissenschaften. Man möchte Beamter werden.
Das Hauptproblem aber ist das Clandenken. In der Politik wechselt die Siegerpartei alle Posten aus. Kompromisse gelten als Niederlage. So hat Berisha1 (Nordteil) die Kommunisten (zumeist aus dem Süden) vor Gericht gebracht.
Dummerweise hat man soeben auch wieder das (unter den Nazis 1941 verwirklichte) Großalbanien d. h. einschließlich des Kosovo, (aus dem sie auf brutale Weise die Vertreibung der in den Zwanzigerjahren eingewanderten Serben durchführten) zum Thema gemacht.
Trotzdem ist Herr Hantke nicht ganz pessimistisch wegen des großen Potentials: Ökoanbau (80% erarbeiten 17% BIP), Ökotourismus, es gab hier keinen Krieg, es gibt Rohstoffe und die Bevölkerung ist jung (21,4 % unter 14 Jahre). Und man macht der Ebertstiftung keine Schwierigkeiten.
Er geht so vor, dass er die Parteien (getrennt!) zur Kompromissbereitschaft berät, den Gewerkschaften Arbeiterpolitik statt Parteipolitik beibringt.

Ein kleiner Rundgang durch Tirana führt vom umgebauten Hotel aus kommunistischer Zeit vorbei am berittenen Skanderbeg auf riesigem Rundverkehr (Skanderbeg-Platz) zu dem einzigen historischen Bau, der Et'hem-Bey-Moschee (Bauzeit von 1794–1821) mit schönen Wandmalereien, vorbei an von Italienern gebauten Ämtern im klassizistischen Stil und am zeltartigen Bau der ‚Piramida‘ - 1988 als Museum für Enver Hodscha eröffnet – und unserem Speiselokal zu dem modernistischen Neubau der byzantinischen Kathedrale, innen im historischen Stil und vorbei am umstrittenen Mosaik auf dem Historischen Nationalmuseum mit Skanderbeg und mit siegenden Arbeitern.

1 Wahlsieger 1990 bis zur Wahl am 31. März 1991, nach Wahlen im März 1992 wieder Präsident, exhumiert Hodscha.

Am nächsten Tag hatten wir eine speziell für uns arrangierte Führung durch das Historische Nationalmuseum mit etlichen schönen Exponaten seit 6000 v. Chr., d.h. Töpfen, Idolen, römischen Figuren und einem Mosaik, christlichen und osmanischen Relikten und den Schwerpunkten der entsetzlichen kommunistischen Straflager2 und Morde und – natürlich – der zwar 1909 in Makedonien geborenen, aber in Shkodra beschulten Mutter Theresa.
Enver Hodscha, 1941 bei der Gründung der Albanischen KP mit Hilfe der Jugoslawen zum Generalsekretär der Neugründung ernannt, schockierte die Bevölkerung durch seine brutalen Vergeltungsmaßnahmen gegen „Volksverräter“ und übernahm 1944 im November die Regierung. Oppositionelle erkläre er zu Kriminellen, die meistens flüchteten. Deren Ländereien wurden ohne Rücksicht auf im Lande verbliebene Angehörige verstaatlicht. Dann ging er gegen katholische Geistliche mit Mord und Gefängnis3 vor.
Er versuchte die völlig zerstörte Wirtschaft mit Hilfe Jugoslawiens und der UNO-Hilfen durch Elektrifizierung, Rohstoffabbau4 und Kollektivierung5 aufzubauen, mit geringem Erfolg. Seine Trennung von Jugoslawien6 und Hinwendung zu Stalin brachte ihm die Hilfe sowjetischer Fachleute. Es waren die goldenen Jahre 1958/59. Das Schulsystem wurde ausgebaut, der Analphabetismus beendet, ein Gesundheitssystem entstand und die Entwässerung der Ebenen wurde - wie schon unter den Italienern für italienische Siedler - fortgeführt. 1960 brach er spektakulär mit Chruschtschow7 und erhielt chinesische Hilfe. Nach Maos Tod 1976 brach auch diese Allianz 1978. Es begann eine erneute Schreckensherrschaft mit Geheimpolizei8 und Straflagern. Er starb 1985.

Die Fahrt über Land zeigte weitere Aspekte: teure Autos (Mercedes, Audi, BMW), Einkaufszentren, breite Ausfallstraßen, vor allem aber überall auf den (schon von den Italienern, vor allem unter Hodscha) entwässerten fruchtbaren Ebenen angefangene und fertige Einfamilienhäuser. Wer Geld (oft im Ausland) verdient hat, fängt planlos zu bauen an.

Im malerischen Kruje, der Stadt, die Skanderbeg 25 Jahre gegen die jährlich anrückenden Türken hielt, fanden wir die Wohnsitten des 18. Jahrhunderts (Ethnologisches Museum).

2 Unterernährt, misshandelt, ohne ärztliche Hilfe gelassen, ermordet etc.
3 Von 93 Geistlichen (Stand 1945) blieben 10 frei, 24 wurden ermordet, 35 eingekerkert, 10 sind verschwunden oder gestorben, 3 konnten fliehen, 11 verloren ihr Amt (sämtliche Angaben aus Reiseführer Trescherverlag, 2010).
4 50er Jahre gegen sowjetischen Protest trotz fehlender Infrastruktur. Zementfabrik und Zuckerfabrik erfolgreich.
5 Wegen zersplitterter Struktur und primitiver Anbaumethoden, dazu Dürre 1951 + 1952, Verringerung von Getreide und Vieh um 25%.
6 Hodscha fühlte sich von Titos Hochmut und seinen Hegemonieplänen beleidigt und trennte sich 1948 gerne trotz Eisenbahnverbindung nach Jugoslawien.
7 Der nichtige Anlass war, dass in einem Schriftstück unter den sozialistischen Staaten Albanien nicht genannt war.
8 Sigurimi bespitzelt alle Winkel, Kinder sollen Eltern verraten, Arbeitslager, davon berüchtigt in Burrel, Vlocist und Spac. Schwerstarbeit, willkürliche Folter, dreckiges Trinkwasser, völlig unzureichende Unterbringung und Versorgung, Krätze, TBC etc., Umsiedlung ganzer Familien in Gebiete ohne Wasser, Abschaffung des Justizministeriums, Prozesse ohne Verteidiger und ohne Öffentlichkeit. 120 000 Bücher auf dem Index, auch Plato, Sartre. - Shehu, Sigurimichef und als Nachfolger betrachtet, verliert Amt des Verteidigungsminister, bleibt Staatspräsident, in Konflikt wegen der Hochzeit des Sohnes mit Mädchen einer Kollaborationsfamilie wird er tot aufgefunden. „Säuberung“ der Sigurimi.

Der Ort unten ist eine neue Betonstadt, aber mit einer Statue von Bush sen., gebaut für die landschaftszerstörende Zementindustrie.

Natürlich besuchten wir auch das als Denkmal gestaltete Skanderbeg-Grab in der ehemaligen, aber zerstörten Nikolaus-Kathedrale von Lezhe des 14. Jahrhunderts.

Im nördlichen Shkoder trafen wir nach dem Besuch der riesigen Festung Rozafa Schwester Christina Färber, die sich mit ihrem jungen Schweizer Orden der „Spirituellen Weggemeinschaft“, einer in der Schweiz beheimateten Vereinigung katholischer Ordensfrauen, um 60 uneheliche und andere Problem-Kinder kümmert, die zu Hause wohnen.
Sie empfing uns herzlich, wir waren zum Teilen des Brotes eingeladen und erfuhren auch viel über die Volksgruppe der Gegen. Die Arbeiten im Kloster lässt sie von heimischen Handwerkern fertigen, die oft kostenlos arbeiten, wenn sie sie ermutigt9, aktiv zu werden. Sie leistet als Therapeutin ärztliche Hilfe – bei Verbrennungen, die im rüden Umgang mit Kindern in den engen Häusern häufig geschehen, mit Schweizer Salbe, oder begleitet Eltern mit ins Krankenhaus, damit sie nicht übervorteilt werden, sie hat auch schon ein Ärzteteam aus der Schweiz zu einer kostenlosen Operation überredet, z. B. bei dem von ihr beschriebenen Froschkind.
Schließlich steuerte Martin Hankemeier auf unser zentrales Interesse, die Blutrache zu. Ihre segensvolle Arbeit hatten die meisten in dem Film aus dem Internet gesehen. Dabei ergab sich allerdings ein etwas anderes Bild: die in für uns lächerlichen Begebenheiten10 zur Blutrache ausgesuchten Personen - was dem Entehrten Genugtuung verschaffen soll -, die als Verwandte selber mit dem ursprünglichen Ehrkonflikt gar nichts zu tun haben, akzeptieren ihre Rollen ohne weiteres, so ist es schwer, dem Problem beizukommen, zumal oft mehrere Blutrachen zugleich bestehen. Die betroffenen Familien lassen ihre männlichen Mitglieder oft gar nicht mehr aus dem Haus (selbst als Kinder, obwohl Kinder nach dem Kanun nicht betroffen sind) und ohne Unterricht – eine schizophrene Situation. Sie hat beobachtet, dass die Blutrache meistens über die Frauen läuft, die ohne Sohn rechtlos sind, da sie nach dem Kanun bloß „Schläuche“ für den Mann zwecks Geburt von Söhnen sind.
Sie beschäftigt solche Frauen oder versucht, die betroffenen Personen zusammenzubringen, um die Blutrache zu beenden. Das gelingt weniger oft, als man nach dem Film annahm.
Selbst eine ihrer Mitarbeiterinnen hat geäußert: „Wenn jemand meinen Sohn umbringt, gibt es Blutrache.“ Nicht einmal der katholischen Kirche, die hier von alters her Einfluss hat11, gelingt die Beendigung.
Bei dem Versöhnungsfest, das sie plant, hofft sie, dass der Ortsbischof die Teilnehmer zu einem Gelübde zur Beendigung der Blutrache zwingt. Das ist aber noch nicht sicher.
Neuerdings weichen Betroffene oft lieber ins Ausland aus, jedoch ohne dadurch sicher zu sein. Sie bleiben traumatisiert.
Sie hatte eine Frau bekehrt, indem sie nach dem ergebnislosen Gespräch noch einmal – trotz des Tabubruchs, die Schwelle ungefragt zu übertreten - mit einem Stein ins Haus ging und ihr zeigte:

9 Die Männer sagen: „Wir können nichts machen!“ Sie sagt: „Doch, ihr könnt viel!“
10 In den Familien herrscht Gewalt. Ein Mann, der einer Frau in einer eskalierenden Situation geholfen hat, ist der Blutrache verfallen, wie sie selbst erlebt hat. Ein Mann hat Schwester Färber mit einer Pistole bedroht. Sie beruhigt ihn, für sie ist der Fall erledigt. Da erscheint der Bruder: mein Bruder hat eine Ordensschwester beleidigt, er verfällt der Blutrache, ich muss es tun.
11 Die Bevölkerung blieb christlich, auch wenn Männer der Familie Moslems wurden, um türkische Ämter übernehmen zu können.

So ist dein Herz, aber eigentlich ist es gar nicht so, sondern mitleidig. Da weinte die Frau.
Sie ist sich selbst nicht sicher, ob ihr die Aussöhnung wirklich gelingt.
Schwester Christina hat hier auch einen Meditationsraum mit einem dicken Naturwollteppich eingerichtet. An einer Seite ist ein wandhoher Kreis als Sonne, rot wie Blut, angebracht, darauf ein naturbelassenes Kreuz ohne Korpus.
In diesen Raum führt sie Menschen, die unter dem Verdikt der Blutrache leben, und sagt:
“Fass dieses Kreuz an!
Gott hat sein teures Blut für Dich und euch vergossen. Das reicht. Mehr will Gott nicht.
Fass das Kreuz an!
Gott hat die Versöhnung ausgesprochen.
Fass das Kreuz an!
Gott will das Leben, nicht das Sterben.
Fass das Kreuz an!
Höre auf mit dem Töten.”

Gefängnisstrafen unterbrechen die Blutrache nur. Enver Hodscha hatte übrigens einen Täter entehrend öffentlich aufgehängt.
In den alten Familienstrukturen sieht sie andererseits auch Vorteile gegenüber unserer westlichen Entwicklung.
Wir luden viele Stoffpuppen ab und sahen auch den gepflegten Kindergarten mit hervorragend gepflastertem Hof und gepflegten Räumen, wo sie die Passion Jesu für die Kinder nachgebildet hatte.

In der Dunkelheit stolperten wir über die pfützenübersäte Straße zurück, die sie von Spendengeld hatte bauen lassen.

Beim Abendessen im privaten Gespräch erfuhren wir von unserem Guide Raim Beluli seinen Werdegang:
Seine Eltern hatten dem Bruder ein Medizinstudium bezahlt und waren zur Finanzierung von einem weiteren Studium nicht in der Lage. Über die Sorosstiftung gelangte er nach Ungarn und nach mehrjährigen Bewerbungen zum Studium nach Leipzig. Er entschloss sich zurückzukommen, weil er im Tourismus Chancen sieht. Er unterrichtet an der Universität.
Rückkehrer aus Italien wegen der Wirtschaftskrise verschärfen die Lage auf dem Arbeitsmarkt in Albanien.

Wir sahen auch noch historische Fotos aus dem Studio Marubi, der 1835 aus Piacenza gekommen war, mit Leuten in traditioneller Bekleidung.

In der Stadt fielen uns Zigeuner auf und ihre Nothütten an der Straße. Sie waren im Kommunismus Händler, die die Märkte mit Waren aus dem Ausland belieferten und dies Geschäft nun verloren haben und betteln.
Am Skutari-See wurde gefischt.

Wir erreichten Durres, das alte Durazzo an der römischen Via Egnatia nach Thessaloniki, mit einem 1966 entdeckten Theater.
Es war in der Hand von Normannen, Kreuzrittern, Venezianern, Anjou, 1914 einige Wochen unter der Regierung von Prinz Wilhelm von Wied, dann im Krieg von Italien besetzt u.s.w.
Die Stadt als Seebad ist zugebaut zum Erschrecken. Eine Stadtmauer mit Turm gibt es noch.

Weiterfahrt bei Regen. Statt Appolonia besuchten wir unsere erste alte Klosterkirche (Ardenica) mit Fresken und wunderschönen Schnitzereien an der Kanzel und am Priesterstuhl.

Im malerischen weißen Berat (Unesco-Welterbe) aus dem 18. Jh., antik Antipatrea und Geburtsstadt von Alexanders Begleiter Ptolemäus, im 9. Jh. von den erobernden Bulgaren „weiße Stadt“ Beligrad genannt, byzantinisch, im 14. Jh. serbisch unter König Dushan, 1417 osmanisch, an den Berghang gebaut mit einer osmanischen Brücke, übernachteten wir im liebevoll gestalteten Hotel im historischen Viertel und hatten die Andacht bei Sonne im Innenhof.

Im Burggelände ist das Onufri-Ikonenmuseum, mit Ikonen eines Malers12, der für sein Rot berühmt wurde, und die Kathedrale der Heiligen Maria, wieder mit schönen Schnitzereien, seit 1997 Weltkulturerbe.
An der Mauer eine Kopie des Konstantinkopfes aus den Kapitol.

Über Konstantin hatte Georg Weis Material mitgebracht, aus dem man die Rolle der illyrischen Kaiser im 3. und 4. Jahrhundert und die Wandlung Konstantins vom Sonnenanbeter zum Verehrer des Christengottes als Siegergott an Münzen nachvollziehen kann.

Machtpolitisch war diese Wendung jedenfalls geschickt, denn Diokletian und vor allem Galerius waren darin gescheitert, bei allen Bürgern die Verehrung des Reichsgottes Jupiter durchzusetzen, vor allem im von Konstantins Konkurrenten beherrschten Ostreich, d.h. Ägypten und Syrien, aus dem die Christin Eutropia, die Mutter seiner Ehefrau Fausta, stammte. Fausta kannte er aus seiner Zeit als Geisel im Palast von Nikomedia.

Er entkam nach York und ließ sich von Soldaten zum Nachfolge-Augustus seines Vaters machen, wodurch die 4-Kaiser-Ordnung Diokletians durchbrochen wurde. Schließlich besiegte er alle Konkurrenten trotz unterlegener Heeresstärke.

12 Seit 1547 arbeitete Onufri für mehrere Jahre in Berat und nach 1555 in Shelcan nahe Elbasan. Ferner weiß man, dass er eine eigene Malschule und Werkstatt begründete, die von seinem Sohn Nikolla weitergeführt wurde.

Gleichrangigkeit des Christengottes mit heidnischen Göttern erforderte Steuerfreiheit für Priester, Anerkennung der Richtertätigkeit von Bischöfen und auch schnellen Kirchenbau: Verwendung von Säulen aus Tempeln, mit Bögen und hohen Wänden überbaut, abgestützt von Seitenschiffen, Apsis mit Christusdarstellung, quadratischer Vorhof mit Säulengängen und Brunnen (Basilika).
Durch die Streitereien der Donatisten in Afrika und später des Arius in Ägypten geriet er im Versuch, die ordnungsgemäße einheitliche Verehrung des Christengottes durch alle Christen durchzusetzen, in die Rolle des Vorsitzenden der Konzilien, die Beschlüsse wurden dadurch Reichsgesetz.
Von seinen Morden an Ehefrau und Sohn, ihrem Stiefsohn, berichtet noch 200 Jahre später der Heide Zosimos.

Eine Besonderheit war auch der Besuch bei der Bektashi-Sekte, einer schiitischen liberalen Vereinigung aus dem 19. Jh., d.h. mit weniger streng geregelten Betzeiten, ohne Prostration (Sich-Niederwerfen), ohne Alkoholverbot13 u. a. m. aus Anatolien, die, 1925 aus der Türkei vertrieben, mehrere Abteilungen auf dem Balkan mit dem Ober-Imam in Vlore hat und für Mitglieder gemeinsame Sitzungen auf bequemen Sitzgelegenheiten durchführt.

Die Hafenstadt Saranda, wo wir hoch über den Dächern frühstückten, ist ebenfalls fürchterlich zugebaut, aber – wie uns unser Guide Reim berichtete – im Sommer völlig überfüllt.
Politiker und mit ihnen verbundene Baufirmen bauen weiter, die Preise fallen nicht.

Wir besuchen bei Regen die antike Stadt Butrint mit den unterschiedlichsten Mauer-resten aus illyrischer, griechischer und römischer Zeit und den Ruinen einer Basilika.

Hinter einem Pass erreichten wir Gjirokastra, die malerische Stadt der tausend Treppen und Schauplatz von Kadarés14 Roman „Chronik in Stein“. Über dem Ort ist ein riesiges Burggelände mit Waffen seit dem II. WK.
Unser Weg führte uns vorbei am großen Geburtshaus von Enver Hodscha, dann trafen wir wieder auf eine tatkräftige Ausländerin aus Holland, die ohne Sprachkenntnisse hierherkam und mit Hilfe von Freunden und Spenden ein Waisenhaus für 12 Kinder verstoßener unehelicher Mütter errichtet hat. Für uns unverständlich ist, dass die Nachbarn sich über den Kinderlärm beschweren und ein Verbot, draußen zu spielen, durchgesetzt haben. Von den Ärzten des Krankenhauses und der Behörde wird ihre Arbeit inzwischen wenigstens anerkannt, sie braucht ab jetzt nicht mehr jährlich um eine Aufenthaltsgenehmigung nachsuchen.

13 Ein Moslem fragt: „Ihr baut Wein an?“ - „Ja, wir essen die Trauben.“ - „Aber es sind doch viel zu viele. Was macht ihr mit dem Rest?“ - „Den lassen wir liegen.“ - „Und was macht ihr, wenn er gärt?“ - „Das ist Allahs Sache. Wegwerfen wäre doch Sünde.“
14 Kadaré hat in der kommunistischen Zeit in seinen Büchern mutig Kritik geübt, ist aber nach der Wende nach Paris gegangen, was man ihm sehr verübelt.

Unser Guide nannte das eine Schande, dass dafür jemand aus dem Ausland kommen muss.
Auch heute darf es ja keine unehelichen Kinder geben, und da es Verhütung trotz genügend Apotheken in den Städten auf dem Lande nicht gibt und die Pille unüblich ist, werden sie getötet. So war am Vortag eine 20jährige Tochter vom Vater mit einer Kalaschnikow getötet worden, weil sie drei Nächte nicht nach Hause gekommen war, er erwartete die Polizei ungerührt.
Töchter und Frauen werden geprügelt.

Strafen wirken wenig, zumal Wahlsiege meistens mit Amnestien verbunden sind. Zudem ist die Justiz korrupt, gegen Bestechung gibt es Freilassungen und auch aus Geldmangel des Staates. So bewirkt die Justiz nicht einmal Abschreckung.
Auch bleiben die von Berisha aus den Dörfern in die Städte gebrachten Familien konservativ.
Hochzeiten werden mit geworfenem Reis gefeiert, am Samstag feiert der Bräutigam mit Freunden allein, um Mitternacht kommt die Braut mit den Verwandten, mit Honig auf der Stirn, beim Tanzen werfen die Gäste Geld auf den Boden. Was früher in den Häusern stattfand, wird heute aus Platzmangel meistens im Lokal gefeiert.
Beerdigungen
werden mit Särgen durchgeführt, spätestens nach einem Jahr wird eine Platte aus Marmor über das Grab gelegt. Die Trauerfeiern finden unter Frauen und Männern in getrennten Räumen statt, die Männer rauchen und machen auch Witze über den Verstorbenen.
Da die Gräber nicht aufgehoben werden, wird inzwischen der Platz knapp. Reiche leisten sich Riesengräber. Man findet etliche Gräber am Unfallort. Regelmäßige Besuche und Blumenschmuck sind üblich.
Die Regierung will wegen Platzmangels Tote nach 50 Jahren verbrennen und die Asche in Mauern unterbringen, um Platz zu schaffen, es gibt Widerstand deswegen.
Lieder werden mehrstimmig gesungen, sie handeln oft von Hochzeit oder Emigration.
An Rohbauten werden Puppen gegen den bösen Blick angebracht.

Bei herrlicher Sonne fuhren wir an reißenden Flüssen entlang durchs Gebirge mit Schneegipfeln in der Ferne. Auf einer Brücke begegneten wir einer Ziegenherde, später trafen wir auf eine Schafherde und Blumen am Wegrand.
Auf der Fahrt an die griechische Grenze entlang kamen wir an vielen Einmannbunkern vorbei, aber an der Grenze sind auch größere. Man hält den Bau von 700.000 solcher Anlagen mit importiertem Stahl für schizophren, wenn man allerdings bedenkt, wie verachtet die Albaner bei den Nachbarn sind – wir erfuhren dies in Makedonien, als der Guide den Kellner wegen Rauchens im Speisesaal nicht zu rügen wagte -, und an die mörderischen Überfälle der Nachbarstaaten 1912 und im I. WK. denkt, dann hat man eher Verständnis für Hodschas Partisanentaktik15. Straßen hatte er absichtlich verfallen lassen, um eine Invasion zu erschweren.

15 Hodscha war Kommunist und Nationalist. Sein Vorgehen war besonders brutal. Vorgehen gegen Großgrundbesitz, später die Kollektivierung und seine Wendungen von Tito zu Stalin und später zu Mao – bis er als Hardliner übrig blieb, s. o..

Korçë ist ein hochgelegener Handelsplatz, dessen verfallener Basar jetzt aufgehübscht wird. Wir machten dort einen Spaziergang nach Ladenschluss. Hier entstand 1877 die erste albanische Schule illegal durch die Initiative des „Albanischen Komitees“ in Istanbul16. Auch musste zunächst ein einheitliches Alphabet erfunden werden, denn man schrieb im 19. Jh. noch nach den jeweiligen Kirchen in griechisch-kyrillischer, muslimisch-arabischer oder katholisch-lateinischer Schrift.

Der Ohridsee ist Grenzgebiet17. Schon das Kloster des Hl. Naum18 ist eine Kostbarkeit mit vielen Fresken, es wurde um 895 von Naum mit der Unterstützung der bulgarischen Zaren Boris I. und Simeon I. gegründet. Nach dem Tod von Naum am 23. Dezember 910 wurde das Kloster ihm zu Ehren gewidmet und umbenannt.
Noch eindrucksvoller sind die Fresken der Peribleptos-Kirche (Heilige-Gottesmutter-vom-Spital-Kirche) in Ohrid. Nachdem die Osmanen auch den Sitz der Erzbischöfe von Ohrid, die Hl.-Kliment-Kirche zur Moschee umbauten, wurde die Peribleptos-Kirche neuer Bischofssitz. In diesem Zusammenhang wurden auch die Reliquien des Heiligen Kliment dorthin gebracht; dadurch ist die Peribleptos-Kirche auch unter dem Namen Sveti-Kliment-Kirche bekannt.

Die Darstellung von Heiligen ist in der byzantinischen Kirche festgelegt: seit dem VII. Konzil zu Nicea 78719 darf Gott gar nicht dargestellt werden, wohl aber Jesus, da er Mensch geworden ist.

Vom V. bis zum VII. Jh. haben die Heiligen unpersönlichen Charakter und sind als schmale Menschen dargestellt (deren Körper etwas Nebensächliches ist).
Die Besonderheit liegt in ihrem frührenaissancehaften Stil. Zwar gibt es noch nicht Perspektive oder Landschafts-hintergrund – noch ist der Goldhintergrund der Himmel, aber die Figuren verlieren ihre Schmalheit und sind in Bewegung dargestellt, der Gesichtsausdruck ist nicht mehr starr20.

16 Der Ruf der Tapferkeit seit Skanderbeg - man denke an Karl May! - schadete den „Skipetaren“, denn die Großmächte fürchteten ein zu starkes Albanien und verhinderten es 1878 im Vertrag von Santo Stefano. Dagegen bildete sich die „Liga von Prizren“ als Nationalkomitee. Die osmanische Unterstützung war aber nicht entschieden genug, und die Großmächte waren inzwischen ohnehin überlegen. 1919 gab es ohne Erfolg eine Bittschrift an den Völkerbund für ein nationales Albanien.
Die Rolle deutscher Wissenschaftler bei der Erforschung der albanischen Sprache ist das Thema der Dissertation unseres Guides.
17 Von 1913 bis 1925 gehörte das Kloster zu Albanien. Ahmet Zogu, der sich mit jugoslawischer Hilfe im Dezember 1924 in Tirana an die Macht putschen konnte, trat es zum Dank für die Unterstützung an das Königreich Serbien ab.
18 Naum und Clemens sind Schüler von Kyrill und Method, die im Böhmischen Reich die kyrillische Schrift entwickelt haben.
19 Das Zweite Konzil von Nicäa wurde von Kaiserin Irene im Jahr 787 in der Stadt Nicäa (heute İznik/Türkei) südöstlich von Konstantinopel einberufen. Das Zweite Konzil von Nicäa erlaubte im Bilderstreit die Verehrung, jedoch nicht die Anbetung von Ikonen, allerdings nur unter bestimmten Auflagen. Dabei schloss es sich im Wesentlichen der Argumentation des Johannes von Damaskus an. Das ikonoklastische Konzil von Hiereia von 754 wurde für ungültig und zur „Pseudosynode“ erklärt.
Im Zuge des byzantinischen Bilderstreits erfolgte vor allem durch Johannes von Damaskus und Theodor Studites die theologische Begründung der Ikonendarstellung durch den Gedanken der Inkarnation: Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ermögliche erst die bildliche Darstellung. Das mit der Unsichtbarkeit Gottes in vorchristlicher Zeit begründete biblische Bilderverbot (Exodus 20, 4 f.) werde gerade nicht verletzt, denn Gott selbst habe es im sichtbaren Christus durchbrochen. (Wikipedia)
20 Darstellung starrer Gesichtsausdrücke mit großen Augen beginnen in der konstantinischen Zeit – vgl. die Münzen! -, während bei Giotto die Renaissance 1305 beginnt, sind hier die Fresken schon 1295 entstanden.

Da es sich um eine Marienkirche handelt, ist statt Gott Maria dargestellt, z. B. im brennenden Dornbusch (2.Mose 3).
Nebenan ist eine bedeutende Sammlung von Ikonen aus mehreren Jahrhunderten.
Die Kathedralkirche Hl. Sofia ist 900/1037 erbaut, 1313 erhielt sie die Außengalerie. Von den Fresken sind nur die in der Apsis erhalten.

Die Rückfahrt über Elbasan und die Panoramafahrt fand leider bei Regen statt. In der Ferne war nur noch ein rauchender Schornstein im riesigen Industriebereich in Betrieb, der einem türkischen Unternehmer gehört.

Die Passstraße ist steil, eine aufwändige Autobahn durch Tunnel wird in einigen Jahren die Strecke verkürzen.

Es gab noch ein gemeinsames Abendessen mit herzlichen Dankesreden.

So endete unsere Fahrt wieder in Tirana.


Ganz aktuell kann man auf Schwester Christinas Webseite (http://www.schwester-christina.de/) über einen neuen Fall von Blutrache lesen:

Erstellt am Freitag, 26. April 2013 12:53

Liebe Freunde in der Heimat,
grüss Gott. Leider habe ich eine sehr traurige Nachricht.
Heute Früh gegen 7.30 ist der Bruder von Sokol erschossen worden. Wie es aussieht, habe die Rächer nach 31 Jahren das Blut genommen. Jedoch fehlt noch die Nachricht von der Rächerfamilie, dass gerächt wurde., wie dies der Kanun verlangt. Schwester Michaela ist mit Irena und Sokol unterwegs zur Familie von Sokol in Torrovice.
Wir sind wieder einmal sprachlos und auch tief getroffen. Irena hat auf dem Weg zu uns zur Arbeit den Anruf bekommen und hat mich dann gerufen. Wir fuhren zu Sokol. Und unser Freund hat nur folgendes zu mir gesagt: “Schwester, geht doch ihr nach Hause nach Europa zurück. Unsere Erde ist so voller Blut. Geht doch zurück.”. Ich habe ihn geschüttelt und klar gemacht, dass unser Platz jetzt neben ihnen ist. Mehr können wir nicht tun: Beten, Dasein, den Bruder in die Erde legen.
Ich bitte Euch ums Gebet für Sokol und die ganze Familie. Viele kennen ihn ja.
Seid gegrüsst
Eure Sr. Christina


Erstellt am Samstag, 27. April 2013 11:15

Liebe Schwestern und Brüder und Freunde in der Heimat,
grüss Gott nochmal heute. Viele von euch haben für Sokol einen Gruss zum Blutrachemord an seinem Bruder geschickt. Danke von Herzen. Ich werde der Familie alles vorlesen.
Schwester Michaela hat Eduardi und Josef von der Schule abgeholt und ich habe ihnen die Nachricht von der Blutrache an ihrem Onkel dann gesagt. Sie konnten wenigstens etwas weinen. Edi konnte dann ein wenig reden. Und eben hat Edi diesen Appell geschrieben, den ich an Euch schicke und im Anschluss übersetze.
Vielleicht möchten einige dem Edi antworten?

Er schreibt:
Jam nje djal i cili vuan fenomenin e gjakmarrjes.Une kerkoj ndihmen e secilit person i cili eshte kunder gjakmarrjes , me ane te nje bashkimi behet nje force e madhe. Dhe kjo force e madhe eshte e mjaftueshme per te luftuar kunder kanunit dhe ne veqanti kunder gjak marrjes .Gjithashtu kerkoj qe cdo person te lutet per viktimat e kanunit. Ju faliminderit per mbeshtetjen.
Sot kane vra xhaxhain tim per te marr gjakun.

Übersetzung:
Ich bin ein Junge, der unter dem Phänomen Blutrache leidet. Ich bitte um Hilfe von allen Personen, die gegen die Blutrache sind. Es braucht große Kraft, auf dieser Seite eine Gemeinschaft zu bilden. Aber diese große Kraft ist genug, um gegen den Kanun und besonders gegen die Blutrache zu kämpfen. Und ich bitte, dass ihr alle, für die Opfer des Kanun betet. DANKE für Eure HilfeHeute haben sie meinen Onkel getötet um Blutrache zu nehmen.

Edi nennt nicht seinen Familiennamen und auch nicht sein Alter. Er hat Angst.
In Kürze werde ich mehr schreiben, wir müssen uns auch ein wenig “ordnen” aber wissen zutiefst, dass unser Halt der Auferstandene ist und wir sind fester denn je entschlossen weiter dem Kanun und der Blutrache den Kampf anzusagen.
Mit herzlichem Gruss und verbunden im Gebet
Eure Sr. Christina

Martin hat daraufhin spontan geantwortet:

Liebe Schwester Christina, liebe Schwester Michaela,
mit großer Erschütterung haben wir Ihre Nachricht vom 26. Und 27.4.2013 gelesen.
So schnell hat die Blutrache wieder einmal eine Familie erreicht. Oh, ist das schrecklich!
Hoffnung macht uns wirklich der Auferstandene, der uns zeigt, dass die Kraft Gottes stärker ist als die Macht des Todes und der Blutrache. Gott schenkt uns Kraft auch dann durchzuhalten, wenn aller Menschen Kraft an ihr Ende kommt.

Grüßen Sie bitte Edi sehr herzlich von uns. Wir wünschen ihm den Mut, an die Kraft Gottes zu glauben, die ihn und seine Familie befähigt, gegen den Kanun und die Blutrache anzukämpfen, sich nicht von Enttäuschungen niederreißen zu lassen und statt dessen an die Kraft der Versöhnung zu glauben, in die Gott uns hineinnimmt.

In herzlicher Verbundenheit
Martin Hankemeier
und die Reisegruppe, die am 27.3.2013 Gast in Ihrem Kloster sein durfte.


Am 1.5.2013 antwortete Schwester Christina:
DANKE von Herzen. Eure Gebete und Eure Solidarität stärken uns.
Mit herzlichem Gruss
Eure Sr.Christina