Christentum und Kultur im Schatten des Ararat

Studienreise - Gruppenreise vom 31. August – 15. September 2019

Herausgegeben von Günter Ruddat
in Zusammenarbeit mit Silke Droß und Lars Nienke

Bochum / Wuppertal 2020

 

Vorwort

Seit den 1980er Jahren führen Günter und Kriemhild Ruddat Gruppenstudienreisen ins überwiegend europäische Ausland durch. Viele Mitreisende waren schon mehrere Male dabei. Marga Mohren hat Günter und Kriemhild auf all ihren insgesamt 13 Reisen begleitet.

Spätestens im Herbst 2017, im Anschluss an die Reise ins Baltikum beschlossen Kriemhild und Günter, Günters alten Traum zu verwirklichen und Armenien zu besuchen. Armenien ist das Land, welches als erstes das Christentum als Staatsreligion einführte und gilt als das älteste christliche Land der Welt.

Im Frühjahr 2018 führten die beiden eine vorbereitende Erkundungsreise durch und begannen die Planung.

Da die Reisen grundsätzlich als Studienreisen durchgeführt werden, war auch diese mit allen Teilnehmern intensiv und gemeinsam vorzubereiten. Dazu wurden gesellige Gruppenabende im evangelischen Gemeindehaus Bochum Eppendorf durchgeführt. An diesen hielten jeweils zwei der Teilnehmer im Eigenstudium erarbeitete Vorträge zu Themen, die uns auf der Reise beschäftigen sollten. In der Pause wurden selbst zubereitete, leckere armenische Gerichte gereicht.

Zusätzlich fand sich ein Großteil der Reisegruppe zu einem Vorbereitungswochenende in der Ev. Bildungsstätte Haus Wiesengrund in Nürmbrecht-Überdorf und zu einem Sommerfest in Kriemhild und Günters Garten zusammen.

Über Ostern 2019 hielt Günter zwei Vorträge im Deutschlandfunk, deren Texte als Anhang in diesem Buch eingefügt sind. Die Vorträge können aber auch immer noch über das Internet gehört werden. Detaillierte Informationen zur Vorbereitung finden sich im Anhang.

Die Reise fand dann nach mehr als 9 Monaten Vorbereitung Anfang September 2019 endlich statt. Im Wechsel führten wir handschriftlich Tagebuch. Die Aufzeichnungen der Reiseteilnehmer sind Grundlage dieses Buches. Für die Bebilderung wurden viele 1000 Fotos gesichtet. So hat ein jeder einen Teil zur Entstehung dieses umfassenden Reiseberichtes beigetragen.

Im Anschluss an die Reise gab es als Nachbereitung mehrfache Wiedersehen mit Foto- und Filmschau, mit gemeinsamen Speisen und angeregten Gesprächen über die Erlebnisse. Im Rahmen zweier Lichtbildvorträge wurde in der Gemeinde auch Werbung für die nächste Reise nach gemacht. Geplant ist eine Tour durch Äthiopien.

Möge dieses Buch den Reisegefährten eine liebevolle Erinnerung sein und anderen Lesern spannende Einblicke in das Land und das Leben in Armenien geben.

Wir danken Günter und Kriemhild vielmals für all Ihre mühevolle Arbeit, für Ihre Geduld mit uns und für eine Zeit und eine Reise, die uns immer in wertvoller Erinnerung bleiben werden.

 

Die Reiseroute

 

1. Tag: Samstag, 31.08.2019

Die Anreise und das verlorene Gepäck

von Gerd Louis

Da standen wir vor dem Terminal C des Düsseldorfer Flughafens. Mit Koffer und Handgepäck. Ringsherum fröhliche Menschen, die sich auf Urlaubstage in Antalya oder auf Mallorca freuten. Unser Ziel hingegen war ARMENIEN. Obwohl wir uns in den Vorbereitungsmonaten intensiv mit Essen und Trinken, mit Musik und Literatur, mit Geschichte und Politik auseinandergesetzt hatten, stiegen leichte Zweifel in mir auf, ob die Entscheidung glücklich war, in ein Land zu fahren, das 2018 auf dem Korruptionsindex von Transparency International mit Ländern wie Ägypten, Algerien und Brasilien den nicht gerade schmeichelhaften Platz 105 eingenommen hatte (Deutschland war immerhin auf Platz 11 gelandet.).

Wir gingen ins Flughafengebäude und sahen uns suchend um. Als ich die hohe Stirn unseres Reiseleiters erblickte, der von ein, zwei Dutzend uns bekannter Menschen mit erwartungsfrohen Gesichtern umringt war, setzte sich in meinem Inneren eine gewissermaßen diffuse Vorfreude durch.

Das Einchecken bei Aeroflot, der von unserem Reiseveranstalter ECC-Studienreisen favorisierten Fluglinie, verlief problemlos; Koffer und Handgepäck waren so leicht, dass auch dem Rückflug – gewichtsmäßig – nichts entgegenstehen konnte. Irritierend waren allerdings die Embleme auf den Uniformen des Aeroflot-Personals: Hammer und Sichel – „geflügelt“!

Fliegen wir mit einer russischen oder mit einer sowjetischen Airline? Obwohl ich mich Tage zuvor mittels Internet kundig gemacht hatte, dass Aeroflot die letzten sowjetischen Iljuschin-Maschinen im Jahre 2014 ausgemustert hatte und heutzutage ausschließlich mit Flugzeugen von Airbus und Boeing fliegt, kamen bei mir erneut Zweifel über die Zuverlässigkeit postsowjetischer Airlines auf.

Nach zweimaligem Wechsel des Abfluggates konnten wir mit erheblicher Verspätung an Bord des Airbus 320 nach Moskau gehen. Der Flug allerdings war angenehm und entspannend. Die Stewardessen waren freundlich und hilfsbereit, die Piloten landeten das Flugzeug sanft auf russischer Erde.

Durch den verspäteten Abflug in Düsseldorf war unser Zeitpolster für den Umstieg in die Maschine nach Jerewan schon bei der Landung in Moskau aufgebraucht. Glücklicherweise wurde unsere Gruppe von einer energischen Bodenstewardess empfangen. Diese zeigte uns den kürzesten Weg zum Abfluggate, trieb uns zu größtmöglicher Schnelligkeit und feuerte uns mit fröhlichen Worten an, die sich für mich wie "dawai, dawai" anhörten. Atemlos erreichten wir im Schweinsgalopp das Flugzeug – wiederum ein Airbus 320 – und konnten noch soeben in unsere Sitze sinken, bevor die Maschine zur Startbahn rollte.

Auch dieser Flug war unspektakulär. Die Piloten landeten den Airbus am Fuße des Ararats so sicher wie Noah seine Arche Jahre zuvor an nämlicher Stelle. Nachdem die Einreiseformalitäten erledigt waren, standen wir am Kofferband und mussten schließlich, nachdem das Band wieder zum Stillstand gekommen war, das feststellen, was etliche aus unserer Gruppe bereits in Düsseldorf gemutmaßt hatten: Passagiere wohlbehalten in Jerewan gelandet, Koffer in Moskau verschollen.

Und nun hatten wir die Erstbegegnung mit Armeniens postsowjetischer Bürokratie. Die Hoffnung der Reiseleitung, am Lost & Found Desk eine Sammelmeldung bezüglich des vermissten Gepäcks der Gruppe zu hinterlassen, zerschlug sich schnell: Frau für Frau und Mann für Mann mussten einzeln und nacheinander die Verlustmeldung schriftlich unter ausführlicher Beschreibung des Koffers abgeben.

Nach gefühlten zwei Stunden konnten wir endlich den Ankunftsbereich des Flughafen Jerewan verlassen und wurden in der Eingangshalle aufs freundlichste von Eduard Saroyan, Arminius Tours, dem örtlichen Partner von ECC-Studienreisen, empfangen. Unser Reisebus stand bereit und brachte uns – begleitet von Eduard – unverzüglich durch das abendliche Jerewan zum Ani Plaza Hotel, nach Eigenwerbung „the Biggest & One of the Best Hotels in Yerevan“.

 

2. Tag: Sonntag, 01.09.2019

Ein Tag in Jerewan und die Festung Erebuni

von Gerd Louis

Nach einer erquickenden Nachtruhe und einem landestypischen Frühstück ging es um Punkt 9 Uhr los – schließlich waren wir zu einer Studien- und nicht zu einer Urlaubsreise nach Armenien gekommen. Begrüßt wurden wir von Eduard und von unserer charmanten und, wie sich im Verlauf der Reise immer wieder beweisen sollte, äußerst kompetenten Reiseführerin Naira. Wir bestiegen unseren Bus, einen in die Jahre gekommenen chinesischen Higer Bus, und brachen zur Stadtrundfahrt auf. Erster Haltepunkt war der Platz der Republik, der im April 2018 während der sog. Samtenen Revolution ins Zentrum medialer Aufmerksamkeit geriet.

Der heutige Platz der Republik ist der zentrale Platz Jerewans. Von 1924 bis zum Ende der Armenischen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR) 1991 hieß er Leninplatz. 1922 wurde Jerewan Hauptstadt der Armenischen SSR, und 1924 erhielt der Architekt Alexander Tamanjan den staatlichen Auftrag, seinen Generalbebauungsplan für Jerewan, das zu jener Zeit etwa 25.000 Einwohner hatte, umzusetzen.

Das verwinkelte historische Stadtzentrum Jerewans ordnete Tamanjan neu: Schnurgerade Prachtboulevards, großzügige Parks und ein System von Ringstraßen. Für die Umsetzung des neuen Straßenrasters wurde das historische Stadtbild radikal verändert. Was schön war und vom Erdbeben im 17. Jahrhundert übrig – Kirchen und Moscheen, Bäder und Basare, Karawansereien und die persische Festung – ersetzte er durch vier- bis fünfgeschossige neoklassizistische Gebäude aus rotem Tuffstein. Eine Stadt in Pink (für 250.000 Einwohner).

Um den Platz der Republik gruppierte Alexander Tamanjan mehrere repräsentative Bauten. Er selbst entwarf den nordwestlichen Teil des Regierungsgebäudes Nr. 1, den ehemaligen Sitz des Rates der Volkskommissare der ASSR; sein Sohn Gevorg Tamanjan vollendete dieses Gebäude Ende der 1930er Jahre. Die übrigen Gebäude wurden ebenfalls von namhaften armenischen Architekten zwischen 1950 und 1980 errichtet. Sie beherbergen Ministerien, das Hotel Armenia, die Nationalgalerie, das Historische Museum und die Zentralpost.

Wir setzten die Rundfahrt fort und erreichten ein Aussichtsplateau auf einem Hügel Jerewans in unmittelbarer Nachbarschaft zum Siegespark. [Im Siegespark steht die weithin sichtbare monumentale Statue der „Mutter Armenien“ (Höhe 24 m, Gesamthöhe inkl. Sockel 51 m).] Von dem Plateau sollten wir einen ausgezeichneten Blick auf das majestätische Ararat-Massiv haben, hätten nicht der große wie auch der kleine Ararat vorgezogen, ihre Häupter hinter einer Wolkenwand zu verstecken. So ließen wir unsere Blicke über Jerewan und die die Stadt umgebenden Hügel schweifen. Naira erläuterte uns, dass die Regierung der Armenischen SSR Mitte der 1960er Jahre ein gewaltiges Wohnungsbauprogramm in Angriff nahm, um die Einwohnerzahl Jerewans zu steigern. Bereits in den 1980er Jahren hatte die Zahl der Einwohner eine Million erreicht. 2009 lag die Einwohnerzahl mit rund 1,2 Millionen ungefähr so hoch wie 1988. Das Ergebnis sowjetischen Baubooms konnten wir mit eigenen Augen sehen: Alle Hügel ringsherum waren mit grauen gleichförmigen Wohnblocks aus normierten Platten überzogen. Ein trister Anblick.

Wir gingen über das Plateau bis zu einer Balustrade und blickten auf ein etwa 60 m x 80 m großes Ruinengelände, wobei man nicht erkennen konnte, ob es sich um das Kellergeschoss einer vor Jahren stillgelegten Baustelle oder um die Reste eines Gebäudeabbruchs handelte. [Bei der Tagesniederschrift fand ich den Hinweis, dass es sich um die Grundmauern eines geplanten, aber nicht ausgeführten Museumsneubaus handelt.] Hob man den Blick, sah man die Kaskade, eine monumentale Treppe aus Travertin, die zum Stadtbezirk Kentron hinabführt und eine Höhe von 118 m überwindet. Bereits Alexander Tamanjan hatte die Kaskade in seinem Generalbebauungsplan ausgewiesen. Der erste Abschnitt wurde jedoch erst in den 1970er Jahren gebaut, der zweite 30 Jahre später von 2002 bis 2009 mit armenisch-amerikanischen Geld ausgeführt.

Während unseres Aufenthaltes auf dem Aussichtsplateau blieb der Ararat weiterhin ungnädig und war nicht bereit, sich zu zeigen. Dennoch hellte sich unsere Stimmung auf. Dank moderner Kommunikationstechnik ereilte uns die Nachricht: Unsere in den Weiten des postsowjetischen Luftraums verschollenen Koffer sind in der Lobby des Ani Plaza Hotels gelandet! Reiseleitung und Reiseführerin schlugen vor, die Stadtrundfahrt zu unterbrechen, und das verlorene geglaubte Gepäck, wieder in Besitz zu nehmen. So fuhren wir um 10.50 Uhr zurück zu unserem Hotel und empfingen dort – dank Eduards Vermittlung – auf unbürokratische Art und Weise ohne Vorlage von Pässen oder Passkopien unsere Koffer (bis auf einen, der kam später!).

Nach einer Erfrischungspause setzten wir unsere Stadtbesichtigung zu Fuß fort und gingen wenige Meter bis zu dem von 2009 bis 2015 errichteten St. Anna-Kirchenkomplex, um die Möglichkeit zu haben, Eindrücke von einem armenischen Sonntagsgottesdienst zu gewinnen. Der Kirchenkomplex besteht aus der 2015 durch den Katholikos Karekin II. konsekrierten St. Anna-Kirche, der kleinen mittelalterlichen Katoghike-Kirche und der Jerewaner Residenz des Katholikos von Etschmiadsin. Geldgeber für die Neubauten ist die Stiftung eines armenisch-amerikanischen Unternehmers. Nach dem großen Erdbeben von 1679 wurde neben die kleine, aus dem Jahre 1264 stammende Kirche der Heiligen Muttergottes Katoghike eine große kuppellose dreischiffige Basilika der Heiligen Muttergottes gebaut, die als eine der größten Kirchen Jerewans galt. 1936 wurde die Basilika auf Weisung der sowjetischen Behörden abgerissen, um Platz für neue Wohngebäude an der Sajat-Nova-Allee zu schaffen. Während des Abrisses kam die alte Katoghike-Kirche wieder zum Vorschein. Proteste von Archäologen verhinderten die Beendigung der Abrissarbeiten, so dass wenigstens die kleine mittelalterliche Kirche erhalten blieb.

Um 12.30 Uhr setzten wir die Stadtrundfahrt fort. Wir fuhren über die breiten Boulevards aus den 1920er und 1930er Jahren und genossen den Blick auf zahlreiche Park- und Brunnenanlagen. Vorbei an den unscheinbaren Zugängen des persischen Marktes, wo geringwertige Importprodukte aus dem Iran verkauft werden, und dem Jerewaner Hauptbahnhof, der im Stile des sowjetischen Neoklassizismus („Zuckerbäckerstil“) in den 1950er Jahren errichtet worden war und vor dem seit 1959 eine Reiterstatue des legendären David von Sasun steht, ging es zu der urartäischen Keimzelle Jerewans, der Festung Erebuni.

Zunächst besichtigten wir das Erebuni-Museum. Dieses wurde 1968 zur 2750-Jahr-Feier Jerewans am Fuße des Hügels eröffnet, auf dem 782 v. Chr., also 3 Jahrzehnte vor der Gründung Roms, die Festung Erebuni erbaut wurde. Anschließend fuhren wir zur Festung hinauf und wanderten im strahlenden Sonnenschein unter Anleitung unserer Reiseführerin durch die Überreste der Bauten. Die erste Phase der Ausgrabungen begann hier 1950, nachdem ein Bauer eine beschriftete Steintafel ausgebuddelt hatte. Archäologen kamen und fanden bald eine große Keilschriftplatte mit einer Inschrift des urartäischen Königs Argishti I., die das Datum des Baus der Festung offenbarte. Sie entdeckten die Relikte von Höfen, Hallen, Tempeln und Räumen, die Teil des königlichen Palastes waren. Dutzende von urartäischen und achämenidischen Artefakten und Wandfragmenten wurden ebenfalls gefunden, von denen viele heute im Museum ausgestellt sind.

Die ausgegrabenen Festungsanlagen waren auf sowjetische Weise mit viel Beton für die Nachwelt gesichert worden, sie vermittelten allerdings nicht mehr den Eindruck eines Reliktes aus dem ersten vorchristlichen Jahrtausend. In einer rekonstruierten offenen Halle, deren Dach wohltuenden Schatten spendete, hielten wir unsere Tagesandacht.

Danach setzten wir unsere Stadtrundfahrt fort. Bewunderung zollten wir unserem Busfahrer, der bei der Abfahrt von dem Festungshügel den Bus durch enge Straßen, die zudem durch zum Verkauf angebotene Gebrauchtwagen eines privaten Automarktes zugeparkt waren, steuern musste. Wir erreichten wieder die Innenstadt und fuhren an der Deutschen Botschaft vorbei, was Reiseführerin Naira zu dem bemerkenswerten Satz veranlasste: „Die Armenier halten die Deutschen für ein bescheidenes Volk!“ Dem wollten und konnten wir nichts entgegensetzen. Kurz danach hielten wir für eine späte Mittagspause vor dem Gartenhof am Fuß der Kaskade. Dieser Platz vermittelte eine fast mediterrane Stimmung. Fröhliches Stimmengewirr klang aus den zahlreichen Restaurants und Cafés, und der Duft von frischem Kaffee stieg uns in die Nase, als wir uns auf der Terrasse eines kleinen Lokals an einem schattigen Tisch niederließen – mit Blick auf die zahlreichen Skulpturen, die den Platz zu einem Freilichtmuseum machen. Gern hätten wir hier länger verweilt, der Zeitplan und die Reiseleitung ließen das jedoch nicht zu.

Das nächste Ziel, das Historische Museum für Armenien am Platz der Republik, erreichten wir um 16.40 Uhr. Im Museum war man schon in heller Aufregung, da man sonntags um 17 Uhr schließt. Dem diplomatischen Geschick von Naira und Eduard war es zu verdanken, dass unsere kompetente und hervorragend deutsch sprechende Museumsführerin sowie die Damen des Aufsichtspersonals ihren sicherlich verdienten Feierabend hinausschoben und wir trotz einer gewissen Eile einen sehr guten Eindruck von den ausgestellten Artefakten der armenischen Vor- und Frühgeschichte mitnahmen.

Nach dem Museumsbesuch kehrten wir mehr oder minder erschöpft zum Hotel zurück. Das Tagesprogramm war jedoch noch nicht zu Ende. Nach kurzer Erfrischungspause gingen wir unter Führung von Eduard gefühlte ein, zwei, drei Kilometer zu einem landestypischen Restaurant, wo Eduard für uns einen armenischen Abend mit typischem armenischen Essen und zu unserer großen Überraschung mit typischer armenischer Musikbegleitung organisiert hatte. Das Essen war sehr schmackhaft und wurde mit großer Herzlichkeit serviert. Manche Speisen erkannten wir wieder, da wir sie bereits bei unserer Reisevorbereitung genossen hatten, wobei anzumerken bleibt, dass diese jetzt vielleicht etwas armenischer schmeckten.

Die vier Musiker, die zu Tisch aufspielten, musizierten auf den typischen vorderorientalischen Instrumenten. Der erste blies die Duduk, die armenische Oboe, die schon in vorchristlicher Zeit im armenischen Hochland bekannt war. Der zweite zupfte und schlug die Tar, ein lautenähnliches Saiteninstrument mit einem Korpus, der an den einer Gitarre erinnerte, und einem Resonanzboden aus Fischhaut. Der dritte strich die Kamanche, eine Spießgeige. Die klassische kaukasische und iranische Kamanche besitzt einen kugeligen Körper aus Holz. Der Steg liegt auf einem kreisförmigen Resonanzboden aus Fischhaut, und der runde Hals ist an einem Spieß fixiert, der durch den Korpus verläuft und als Stütze für das Instrument dient. Während des Spiels hält der Spieler das Instrument vertikal auf seinem Knie. Den Rhythmus gab der vierte Musiker vor: Er schlug mit Fingern und Handflächen die Dhol, eine zylindrische Doppelfelltrommel. Die Musik vermittelte wahrscheinlich nicht nur mir, sondern den meisten Mitreisenden ein ganz neues Hörgefühl. Ich empfand die Melodien des vierköpfigen Ensembles zunächst einmal als laut und höchst orientalisch –quäkend und schrill. Doch nachdem jeder der vier jungen Musiker mit einem Solo sein Instrument vorgestellt hatte, schien mir die Musik melodischer und eingängiger, so dass ich „letztendlich“ bedauerte, dass die Musiker nach mehreren Zugaben ihre Instrumente einpackten.

Der Abend war fortgeschritten, und so langsam machte sich die Müdigkeit bemerkbar. Wir brachen auf. Auf den Straßen herrschte noch ein reges Treiben. Da ich in jungen Jahren als Pfadfinder immer den Pfad gefunden hatte, glaubte ich, in Richtung Hotel vorangehen zu können. Ich will jedoch nicht lange herumreden: Ich verlief mich. Zum Glück brachten mich einige Damen unserer Reisegruppe wieder auf den rechten Weg zum Hotel, so dass einer erholsamen Nachtruhe nach einem ereignisreichen Tag nichts mehr im Wege stand.

 

3. Tag: Montag, 02.09.2019

Die Khasacher Basilika in Aparan,

das Festkalender Haus in Bjurakan

und die Festung Amberd

Von Eberhard von der Höhe

Nach einem ausgiebigen Frühstück startet unsere Reisegesellschaft pünktlich gegen 9 Uhr von Jerewan aus nach Norden. Zuerst durch die wohl immer übervollen Straßen der Hauptstadt, in der fast jeder dritte Einwohner Armeniens lebt. Vorbei an Regierungsgebäuden und Botschaften, kommen wir nur langsam voran.

Das Stadtbild hat sich besonders in den Vororten chaotisch und unkontrolliert seit den 50er Jahren entwickelt. Das alte Jerewan mit seinen typischen Häusern und alten Balkonen ist fast verschwunden und heute dominieren Hochhäuser sowjetischer Einheitsbauart im Stadtbild. In der Stadtmitte sind aber auch noch schöne alte Häuser mit wunderschönen Torbögen, großen Fenstern und hölzernen Balkonen zu sehen. In allen neuen Stadtteilen stehen hingegen geistlose Hochhäuser sowjetischer Bauart.

Wir verlassen allmählich Jerewan und die Ararat-Ebene, fahren am Ostrand des Aragats-Massivs entlang, sehen vor uns das „Denkmal des armenischen Alphabets“, die 39 Buchstaben in rotem und schwarzem Tuffstein, zur 1600-Jahr-Feier (2005) genau auf 1600 m Höhe errichtet, dahinter der Aragats, der höchste Berg Armeniens (4095 m). Nach gut einer Stunde Fahrt erreichen wir unser erstes Ziel, die kleine Stadt Aparan, inmitten einer weiten grünen Hochebene. Die Stadt der „armenischen Ostfriesen“ ist als eine der ältesten Städte des Landes bekannt. Sie liegt am Fluss Khasach und versorgt Jerewan mit (hier noch!) frischem Quellwasser. Aparan war die Sommerresidenz der vorchristlichen, armenischen Könige.

 

Dort besuchen wir die bekannte Khasacher Basilika, welche sich im Ortszentrum von Aparan befindet. Sie zählt zu den ältesten sakralen Bauwerken Armeniens und stammt aus dem 4. Jhdt. In den letzten Jahren wurde sie restauriert. Die Basilika ist eine riesige Kirche, an die sich im Laufe der Jahre die kleinen Dorfhäuschen angeschmiegt haben. Das mindert ein wenig die Pracht des alten Gotteshauses aus dem 4. Jhdt. Die Anwohner haben die Basilika in eine Muttergotteskirche umbenannt (ursprünglich dem „heiligen Kreuz“ = „surb chatsch“ geweiht). Laut unserer Reiseleiterin Naira ist die Basilika die einzige Kirche, welche in Aparan auch zur Sowjetzeit besucht worden ist und auch heute noch als Kirche dient.

Vor der Kirche erklärt sie uns im Sonnenschein noch einmal die besondere geographische und geotektonische Lage Armeniens zwischen der afrikanischen und der europäisch-asiatischen Platte, die zur vulkanischen Auffaltung des Gebirges im Südkaukasus führt. Die Vulkane, in der Mythologie feuerspeiende Drachen, zeigten zuletzt 1988 nördlich von Aparan ihr schreckliches Gesicht: Ein großes Erdbeben, das 25.000 Menschen das Leben kostete und 600.000 Menschen obdachlos machte.

Kriemhild & Günter hatten uns schon bei der Vorbereitung den Mund wässrig gemacht auf eine ganz andere Sehenswürdigkeit, die Bäcker von Aparan. Da sehen wir in der Gntunik Bakery & Supermarket sportliche junge Männer, die das berühmte Lawash-Brot - akrobatisch sich stürzend – an die Wand der Tonöfen (Tonir) klatschen und rechtzeitig wieder herausholen, nachdem die Fladenbrote von Frauen vorbereitet worden sind. Daneben ein überwältigendes Angebot an gewaltigen Hochzeitstorten und Backwaren aller Art (herzhaft oder süß gefüllt), darunter auch Gata, sozusagen die armenische Zimtschnecke. Da wird die Kaffeepause zum Erlebnis.

Für uns geht es wieder mit dem Bus zurück in Richtung Südwesten in das Dorf Bjurakan. Die Besichtigung des 1946 gegründeten weltberühmten Observatoriums ist leider nicht möglich. Dafür erwarten uns schon auf der Dorfstraße vier Frauen in farbenfrohen Gewändern und laden uns singend ein in ihr „Festkalender-Haus“, eine Initiative einer armenischen Cellistin zum Erhalt der traditionellen Folklore auf dem Land.

Hier erleben wir nicht nur alte Lieder und Tänze rund um das gerade zurückliegende Fest „Mariä Himmelfahrt“ (15.8.) und die Feier der „Traubenlese“, sondern werden ebenso einbezogen in die Herstellung von Mehl und Butter (bauch- und babyfreundlich zu zweit geschaukelt). Das sich anschließende traditionelle Mittagessen speist uns aus einem riesigen Kürbis.

Kaffee oder Tee werden serviert, dazu „armenische Schokolade“, die keine Schokolade ist, zu der vorab Günter von der wundervoll liebreizenden Dame des Hauses verführt wird und sich ergriffen mit einem Kuss auf die Wangen bedankt. Die Zeit vergeht wie im Flug, wir haben doch noch zwei Ziele für heute vor uns.

Durch die typisch armenische Bergland-schaft am Südhang des Aragats windet sich die Straße in endlosen Serpentinen. Die Landschaft wird immer karger und plötzlich auf 2000 m Seehöhe angelangt erscheinen mit der schnee-bedeckten Spitze des Ararat im Hintergrund wie ein Schatten eine mächtige Festungs-mauer und die Umrisse einer kleinen Muttergottes-Kirche (1026) die Festung Amberd, die wie aus einem Adlerhorst den Blick auf die Ararat-Ebene in der Ferne öffnet. Leider hat es inzwischen zu regnen begonnen – und es ist kühl. Gut, dass wir unsere Anoraks parat haben. Wir steigen vom Parkplatz mit einem kleinen Kiosk vorsichtig viele in Stein gehauene Treppen zur Festung hinab, bewundern die hohen Mauern der Zitadelle und den atemberaubenden Ausblick in alle Richtungen, bis wir schließlich zu der Kirche auf einem Felsvorsprung gelangen, wo wir unsere tägliche Andacht halten.

Es ist später geworden, als wir geplant hatten, es geht zurück nach Jerewan, wo uns ja noch der flüssige „Ararat“ erwartet. Eduard hat es noch hingekriegt, dass wir eigentlich nach Ladenschluss noch die Cognac-Fabrik betreten konnten, die in einem riesigen roten Tuffstein-Gebäude residiert – direkt oberhalb der von deutschen Kriegsgefangenen 1945 gebauten Siegesbrücke.

Dort wurde uns der Werdegang dieses alkoholischen Getränkes erklärt, dazu die unvermeidliche Kostprobe des „Armenian Brandy“, dem neben einigen Kostverächtern andere lebhaft zusprachen und sich eindeckten, auch wenn die Limited Edition Charles Aznavour zu kostspielig war.

Günter wurde zum Abschluss der Prozedur noch gebeten, sich in den riesigen Sonnenkranz aus Kognak-Flaschen zu platzieren. Ergebnis eine alkoholische Mithras-Inkarnation der eigenen Art. Außerdem wird erzählt. Bei der Konferenz von Jalta im Februar 1945 habe Winston Churchill diesen Cognac kennengelernt und sei von diesem Getränk im Gefolge des Winzers Noah (1.Mose 9,20ff) „so amused“, dass Stalin ihm jährlich 365 Flaschen nach London geschickt habe…

Die fröhliche Rückfahrt nach einem langen Tag wurde außerdem noch gekrönt, denn zu allem Glück war dann am Abend auch Annettes Koffer endlich da! Da konnten wir bei einem kleinen Imbiss in der Bar von da an fast täglich am Abend mit dieser Medizin anstoßen, offen blieb nur die Frage 3 oder 5 Jahre alt oder…

 

4. Tag: Dienstag, 3.9.19

Kathedrale Zvartnotz, Kirche der Hl. Hripsime
Klosterkomplex Etschmiadsin

Von Gabriele & Manfred Raasch

Geburtstag, der erste dieser Reise, Peter wird 75.
Unfall am Morgen, Gertraude fällt bei einem Sprint zum Aufzug hin. Alles kein Problem, wir haben ja Krankenschwester Sabine dabei. Wir ziehen um, wir verlassen Jerewan. Und die Koffer, wo sind sie? Darum müssen wir uns nicht kümmern. Das Hotelpersonal verfrachtet sie bis in den Bus, wohlgemerkt vom Zimmer bis in den Bus; toller Service. Die ersten haben am Morgen den Ararat schon aus dem Hotelfenster gesehen, es gibt ihn also doch – obwohl, jetzt, bei schönem Wetter sieht man ihn von fast überall.

Der Bus rollt wieder, diesmal ist kein Stau in der Stadt. Wir fahren nach Etschmiadsin, so heißt die Stadt im Prinzip, aber seit der Unabhängigkeit heißt sie eigentlich wieder Wagharschapat. Und wieder eine Fülle von neuen Erklärungen und Informationen, die wir uns nicht merken können. Doch etwas haben wir uns gemerkt, einen Merksatz für die Armenier, beim Blick auf die Botschaft der USA haben wir ihn aufgeschnappt: „Die Optimisten lernen Englisch, die Pessimisten lernen Russisch, die Realisten Chinesisch.“ Wir sind immer noch in Jerewan. Am Ende der Stadt, am Rande der Straße die Häuser der Armen, kleine Häuser mit Wellblechdach und immer wieder Bauruinen.

Wir biegen von der „Schnellstraße“ ab nach Zvartnotz. An der großen Toreinfahrt, dem Zugang zu den Ruinen der einstigen monumentalen Rundkirche von Zvartnotz eine Frau, die mit dem Handfeger die lange Zufahrt zu den Ruinen fegt. Die Ruinen, das Bild von unserem Armenien-Info 1 wird Realität:

 

Wir hören Erklärungen aus dem Reiseführer und von unserer Reiseführerin Naira. Sie weiß einfach (fast) alles: „Katholikos Nerses III ließ die Kathedrale in der Mitte des 7. Jh. über der Stelle errichten, an der einst Gregor der Erleuchter (er begegnet uns noch öfter) den armenischen König von seiner Krankheit erlöst hatte, der ihm aus der nahen Hauptstadt entgegengezogen war. Archäologische Grabungen belegen allerdings eine kultische Verehrung an diesem Ort schon Jahrhunderte zuvor.“
Wir sehen nur Steine und nochmals Steine und natürlich ein Museum dazu (mit einem aufklappbaren Modell der Kirche, Vorbild für die Hagia Sophia in Istanbul). Es geht natürlich um Steine, nein, zunächst einmal um Kreuzkirchen und Kuppelkirchen, Kreuz innen, Kreuz außen. Es sind gleichschenklige Kreuze, so ähnlich wie das Kirchentagskreuz. Das Zentrum ist die Gemeinde. Im Prinzip ist das schon alles. Alle Kirchen in Armenien sehen so aus, die alten und die neuen. Im Prinzip bekommen wir noch eine weitere Einführung zu den Kreuzsteinen. Michael dreht den Gashahn zu, nicht wirklich, aber es sieht so aus. Hier liegen alle Gasleitungen oberirdisch, sozusagen über unseren Köpfen. Es gibt sie an allen möglichen und unmöglichen Orten. Überall scheint Gas zu strömen.

Zum Abschluss des Besuchs ein erster Versuch eines Gruppenfotos vor den Ruinen, natürlich der Ararat im Hintergrund, Postkartenidylle. Im Prinzip hat es auch funktioniert, aber wir sind nicht vollzählig. Ihr seht es auf Seite 7.

 

Rein in den Bus, auf zur nächsten Kirche, zur Jungfrauenkirche, zur Kirche der Hl. Hripsime (618), der charakteristischsten aller armenischen Kirchen. Die Legende um die Heilige habe ich nicht genau mitbekommen. Ich habe später nachgelesen, dass ihrer Schönheit wegen der Kaiser Diokletian um sie geworben hat, sie aber sich verweigerte und mit einer Schar von Glaubensschwestern aus Rom nach Armenien floh. Jetzt ist es der armenische König, dem sie sich verweigert, denn sie hatte Christus allein die Treue geschworen. Der König ließ sie und alle Jungfrauen steinigen. Die Steine liegen in der Krypta.

Zur Strafe wurde der König mit einer schweren Krankheit bestraft. Erst Gregor, s.o., konnte den Herrscher von seiner Krankheit befreien. Jetzt steht das Gotteshaus über dem Grab dieser Märtyrerin. Es erinnert uns an die Geschichte vom heiligen Stephanus (und die Hl. Ursula von Köln mit ihren Jungfrauen). Die Kirche steht auf einem mystischen Ort oder macht die Kirche sie zu einem mystischen Ort?

Weiter geht es zum Zentrum der Armenisch-Apostolischen Kirche nach Etschmiadsin. Wir sind sozusagen zu Besuch beim Papst im Vatikan, nein, doch nicht, es ist die Residenz des Katholikos. Von ferne erblicken wir ihn.

Leider hat der Katholikos keine Zeit - und soll eigentlich auch nicht fotografiert werden, so begnügen wir uns mit dem Besuch des weitläufigen Anwesens mit alten und weniger alten Gebäuden. Hier wird die Geistlichkeit ausgebildet, hier wird gebetet und getauft, hier werden aber auch die Schätze der Kirche aufbewahrt. Auch Erzengel Gabriel war hier. Er hat einen Teil der Arche Noah als Reliquie hergebracht.
Außerdem sehen wir im Palast des Katholikos, in der Schatzkammer, die „Heilige Lanze“, mit der Jesus in die Seite gestochen wurde. Im Prinzip ist das so.

 

Die große Kathedrale ist geschlossen, von einem Bauzaun umgeben.

Und dann ist Mittagessen in einem Gewölbekeller angesagt. Wir tafeln fürstlich. Draußen auf der Terrasse steht ein Klavier. Uwe, greif doch mal in die Tasten? Und Uwe macht es für uns und für die Besucher der Terrasse.

Die Polizei geleitet uns über die Straße zum Bus.

Und dann besuchen wir auf verschlungenen Wegen Frederik, jedenfalls haben wir ihn so genannt. Frederik oder besser seine Überreste sind in einem Bronzezeitmuseum irgendwo auf dem Weg nach Gjumri in Mezamor zu finden. Noch heute graben dort Menschen aus aller Welt nach dem, was aus der Zeit übriggeblieben ist. In dieser „Wüstung“ feiern wir die Geburtstagsandacht für Peter. Günter erinnert mit 1.Mose 12 an den 75jährigen Abraham, der mit seiner Familie loszieht und loslässt.

 

Der Bus schaukelt uns nach Gjumri durch eine unendliche Steppe oder Halbwüste. Wir sehen das Atomkraftwerk im Hintergrund (es ist das einzige in Armenien), es produziert mehr als die Hälfte des Stroms für Armenien. Immer wieder sehen wir Industriewüsten am Rande, Ruinen der Gegenwart. Dann tauchen abgeerntete Felder auf und immer wieder Steine.

Da, ist das nicht eine moderne Solaranlage? Auch das gibt es in Armenien. Wir fahren durch das Erdbebengebiet nach Gjumri, der zweitgrößten Stadt des Landes. Gjumri und die Umgebung wurden im Dezember 1988 bei einem schweren Erdbeben zu 80% zerstört, der gesamte Nordwesten des Landes. Mindesten 25.000 Todesopfer waren zu beklagen. 130.000 Verletzte galt es zu versorgen. Das Atomkraftwerk war zum Glück nicht betroffen. Es liegt auf einer anderen tektonischen Platte. Das Kraftwerk wurde für sieben Jahre abgeschaltet, was Armenien in eine tiefe Energiekrise stürzte. Erst mit Hilfe des Westens konnte das Atomkraftwerk sicher gemacht werden und ging wieder ans Netz.

Herzlicher Empfang im Hotel Olymp in Gjumri am frühen Abend. Es scheint so, als seien wir die erste größere Gruppe. Ein wunderschöner Tag geht bei einem zünftigen Abendessen bei Wein und warmen Bier zu Ende. Eine Bar gibt es nicht.

 

5. Tag: Mittwoch, 04.09.2019

Stadtrundgang Gjumri, Arpi See, Kloster Marmaschen,
Fischrestaurant „Cherkezi Dzor“

Von Silke Droß

Morgens beim Frühstück in unserem bemerkenswerten Hotel in Gjumri werden die hartgekochten Eier knapp… Erst verschämt, dann immer offener wird nach und nach ausgesprochen, dass mehrere Mitreisende unter Erscheinungen leiden, die Günter - noch gut gelaunt - als „Aragats Rache“ in die Reiseannalen eingehen lassen möchte. Noch ahnen wir nicht, dass uns diese Befindlichkeiten bis zum Ende der Reise treu und hartnäckig begleiten werden… Doch zunächst starten wir zu einem Stadtrundgang durch das hübsche Städtchen Gjumri.

Kaum ein paar Meter weit gekommen, macht Angelika schmerzhafte Bekanntschaft mit einem Wespenstachel, nimmt dieses Schicksal jedoch mit einigem Gleichmut hin, denn wir erfahren, dass Stadt und Region vom Erdbeben am 07.12.1988, während der Blockade, in besonders schwerem Maße heimgesucht worden waren.

Es dauerte lange, bis die Sowjetunion schließlich Hilfe aus dem Ausland zuließ, die zudem langwierig über den Luftweg organisiert werden musste.

Mindestens 25.000 Menschen starben, bis heute sind die Folgen des Unglücks nicht überwunden. Viele Häuser sind noch immer beschädigt, und Naira erzählt uns, dass sich seitdem eine gewisse Lähmung über die Bevölkerung gelegt habe.

Wir besichtigen die Kathedrale der heiligen Mutter Gottes, die den Sieben Wunden Mariens geweiht ist und widerstehen der Versuchung, den zahlreichen Verkäufern eine Taube abzukaufen.

Die Kathedrale ist neben Etschmiadsin die einzige Kirche, in der nach 1938 Gottesdienste stattgefunden haben.

Bei einem Bummel durch die Altstadt mit den noch gut erhaltenen und restaurierten schwarzen Tuffstein-häusern erzählt uns Naira augen-zwinkernd, dass die Häuser nicht nur 60 cm dickes Mauerwerk besitzen, sondern auch ungewöhnlich hohe Decken. Dies sei dem Umstand geschuldet, dass die Bewohner von Gjumri schon immer etwas hochnäsig waren.

Wir kommen vorbei am Zentrum für ästhetische Erziehung der Kinder, und an mehreren Stellen erregen lange Menschenschlangen vor den Geldautomaten Aufsehen, denn es hat wohl Rente gegeben.

Die beim Erdbeben zerstörte und wieder aufgebaute Erlöserkirche am Wardananz-Platz ist nur von außen zu bewundern, und so war meine Aufmerksamkeit schnell beansprucht von drei gestandenen Mannsbildern, die auf der angrenzenden Grünfläche mit einem außer Kontrolle geratenen Hydranten zu kämpfen hatten. Am Ende waren alle nass und das Gelächter groß.

Gyumri ist eine alte Handels- und Garnisonsstadt, in der es Stadtteile und Wohngebiete nicht nur für die einzelnen Zünfte, sondern auch für die verschiedenen Volksgruppen angehörenden Einwohner gab.

Noch heute gibt es eine russische Kaserne, und es leben viele russische Familien in der Stadt. Wir besuchen die russische Kirche auf dem Hügel der Ehre.

Von hier haben wir einen wunderbaren Blick auf die Schwarze Festung, die infolge des Russisch-Türkischen Krieges 1828/29 zur Verteidigung der Stadt errichtet wurde.

Gleich nebenan thront das von den Sowjets errichte Denkmal der Mutter Armeniens.

Schließlich führt uns unser Weg zu einer Besonderheit:

Auf dem Gelände eines beim Erdbeben zerstörten Warenhauses entstand aus einem Hilfsprojekt des Roten Kreuzes Berlin eine Poliklinik. Nebenan gründete man zur Unterstützung des Projekts das Berlin Art Hotel, inzwischen auch Künstlertreff, Galerie und Seminarzentrum.

Auf dem Gelände begegnet uns die Gussform der von Albert Vardanyan im Auftrag der Ev. Kirchengemeinde Bochum-Linden als Genozid-Mahnmal geschaffenen Bronzeskulptur „pulsar“ (das Original steht vor der Kirche in Linden).

Dieses Spruchbanner schließlich hat nicht nur die Herren der Reisegruppe sowohl gewundert als auch mit Hoffnungen erfüllt…

Für eine Erfrischung müssen wir an diesem Tag jedoch noch die erste von mehreren Kleinbusfahrten auf dieser Reise in Angriff nehmen.

 

Es geht über holprigen Schotter und Steine durch die Berge zum Arpi-See, wo uns Ara und seine Frau Liana zu einem Imbiss unter freiem Himmel erwarten.

 

Die beiden stammen ursprünglich aus Gyumri, haben jedoch in dieser phantastischen Landschaft eine kleine Landwirtschaft mit inzwischen sieben Kühen und Bienen begonnen und verwöhnen uns mit ihren eigenen Produkten.

Während einer der Fahrer den Reifendruck mittels eines Kompressors optimiert, wird für uns der Tisch bereitet. Es gibt Eier, Sauerrahm, Quark, Lawash und Fladenbrot, Käse, Pfefferminztee und köstlichen Honig…

Es schmeckt allen phantastisch, und Ara kann zahlreiche Bestellungen für seinen Honig entgegennehmen, der in leere Colaflaschen umgefüllt an uns ausgeliefert wird.

Es stellt sich allerdings heraus, dass die sanitären Anlagen vor allem die Damen vor eine kaum zu lösende und kontrovers diskutierte Aufgabe stellen. Es gilt, die weitere Vorgehensweise zu besprechen…:

Aber noch nicht genug Abenteuer:

Es geht weiter hinauf in die Berge, vorbei an kleinen Bauernhöfen und den in ganz Armenien anzutreffenden Bauruinen, über unbefestigte Straßen,

wo wir in unmittelbarer Nähe zur türkischen Grenze schließlich einen Drachenstein besichtigen können, eine meterhohe Basaltsäule aus der Bronzezeit, die wie so viele Zeugnisse prähistorischer Kultur nachträglich durch einen angelehnten Kreuzstein christianisiert worden ist.

Ara erklärt uns, wie man auf dem Stein außerdem die Himmelsrichtung anhand der Wetterseite bestimmen kann.

Wir hätten noch lange in dieser Landschaft und Gastfreundschaft verweilen können, aber auch hier gilt: ein Tag ohne Kloster ist ein verlorener Tag!

Wir müssen also Abschied nehmen von diesem schönen Ort und erreichen Marmaschen, welches uns im perfekten Abendlicht begrüßt.

 

Wir halten hier unsere Andacht.

In der Nähe stehen Obstbäume, und als wir die Kirche verlassen, begegnet uns ein alter Armenier, auf den Stiel eins Sonnenschirms gestützt, der aus den Tiefen seiner Anzugtaschen nicht enden wollende Mengen an kleinen Birnen hervorholt, die er wortlos an die Vorbeigehenden verschenkt.

Leider wird dieser eigentlich schöne Abschluss ein wenig getrübt durch den Umstand, dass nun auch Günter vorübergehend mit Aragats Rache Bekanntschaft schließen muss…

Doch Günter und der Rest der Truppe sind wie gewohnt hart im Nehmen.

Am Abend sind wieder alle an Bord. Schließlich steht als letztes Highlight des Tages ein Abendessen in Gyumris berühmtestem Fischrestaurant „Cherkezi Dzor“ auf dem Programm.

Als wir das Lokal betreten, erklingen Klaviermusik und Gesang. Wir setzen uns, und Eduard tritt an unseren Tisch und stellt uns den begnadeten Sänger vor: ein Priester.

Im selben Moment beginnt der Pianist unerwartet „Freude schöner Götterfunken“ zu spielen, und die ganze Reisegruppe stimmt begeistert ein.

Auch der Priester singt zu aller Erstaunen mit und stellt sich schließlich in fließendem Deutsch als der armenische Bischof von Damaskus vor, der gerade mit einer Gruppe Jugendlicher in seinem Heimatland ein Kinderhilfsprojekt betreut.

Da er in Deutschland an verschiedenen Orten studiert hatte, ist es natürlich nahezu selbstverständlich, dass Günter auch noch einen seiner damaligen Professoren kennt…

Schließlich bietet er uns an, gemeinsam mit uns das Vaterunser zu beten.

Eine weitere ganz besondere Begegnung am Ende eines Tages voller gastfreundlicher Menschen und besonderer Orte.

Und auch für Helga ein ganz besonderer Geburtstag mit einem Tänzchen auf der Diele.

6. Tag: Donnerstag, 5. September 2019

Über Pambak in den Kleinen Kaukasus zur Kathedrale von Odzun bis
zum Hotel Gayane im Dorf Haghpat


von Sabine Peter

Nach einer für mich kalten Dusche (warmes Wasser gab es nur am Waschbecken) und einem gemeinsamen Frühstück verlassen wir das Sporthotel in Gyumri. Naira steigt als letzte mit ihrem Frühstück (ein Becher heißer Kaffee) in den Bus. In einer gutsortierten Apotheke kaufen wir mit Eduard als Dolmetscher Antidiarrhoika für unsere darmerkrankten und Verbandsmaterial für Gertruds Fingerschnittwunden ein. Das Verbandszeug sieht etwas „mittelalterlich“ aus.

Wir fahren auf der Straße Richtung Vanadzor durch die fruchtbare Schirak-Hochebene. Hier wurde schon in Frühzeiten Getreide angebaut und zu festem und flüssigem Brot verarbeitet. Links und rechts der Straße ist es leicht hügelig und grasbewachsen. Gelegentlich quert gemütlich eine Schaf- oder Kuhherde die Straße, begleitet von ein oder zwei Hirten auf Pferden.

In diesem Teil Armeniens nahe der georgischen Grenze sind durch das schwere Erdbeben im Dezember 1988 große Schäden entstanden, die heute noch sichtbar sind. In Spitak, das zu 90% zerstört wurde, halten wir für einen Toilettenbesuch mit Einkauf an einem Lebensmittelladen an. Das Angebot lässt nichts zu wünschen übrig. Günter ersteht eine Tafel Schokolade Marke „Alpengold“ und auch alle anderen kommen auf ihre Kosten, wobei die Preise für unsere Verhältnisse sehr moderat sind.

Die Landschaft wird etwas waldiger und gebirgiger, die Hänge sind mit Kiefern und Buschwerk bewachsen. Alles heißt Pambak: der Fluss, zur Rechten, das Gebirge und das Städtchen.

Hier sind wir eingeladen ins Märchenhaus. Das kürzeste Märchen wird uns schon im Freien vorgeführt. Es wird bei der Gerinnung der Milch zur Käseherstellung gesungen: „Haralu“. Wir singen alle laut mit, das gibt der Milch die Kraft zum Gerinnen. Statt des bei uns gebräuchlichen Ferments „Lab“ wird eine in Wasser gemengte und einen Tag stehen gelassene Mischung aus gemörserten Kornelkirschen, Getreidekörnern und Alaun (Kaliumaluminiumsulfat, ein bereits im Mittelalter bekanntes Salz) löffelweise unter Rühren und natürlich Gesang in die kuhwarme Milch gegeben.

Weitere Besonderheiten sind die über einer Kochstelle aufgehängten Puppen, die ein wachsames Auge auf die Kochvorgänge werfen: Eine aus Knoblauchknolle mit 7 Federn für die Fastenzeit (für jede Woche eine Feder) und eine mit zwei Gesichtern, auf der einen Seite mit roten Augen für die warme Jahreszeit, die andere mit blauen für die kalte.

Eine Einladung zum Essen ist gleich-bedeutend mit „Brot essen“. Brot ist wichtig, es enthält die Seele des Getreides, das Gott uns geschenkt hat. Weizenähren werden zu einem Kreuz geflochten, chatschpur genannt. Damit wird das abgeerntete Feld gesegnet, die Körner fallen wieder in die Erde und der Segen kommt mit dem neu wachsenden Getreide zurück. Mit dem Hadschpur werden auch die Gäste empfangen.

Brotfladen werden in der Runde herumgereicht, jeder bricht sich ein Stück ab: „Einer, mit dem man das Brot geteilt hat, ist ein Freund.

Der Tisch ist reichlich gedeckt mit dem üblichen: Käse, Tomaten und Gurken, Kräutern Sauerrahm und Lawasch. Auch das Tischgebet wird wieder gesungen: khio khio – khane khane – was immer das bedeutet?

Als alle gesättigt sind, werden wir von einem mit weinrotem Samtumhang bekleideten jungen Mann mit Gesang ins Theater eingeladen.

Wir streben alle in den gemütlichen größeren Raum mit gepolsterten Sitzgelegenheiten und zum Nach-tisch vorbereiteten Obsttellern, aber das ist die falsche Seite. Alle Mann zurück und Platz nehmen und Zusammenrücken auf den harten Theater-bänken. Sessel sind für die älteren unter uns vorgesehen.

Uns wird erklärt, dass es im Volksglauben „diese“ Welt und „jene“ Welt gibt. Alle Märchen kommen aus jener Welt, in die wir zurückgehen

Schauspieler wollen keine Figuren aus jener Welt in sich hineinlassen (darstellen), deshalb wird mit Ersatzfiguren gespielt. Mehrere armenische Märchen werden uns mittels Handpuppen und Schattenfiguren dargeboten. In einem darf Kriemhild als Prinzessin mitwirken, welche natürlich von einem Drachen entführt und durch wiederum ein Spiel mit kleinen Puppen, wobei der Drache einschläft, vom Karapet = Kasper befreit wird.

Die handgefertigten bunten Puppen können auch käuflich erworben werden. Mit dem Segensspruch: „Das Märchen soll aus ihrem Leben nicht schwinden“, werden wir verabschiedet. Die Fahrt geht weiter Richtung Norden auf eine Passhöhe zu. Wir befinden uns im Kleinen Kaukasus auf mindestens 2000 m Höhe.

Rechts neben uns in der Tiefe ein Fluss, der Debed. Naira spricht von einem „dramatischen“ Canyon. Samuel, der uns sicher über die „dramatischen“ Straßen chauffiert (der Bus hat kein Automatikgetriebe), hält für einen Fotostopp.

Nach Überwindung der Passhöhe breitet sich vor uns ein großes fruchtbares Tal aus. Die Straße verläuft weiter neben dem Fluss.

Unser nächstes Ziel ist die Kathedrale von Odzun, die Wirkstätte von Johannes, dem Philosophen, der von 717 – 728 Katholikos der armenischen Kirche war.

Er hat in vielen Verhandlungen mit dem Kalifen Omar, dessen Soldaten armenisches Gebiet erobert hatten, durchgesetzt, dass die Armenier weiter ihren christlichen Glauben frei ausleben durften, nicht zum Islam bekehrt würden und die Geistlichen einen Schutzbrief zur Steuerbefreiung erhielten.

Die Kathedrale von Odzun

Hier halten wir unsere Andacht im Schatten der Bäume auf dem großen Kirchhof.

Die Straßenverhältnisse werden nicht besser, aber es wird an mehreren Abschnitten gebaut.

Wir kommen an verrotteten Anlagen des Kupferbergwerkes vorbei und erfahren zu unserem Erstaunen, dass der schon stillgelegte Betrieb nach dem Austritt aus der SU wiedereröffnet worden ist, damit einige Anwohner einen Arbeitsplatz haben. Laut Naira werden 60% des gewonnenen Kupfers exportiert, 80% davon nach Deutschland. Neben diesen maroden Gebäuden hinterlässt eine kleine Brücke aus dem 12. Jahrhundert einen besseren Eindruck.

Noch ein kurzer Stopp im Tal, eine Bank bereichert sich mit unserem Geld und wir uns mit armenischen Scheinen.

Auf der anderen Seite des Flusses windet sich eine schmale Straße den Hang hinauf zu unserem heutigen Ziel: dem Hotel Gayane im Dorf Haghpat.

Nach einem leckeren Abendessen erholt sich jeder auf seine Weise von den vielen unterschiedlichen Eindrücken des Tages.

 

7. Tag: Freitag, 6. September 2019

Das Kloster Sanahin und die Klosteranlage Haghpat

von Marliese Diehl & Walter Schonefeld

Noch ehe der Tag anbrach, herrschte große Aufregung. Eine der Teilnehmerinnen erlitt in der Nacht eine akute Kreislaufschwäche. Die aus dem nächsten Krankenhaus herbeigerufene Notärztin traf glücklicherweise schon nach 15 Minuten ein. (Dazu Günter spontan: "Wir sind hier zwar am Ende der Welt, aber nicht aus der Welt.“) Alles ging gut. Nach einem Tag Ruhepause konnte die Betroffene wieder am Programm teilnehmen. Ulla und Manfred testeten zu früher Stunde und bei nicht gerade angenehmer Temperatur mutig das eisige Wasser im Pool. Wir andern rüsteten uns fürs Tagesprogramm mit einem üppigen Frühstück: zusätzlich zum Standardprogramm gab es hervorragend zubereitete junge Böhnchen, Maultaschen sowie Rührei mit gewürfelten Würstchen.

Über eine wieder abenteuerliche Serpentinenstraße brachte uns der Bus zum Welterbe-Kloster Sanahin. Unterwegs berichtete Naira einiges über die tief im Tal gelegene, von uns durchquerte Stadt Alawerdi. Zur Sowjetzeit gegründet als Industriestadt mit einem Kombinat, bestehend aus einem Bergwerk auf Kupfererz, einer Kupferhütte und einem Chemiewerk. 25% des russischen Kupferbedarfs sollen aus Alawerdi gekommen sein. Der Landabsatz erfolgte über die bereits in der Zarenzeit errichtete Bahnstrecke, die bis nach Tiflis führte. Für die vielen Beschäftigten und ihre Familien waren eigens auf dem etwa 400 Meter höher gelegenen Plateau Wohnungen im Plattenbau errichtet worden. Eine Kabinen-Seilbahn wurde zwischen Arbeiten und Wohnen errichtet. Die Umweltbelästigung dort unten auf der Talsohle soll so groß gewesen sein, dass das Kombinat nach der Unabhängigkeit Armeniens stillgelegt wurde. In jüngster Vergangenheit soll es aber wieder in Betrieb genommen worden sein.

Walter, der während dieser Ausführungen nicht schlief, kamen zu dem, was er sah, so einige Gedanken: Keine Spur von einem Bergwerk, kein Förderturm, kein Stollenmundloch, kein Tagebau. In der gesamten Anlage kein einziges Lebenszeichen.

Eine Kabine der Seilbahn hing bewegungslos auf etwa halber Höhe. Sofort drängten sich Gedanken auf: Der Beitrag zur russischen Kupferversorgung dürfte zum überwiegenden Teil nicht aus dem Bergwerk, sondern aus der Kupferhütte resultieren. Die Umweltbelastungen, die Belästigungen der Anwohner gingen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht von dem Bergwerk aus. Der Standort eines Bergwerkes ist gebunden an die Lagerstätte, die ausgesprochen höffig (reicher Gehalt, hier an Kupfer und evtl. an sonstigen beibrechenden Metallen) sein muss, um auf ihr in unwegsamem Gelände ein Bergwerk zu errichten. Auf dem engen Grund eines 300/500 Meter tiefen Canyons eine Kupferhütte und ein Chemiewerk zu errichten, wird wohl sicher nicht viele Nachahmer finden. Im Zusammenhang mit der äußerst prekären finanziellen Lage Armeniens sollte der Wirtschaftsminister die Wertschöpfung aus Bodenschätzen nicht vernachlässigen. Es sollten die noch vorhandenen Vorräte der Lagerstätte (nennen wir sie einmal Alawerdi) ermittelt werden, um daraus eine Entscheidungshilfe für eine Wiederaufnahme des Bergwerks zu erhalten. Als verkaufsfähiges Produkt könnte vielleicht angereichertes Konzentrat (Kupfererz) in Frage kommen. Fachkundiges armenisches Personal dürfte noch zurück zu holen sein. Eventuell gewünschte technische Hilfe könnte auch von der „Gesellschaft für technische Zusammenarbeit“ GTZ geleistet werden. Den Absatz des Fertigproduktes könnte man bei „Cronimet Karlsruhe“ anschauen, die an einem anderen Ort Armeniens Molybdänerz fördern. (Liebe Leser entschuldigt, wenn er euch gelangweilt hat, aber so ist er nun mal: Mein Gott, Walter, wenn er doch geschlafen hätte!)

Im Kloster Sanahin hoch oben auf dem Berg angekommen, erläuterte Naira zuerst ausführlich den Lageplan des Klosters. Dann betraten wir durch den kleinen Gawit die Muttergotteskirche aus dem 10. Jh., danach über den großen Gawit die Hauptkirche, deren Außenfassade mit kannelierten Halbsäulen und verzierten Kapitellen sparsame Ansätze von Verzierung zeigen.

Im Inneren erlebten wir vollendete Steinmetzkunst, gepaart mit beeindruckender Baukunst. In schlichter Form sind die vier Zwickel (Pendentif, sphärisches Dreieck) zwischen den Säulen der Vierung gestaltet. Die Zwickel sind die statisch konstruktive Voraussetzung für die Errichtung des runden Tambours aus der quadratischen Vierung heraus. Der tiefste Teil der Zwickel ist außen als „Gegengewichte“ zwischen den Dächern sichtbar.
Und dann die Kuppel!

Hätten wir nicht durch den Vortrag, den Lars uns in der Vorbereitungszeit in Eppendorf gehalten hatte, von der Errichtung der Kuppel ohne Lehrgerüst erfahren, so wäre vor Ort die Frage nach dem Gerüst gar nicht aufgetaucht. Eine Kuppel kann gar nicht ohne Gerüst gebaut werden, es sei denn, man hat sie tatsächlich ohne Gerüst gebaut. Die Lichtverhältnisse hier erlauben keine genaue Auskunft darüber, ob sich die Kuppel noch innerhalb oder schon oberhalb des Tambours befindet. Man erkennt aber deutlich, dass die Kuppel nur eine geringe Wölbung hat, dass sie also verhältnismäßig flach ist. Die zu Hohlkehlen behauenen Enden der Steine fügen sich makellos aneinander und bilden innen die Kuppel. Außen muss auf die Steinlagen während des Hochbauens vorübergehend schon etwas aufgelegt werden, bis die Kuppel selbsttragend geschlossen ist und, wenn sie geschlossen ist, für die Ewigkeit hält.

Naira sagte über die armenischen Kirchen, was wir schon bei Lars` Vortrag festgestellt haben: „Wenn du eine kennst, kennst du sie alle“!

Lassen wir einmal als Unterscheidungsmerkmal mit Gawit/ ohne Gawit weg, so haben alle Kirchen diese schon aus der Ferne sichtbaren Kegel auf einem Tambour. Die Spitze über dem Tambour ist kein Gegenstand der freien Gestaltung. Er ist massiv, nie filigran. Er ist in optimaler Weise das statisch erforderliche Auflagegewicht für die Kuppel, an der Basis das größte Gewicht, in der Mitte – Spitze - das geringste. Tambour und Spitze gehören statisch konstruktiv zusammen. Mit dieser Technik könnte man die Kirche beliebig hoch bauen, die Abmessungen der Vierung dagegen bestimmen die Grenze für die Ausdehnung in der Fläche.

Alle armenisch-apostolischen Kirchen setzen eine beeindruckend präzise Steinmetzkunst voraus, gepaart mit einem hohen Grad an mathematischen Kenntnissen. Diese Klosteranlage wurde im 10. Jh. gebaut, also zu einer Zeit, als Armenien um ein Vielfaches größer war als heute. Wo mögen wohl die Steinbrüche gewesen sein und wie der Transport? Wo wurden diese hervorragenden Steinmetze ausgebildet?

Von der Ursprungskirche ging es über einen Durchgang zur Bibliothek. Die in den Boden eingelassenen Amphoren fielen uns auf. Darin hat man früher die besonders wertvollen alten Schriften aufbewahrt. In diesem Kloster befand sich vor Jahrhunderten die weithin berühmte Akademie (das entscheidende Kriterium für die Aufnahme in den Katalog des Weltkulturerbes). Naira erläuterte ausführlich die hohe Bedeutung, die dieses Kloster für die kulturelle Entwicklung des Landes hatte. Und sie erzählte, dass die Bibliotheken in ihrer Jugendzeit – also zur Sowjetzeit - ihr Lieblingsaufenthaltsort waren. Dazu eine kleine Anekdote: Zu russischer Zeit des Alkoholverbots ging man dort "lesen", wollte gerne "belesen " sein. Wir erfuhren von ihr auch: "Ein armenischer Baumeister wurde beim Wiedererrichten der eingestürzten Kuppel der Hagia Sophia in Byzanz hinzugezogen. Diese Kuppel hat bisher allen Erdbeben standgehalten.“ (red. Trdt = Tiridates, 10. Jhdt., armenischer Architekt, der sowohl in Byzanz als auch in Armenien hohes Ansehen hatte) Neben der Bibliothek liegt die Gregor-Kapelle, die nach dem Muster der Zvartnotz-Kirche erbaut wurde.

Wir besichtigten auch den Friedhof mit Dorfgräbern und Grabkapellen der Königsfamilie. Die kurze Zeit bis zur Weiterfahrt mit dem Bus wurde genutzt für rasche Einkäufe an einem der vielen Verkaufsstände vor der Mauer des Klosters oder für einen kleinen Espresso. Neugierig kosteten wir auch die bei uns weitgehend unbekannten getrockneten Kornelkirschen.

Dann ging es die nicht enden wollende Serpentinenstraße wieder hinunter, vorbei an einem neu gebauten Museum für den berühmten russischen Politiker Mikojan und seinen ebenso berühmten Bruder, der als Flugzeugkonstrukteur die MiG entwickelte - mit einer kurzen Unterbrechung an der Bank in Alawerdi, wo einige Teilnehmer Geld tauschen oder die maroden Anlagen der Kupferhütte fotografieren wollten, - und über eine nächste Serpentinenstraße wieder hinauf zum Hotel auf dem Berg für eine kurze Mittagspause.

Naira nutzte die Rückfahrt zu ausführlichen Erklärungen, zunächst über die armenische Sprache und über den Mentalitätsunterschied zwischen Armeniern und Deutschen: "Die Armenier sind spontan, die Deutschen müssen immer alles bis ins Einzelne planen." Es folgte ein kleiner Vortrag über die verschiedenen Verfahren, Obst und Gemüse zu konservieren für die Versorgung im langen Winter: dörren (Obst), pökeln (Fleisch), in Salzlake einlegen (Gemüse), einkochen (Obst), in Sirup einlegen (Auberginen und Walnüsse), Schnaps herstellen (insbesondere : Kornelkirschen- und Maulbeerschnaps, selten unter 60 % Alkoholgehalt). Neu für uns: Obstmark wird zu Fladen ausgebreitet, getrocknet, zusammen-gerollt und später als Zusatz zu Suppen und anderen Gerichten verwendet. Im Bus herrschte große Bewunderung für Nairas umfangreiches Wissen und die exzellente Beherrschung der deutschen Sprache. Ihr Vortrag war mit Witz und Ironie gespickt. Es machte Freude, ihr zuzuhören.

Nach der Mittagspause brachen wir auf zur Klosteranlage Haghpat (dem "Zwillingskloster" von Sanahin). Durch einen Mauerring mit Türmen betraten wir das Kloster, das aus 8 Gebäuden besteht. Es gilt als typisches Beispiel der armenischen Architektur. Es beeindruckte durch einen besonders großen Gawit mit 4 zentralen Säulen, durch Bögen in 9 Teile gegliedert. Auch diese Klosteranlage wurde im 10. Jh. gebaut, also zu einer Zeit, als Armenien um ein Vielfaches größer war als heute. Nach kurzer Andacht im Klosterhof besichtigten wir auch die anderen Klostergebäude, ehe wir ins Hotel zurückkehrten, einige von uns zu Fuß in einer kleinen Wanderung, die anderen mit dem Bus. Der frühe Abend bescherte uns ein spektakuläres Gewitter, das wir - auf der Dachterrasse des Hotels entspannend - in allen Einzelheiten verfolgen konnten: Zunächst die aufziehenden und sich bedrohlich auftürmenden Regenwolken, dann in Nebel gehüllte Bergspitzen, immer näher rückendes tiefes Grollen, grelle Blitze und gewaltige Donnerschläge, schließlich Sonne, die durch die Wolken brach und alles überstrahlte, während es gleichzeitig leise weiter regnete und ein herrlicher Regenbogen das ganze Tal überspannte.

Das Abendessen fand im benachbarten Hotel statt, das wir auf kurzem Fußweg erreichten. Köstliche Speisen in einer schön gestalteten großen Halle erwarteten uns: verschiedene Vorspeisen, Spätzle mit gekochtem Rindfleisch auf Gemüserand, optional als Zwischengang Reissuppe, zum Dessert Eis mit frischen Himbeeren, Tee, Kaffee.

Was für ein erlebnisreicher Tag!

 

8. Tag: Samstag, 07.09.2019

Von Haghpat zum Universal World College in Dilijan,
über das Kloster Hagharzin zum Hotel Tsapatagh am Sewansee

von Anita & Peter Lakenbrink

Nach einer regenreichen Nacht starten wir morgens um 8 Uhr bei Sonnenschein auf anfangs schlechten Straßen vorbei am Fluss Debed, der durch eine tiefe, wildromantische Schlucht fließt, zu unserer Fahrt durch den Kleinen Kaukasus

Wir fahren durch waldreiche Gebirgs-landschaften, erahnen die unberührten Primärwälder mit ihrer Vielzahl an Baum– und Tierarten. Weil wir direkt über der Hinterachse des Busses sitzen, kann unsere Wirbelsäule all die vielen Schlag-löcher mitzählen. An Einschlafen ist jeden-falls nicht zu denken, wie das bei einer Busreise auf gepfleg-ten Straßen schon einmal passieren kann.

Nach einer langen Fahrt erreichen wir den Luftkurort: Dilijan.

Während der Fahrt erklärt Naira uns die klassische Diaspora, die im Zeitraum 1915- 1923 durch die Verfolgung der Christen in der Osmanischen Türkei entstand. Die Armenier mussten ihre Gebiete verlassen und so entwickelten sich Diasporagemeinden u.a. in Syrien, Ägypten, Griechenland, Frankreich, USA. Durch die sowjetische Besatzung zerbrachen zusätzlich viele Familienbande. Inzwischen sind einige Armenier, die im Ausland zu Geld gekommen sind, zu Mäzenen Armeniens geworden und können durch Hotelbauten und Kreditvergaben Arbeitsplätze schaffen.

Wir fahren vorbei an russischen Dörfern, ursprünglich von der Sowjetunion dort angesiedelt, um mit den Altgläubigen, russischen Menschen, die Grenzgebiete zu sichern. Heute sind sie armenische Staatsangehörige mit doppelter Staatangehörigkeit und mit allen Rechten und Pflichten armenischer Bürger ausgestattet.

Am Stadtrand von Dilijan besuchen wir die internationale Schule UWC (United World College). Von dieser Organisation gibt es zurzeit 18 Schulen weltweit, die mehrheitlich als Oberstufeninternate geführt werden.

Die Gründung des armenischen UWC im Jahre 2014 geht auf den deutschen Reformpädagogen Kurt Hahn zurück und beruht auf der Kultur des gegenseitigen Respekts. Die Schulen finanzieren sich durch Stiftungen, z.B. Alumni, Robert Bosch, etc. Der Lehrplan des integrativen Konzepts ist international festgelegt. Der Besuch des UWC ist möglich mit einer Bewerbung um ein Stipendium. Die Anzahl der Schüler in den Klassen beträgt 7 bis höchstens 20 Schüler und die Förderung ist sehr individuell.

Wir werden von der deutschen Schülerin Anouschka Kuschnerus aus Schleswig-Holstein empfangen, die uns die Organisation und das Schulleben erklärt und uns durch die Schule führt. Wie der Zufall es will, kennt Günter verwandte von ihr. In der Schule kommen Jugendliche aller Nationalitäten, Kulturen und sozialer Hintergründe zusammen. Gemeinsam leben sie zwei Jahre am College und lernen so im Alltag von- und miteinander. Freiwillige Arbeit in gemeinnützigen Projekten: z. B. bringen sie den Kindern im Ort das Schwimmen bei. Sie setzen sich so nicht nur mit anderen Lebenswelten auseinander, sondern lernen auch, in verschiedenen Kontexten Verantwortung zu übernehmen.
Bewerber müssen zwischen 16 und 18 Jahre alt sein und bereits 10 Schuljahre absolviert haben. In welches Land sie bei erfolgreicher Bewerbung geschickt werden, das ist dem Zufall überlassen.

In dem hellen und freundlichen Gebäude wird 270 Schülern von Naturwissenschaften, Sprachen, Politik, Umweltschutz über Kunst und Musik ein breitgefächertes Programm angeboten.
Dazu stehen im Außenbereich ein großer Sportplatz und ein Gewächshaus für ein breites Lernangebot zur Verfügung.
An der Schule unterrichten 40 - 45 Lehrer

Dilijan wurde bereits zu sowjetischen Zeiten ein viel besuchter Luftkurort in der „armenischen Schweiz“. Heute sieht man Verfall und Moderne.

Beim Spaziergang durch Dilijan begegnen wir einem Mann, der Pflaumen von einem Baum pflückt, der hinter einem Zaun steht. Wir halten in einigem Abstand an. Er lächelt und „schenkt“ uns eine Handvoll Pflaumen.

Unsere Mittagspause halten wir im Umfeld der Handwerkergasse „Old Dilijan“, die von der Tufenkian-Stiftung restauriert wurde. Dort haben wir auch Gelegenheit, die armenische „Notkirche“ – wie in einem großen Wohnzimmer – wahrzunehmen.

Weiter geht es zum Kloster Hagharzin, das wunderschön im Wald liegt.

 

Das Kloster Hagharzin wurde im 10. Jahrhundert gegründet und Anfang des 20. Jahrhunderts von 2008-2013 durch eine großzügige Spende von Scheich Sultan bin Mohammed Al-Qasimi (Emirat Sharjah) aufwendig restauriert, dazu hat er sich in Sichtweite ein Gästehaus mit 80 Zimmern als spirituellen Rückzugsort bauen lassen.

In der Nähe des Klosters ist eine Reihe von Kreuzsteinen aufgestellt. Einer der Kreuzsteine zeichnet sich durch das Hexagramm aus. Dies sechszackige Zeichen kam seit prähistorischen Zeiten in den verschiedensten Kulturen vor. Es stellt das Zusammentreffen des Himmels (oberes Dreieck) und der Erde (unteres Dreieck) dar. Das Hexagramm wurde im Judentum als Davidsstern übernommen.

Im Refektorium erläuterte der deutsch sprechende Abt die Bedeutung des Klosters in der heutigen Zeit und nahm zur Finanzierung Stellung: Keine staatliche Hilfe, sondern Geld von Auslands-Armeniern, Einnahmen durch den Verkauf der Kerzen, Taufen und Trauungen. Zur inneren Struktur der armenisch-apostolischen Kirche machte er noch einmal deutlich, welche erzkonservative Rolle diese Kirche etwa im Umgang mit Frauen und Homosexuellen spielt und wie sie sich auch im Blick auf junge Leute durch Individualisierung und auch religiöse Pluralisierung trotz aller Identifizierung von armenisch = arm.-apostolisch bedroht sieht.

Im Anschluss feiern wir im Klostergarten noch unsere Andacht und zugleich Lars, das dritte Geburtstagskind dieser Reise. Nr. 4 folgt morgen. Vorbei an vielen parkenden Limousinen wandern wir zurück zu unserem Bus.
Die Weiterfahrt geht wieder über teilweise sehr schlechte Straßen Richtung Sewansee. Unsere Wirbelsäule wird wieder traktiert. Nach einer landschaftlich sehr schönen Reise erreichen wir das Tufenkian-Hotel Tsapatagh am Sewansee.

Wir sind alle begeistert von der großzügigen, extravaganten Gestaltung der Zimmer. Leider sind sie lausig kalt. Abhilfe schafft dann schließlich ein Elektroheizöfchen.

Die Freundlichkeit der Einheimischen erleben wir, als wir bei Regen vom entfernt gelegenen Frühstücksraum zum Hotel zurückgehen und dabei zahllose Pfützen überspringen. Unerwartet hält ein umsichtig vorbeifahrender Geländewagen und der Fahrer lädt uns ein, einzusteigen. Ihm ist sofort klar, dass wir zum Hotel wollen. So kommen wir trocken dort an. Die Konversation mit dem netten Armenier ist allerdings etwas mühsam.

 

9. Tag: Sonntag, 08. September 2019

Fahrt um den Sevan-See zum Kloster Sevanavank und zum Gräberfeld Noraduz

Nach nächtlichen Gewittern empfängt uns der Sevan-See am Morgen in schwarze Wolken gehüllt, die Berge sind kaum erkennbar. Das hindert zwei oder drei aus unserer Gruppe aber nicht, schon vor dem Frühstück ein paar Bahnen in dem Pool des Tsapatagh-Hotels, das von einem US-Armenier gebaut wurde, zu schwimmen. Andere sind schon unterwegs, um zu fotografieren. Wir stapfen durch den Regen und die Schlaglöcher zum Frühstückshaus, um als Erstes unsere Glückwünsche zu Annettes Geburtstag zu singen.

Nach dem Frühstück – ein besonderer Service – holt uns unser Busfahrer Samuel wegen des Starkregens wieder ab, so dass wir pünktlich um 10 Uhr zur Abfahrt bereit sind.

Heute fahren wir zum Kloster Sevanavank. Warm eingepackt, draußen ist es recht frisch, ausgerüstet mit Schirm und guter Laune genießen wir die Fahrt entlang des Seeufers, obwohl sie sich wegen der zahlreichen Schlaglöcher wieder als Marterstrecke erweist. Wunderschöne Farbspiele lenken uns ab: weiße Cumulus-Wolken vor grauem Himmel, graugrünes Wasser vor schwarzen Bergen.

 

Das Kloster liegt hoch oben auf einer Halbinsel, die – früher eine Insel – durch die übermäßige Nutzung des Seewassers und die damit verbundene Absenkung des Wasserspiegels entstand. Allein sechs Wasserkraftwerke ließen den Wasserspiegel um ca. 18 Meter sinken. Nach sowjetischer Planung sollte der See trockengelegt werden. Der Sevan-See in 2000 m Höhe ist Armeniens größter See und mit 78 km Länge und 40 km Breite doppelt so groß wie der Bodensee. Er wird gespeist von 28 Flüssen und ist umgeben von 20 Vulkanen. Durch die Gebirgsketten des Kaukasus bildet er als Nahtstelle die geologische Grenze zwischen Europa und Asien.
Dies und viel mehr erzählte uns Naira auf der Fahrt zum Kloster Sevanavank.

Nach einem Aufstieg über 230 Stufen erreichten wir das ehrwürdige Kloster. Man feierte das Marienfest zu Ehren der Gottesmutter und deren Geburtstag. Nicht nur hier, sondern in fast allen Religionen feiert man den Mutterglauben, wie z.B. die Pachamama in Peru oder die Isis in Ägypten. Als Symbol für Maria und Symbol der Mütter in Armenien gilt der Granatapfel, der in vielfältigen Formen und zu mancherlei Nutzen an den zahlreichen Souvenir-Ständen an diesem sehr stark besuchten Feiertag um das Kloster herum zu erstehen war.

Wir flüchteten vor den vielen Menschen, Autos und Regen zum Bootssteg, bewundern den gelassenen Umgang der Boots-Crew mit den Tücken postsowjetischer Improvisation und Technik, und haben dann eine wunderschöne Bootsfahrt ohne Regen über den See zum originell rustikal gestalteten Hotel und Restaurant Lawash am anderen Ufer in Tsovatsoz.

 

Auf dem Schiff ohne Namen vergeht die Zeit mit Singen bei bester Laune wie im Flug. Am anderen Ufer angekommen genießen wir unseren „freien Nachmittag“ bei leckerem Mittagessen, stoßen immer wieder auf Annette und alle anderen Geburtstagskinder an - mit Aprikosen- und Sanddornschnaps - und sind in bester Stimmung.

Um 16.00 Uhr geht es weiter. Um uns morgen eine weitere Holperstrecke zu ersparen, haben wir das Programm geändert und den Friedhof Noraduz für heute vorgesehen.

Auf diesem mittelalterlichen Gräberfeld mit ca. 900 kunstvollen Chatschkaren wird jede Reisegruppe von alten Frauen erwartet, die ihre handgestrickten Mützen, Schals und Socken anpreisen. Auf dem Friedhof erklärt uns Naira eindrucksvoll, wie einige Sponsoren, u.a. ein japanischer Kunstprofessor und sie selbst, bemüht sind, diese Gedächtnissteine zu erhalten. Sie fährt regelmäßig zu diesem Friedhof und reinigt die Gedächtnissteine mit Reliefkreuz, zum Teil mit Zahnbürste und Zahnstochern, damit man auf japanischem Papier Abdrücke nehmen kann, um sie dann in einem Katalog zu veröffentlichen.

 

Nach den ausführlichen und intensiven Erläuterungen durch Naira waren die Abbildungen auf diesen Steinen viel aussagefähiger. Aus einer geplanten halben Stunde wurde mehr als eine Stunde, die wie im Fluge verging.

Auf der Rückfahrt zum Hotel halten wir noch an einem riesigen Supermarkt, um uns für den Abendimbiss mit Proviant einzudecken.

Samuel bringt uns trotz der vielen Schlaglöcher sicher bei Dunkelheit, Regen und Nebel ins Hotel, das wir gegen acht Uhr abends erreichen. Wir verabreden uns zu einer Andacht im Kaminzimmer. Den Tag lassen wir ganz unterschiedlich ausklingen. Einige gehen zu Bett, andere ins Restaurant, aber die meisten bleiben in gemütlicher Runde im Kaminzimmer.

Es war ein schöner Tag!

 

10. Tag; Montag, 09.09.2019

Über die Karawanserei Selim zum Kloster Gndewank,
über das Restaurant Angel’s House nach Goris

von Gertraude Pleiger

Heute ist der 47.Hochzeitstag von Kriemhild und Günter, in den sie noch in dem wunderschönen Tsapatagh-Hotel am Sevan-See mit einem opulenten Frühstück im Kreis der Gruppe starten können.

Ein Blumenkreis in Herzform umrahmt ihre beiden Gedecke, und Gabriele hält eine äußerst warmherzige und liebevolle Ansprache und überreicht einen Granatapfel, dem Symbol der Liebe, nachdem die Reisegruppe ein eindrucksvolles „Viel Glück und viel Segen“ hat erschallen lassen.

Und schon geht es pünktlich um 9.15 Uhr wieder auf die Schlaglochpiste – vorbei am mit 1000 Quadratkilometern Wasseroberfläche größten See Armeniens, dem Sevan-See, diesmal wolkendunkel. Welch ein Unterschied zu Samstagabend, als er sich uns türkisblau im Sonnenlicht präsentierte - auf der geologischen Grenze zwischen Asien und Europa.

Kaum kann man ahnen, dass er vor vielen Millionen Jahren durch den Ausbruch eines Vulkans entstanden ist, als sich die glühende Lava in den Arpa-Fluss ergoss. In den Wandlungen mehrerer Jahrtausende veränderte sich der Wasserspiegel und Archäologen legten Siedlungen frei u.a. aus dem 5. Jahrtausend v. Chr. Da sich die Menschen damals die massiven Erdbewegungen durch den Vulkanismus nicht erklären konnten, entstand die Mythologie vom Drachen als dem Herrscher der Unterwelt, der ihnen durch seine Bewegungen das lebenspendende, göttliche Wasser schenkte.

Die Mächtigkeit des Sevan-Sees ist jedoch bedroht, denn ihm wird weit mehr Wasser entnommen, als aus dem Gebirge nachfließt. Die rigorose Ableitung von Wasser zur Bewässerung und zur Energiegewinnung senkte den Wasserspiegel des Sees um mittlerweile fast 20 Meter. Seine Oberfläche hat sich damit um 12% verringert und hat zudem aus der berühmten Sevan-Insel mit den beiden Klosterkirchen eine Halbinsel gemacht. Weitere Bedrohungen entstehen durch die Abholzung der Wälder rund um den See, die Überfischung und durch oft rücksichtslose Bautätigkeit von Privatleuten und Investoren. Bisher konnte jedoch erreicht werden, dass durch eingeschränkte Nutzung des Sevan der Wasserspiegel in den letzten Jahren wieder um vier Meter gestiegen ist, u.a. durch die Zuleitung von Wasser durch eine Pipeline aus dem Süden.

Weiter geht es auf der Ostseite des See nach Süden – manchmal nicht schneller als 20/30 km/h- über Straßen mit Schlaglöchern, deren Größe und Tiefe durch das in ihnen enthaltene Regenwasser nicht erkennbar ist, vorbei an Dörfern, deren Häuser verfallen wirken, in denen aber dennoch Menschen wohnen, da sie an Strom und Wasser angeschlossen sind.

Unser Fahrer Samuel ist ein wahrer Fahrakrobat, der traumwandlerisch sicher die tiefsten Schlaglöcher umfährt und dennoch nicht vermeiden kann, dass wir häufig bis auf die Knochen durchgerüttelt werden.

Nur alte sowjetische Busse, die als Linienbusse genutzt werden, stellen für die Menschen in den Gebirgsdörfern bis auf eine Höhe von 2400m auf den ansonsten unbefahrbaren Straßen eine Verbindung in größere Städte her. Da der Preis von 100 Dram (50 Cent) für die Menschen recht günstig ist, werden sie gerne genutzt.

Nach einem Fotostopp an Brücken aus dem 14. Jahrhundert, die an der Seidenstraße nach Selim liegen, erreichen wir am späten Vormittag dann endlich für eine PP ein kleines Dorf (Gegovit) mit einem riesig ausgestatteten Like-Supermarkt, deren Filialleiterin uns auf Nachfrage von Naira gestattet, die Toilette zu benutzen. Das geschieht so intensiv, dass zwischenzeitlich Toilettenpapier nachgekauft werden muss. Sicherlich nicht nur als Dankeschön für die Toilettennutzung schwärmen die meisten von uns durch die Gänge des Geschäfts und wir staunen einerseits über die vielen auch deutschen Markenprodukte, andererseits aber besonders über die für uns überaus günstigen Preise, und mancher von uns deckt sich mit Reiseproviant fürs Mittagessen aber auch mit diversen Alkoholika als Mitbringsel oder zur Selbstversorgung ein. Besonders groß ist die Freude bei Lars, als ich ein Set mit Flachmann und vier Pinnchen entdecke, nachdem er bereits am Düsseldorfer Flughafen vergebens gesucht hatte. Schnell wird ein Teil des gekauften Vodkas umgefüllt und ich bekomme das Recht des ersten Schlucks, das ich dann auch gerne nutze! Höhepunkt des Stopps aber ist die Vergoldung der Pause durch unser Hochzeitspaar mit „goldenen“ Rocher-Haselnuss-Pralinen, die mit großem Hallo genossen werden.

An faszinierenden Gebirgslandschaften vorbei und über den in 2400m Höhe gelegenen Vardenis-Pass erreichen wir unser erstes Besichtigungsziel, die Selim-Karawanserei an der alten Seidenstraße.

Im 12.-14.Jahrhundert blühten die Städte des mittelalterlichen Armeniens, da der Handel immer mehr zunahm. Mit der Entwicklung der kirchlichen Architektur entwickelte sich auch der Bau von profanen Gebäuden, insbesondere von Karawansereien. Dies war für die Entwicklung des Landes von großer Bedeutung, da sie die Verbindung zwischen den Städten und die sichere und regelmäßige Bewegung der kommerziellen Karawanen sicherstellten. Karawansereien lagen üblicherweise in der Richtung der Haupthandelsstraßen, in einem Abstand von einem Tag, der ungefähr 40 Kilometer bedeutete. Sie wurden an günstigen Orten gebaut, wo es Wasser gab und die Kaufleute vor Schneestürmen und Wind sicher waren. Unter den wichtigsten Karawansereien des mittelalterlichen Armeniens ist Selim die am besten erhaltene. Die Handelsstraße, die hier vorbeiführte, verband die persisch-arabische Welt mit den Ländern des Kaukasus. Eine persische Inschrift an der Außenseite - wie auch eine unauffälligere armenische auf der Innenseite des Eingangstympanons - geben Auskunft über den Bauherren, den Prinzen Tschesar Orbelian, und über das Erbauungsjahr 1332.

Auf beiden Seiten des Portals bewachen ein Stier und eine Chimäre den Eingang der Karawanserei. Sie hat nur einen einzigen Eingang, so machte man das Gebäude nicht leicht betretbar für Diebe. Die Haupthalle ist durch sieben Säulenpaare in drei Schiffe unterteilt. Die beiden schmaleren Seitenschiffe wurden für die Kaufleute und ihre Waren verwendet, während die Tiere in der zentralen Halle untergebracht wurden. Licht und Belüftung wurden durch kleine Öffnungen im Dach geschaffen, das Innere ist aber so dunkel, dass Naira uns aus Sicherheitsgründen empfiehlt, eine Taschenlampe oder das Licht am Handy zu nutzen.

So sehr mich die Architektur der Karawanserei beeindruckt, so faszinierend empfinde ich den Blick auf die überwältigenden Bergketten von Vajots‘ Dzor und in das Tal des Flusses Kura. Unvorstellbar für uns heute, welchen Strapazen die Kaufleute damals ausgesetzt waren, wie mühsam der Weg mit schwer beladenen Tieren war und welche Erholung da die Karawanserei und das Wasser aus der nahe gelegenen Quelle mit erfrischendem kalten Gebirgswasser für Mensch und Tier bot.

Immer wieder auf unseren Fahrten begegnen uns Kuhherden am ungezäunten Straßenrand oder selbst auf der Straße, begleitet von Hirten zu Fuß oder hoch zu Ross.

Eine extrem kurvige, aber gut ausgebaute Panoramastraße leitet uns mit immer neuen großartigen Aussichten auf die Vardeniskette hinab ins fruchtbare Arpatal - welch ein Unterschied zu den karstigen, oft versteppten Gebirgen, vorbei an Wein- und Mandelplantagen bis zu dem kleinen Ort Vajk mit seiner Trdatiskirche.
Nur ein kurzer Blick hierauf ist uns im Vorbeifahren vergönnt, dann lenkt Samuel unseren Bus zu einem sogenannten Food Court, einem riesigen Supermarkt mit integriertem Schnellimbiss und: gepflegten Toiletten. Anstellen hier wie dort in einer langen Schlange, Essen auswählen und, wie immer, sind Naira und Eduard beratend und übersetzend und stets freundlich uns behilflich.

Die Straße über den 2410 m hohen Vardenis-Pass war bereits seit dem 14.Jh. eine sehr wichtige Handelsstraße, um von der nördlichen Region in den Süden zu kommen. Im 17. Jahrhundert besonders war sie die indoeuropäische Achse von China über Indien bis nach Irland. Auf diese Weise haben die Europäer die Papier- und Seidenherstellung kennen gelernt. Besonders beliebt waren karmesinfarbige Stoffe, die mit dem Blut der Cochenille-Laus eingefärbt waren; diese Farbe wurde auch das armenische Rot genannt. Dieser Handelsweg diente also nicht nur dem wirtschaftlichen Austausch von Gütern, sondern auch dem Wissensaustausch.
Auf den Handelsstraßen sorgten früher die Fürsten für Sicherheit, auch wegen der Zolleinnahmen. Heute werden die Straßen und Pässe besonders auch im Winter von Schnee und Eis freigehalten. Über diesen Teil der Nord-Süd-Richtung, auf dem wir uns befinden, erfolgt der Lebensmittel-Austausch zwischen der Sewan-Region und den Regionen im Süden bis in den Iran.

Nach unserem schmackhaften Mittagsimbiss fahren wir unterwegs zu einem Autohof, wo wir in hochbeinige Vans umsteigen. Für unseren Bus wäre diese Fahrt über schmale, gewundene Schotterwege Richtung Kloster Gndevank nicht möglich. Zur Rechten geben ab und zu dünne Bäumchen und Gebüsch den Blick auf das hier schmale Arpa-Flüsschen frei aber auch auf einen kleinen See, der in der Zeit des Erdbebens 1988 entstanden sein mag.

Und dann sehen wir sie, diese großartigen Basaltformationen, die wie riesige Schilfröhren dichtgedrängt aus dem Boden wachsen, wie Orgelpfeifen, die diesem Tal seinen Namen gegeben haben – ein wahres Wunder der Natur!

 

Und oben drüber, fast verschwindend klein, ein Strommast, dessen dünne Leitungen uns daran erinnern, dass es irgendwo in diesem scheinbar weltfernen Tal auch menschliche Behausungen geben muss.

Und die erreichen wir dann mit dem Kloster Gndevank. Ein heiliger Ort, wie wir erfahren, der nicht häufig Besucher hat. Das Kloster wurde im Jahr 931 von der Prinzessin Sophia aus Sjunik mit dem Bau der Stephanskirche gegründet. Ungefähr ein halbes Jahrhundert später wurde der Kirche ihr Gawit vorgesetzt und bis ins 18. Jahrhundert wurden dem Kirchenbau die vorwiegend profanen Gebäude hinzugefügt.

 

Auch hier können wir, wie überall auf unseren Tagesfahrten, die großartige Arbeit der Steinmetze an den Kreuzsteinen bewundern. Spannend aber wird es, wenn uns Naira die Steine deutet: Der dicke ist hier die älteste Arbeit, ein Vorgänger der anderen Steine, die alle auf das Sonnenprinzip hinweisen; Spiralen versinnbildlichen die Entwicklung, die in allem steckt; eine vermeintliche Muschel wird zu einem Rock, dem Symbol für die (Haus-)Frau. Dieser Stein war vermutlich ein Abzugsstein über einem Ofen, wo Frauen die Hüterinnen des Feuers waren. Und der Stein des Kriegers, der in den Kampf der Steinböcke eingreift, mag vom Kampf zweier Fürstentümer mit dem Sieg des einen erzählen.

Erst ein schwarz gekleideter, vorbeihuschender Mönch erinnert uns daran, dass diese ganze Anlage ja gepflegt und in Ordnung gehalten werden muss und hier die Arbeit auch Meditation und Zwiesprache mit Gott ist, ob beim Holzhacken oder durch das Läuten der Glocke im riesigen Baum in der Mitte des Hofes.

Beim Anstieg in den Klostergarten warnt ein Schild die Besucher vor Schlangen:

Oder wollen die Mönche zu neugierige Besucher von ihrem Refugium fernhalten?

Im Innern der Kirche weist Naira uns auf eine Besonderheit hin: Die Nischen gliedern zwar die Wände der Kirche, sie dienen aber vor allem der Erdbebensicherheit, da die Apsis zwischen zwei Nischen liegt und diese somit das Gewicht der Kuppel übernehmen. Diese Art des Kirchenbaus wird Armenische Architektur genannt.
Bis in die 1970-er Jahre waren die Kirchen und Klöster Armeniens weitgehend zerstört und nur noch Ruinen und Baudenkmäler. Auch Gndevank war aufgegeben worden. Von 1955-1994 hatten die Armenier einen Katholikos, der Sohn eines der Überlebenden des Genozids war und der als rumänischer Armenier wusste, wie man mit den Sowjets umgehen musste, um etwas zu erreichen. So gelang es ihm, 50% der für den Wiederaufbau der Kirchen und Klöster benötigten Gelder von der Sowjetunion zu bekommen, und auch Gndevank wurde restauriert.

Bei spätnachmittäglicher Sonne setzen wir unsere Fahrt fort, bis wir „Angel’s House“ erreichen. Eigentlich haben wir für den heutigen Tag genug gesehen und erlebt, denke ich, und verspüre den Wunsch, nun auch möglichst bald in unser nächstes Hotel zu kommen. Immerhin liegen noch ca. zweieinhalb Stunden Fahrt bis Goris vor uns!

Aber womit Eduard und Naira uns dann überraschen, lässt mich alle „Hotel-Sehnsüchte“ vergessen. Ein weißer, wohlgeformter (Marmor-)Engel in einem prächtigen Zinnien-Rondell heißt uns willkommen, und Eduard führt uns auf die Terrasse des Gasthauses direkt an einem kleinen Fluss, dessen Ufer mit üppigem Grün bewachsen ist.

Ein reich mit Obst, Gebäck und Brandy gedeckter Tisch belebt die Geister aller. Samuel schält und zerkleinert das Obst und schenkt uns den äußerst leckeren Brandy ein; und zum wiederholten Mal an diesem Tag lassen wir unser Hochzeitstags-Paar hochleben.

Mit einer Andacht zu Lk 15, 31-32, dem Gleichnis vom verlorenen Sohn, verabschieden wir uns von diesem so wunderbar gelegenen Ort.

Ein letzter liebevoll-inniger Blick unseres Hochzeitstags-Paares - bevor wir im Licht der untergehenden Sonne durch die bizarre Gebirgswelt gen Süden nach Goris fahren.

Bei Dunkelheit, Regen und Kälte erreichen wir das als „Nebelloch“ bekannte Goris und unser Hotel um 19.45 Uhr. Und wieder, wie so oft, ertönt Günters Stimme: „Schnell, schnell, beeilt euch, wir essen um 20 Uhr!“
Also schnell Koffer aufs Zimmer, Klo-Gang, Hände waschen und hinunter in den Speisesaal. Hui, ist das kalt hier!! Die Glastür zur Rezeption schließt nicht richtig und die Eingangstür lässt die ganze Kälte von draußen in das Gebäude. Nun gut, das lässt sich nicht ändern, aber, so denken viele, ein zweites Glas Rotwein zum Essen wird die Kälte sicherlich vertreiben! Aber von wegen - Kellner Andreas bedeutet uns: Es gibt kein zweites Glas Rotwein. Ups! Rotwein aus? Dann Weißwein. Aber auch den gibt’s nicht mehr. Leichter Ärger stellt sich ein. Und als wir dann nach dem Essen feststellen müssen, dass es hier in diesem Hotel weder einen Gemeinschaftsraum noch eine Bar zum Klönen und für den „Absacker“ gibt, ist der Frust bei vielen Reiseteilnehmern vollendet und so mancher sehnt sich ins warme Jerewan oder in das gediegen schöne Tsapatagh Hotel am Sevansee zurück. Vielleicht wird der nächste Tag wärmer, hoffe ich vor dem Einschlafen. Ich wurde eines Besseren belehrt: Der Blick aus dem Hotelzimmer am nächsten Morgen ließ nichts Gutes ahnen.

 

11. Tag: Dienstag, 10.09.2019

Zu den Petroglyphen auf dem Berg Ughtasar

- oder auch nur Goris

von Ute Leschni bzw. Gerd Louis

Der Blick aus dem Hotelfenster über die Stadt Goris präsentierte uns leider tiefhängende Regenwolken und regnerisches Wetter. Unsere Reiseleiterin Naira machte uns jedoch Mut:

Da wir uns in der Stadt Goris „nur“ in einer Höhe von 1370 Meter über dem Meeresspiegel befänden, stünde uns noch eine Reise mit zusätzlichen knapp 2000 Höhenmetern bevor. Erfahrungsgemäß könnte das Wetter auf dem langen Weg zum Berg Ughtasar deutlich besser werden.

Unterwegs versorgten wir uns in einem gut sortierten Supermarkt mit dem nötigen Proviant und kleinen Souvenirs, denn unser Ausflug in die Berge würde den ganzen Tag in Anspruch nehmen. Gut ausgerüstet konnten wir dann um 10 Uhr aufbrechen.

Im Bus gab es keine Toilette, doch wurden uns unterwegs immer komfortable Lösungen unseres Toilettenproblems angeboten. Aufgrund der stattlichen Personenzahl unserer Reisegruppe war das Schlange Stehen leider unumgänglich. Und wir hielten uns selbstverständlich an die Regeln. Bei unangemessenem Verhalten drohten drakonische Strafen, auf dem nachfolgenden Foto für jedermann deutlich zu lesen - auch ohne Worte.

Nieselregen und kühle Temperaturen von nur 12 Grad begleiteten unsere Tour bis Sisian, wo wir aus unserem Reisebus in vier russische Kleinbusse umstiegen. Als wir von der Straße ins Gelände einbogen, legte der Fahrer die Differentialsperre ein und der Kleinbus war nun startklar für die Offroad-Fahrt in schwerem Gelände. Ohne Sicherheitsgurte musste jeder selbst für seinen sicheren Halt sorgen. Der Fahrer chauffierte uns souverän und mit artistischem Geschick über holprige Strecken und unwegsame Hirtenpfade, durch vulkanische Geröllfelder, Schmelzwasserrinnen und wasserführende Bäche. Unruhig wurde der Fahrer nur, wenn die vorausfahrenden Fahrzeuge im Nebel verschwanden und im unwegsamen Gelände ein Weg nicht mehr erkennbar war. Nach mehreren wohltuenden Pausen hatten wir auch die dichten Nebelbänke zurückgelassen und die Sonne zeigte sich wieder.

Oberhalb der Baumgrenze erreichten wir schließlich auf 3300 Metern Höhe den erloschenen Vulkan Ughtasar (Tskhouk) mit seinem Kratersee. Über der Caldera hingen noch dichte graue Wolken. Die großartige Berglandschaft mit ihren weiten Hochflächen war einfach atemberaubend.

Kleine Schneefelder leuchteten als weiße Flecken von den Nordseiten der dunklen Berge, eisiger Wind wehte von ihnen herab. Diese Hochebene ist nur in den schneefreien Sommermonaten begehbar, somit neun Monate im Jahr nicht zugänglich. Dennoch trafen wir auch in dieser rauen Umgebung auf wildlebende Tiere. Wir sahen unterwegs einen kleinen Frosch, eine Schar Wachteln und Singvögel. Die hier noch abgeschieden lebenden Bären bekamen wir nicht zu Gesicht.

Der Grenze zu Bergkarabach hatten wir uns mittlerweile bis auf einen Kilometer angenähert.

Armenien ist bekannt für seine Kirchen und Klöster, doch hier im Hochland schlummert ein weiterer, jahrtausendealter Schatz: eine der größten Felsbildregionen des Kleinen Kaukasus, eine steinzeitliche Chronik der frühen Besiedlung dieser nahezu unberührten Berglandschaft.

Spätestens seit dem Neolithikum wurde die vulkanisch geprägte Hochsteppe in den Sommermonaten als Weide für Ziegen- und Schafherden genutzt. In diesem Kontext sind abertausende von Felsbildern zu sehen, die eindrücklich die Anwesenheit der Hirten bis in die heutige Zeit belegen.

Die Petroglyphen aus prähistorischer Zeit befinden sich auf einer Höhe von 2800-3300 Metern über dem Meeresspiegel und besonders gehäuft im Umfeld der Caldera des ehemaligen Vulkans. Sie wurden in Felsblöcke eingearbeitet, die vulkanischen Ursprungs sind. Ein Großteil der Abbildungen stammt wahrscheinlich aus der Bronzezeit, doch gibt es auch Hinweise auf ältere Datierungen, die bis ins 5. Jahrtausend v. Chr. zurückreichen.

Wir sahen hier zahlreiche Felsritzungen in blauschwarz glänzenden, von Gletschereis glatt geschliffen Basaltblöcken. Zu den Artefakten gehören Abbildungen von Tieren wie Steinböcke, Ziegen, Schneeleoparden, Hirsche, aber auch Menschendarstellungen wie die Schamanin und die Tänzer, die auf ihre charakteristischen Merkmale reduziert sind. Auch abstrakte Motive und die Darstellung von Spiralen, Radkreuzen und Sonnen sind vertreten.

Die mittels Picktechnik in den Stein gehauenen Bilder sind nicht zufällig über die Hochebene verstreut, sondern finden sich entlang der im Sommer trockenen Schmelzwasserbäche. Hierhin zog es Menschen, die auf der Suche nach Wasser für ihr Vieh waren. So sind es vor allem Ziegen, die auf den Felsen verewigt wurden. Auch der Angriff von Raubkatzen auf einzelne Tiere wurde von den damaligen Bewohnern der Hochebene dokumentiert. Jagdszenen finden sich an besonders geschützten Stellen.

Seit 2008 kümmert sich ein britisch-armenisches Team um die systematische Erfassung der Petroglyphen. Doch der Reichtum an diesen Felsritzungen ist so groß, dass Archäologen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Armeniens 2011-2014 im Hochland von Sjunik tausende weiterer Felszeichnungen kartierten.

Für die damalige Schnellinventarisation wurde eine Drohne verwendet, ein Quadrokopter, an dessen Unterseite eine Kamera befestigt war. Die hochauflösenden Luftbilder der Basaltblockhalden in den Untersuchungsgebieten und Forschungen von Vulkanologen und Geologen zeichnen ein zusammenhängendes naturräumliches Umfeld des Felsbildareales. Die Untersuchung von Bildmotiven im Kontext ihrer natürlichen Umgebung ermöglicht den Wissenschaftlern nun Rückschlüsse auf das halbnomadische Leben der Menschen vor rund 4000 Jahren.

Im benachbarten Aserbaidschan sind die prähistorischen Felsbilder des historischen Nationalparks Gobustan bereits UNESCO-Weltkulturerbe. Auch in Armenien beabsichtigt man, Strategien zum Schutz und Erhalt der unersetzbaren Kulturzeugnisse zu entwickeln und die Felsbilder zum UNESCO-Welterbe zu erheben.

 

Nach einer kurzen gemeinsamen Gipfelrunde auf dem Ughtasar mit der Verköstigung von hochprozentigem Maulbeerfeigenschnaps (60 %), den Günter während unserer Toilettenpause vor der Bergfahrt aus dem Fass der Wirtin als „Gipfeltrunk“ erstanden hatte, fuhren wir wieder von der Hochebene hinunter in ein geschützteres Gebiet mit deutlich milderen Temperaturen. Sonnenwarme Steine luden uns zum Sitzen und gemütlichen Picknick ein. Wir teilten unsere mitgebrachten Leckereien und genossen die Wärme und die wunderbare Aussicht.

Hier fand auch die Andacht statt. Die eindrucksvolle Landschaft gab das Thema vor: die Bergpredigt des Wanderpredigers Jesus mit seinen zentralen und noch heute bedeutenden Worten.

Auf der Rückfahrt trafen wir auf einen Hirtenjungen, der eine Rinderherde hütete. Es gab nun immer wieder kleine Pausen wegen der herrlichen riesigen Champignons, die so reichlich auf den Kräuterwiesen der Hochweiden wuchsen. Den Rindern sei Dank.

Die Fahrer kannten die besten Stellen zum Sammeln von Pilzen. Dort hielten sie immer wieder an und füllten flink ihre Plastiktüten mit den weißen Prachtexemplaren. Nur unser junger Fahrer blieb leicht entnervt im Fahrzeug sitzen. Auf Nachfrage antwortete er, dass er kein Interesse an Pilzen habe.

Das Wetter wurde schlechter, je näher wir Sisian kamen. Um 17 Uhr verabschiedeten wir uns von den Fahrern und stiegen wieder in unseren komfortablen Bus ein, der uns zurück nach Goris brachte.

Diese Fahrt in großartige, unberührte Landschaften mit ihrer einzigartigen Natur und den beeindruckenden prähistorischen Bildern aus der Vorgeschichte Armeniens war für mich ein ganz besonderes und unvergessliches Erlebnis.

Ein alternativer Tag:

Einige aus der Gruppe waren in Goris geblieben. Sie berichten:

Es ist kalt und nass in Goris! Kein schönes spätsommerliches Wetter mehr wie in Jerewan, wo man in Bluse oder T-Shirt genau richtig angezogen war, nein, Wollpullover und Regenjacke sind gefragt. Nur liegen die zu Hause in Essen, sind unerreichbar.

Also machen wir uns auf, diesem misslichen Umstand ein Ende zu bereiten. Das Einkaufszentrum von Goris liegt nur zwei Straßen weiter, Regenschirme aufgespannt, los geht’s. Doch halt, so einfach ist das nicht. Wir haben nicht mit Eduard, seinem Verantwortungsgefühl und seiner Sorge um unser Wohlergehen, gerechnet. Wir geben also Auskunft über unser Vorhaben und schon haben wir Eduard an unserer Seite als Stadtführer und, wie sich kurze Zeit später herausstellt, auch als Einkaufsberater. Er gibt sich große Mühe, uns die unterschiedlichsten Jacken und Pullover zu präsentieren, animiert auch mürrische Verkäufer, die gern einen ruhigen Morgen gehabt hätten, dazu, noch aus dem verstecktesten Winkel mit Hilfe langer Stangen angestaubte Ladenhüter vorzuholen, immer in der Hoffnung, uns zum ultimativen Kleidungsstück zu verhelfen. Allein, wir kommen nicht zusammen; die Geschmäcker sind zu unterschiedlich. Eduard geht schließlich erleichtert, nachdem wir ihm versichert haben, dass wir bestimmt allein zurechtkämen, ins Hotel zurück, um Büroarbeiten zu erledigen.

Auch wir sind in gewisser Weise erleichtert. Nun stöbern wir auf eigene Faust und kommen uns ein bisschen vor wie Schüler, die dem Lehrer ausgebüxt sind. In dieser Stimmung gelingt dann auch ganz schnell der Kauf eines wärmenden Kleidungsstückes, das gleichzeitig, wie wir finden, ganz nett aussieht.

Nach diesem Einkaufserfolg gelüstet es uns nach einer Pause, sprich, nach einer Tasse Kaffee und vielleicht einem kleinen Stück Kuchen, möglichst nicht im Stehen an einer zugigen Ecke, dort, wo überall die Kaffeeautomaten zu finden sind, sondern vielleicht in einem gemütlichen kleinen geheizten Café. Wir suchen, sprechen Passanten an und stellen schnell fest, dass sie kein Englisch verstehen. Da wir, trotz unserer ausgezeichneten Vorbereitung auf diese Reise, leider auch kein Wörtchen Armenisch sprechen, geschweige denn verstehen, bleibt es beim Schulterzucken und Unverständnis – dort wie hier.

Guter Rat ist teuer. Wir stehen etwas frustriert zusammen, da kommt eine junge Frau über die Straße, von der wir denken, dass sie vielleicht doch Englisch verstünde. Und sie versteht uns! Wunderbar! Doch leider, sie schüttelt den Kopf, sie kennt auch kein Café. Im Geiste freunden wir uns schon mit einem „to go“-Kaffee an, als sie uns plötzlich anbietet, bei sich zu Hause einen Kaffee für uns zu kochen. Sie lädt uns, ganz fremde Menschen, zu sich nach Hause ein! Jetzt lernen wir sie kennen, die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Armenier! Damit haben wir nicht gerechnet und können es kaum glauben.

Leider wohnt die junge Frau aber außerhalb der Stadt. Nach zwei Stunden Rundgang durch das nasskalte Goris möchten wir nicht mehr weit laufen, bedanken uns also nur herzlich für das Angebot und machen uns wieder auf den Weg. Tatsächlich entdecken wir schließlich doch noch ein kleines Café, sehr versteckt liegt es und ist leicht zu übersehen, aber es ist ein richtiges Café und wird uns und einige unserer Mitreisenden noch einige Male als Gäste sehen.

 

12. Tag: Mittwoch, 11. 9. 2019

Rundreise mit Seilbahnfahrt zum Kloster Tatew
und zum Höhlendorf Chndzoresk

von Klaus-Uwe Eichler

Nach dem vergangenen, sehr anstrengenden Tag auf dem Berg Ughtasar freuten sich die meisten Mitreisenden auf einen vermeintlich ruhigeren und erholsameren Ausflug – eine „gemütliche“ Seilbahnfahrt über eine atemberaubende Schlucht, dann eine lehrreiche Klosterbesichtigung (die wievielte eigentlich? Wir zählten nicht mehr!), ein ordentliches Mittagessen, und nachmittags ein malerisches Höhlendorf.

Nach dem üblichen Chaos beim Frühstück – diesmal noch verstärkt durch mehrere Gruppen von Gästen, die sich durch die räumlichen Engpässe zum Buffet kämpften – warfen einige Skeptiker besorgte Blicke zum Himmel: Goris-typisches Nieselwetter ohne Fernsicht – würde die Seilbahnfahrt überhaupt die versprochenen unvergesslichen Ausblicke bieten können? Von der grandiosen Gebirgslandschaft war noch nicht viel zu sehen.
Unsere Reiseleiterin Naira wählte für ihren armenischen Sprachkurs während der Busfahrt zur Talstation optimistische Begriffe wie „schnor“ = Gottesgeschenk, Talent; „schnor el kalem“ = ich empfange die Gabe; „apres“ = danke, hoch sollst du leben; „bar ef“ = guten Mittag, gute Sonne. Diese Beschwörungen schienen tatsächlich zu nützen: Das Wetter klarte auf, die luftige Reise mit der längsten Seilbahn der Welt, den „Wings of Tatew“, versprach doch lohnend zu werden. Eine Legende mag den Hintergrund dieser Namensgebung veranschaulichen. Ein Baumeister, der die Kuppel der Klosterkirche vollendete, aber von ihrer Höhe nicht mehr heruntersteigen konnte, soll gerufen haben: „togh astwaz inds ta-tew“ – „möge Gott mir Flügel verleihen“.

Während des Wartens auf die Gondel vertrieb man sich die Zeit mit Rezitation von Ringelnatz-Gedichten und machte Wortwitze über den Seilbahn-Namen „Tatewer“ (klingt wie eine Steigerung des Klosternamens „Tatew“) und dergleichen Albernheiten mehr, um das vielleicht aufkommende flaue Gefühl vor dem Ritt durch die Lüfte zu dämpfen. Dieser erwies sich als sehr komfortabel und wenig angsteinflößend, sieht man vom gelegentlichen leichten Schwanken der Gondel infolge heftigen Fotografierens durch die Fahrgäste einmal ab. Die 12 Minuten Fahrzeit der 5,7 km langen Seilbahn mit einem einzigen Pylon in der Mitte der Strecke verging buchstäblich im Fluge; die Aussicht auf die tiefe Schlucht des Vorotan-Flusses, die Einsiedelei und die „Teufelsbrücke“ sowie die umliegenden, nunmehr fast wolkenfreien Gipfel war tatsächlich überwältigend.

Eindrucksvoll auch die Besichtigung des berühmten Klosters Tatew. Der schmale Kreuzstein vor dem Eingang erinnert daran, dass beinahe der schmale südöstliche „Korridor“ des armenischen Staatsgebietes durch die Sowjets abgetrennt worden wäre. Die nach dem Genozid stark dezimierte armenische Bevölkerung leistete entschlossenen Widerstand, die armenische Kirche erstarkte im Zuge dieser Bewegung. Das Kloster Tatew ist in mehrfacher Hinsicht Symbolstätte armenischer Geschichte: Hier ist Grigor Tatewezi (1346-1410) begraben, der die im Kloster beheimatete Universität zu einem der wichtigsten Zentren für Lehre und Wissenschaft im mittelalterlichen Armenien machte.

Hier findet sich heute der freundlichste Abt Armeniens, der leider kein Deutsch oder Englisch spricht, aber den wir beobachten konnten, wie er die Taufe eines kleinen Jungen vorbereitete.

Hier steht die berühmte „Gavazan“-Säule, deren Schwingungen bei Erdbeben nicht zur Zerstörung führten, sondern als Sinnbild flexibler und toleranter Geisteshaltung angesehen werden. (Die Restaurationskosten für diese Säule, aufgebracht von prominenten Spendern aus den USA, belaufen sich auf 96.000 Dollar.)

Angesichts dieser Säule wetteiferten Naira und Günter in improvisierten Kurzreferaten zu Themen wie „Säulenheilige“, „Heiligsprechung“, „Dogmatik“; zu letzterer verlautbaren sie als Kernsätze:
1. Das Wichtige ist bindend (z.B. das Glaubensbekenntnis);
2. Das weniger Wichtige ist frei;
3. Über allem die Liebe (z.B. bei Meinungsverschiedenheiten). Grundsätzlich wird die Einheit in der Vielfalt angestrebt.

Nach dieser geistigen Nahrung und einem Abstecher in das kleine – aber medial auf der Höhe befindliche - Museum rund um die alte Ölmühle vor den Klostermauern machten wir uns wieder auf den Rückweg, nicht mit der Seilbahn, sondern diesmal als atemberaubende und serpentinenreiche Rückfahrt mit unserem Bus über die nagelneue Straße vom Kloster durch die tiefe, tiefe „Teufelsschlucht“ zurück zur Talstation – mit einigen waghalsigen Wendemanövern. Dort nahm die Gruppe in einem netten Restaurant bei guter Stimmung und flotter Bedienung das Mittagessen ein, u.a. „spas“ und „kufta“.

Zwischendurch wurden Kartengrüße an Gerburg und Frauke geschrieben, welche ja die Reise krankheitshalber absagen mussten. Pünktlich zu unserer Ankunft im Bus fing es an zu regnen und die Nebel senkten sich über Berg und Tal, da hätten wir nicht mehr viel gesehen. Wir konnten die nach uns ins Kloster „fliegenden“ Gruppen nur bedauern. Günters Kommentar angesichts des guten „Timings“: „Wir haben mehr Glück als Verstand“. Walter ergänzte selbstkritisch: „Bei meinem Verstand habe ich das Glück auch nötig.“

 

Nach kurzer Pause im Hotel stiegen wir „beflügelt“ in zwei Kleinbusse, um die schlechte Wegstrecke zum Höhlendorf Chndzoresk zu bewältigen. Angesichts des Straßenzustandes war die Tempobegrenzung auf 30 Km/h mehr als gerechtfertigt. Ein witziger Bauer hatte unmittelbar nach dem Verbotsschild ein „Starenkasten“-Imitat aufgehängt, um eventuelle tolldreiste Temposünder einzuschüchtern. Einschüchternd wirkten auch die rund 450 Stufen, die man überwinden musste, um in das tiefe grüne Tal der Höhlenbewohner hinabzusteigen (und auf dem Rückweg wieder hinaufzusteigen). Als zusätzliche Mutprobe durften die Besichtiger des Tuffstein-Dorfes eine schwankende Hängebrücke passieren. Einige Mitreisende – auch ich – verzichteten darauf; möglicherweise erinnerten sie sich an Thornton Wilders Erzählung „Die Brücke von San Luis Rey“. Sie vertrieben sich derweil die Zeit mit Teetrinken in einem Coca-Cola-Zelt mitten in einem weihnachtlich anmutenden Tannenhain nahe dem Parkplatz.

Günters Zwischenbericht zum Höhlendorf:
Die unverdrossen „Hinabgestiegenen“ mussten höllisch aufpassen angesichts schlammig klitschiger Stufen, erlebten dafür aber auf der einen Seite der Hängebrücke eine eingerichtete Höhle, die zum Grillen einlud. Bildungsorientiert schritten wir entschlossen weiter über die schwankende Brücke, uns gegenseitig erinnernd nicht mit allzu großem Schwung unsere Schritte zu setzen. Auf der anderen Seite erwarteten uns leere Wohnhöhlen und eine Kirche, die während der Sowjetzeit bis in die 1950er Jahre als Kino gedient hatte, bevor das Dorf freigezogen und oberhalb der Schlucht neu aufgebaut wurde. Jetzt ein sehr rudimentär wieder mit geistlichen Symbolen versehener Ort.

Ein Bauer mit einem Esel und dem Füllen einer Eselin führte uns weiter nicht zum Einzug in Jerusalem, sondern durch den taufrischen Wald zu einem Platz, wo es nicht nur ein einmaliges Klo gab, sondern auch eine verlassene „Kutsche“ der eigenen Art, die Lars dazu animierte, sich für Kriemhild und mich als Wagenlenker einzuspannen. Und oberhalb dieses Abtritts thronte das ruinöse Steinhaus des ehemaligen Parteivorsitzenden. Was für ein Stillleben!

Der Weg zurück frei nach dem Motto „Der Nebel dämpft das Abendlicht!“ hatte nun vollends etwas Mystisches, sich auflösende Gestalten. Das änderte sich gewaltig, als die „Heraufgestiegenen“ mit großem Hallo begrüßt und fotografiert wurden, als die 450 Stufen in umgekehrter Richtung bewältigt waren.

Aber: Wie war es den anderen ergangen? Die mit der Zeit farblich ausgebleichten Tischdecken wurden zum Thema endzeitlich orientierter Tischgespräche: „Wir werden auch ganz anders aussehen, wenn wir verblichen sind.“

Wer dann wirklich das Zeitliche segnen musste, war der Vorderreifen des einen Kleinbusses. (Merkwürdig, dass dieser Umstand erst beim Einsteigen auffiel.) An Reifenwechsel und Weiterfahrt mit diesem Vehikel war nicht zu denken. Was also tun?
Die Fahrgäste, welche vorher auf 2 Kleinbusse verteilt waren, zwängten sich nun in einen. Der guten Stimmung tat es keinen Abbruch, assoziierte man doch Erlebnisse aus der Schulzeit mit intensiver Kontaktaufnahme von Fahrgästen in überfüllten Bussen und Bahnen auf dem Schulweg.
Mit einer solchen „Reise in die Vergangenheit“ endete dieser unver-gessliche, „erholsame“ Tag und einem im Film fest gehaltenen Ausstieg der ganzen Gruppe aus einem Kleinbus.

 

13. Tag: Donnerstag, 12.09.2019

Von Goris nach Jerewan
über Zorats Karer, Norawank, Areni und Chor Virap

von Kriemhild & Günter Ruddat

Zum Kofferpacken vor dem Frühstück ein Blick aus dem Fenster. Das Wetterloch Goris bleibt sich treu. Ein verhangener Morgen. Es regnet. Zu allem Überfluss ist auch die flache Stufe zum Restaurant immer noch eine Stolperfalle, die Marmelade ist weiterhin nicht einfallsreich… und es zieht.

Aber auf das Einbussen ist Verlass. Heute geht es schon Punkt 8 Uhr los – denn ein voller und langer Tag erwartet uns auf dem Weg vom Süden zurück nach Jerewan.

Die Straße kennen wir nun schon, zuerst bei der Anreise nach Goris und dann zum Ausflug auf den „Pilgerberg“ Ughtasar. Der Regen hat sich unterwegs verzogen, der Nebel steigt auf. Wir sehen die weite Hochebene rund um Sisian, umgeben von einem Ring von Vulkanen. Nach einer Stunde Fahrt: Eine große Skulptur auf einem Hügel signalisiert unsere nächste Station: Zorats-Karer (= Karahanj).

Der Bus hält am Straßenrand; wir machen uns auf den schlammigen Weg, dann 500 m querfeldein, bis wir von einer kleinen Anhöhe aus die „Stein-Setzung“ erblicken (wer es nötig hat, nennt es „armenisches Stonehenge“). Spuren einer Siedlung sind erkennbar, frisch ausgegrabene Fundamente von Mauern, dazu weit über 200 bis zu 3 m hohe Steine (Menhire), die an die Hinkelsteine von Obelix erinnern – mit dem besonderen Pfiff: Einige haben im oberen Teil Löcher, da kann man den Himmel fixieren (oder auch fotografieren), Indiz einer Sternwarte? Oder waren sie nur zum Transport der Steinriesen gedacht? Mittendrin ein großes Ganggrab, Teil einer größeren Nekropole. Die Info-Hütte zu dieser Megalith-Kultur (5000 Jahre alt) ist aufgegeben (letztes Jahr war sie noch besetzt), ein verwittertes Schild ist auch nur begrenzt informativ. Auf jeden Fall ein Ort für viel Phantasie.

 

Nach einer Stunde sitzen wir schon wieder im Bus. Herden von Schafen und Ziegen ziehen vorbei. Diesem Land der Steine und seinen Straßen muss auch unser Bus seinen Tribut zollen, ein harter Aufsetzer, aber dafür ist der Vorotan-Pass (2344 m) überwunden – und es geht die Sonne auf!

Währenddessen erklärt uns Naira den Konflikt um Bergkarabach, erzählt von der selbständigen, aber international nicht erkannten Republik, die sich zu Armenien hält. Und erzählt von den deutschen Einwandererfamilien, die zu Beginn des 19. Jh. in endzeitlicher Erwartung sich über die Ukraine, das Schwarze Meer und Georgien zum Berg Ararat aufgemacht haben. Eine bei uns kaum bekannte Geschichte!

 

In Jeghenadsor verlassen wir die uns bekannte Straße (hier waren wir vom Sevan-See kommend nach Goris abgebogen) und fahren weiter Richtung Westen, wo wir zur Mittagszeit am Ende einer malerischen Schlucht das Kloster Norawank erreichen, wo ziemlicher Rummel herrscht, das ausladende Posieren anderer Touristengruppen nervt. Bevor wir selbst daran Anteil haben, sind wir zum Mittagessen in das Kloster-Restaurant geladen, schön gedeckte Tische mit Salaten und gegrillten Hähnchenteilen. Wir freuen uns, als wir diese „Abfertigungshalle“ verlassen können, und zum Kaffee mit Gata ein schattiges Plätzchen im Klostergarten zugewiesen bekommen. Das ist so gemütlich, dass die Besichtigung des Klosters relativ kurz ausfällt.
Da ist die imposante zweigeschossige Mausoleumskirche; die Oberkirche ist nur auf einer „Hühnerleiter“, ungesicherte schmale Treppe von beiden Seiten, zu erklimmen. Ich spare mir das, das hatte ich schon bei der Vortour im Mai 2018 gewagt. Das obere Portal zeigt in seinem Tympanon den segnenden Christus zwischen Petrus und Paulus, dem korrespondiert im Portal der Unterkirche: Maria als thronende Gottesmutter mit Christus auf ihrem Schoss, flankiert von den Erzengeln Gabriel und Michael. Ähnlich kunstvoll sind auch die Tympana der Hauptkirche (Stephanskirche) eindrucksvoll vom legendären Baumeister Momik gestaltet (um 1300), das theologisch wie ikonographisch kaum Wünsche offen lässt: Die Figur des bärtigen Gottvaters haucht dem Kopf des Adam mit Hilfe einer Taube (Symbol des Hl. Geistes) Leben ein. Christus als zweiter Adam vollendet die Dreifaltigkeit, denn zur Linken segnet Gottvater den Christus am Kreuz, das über Golgatha, der Schädelstätte, dem Grab des ersten Adam aufgerichtet ist. Eine kleine Figur am Rande zeigt auf den Erlöser, Daniel, der Prophet, der im Alten Testament von Gottes Reich träumt. Natürlich werfen wir auch noch einen Blick in die kleine Gregor-Kapelle mit Grabplatten, deren Löwen zum Lächeln anstiften. Für das Momik-Museum bleibt leider keine Zeit, dort hätten wir nicht nur wertvolle Handschriften, sondern auch die natürliche Farbpalette der armenischen Miniaturmaler bewundern können.

Das Licht der Sonne am Nachmittag verzaubert die in allen rotorange Tönen schillernden Felswände, bevor wir uns wieder auf den Weg machen.

Zurück nach Areni, die Weinbauregion Armeniens, deren Wein gleichen Namens uns schon vorher an vielen Abenden gemundet hat.

Kurz nach 15 Uhr erreichen wir die „Trinity Canyon Vineyards“ in Aghanadzor. Eine Weinverkostung unter lauschigem Dach im Aprikosen-Garten erwartet uns. Der Kellermeister präsentiert uns das ökologisch-vinologische Konzept dieser Winzergenossenschaft und dazu drei Sorten:
einen Bio-Shiraz von 2018 (14,5 %, 35.000 l), der nach Himbeeren und Johannisbeeren duftet und im Abgang nach Aprikose, den unser Sommelier Uwe so würdigt: „da bekomme ich runde Füße mit onduliertem Gang“.
Dann ihren berühmten Areni Noir „6100“ von 2017 (13,8 %, 5000 l), der 6 Monate in Eichenfässern reift und an Spätburgunder erinnert, für Uwe: „ein Hauch von schmusigem Brandy“.
Als drittes „Crossroads“ von 2017 (ein Cuvee aus 65% Areni und 35 % Syrah, 14,2 %), auf dessen Etikett Michael zwei wichtige Hinweise entdeckt: einmal zur familienpolitischen Bedeutung des Weins: „Beim Trinken nicht schwanger werden!“ und zum anderen das biblische Zitat (Mt 10,16): „Be wise as serpents and innocent as doves“ (Seid klug wie die Schlangen und unschuldig wie die Tauben).

Nach dieser irdischen Dreifaltigkeit eilen fast alle nicht nur zu den Toiletten mit weinseligen Nixen und naschreifen Trauben davor, sondern auch zur Verkaufsstelle „Heaven“, die an den „im Prinzip“ offenen Himmel erinnert:

If heaven is closed, do not go to hell.
Be patient, wait around: Angels will be with you – shortly.“
(Wenn der Himmel geschlossen ist, geh nicht zur Hölle.
Sei geduldig, warte hier: Engel werden bei dir sein – in Kürze.)

Die Zeit ist wie im Flug vergangen, es ist noch ein ganzes Stück bis Jerewan – und der Tag hat noch einiges zu bieten. Vorbei an aserbaidschanischen Mini-Exklaven und an iranischen Lastern erreichen wir die Ararat-Ebene, weite Felder, Dörfer mit Storchennestern ziehen vorbei, die stillgelegte Eisenbahn nach Nachitschewan, die große aserbaidschanische Exklave an der Grenze zum Iran und zur Türkei.

Naira erinnert noch einmal an die wechselvolle Geschichte, etwa der alten Hauptstadt Artaschat, deren Ausgrabungshügel wir von ferne sehen, und an das Schicksal von Gregor dem Erleuchter, der in dem vor uns liegenden Kloster Chor Virap (wie einst Jeremia in der Bibel) in einer Grube jahrelang schmachtete (die Geschichte haben wir ja schon erzählt!). Jetzt liegt das Kloster vor uns und der umwölkte Ararat recht fotogen dahinter.
Nach dem angesagten Foto-Stopp Halt auf dem Parkplatz am Fuße des Klosters, hier ist wieder alles Mögliche los, wie in Gyumri werden uns (Friedens-)Tauben angeboten, die zum Ararat fliegen sollen, der heute hinter der sichtbaren Grenze in der Türkei liegt, und die erscheint gegenwärtig unüberwindbar - und so drehen die Tauben doch nur eine Runde und bereichern ihre Besitzer.

Wir steigen zum Kloster hinauf und lernen, die alte Anlage aus dem 4.-7.Jh. wurde bei einem Erdbeben 1679 zerstört. Der wichtigste Wallfahrtsort Armeniens präsentiert sich also in neuerem Gewand. Wir genießen die wundervolle Aussicht.

Jetzt ist es nicht mehr allzu weit nach Jerewan. Das Einchecken im neuen „Ani Grand Hotel“ klappt zügig und kurze Zeit später sind wir schon wieder auf dem Weg in das 1974 gegründete Nationale Pantomime Theater, wo uns um 20 Uhr eine Extra-Aufführung erwartet, der Direktor Zhirayr Dadasyan führt uns ein in sein Stück in Anlehnung an eine orientalische Legende ein und wir staunen über das Mimodrama „The Game“ (1996, 50 min, zur Erinnerung an die Aufführung einfach den Link anklicken: https://www.youtube.com/watch?v=f-vzne7TY2s, denn: Fotografieren war nicht erlaubt!). Ein neuer Bus bringt uns zum Hotel zurück.

Einige Unentwegte machen sich noch einmal auf den Weg in die Stadt, man könnte noch eine Kleinigkeit essen und auf diesen übervollen Tag anstoßen. Das gelingt dann auch in unserer Kleingruppe (Gertraude, Lars, Silke und wir), nur von der können wir berichten: Nur ein paar Schritte vom Hotel entfernt ein kleines familiäres Ristorante, eine italienisch angehauchte Familie feiert mit eindrucksvollem Gesang, wir genießen unsere „Spaghetti Jerevanese“, die Herren mit armenischem Bier und die Damen mit armenischem Wein. Gegen 23 Uhr fallen wir ins Bett.

 

14. Tag: Freitag, 13.09.2019

Ausflug über Garni zum Höhlenkloster Geghard,
Besuch des Matenadaran und des Kreuzsteinmacher Hambik

von Lars Nienke

Wir sind wieder in Jerewan und endlich ist auch das Wetter wieder gut und einladend für unsere anstehenden Ausflüge. Der Tag wird hart, ein Termin jagt den anderen. Wie immer soll es um 9 Uhr losgehen. Zuvor tauschen einige von uns Geld am Automaten. Dabei hat Helga ein beeindruckendes Erlebnis. Sie lernt einen Deutschen kennen, der ihr am Tauschautomaten erläutert, wie glücklich er sei, in Jerewan endlich eine passende Klobürste für zu Hause gefunden zu haben!?

Um 9 Uhr warten wir an der Straße vor dem Hotel auf den Bus, aber die Abfahrt ist im Hof. Wir freuen uns über einen neuen Bus. Die Servolenkung des alten war kaputt und der neue schlägt auch nicht bei jedem Buckel über der Hinterachse. Unser Fahrer ist auch neu. Außerdem fehlt Gerd, heute geht es ihm nicht gut.

Über Hauptstraßen fahren wir zum Tempel nach Garni. Naira erzählt aus der russischen Zeit in den 1970ern. Ausländer durften sich nur über ausgesuchte Straßen bewegen und Städte im Umkreis von 30 km um die Hauptstädte besuchen. Garni z. B. war gesperrt. Züge fuhren nur nachts entlang der Grenze, damit man nicht so viel sehen konnte. Entlang der Straße stehen Hochhäuser der 60er und 70er Jahre. Die Wohnungen wurden zugeteilt und viele Menschen waren froh, überhaupt eine und dazu eine solch relativ große Wohnung zu erhalten. Später während der siebenjährigen Blockade aber gab es Strom nur an 2 Stunden am Tag und dann liefen keine Wasserpumpen, Heizungen und Aufzüge, und es gab kein Licht.

Wieder fahren wir durch atemberaubende Landschaften mit tollem Blick auf den wolkenfreien Ararat. Die meist hügelige Landschaft soll im Frühjahr grün und bunt sein, jetzt ist sie eher eine ausgedorrte Steppe. Auch leidet sie stark unter Vulkanismus und Erdbeben. Viele Häuser am Straßenrand sind dadurch stark beschädigt und die meisten sind deshalb unbewohnt. Im Osten gar nicht weit weg erstreckt sich das Geghama-Gebirge. Dahinter in von hier in gerade mal 40km Luftlinienentfernung ist schon der Sewansee, den wir noch in guter Erinnerung haben. In der vor uns liegenden Basaltschlucht von Awan fließt der Fluss Asat. Früher bildete er die Grenze zwischen Persien und Byzanz, bis hier ging der griechisch-römische Einflussbereich. 10 km weiter westlich sehen wir Teile des aufgestauten Asat-Reservoirs.

Wir erreichen Garni, ca. 30 km von Jerewan entfernt. Garni war einige Jahrhunderte lang Sommerresidenz der armenischen Könige – Ruinen der Festung Garni existieren noch heute. Wir besuchen die schöne und gepflegte Anlage. Wir sind recht früh da und der Busfahrer hat es noch leicht, einen guten Parkplatz zu finden. Später am Mittag stehen überall in den Nachbarstraßen Busse.

Innerhalb des Festungsgeländes ließ Tiridates I. im 1. Jahrhundert einen hellenistischen Mithras-Tempel mit 24 ionischen Säulen errichten. Dieser ist als Tempel von Garni bekannt. Andere Ausgrabungsfunde lassen aber auch andere Deutungen zur Entstehungsgeschichte des Tempels zu. Er wurde bei einem Erdbeben 1679 zerstört und seit 1966 mit Originalmaterial rekonstruiert. Im Zuge des Wiederaufbaus wurden neue Steine des Tempels absichtlich ohne Ornamente ausgeführt. Wiederaufgebaut wurde der Tempel wahrscheinlich nur, weil er der einzige seiner Art im damaligen Russland war. Die neunstufige Aufgangstreppe zum Tempel ist beschwerlich. Einige unserer Damen kommen die Stufen zwar hoch, aber runter müssen sie krabbeln oder brauchen Hilfe.

 

Nach der Bekehrung Armeniens zum Christentum wurden einige Kirchen und der Palast eines Katholikos innerhalb der Befestigungen gebaut. Diese liegen heute allerdings auch in Ruinen. Bei jüngeren Ausgrabungen wurde ein römisches Badehaus mit gut erhaltenem Mosaikfußboden entdeckt. Die Gründung einer Rundkirche ist auch für uns gut erkennbar.

Von den Rändern der Anlage hat man wieder atemberaubende Ausblicke in die Schluchten und auf die angrenzenden Hochplateaus.

 

Naira erzählt spannende Geschichten über die Abenteuer von Tiridates in Neapel und Rom.

Von Garni fahren wir ein paar Kilometer weiter – weiter geht es dann auch gar nicht mehr – zum Höhlenkloster Geghard am Ende des Asat-Tals. Der ab dem 13. Jahrhundert bezeugte Name Geghardawank bedeutet „Kloster zur Heiligen Lanze“. Damit ist eine Reliquie der Heiligen Lanze gemeint, die der Apostel Thaddäus ins Land gebracht haben soll und die im Kloster aufbewahrt wurde. Heute befindet sie sich im Museum der Kathedrale von Etschmiadsin. Dort haben wir sie schon gesehen.

Die Lanze enthält angeblich ein Stück eines Nagels des Kreuzes Christi (Heiliger Nagel). Nach der Legende gehörte die Lanze Mauritius, dem Anführer der Thebäischen Legion, oder nach anderen Quellen dem römischen Hauptmann Longinus, der mit ihr den Tod Jesu überprüfte, so dass sie auch mit dessen heiligem Blut getränkt sein soll.

Auffällig am Straßenrand sind in Ministälle eingepferchte Ziegen. Das Tal selber ist durch Höhlen gekennzeichnet, in denen früher Einsiedler lebten. Man nennt es auch ein Tal voll Gebet. Im Kloster gibt es heute Besuch von Politikern aus der GUS in Begleitung des Ministerpräsidenten Armeniens, deshalb sollen wir uns etwas beeilen.

Charakteristisch für das Kloster sind die teilweise in den Felsen gehauenen Räume bzw. die Nutzung von Höhlen. Die Räume werden beleuchtet durch Öffnungen in den Decken. Gebaut wurden die Höhlenräume, die innen kaum von normalen Kirchenräumen zu unterscheiden sind, anders herum als sonst, nämlich von oben nach unten und teilweise übereinander. Das Kloster gehört zu den bedeutendsten Zeugnissen der armenisch-apostolischen Kirche. In einer Kapelle gibt es eine Quelle im Felsen, welche von den Besuchern rege genutzt wird, als ob das Wasser Heil spendend wäre oder Wunder bewirken würde. Das Kloster wurde im Jahr 2000 in das UNESCO-Welterbe aufgenommen - wenn man innen drin ist und die „Höhlen“ bestaunt, weiß man auch warum.

Das Frauenquintett Luys lässt für uns bei ganz besonderer Akustik in den Felsenhöhlen geistliche Gesänge erklingen.

Wieder draußen sucht dann Uwe umgehend das Fachgespräch mit den Sängerinnen. Wir kaufen CDs und erhalten Autogramme.

Die anschließende Besichtigung steht etwas unter Zeitdruck. Wie üblich gibt es lange Schlangen am WC, welches idyllisch hinter den Klostermauern an einem Bach liegt. Auf der anderen Seite des Baches erreicht man über eine alte Rundbogenbrücke Bäume und Sträucher, an denen unzählige Wunschtaschentücher aufgehängt sind.

Pünktlich fahren wir wieder Richtung Garni. Zum Mittagessen sind wir um fix 13 Uhr im Restaurant Sergei Mot verabredet. Es gibt mal wieder ein tolles, bäuerliches Essen. Leckere gebratene Forelle und ein toller Aprikosen-schnaps machen schläfrig.

Nutzen wir also die Heimfahrt nach Jerewan zum Handschriftenmuseum, dem Matenadaran, für ein Nickerchen.

Auf den Straßen in Jerewan ist Stau – wie fast immer. Der Bus bleibt unterhalb der Straße zum Museum stehen und wir müssen mit müden Beinen den Berg hinaufkraxeln.

Die Führung im Museum, der Bibliothek für alte Handschriften, übernimmt Seda. Fotografieren ist nicht erlaubt.

Man kann gar nicht alles aufzählen (und behalten), was dort alles erläutert wird. Viele Details stehen auf der Webseite. Trotzdem will ich noch einmal ein bisschen vor allem mit Zahlen beeindrucken:

Über 20.000 Handschriften sind gesammelt, davon 15.000 armenische. Es ist die größte Sammlung der Welt in dieser Hinsicht (danach folgen Jerusalem, Venedig, Wien, Berlin u. a.). 4.000 Handschriften sind biblisch. Die Handschriften kommen aus allen (ehemaligen) armenischen Kolonien, viele enthalten eigene Miniaturen. Jährlich werden es 200-300 mehr. Es gibt Handschriften aus allen möglichen Themengebieten. Viele sind in wunderschöne Einbände eingefasst, die mit Silber, Vergoldungen oder Edelsteinen verziert sind. Meist enthalten sie Kreuzigungsdarstellungen. Auch das Etschmiadsin-Evangeliar mit dem ältesten Elfenbeineinband der Welt aus dem 6. Jh. ist ausgestellt. Versteinerte Handschriften finden sich ebenso.

Flüchtlinge des Genozids haben ca. 3.000 Handschriften gerettet, viele aber wurden damals systematisch zerstört.

Eine Handschrift braucht übrigens ca. alle 50 Jahre eine ca. zwei Jahre dauernde Restaurierung. Diese werden in einer besonderen (Keller-) Werkstatt mit seltenen Materialien von ausgesuchten Restauratoren auch aus Deutschland ausgeführt.

Um das Alter und die Bedeutung der Sammlung ein- und abzuschätzen, sollte man mal in Europa ausgestellte Handschriften googlen.

Die Bücher waren die Arbeit von Mönchen. Sie zu schreiben dauerte 2 bis 5 Jahre - pro Buch! Auf den letzten Seiten gibt es immer ein Erinnerungsblatt mit dem Lebenslauf der Handschrift. Für die 300 forschenden Wissenschaftler ist das Lesen möglich, die Buchstaben sind nämlich seit dem 5. Jhdt. unverändert. Zu verstehen sind sie jedoch kaum, das ist die eigentlich Forschungsarbeit. Die größte Handschrift wiegt 28 kg und enthält 660 Blätter, die kleinste wiegt nur ein paar Gramm mit 120 Seiten, Sie ist in „Mikroschrift“ beschrieben.

Das erste in armenischer Schrift gedruckte und auch ausgestellte Buch erschien 1512 in Venedig. Von ca. 1.000 Exemplaren sind nur noch ca. 100 erhalten. Das Buch ist von Jakob dem Sünder, Sünder weil er nicht geschrieben, sondern hat drucken lassen. Die Perle des armenischen Drucks ist die 1. armenische Bibel aus Amsterdam von 1666.

Natürlich gibt es auch Ausstellungen zum schönsten Alphabet der Welt, dem armenischen. Das von Mesrop Maschtoz geschaffene Alphabet war so perfekt, dass es seit 405 n. Chr. nicht geändert oder reformiert worden ist. Die Buchstaben sehen heute noch so aus, wie Mesrop Maschtoz sie schuf. Für die Schaffung des Alphabets wurde Mesrop Maschtoz später von der armenisch-apostolischen Kirche heiliggesprochen. Das armenische Alphabet spielt eine enorme Rolle im Erhalt der nationalen und kulturellen Identität des armenischen Volks und genießt eine ganz besondere Liebe und Achtung.

Das war wieder einmal eine Riesenfülle an Informationen, die man erst mal verkraften muss. Wir schlendern oder taumeln zum Bus und haben am Hotel ankommend 20 (!!!) Minuten Pause, bis es zu Fuß in die Aram Street zum Kreuzsteinmacher geht.

Der Kreuzsteinmacher Hambik, einer von ganz wenigen in Armenien, hat den Betrieb vom Vater übernommen. Der Vater hatte sein Handwerk auch schon in Dokumentationssendungen im deutschen Fernsehen vorgestellt, und der Sohn macht es heute Abend noch einmal ganz persönlich für uns. In der Werkstatt, die nichts anderes ist als eine große, an einer Seite offene Holzhütte an der Straße mitten in der Stadt arbeiten der Chef und noch 2 Auszubildende.

Die rein manuelle - man glaubt es nicht so wirklich, bis unter die Decke ist alles eingestaubt - Herstellung eines Steines dauert ca. zwei Monate.

Die Kreuzsteine (armenisch: Kashkar) werden auf Bestellung aus aller Welt entworfen, gefertigt und geliefert. Die uns vorgestellten Steine kosten zwischen 2.500 und 7.500 €. Für kleines Geld gibt es aber auch gegossene Mitbringsel. Das größte Problem ist, wenn ein Stein bricht oder Teile abbrechen; die Reparatur ist nämlich schwer bis unmöglich. Deshalb ist nicht nur beim Meißeln, sondern besonders auch beim LKW-Transport über die teilweise maroden Straßen besondere Vorsicht geboten.

Um 19 Uhr ist das offizielle Programm zu Ende! Unter Führung von Eduard gehen die meisten erschöpft Richtung Hotel zurück. In kleiner Gruppe schlendern wir noch gemütlich durch die Fußgängerzone (die Northern Street) Richtung Opernplatz. In der Stadt wimmelt es von jungen Leuten. Überall sind Restaurants, Cafés, Kneipen, aber auch viele schicke Geschäfte. An jeder Ecke musizieren Straßenmusiker.

Wir erholen uns auf den Sofas eines open-Air Cafés zwischen Tumanjan Str. und Friedensplatz mit Blick auf den Swan-Lake bei einem Kaltgetränk und verschiedenen Leckereien.

Später laufen wir noch zügig zum Platz der Republik. Nur bis ca. 22 Uhr sind hier noch die eindrucksvollen Wasserspiele mit Musik zu bestaunen.

 

Und dann ist der Tag fast zu Ende – fast, nicht ganz. An der Bar im Hotel sitzen tatsächlich noch ein paar von uns, und so gibt es noch das allabendliche Absacker-Bier, einen Wein oder einen Ararat.

 

15. Tag: Samstag, 14.09.2019

Besuch des Flötenspielers Karen Hakobya
und des Denkmals Zizernakaberd,
Diskussion mit Prof. Dr. Ruben Safrastyan,
und Besuch einer Teppichmanufaktur

von Elisabeth Windgassen mit Fotos von Ute Leschny

Auch heute Morgen ging es wieder nach dem Frühstück um 9 Uhr los.

Unser erster Besuch an diesem Tag galt einem Duduk-Spieler und seiner Frau. Die Duduk ist eine alte traditionsreiche Flöte, hergestellt aus Aprikosenholz mit einem Mundstück aus Schilfrohr (seit dem 3.-4.Jh. im Gebrauch) Die Löcher der Duduk entsprechen der Anzahl unserer Finger. Karen Hakobyan wies uns noch in andere alte armenische Musikinstrumente ein wie die „Bagpipe“ (Dudelsack). Sie geht auf das 6. Jh. zurück und ist aus der Haut der männlichen Ziege gemacht. Wir lauschten fasziniert seinem Spiel auf den unterschiedlichsten Instrumenten wie z.B. auch einer Flöte aus Kuhhorn. Ein kleines Konzert des Ehepaars verzauberte diesen Vormittag. Am Ende wurden wir großzügig mit Kaffee und Kuchen bewirtet. Es war ein schöner Einstieg in unseren letzten Tag mit Programm in Armenien.

Unsere 2. Etappe war das Genozid-Gedenkstätte (Zizernakaberd) in Jerewan

1. Geschichte

Ein halbes Jahrhundert lang wurde der Völkermord der Türken an den Armeniern (1915-1916/17) von den sowjetischen Behörden verschwiegen. Erst die Massenkundgebungen der Bevölkerung Jerewans zum 50. Jahrestag des Völkermordes 1965 veranlassten die Behörden zum Errichten einer Gedenkstätte, ohne den Genozid jedoch damit offiziell anzuerkennen. 1967 wurde das Genozid-Denkmal mit der Entzündung des ewigen Feuers eingeweiht. Möglich war dies alles nur, weil ein armenisch stämmiger Kommunistenführer, Überlebender des Genozids, sich in der UdSSR dafür eingesetzt hatte.
Einen Satz Nairas möchte ich in diesem Zusammenhang zitieren. „Wie stark müssen wir sein, dass wir so bedroht werden.“ Starke Repressalien gegenüber den Armeniern gab es auch in der UdSSR (z.B. Verfolgung bis zur Auslöschung armenischer Intellektueller unter Stalin 1936-1939).

Zum Bau des Monumentes wurde der Hügel Zizernakaberd, hoch über dem Hrasdan-Fluss gewählt, mit Blick auf den Ararat.

2. Die Gedenkstätte

Der Komplex besteht aus drei Elementen: erstens einem 44 Meter hohen Obelisken, der als Symbol der Teilung des historisch-armenischen Siedlungsgebiets der Länge nach gespalten ist; zweitens den zwölf Pylonen als Bild für die 12 Apostel; sie stehen rings um die ewige Flamme in gebeugter Haltung als Zeichen für die Verbeugung vor den Toten; drittens einer 100 Meter langen Mauer mit den Namen der Vilayets (Regierungs-bezirke), in denen die Opfer des Massakers wohnten. Der kahle Weg dorthin ohne Bäume soll an den Todesmarsch in die syrische Wüste erinnern. Im Jahr 1995 wurde zum 80. Jahrestag des Genozids das unterirdisch angelegte, in die Böschung des Hügels eingebaute Museum eingeweiht.

In der Parkallee pflanzte man Bäume zum Gedenken an die Opfer.

Auf der Rückseite der Gedenkmauer befinden sich Gedenkplatten für Personen, die sich während und nach dem Völkermord für die Opfer eingesetzt haben (u.a. Johannes Lepsius, Franz Werfel, Armin Wegner, Jakob Künzler, Hedwig Büll, Fridtjof Nansen ). Mich erinnerte die Anlage an das Holocaust-Denkmal Yad Vashem in Jerusalem

Charles Aznavour (1924-2018), alias Schahnur Waghinak Asnavourian, als Kind armenischer Eltern in Paris geboren, hat folgenden Text als Chanson zum 60. Gedenken des Völkermords gesungen, eine Anklage an die westlichen Mächte. (dt. Text zit. nach Gisela Ramming-Leupold: Armenien - Land am Ararat, Halle/ S., 2. üb. Aufl. 2017, S.251)

Sie fielen, ohne zu verstehen,
Männer, Frauen und Kinder, geboren zu leben.
Sie fielen langsam und schweigend,
wie Betrunkene, mit erschrockenen Augen, verstummt.
Sie fielen, während sie Gott anriefen,
an den Toren von Kirchen, an offenen Türen.
Sie starben zerstreut in der Wüste,
Gejagt von Durst, Hunger, Feuer und Schwert.
Sie fielen zu Tausenden, einfaches Volk,
Sie fielen, um bedeckt zu werden
vom Wind und dem Sand des Vergessens.
Sie fielen durchs Schwert, durch die Kugel,
wie verwundete, unschuldige Vögel.
Sie fielen namenlos, spurlos,
vergessen in ihrem letzten demütigen Schlaf.
Sie fielen im einfältigem Glauben,
daß ihre Kinder in Freiheit leben sollten.
Ich bin der Sohn dieses Volkes,
das ohne Grab ruht,
das lieber sterben wollte,
als seinen Glauben zu verraten.
Nie beugten sie ihr Haupt unter all diese Beleidigungen;
sie leben trotz allem weiter ohne Klage.
Sie fielen, sie sanken in den ewigen Schlaf der Zeitalter,
Der Tod erschlug sie,
ihr Mut war ihre Sünde.
Sie waren Söhne Armeniens.

Der Genozid ist für die Armenier ein Trauma, eine tiefsitzende offene Wunde. Besonders im Verhältnis zur Türkei, die nicht zu ihrer Verantwortung steht. Die Opfer des Genozids wurden vom Katholikos der Armenisch-Apostolischen Kirche heiliggesprochen. Naira bezeichnete diesen Akt als hilfreich zur Bewältigung des Traumas und um aus der Opferrolle herauszukommen.

Am Nachmittag schloss sich im Hotel Ani, in dem wir zu Anfang unserer Reise in Jerewan gewohnt hatten, eine kurze Mittagspause und eine Fragestunde mit Prof. Dr. Ruben Safrastyan zur aktuellen politischen und aktuellen Situation Armeniens an (hier eine Zusammenfassung seiner Ausführungen)

1. Wirtschaftliche Lage

Ziel der samtenen Revolution im Mai 2018 war die Abschaffung der weitverbreiteten Korruption mit vielen Monopolen und der Entwicklung von demokratischen Strukturen. Konnten diese hohen Erwartungen an die Veränderungen erfüllt werden? Ein dreifaches „Nein“! Warum?

  • Das System der Korruption ist zu groß und kann nur langsam abgebaut werden.
  • Das auslaufende sowjetische System lässt nur spärlich Privatinitiative aufkommen. Dazu braucht es eine Veränderung des Denkprozesses in der Gesellschaft.
  • Die erwarteten intensiven Investitionen aus dem Ausland blieben aus.

Der armenischen Regierung sind diese Probleme bewusst. Veränderungen brauchen Zeit. Sie sollen sich langsam und ohne Druck besonders von außen entwickeln.

2. Aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklung

Armenien hat ca. 3 Millionen Einwohner, ein Drittel davon sind arm. In der Diaspora leben ca. 6 Millionen Armenier. Sie gelten als wohlhabend, stark und einflussreich. Das hat geopolitische Bedeutung für Armenien und wirkt sich positiv auf Staat und Gesellschaft aus.
2018 gab es ein nationales Erwachen. An der Revolution nahmen mehrere 100.000 Menschen aus allen Provinzen teil. Träger waren vor allem junge Leute. Dagegen konnte das alte System nichts unternehmen. Der Präsident traf sich mit den Revolutionsführern und dankte ab - kraft der Menschenmassen, die hinter dem Revolutionsführer, Nikol Pashinjan, standen. 2018 wurde er zum Regierungschef gewählt. Er ist heute noch charismatisch und einflussreich.
Ab 1990 kam es zu einer Kapitalanhäufung bei den Oligarchen (eventuell vergleichbar mit Europa im 16. und 17. Jh.). Dieser Dschungelkapitalismus führte zu sozialem Unfrieden. Die Revolution von 2018 wollte soziale Gerechtigkeit und demokratische Werte durchsetzen, aber ohne Blutvergießen. Beide Seiten schätzten die Lage nüchtern ein. Sie verfolgten die Jahrtausendalte Tradition der „Concordia“, also alle Lösungen ohne Gewalt anzustreben. Es gab auch keine Vendetta gegenüber den Oligarchen. Das führte zur Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Es ging ihr alles zu langsam. Die Oligarchen hatten vorher keine politische Verantwortung übernommen, so konnten sich die politischen Kräfte nicht konsolidieren. Jetzt haben vorwiegend junge Leute Verantwortung übernommen. Positiv ist, dass es jetzt eine neue politische Elite ohne Korruption gibt, negativ ist, sie haben keine Erfahrung. Das kritisiert die Gesellschaft. Die armenische Gesellschaft ist wie ein kochender Topf. Neu ist für sie Meinungsfreiheit und Beteiligung der Zivilbevölkerung an Entscheidungsprozessen. Die Dynamik des Volkes muss in die richtige Richtung gelenkt werden.

3. Außenpolitik

Vorbemerkung: Im Vertrag von Moskau (16.03.1921) wurden die heutigen Grenzen Armeniens ohne die Beteiligung des damaligen Armeniens festgelegt. Die Akteure waren das türkische Parlament (Republik Türkei erst ab 1923) und das kaukasische Büro des russischen ZK. Vorherige internationale Verträge wie der von Sèvres (1920) wurden auf Kosten Armeniens rückgängig gemacht. Armenien erkennt diesen Vertrag für sich als ungerecht nicht an und damit auch nicht die Grenzen. So hat Armenien Westarmenien (= heutige Osttürkei) mit dem Zugang zum Meer und mit dem Ararat, seinem heiligen Berg, verloren.
Die Außenpolitik ist seit 1991 unverändert. Es gibt 3 Grundprinzipien:

  1. Trotz der eurasischen Wirtschaftsunion mit Russland Betonung der Souveränität
  2. Panarmenische Zusammenarbeit mit den Diasporaarmeniern
  3. Zusammenarbeit mit der Welt
    • Russland – wichtigster Bündnispartner und Erdgaslieferant - Waffenlieferungen
    • Türkei – feindlich wegen Leugnung des Genozids sowie Vertrag von 1921 – politische Isolation - wirtschaftliche Sanktionen
    • Aserbaidschan – Konflikt um Bergkarabach - Verbündeter der Türkei - politische Isolation - wirtschaftliche Sanktionen
    • Iran – gute Beziehungen, gilt als Friedensstifter in der Region
    • USA – gute Beziehungen u.a. wegen Diasporaarmenier - unterstützen demokratische Reformen - setzen Türkei unter Druck zwecks Öffnung der Grenze
    • EU – ab 2017 Vertrag über umfangreiche Zusammenarbeit, unterstützt sehr erfolgreich Reformen
    • China – investiert viel, z.B. unser Reisebus war „Made in China“ - natürliches Misstrauen, Angst vor Abhängigkeit
  4. Das Schulsystem
    Armenien hat den Bologna-Vertrag unterschrieben. Es gibt für 1-6-jährige Kinder Vorschuleinrichtungen, die mindestens 10 Monate im Jahr geöffnet haben. Allgemeinbildende Schulen sind Grundschulen, Abendschulen, Gymnasien und weiterführende Schulen. Die Bildung für die 6–18-Jährigen zahlt der Staat. 2013 gab es eine Bildungsreform. Hauptpunkt war die Bildung einer dreijährigen weiterführenden Schule bis zum Abitur (Klasse 10 –12). Bildung spielt in Armenien zwar eine große Rolle, aber speziell auf dem Land ist für den Transport der Kinder die Eigeninitiative der Eltern gefragt, da es kaum öffentliche Verkehrsmittel gibt.
  5. Das Gesundheitssystem
    Die medizinische Versorgung hat sich gegenüber der Sowjetzeit sehr verschlechtert. Jerewan hat zwar Spezialkliniken, aber es gibt keine Investitionen in Krankenhäuser. Das fundamentale Problem ist die Armut der Bevölkerung. Die Menschen können sich Arzt und Krankenhäuser nicht leisten. Sie müssen alles selber bezahlen. Die Krankenkassen sind zerfallen, auch weil die Bevölkerung ihnen misstraut. In Polikliniken werden Rentner und Kinder umsonst behandelt. Das ist gesetzlich geregelt. Ebenso können Medikamente umsonst abgegeben werden. Ein allgemeines Problem ist der schnelle Wechsel von Personen in Führungspositionen.

Und schließlich noch der Besuch einer Teppichmanufaktur „Megerian Carpet“

Der Großvater des heutigen Besitzers gründete diese Teppichfabrik in New York. Zunächst wusch und reparierte er Teppiche. 1917 kaufte er dieses Gebäude in Jerewan und stellte Teppiche her; während der Sowjetzeit mit chemischen Farben, jetzt mit Naturfarben und in Handarbeit mit der armenischen Zwei-Knotentechnik. Es gibt 38 Mitarbeitende, vorwiegend Frauen.

Der älteste Teppich überhaupt ist ein armenischer (2500 Jahre alt). Er wurde in einem sibirischen Gletscher gefunden. Er weist die Zwei-Knotentechnik auf, die rote Farbe stammt von Cochenille-Läusen aus der Ararat-Ebene, das Muster ist aus der urartäischen Zeit. Er wird ausgestellt in der Eremitage in St. Petersburg.

Redaktionelle Randbemerkung der Reiseleitung:
Angesichts der fortgeschrittenen Nachmittagsmüdigkeit und der etwas lustlosen Demonstration der Mitarbeiterinnen vor Ort hielten sich Aufmerksamkeit oder gar (Kauf-) Interesse in deutlichen Grenzen. Immerhin ermöglichten die Teppichberge zwischendurch ein „Verschnaufen“. Einhellige Meinung für zukünftige Reisen: Das muss man nicht wiederholen. Das hat seine Zeit gehabt.

Als wir zu Fuß zu unserem Restaurant zum Abendessen gingen, gerieten wir in eine Umwelt-Demonstration. Vorwiegend junge Leute demonstrierten gegen den Abbau von goldhaltigen Erzen in der Nähe des berühmten Quellort Jermuk im Süden Armeniens und für die Erhaltung der Natur. Nicht nur Naira wäre am liebsten mitgegangen. Es herrschte eine friedliche Atmosphäre. Aber das Gewusel von Menschen fand ich auch beunruhigend. Die Polizeipräsenz war unübersehbar. Und doch war ich auf einmal mittendrin und „meine Gruppe“ verschwunden.

Erste Zwischenbemerkung der Reiseleitung:
Die Gruppe war inzwischen im edlen Elite Plaza Hotel angekommen und hatte die Fahrt mit dem goldenen und gläsernen Aufzug zum Sky-Restaurant „Mozaik“ entspannt genossen, an einer festlichen Tafel Platz genommen und gerade mit einem Aperitif auf die Reise angestoßen, da hakt Edith – wie immer aufmerksam auf alle bedacht – angesichts eines leeren Platzes nach: „Wo ist denn Elisabeth?“ Entsetztes Schweigen. Dann die eine. „Ich habe sie doch noch bei der Demo gesehen!“ Ein anderer: „Und dann?“ Hektische Suche nach ihrer Mobilnummer. Gefunden, aber sie ist nicht zu erreichen. Das Menu beginnt. Endlich der erlösende Anruf aus dem Hotel Ani, wo wir nachmittags zum Gespräch waren. Dort ist sie gelandet. Den Rest erzählt sie selber:

Tatsächlich erkennt man auf dem Foto, wie sich Elisabeth in die falsche Richtung „davonmacht“

Hier das glückliche Ende meines persönlichen Abenteuers „Lost in Jerewan“. So müssen sich Flüchtlinge in einem fremden Land fühlen - ohne konkrete Orts– und Sprachkenntnisse, ich - allerdings auch anders als verabredet - ohne Handy. Zwei junge Frauen sprachen mich an, und eine geleitete mich dann zum Hotel Ani. Eine Gebetserhörung! Es stellte sich heraus, sie waren Zeugen Jehovas. Ich kann mir Eduards Erleichterung vorstellen, als er meine Stimme am Telefon hörte. Ein Taxifahrer brachte mich sicher per GPS-Ortung übers Handy zum Restaurant mit dem Abschiedsessen.

Kriemhild nimmt die „verlorene Tochter“ von Herzen in die Arme. Elisabeth war endlich da, nun konnte das Menu ganz entspannt zu Ende zelebriert werden. Günter hatte wieder ein kleines Lied zum Dank für Naira, Eduard und unseren Busfahrer Samuel vorbereitet und überreichte die obligatorischen Umschläge.

Unsere bildscheue Naira bekommt die CD „Liturgische Gesänge aus Armenien“, die in Deutschland mit einem Chor aus Jerewan eingespielt worden ist, Eduard als Chef der „Arminius“-Agentur, in vielen Situationen Retter der deutschen Reisenden, eine Auswahl Ritter-Schokoladen mit großen und kleinen Nüssen, die er während der Reise geknackt hat und die ich ihm die Tage ohne und nach uns versüßen sollen… und dann singen wir nach alter Sitte:

Danke für Lavash, Wein und Essen, danke für alles Leck’re hier,
danke, wir haben viel genossen, Kognak, Schnaps und Bier.

Danke, wir sind sehr gut gefahren – auf Pisten – bis zum Pilgerberg.
Ach, wir haben viel erfahren: Armenien ist es wert.

Danke für diese runde Reise, Naira, Eduard und Samuel,
danke an Euch auf alle Weise. Armenien – ganz speziell.

Danke für manche Überraschung von Arpi bis Tatev ganz spontan,
das ist euch täglich neu gelungen. Armenien – voll im Plan.

Danke für das „liebe Gäste“ bei Regen und bei Sonnenschein.
Ihr seid für uns das Allerbeste. Armenien – freundlich, fein.

Danke für das Reflektieren von Geschichte, Kultur und Gegenwart.
Uns kann alle tief berühren, was Leben hat bewahrt.

Unsere Alterspräsidentin Marga hielt – wie bei allen Studienreisen der Vergangenheit – ihrerseits die stimmungsvolle Dankesrede der Gruppe, überreichte Kriemhild & Günter in Fortsetzung des Granatapfel-Symbols vom Hochzeitstag nun nicht nur einen getöpferten blutroten Granatapfel – gefüllt mit Granatapfelwein -, sondern auch noch passend dazu Tischläufer und Sets im Granatapfel-Design

Da war die Freude groß. Uwe – bekannt für seine literarische Versiertheit – steuerte noch ein Gedicht „by heart“ bei.

Da ging allen nicht nur das Herz auf, sondern auch die Augen über: unvergesslich über den Dächern von Jerewan und über den Gipfeln des kleinen und großen Ararat ein strahlend leuchtender Vollmond.

Margas Dankesrede am Abschlussabend in Jerewan

(vorab mit Gruppenbild gekürzt veröffentlicht und mit ein paar Erläuterungen versehen im Gemeinde-brief: die brücke. ev. kirchengemeinde eppendorf-goldhamme 3/2019: November bis März, S. 30-31)

Bari luys (= gutes Licht“), d.h. guten Morgen in Armenien

Am letzten Abend der Armenien-Reise „Christentum und Kultur im Schatten des Ararat“, der heute in der Türkei liegt, im ehemaligen West-Armenien, bei Vollmond in einem Lokal im 17. Stock eines Wolkenkratzers hoch über Jerewan fasste das älteste Mitglied der Reisegruppe, Marga Mohren (86), eine ehemalige Presbyterin aus Leverkusen, die an allen 13 bisherigen Studienreisen mit Kriemhild & Günter Ruddat teilgenommen hat, die Erlebnisse der Reise zusammen:

„16 Tage sind wir durch das Land der Steine, wie Armenien von seinen Bewohnern liebevoll genannt wird, gereist und haben 3000 Jahre Kultur zwischen Ost und West erlebt. … Armenien, ein Land jenseits der schneebedeckten kaukasischen Riesen (zwischen Türkei und Aserbaidschan, deren Grenzen geschlossen sind, zwischen Georgien und dem Iran) … Wir fuhren durch faszinierende Gebirgslandschaften. Durch fruchtbare und karge Landschaften, durch weite Ebenen, über hohe Pässe und tiefe Schluchten. Kurzum: Atemberaubend! Ein Wunder der Natur.

Wir besuchten viele Kirchen, Klöster und Museen, wo wir viel über den Ursprung und das Leben des armenischen Volkes hörten und sahen. Wir schlenderten durch Gjumri, die Stadt „der Hochnäsigen“, wie sie von den Armeniern genannt wird, die Stadt, die beim Erdbeben 1988 total zerstört wurde, inzwischen aber wieder halbwegs aufgebaut ist.

In Aparan, eine der ältesten Städte Armeniens, sahen wir in einer Bäckerei, die in ganz Armenien berühmt ist, den Bäckerburschen beim Backen des Lawash-Brotes zu. In dem kleinen Dorf Pambak tauchten wir in einem „Märchenhaus“ ein in die zauberhafte Welt der armenischen Folklore. In Bjurakan, in den kaukasischen Bergen, machten wir mit bei den traditionellen Festriten und freuten uns über das liebevoll zubereitende Mittagessen und die sprichwörtliche Gastfreundlichkeit. In der Nähe des berühmten Kurortes Dilijan, auch die „armenische Schweiz“ genannt, lernten wir das moderne United World College Dilijan kennen. Interessiert hörten wir den engagierten Ausführungen einer deutschen Schülerin zu.

Sehr beeindruckend waren wir von den Kreuzsteinen auf dem Friedhof von Noratus, Steine, die vom Leben der Toten erzählen.

Auch machten wir uns auf zu abenteuerlichen Fahrten: Mit zwei kleinen Bussen erkundeten wir den Kleinen Kaukasus. Es ging bergauf, bergab, über Stock und Stein. Es war eine aufregende Fahrt! In einem kleinen Dorf dann, gelegen im Länderdreieck im Nordwesten, am Arpi-See, fast am Ende der Welt mit Aussicht auf die wilde Natur, wurden wir von einer jungen Familie mit selbstgemachten Köstlichkeiten überrascht und einen armenischen Cognac gab es dazu! - Auch fuhren wir mit zwei kleinen Bussen durch das „Tal der Orgelpfeifen“, riesige Basaltsäulen an hoch aufragenden steilen Wänden, auf dem Weg zum einsamen Kloster Gndevank oder wanderten über eine Hängebrücke zum Höhlendorf Chndzoresk. Wegen einer Panne kamen wir nur mit einem überfüllten Kleinbus zurück. Ein aufregendes Erlebnis! – Mit Geländewagen ging es durch dichten Nebel über holprige Wege und querfeldein durch Bäche entlang an riesigen Lavaströmen in die Vulkanlandschaft des 3400 m hohen Ughtasar, wo wir nicht nur in der Sonne am Kratersee picknickten, sondern auch über 5000 Jahre alte Felszeichnungen bestaunten. Ein tollkühnes Abenteuer!

Wir machten eine lustige Seefahrt über den Sevan-See, einen der höchst gelegenen Seen (1900 m). - Wir schwebten mit der längsten Seilbahn der Welt fast 6 Kilometer über die Vorotan-Schlucht zum Klosteruniversität Tatev. Wir streiften durch das Feld der Steinsetzungen von Zorats Karer - Zeugen der Vergangenheit. - Wir besuchten den hellenistischen Sonnentempel in Garni, der beinahe unwirklich in die armenische Landschaft ragt. Wie schön ist die Kirche im Höhlenkloster Geghard, in der wir wunderbare liturgische Gesänge von einem Frauenquintett hörten. - In Jerewan schauten wir einem Kreuzsteinmeister bei der Arbeit zu und in einer Teppich-Werkstatt wurden wir in die Geheimnisse des Teppichknüpfens eingeführt. - Wir besuchten einen bekannten Duduk-Meister: In einer gemütlichen Gartenlaube stellte er uns die Familie der Duduk-Flöten vor und entlockte den alten Holzblasinstrumenten wunderbare Töne, begleitet von seiner Frau am Klavier. Klänge fürs Herz! - In einer Cognac-Fabrik kosteten wir den edlen armenischen Brandy und probierten in einer Weinkellerei den leckeren armenischen Wein. Wir feierten gleich vier Geburtstage und einen Hochzeitstag. Wir sammelten uns zu Andachten an besonders schönen Orten.

Außerdem: In Armenien gibt es unzählig viele Treppen. Über viele Stufen sind wir gestiegen – auf und ab. Und dann die Straßen: holperig – steinig – mit großen Schlaglöchern. Doch Samuel, unser Busfahrer, hat alle Hindernisse meisterlich überwunden. Er führte uns sicher über die kurvenreichen Straßen, über Höhen und Tiefen, manchmal haarscharf am Abgrund vorbei. Naira, unsere Begleiterin, berichtete uns viel von der Zeit, als Armenien zur Sowjetunion gehörte, mit all den Problemen der prägenden kommunistischen Herrschaft, die bis heute nachwirken, aber auch von den lebendigen Hoffnungen dieses kleinen Volkes. Und Eduard, der uns nicht nur technisch während der Reise betreute, wurde zu einem guten Freund: So nennen Armenier einen Menschen, mit dem man sein Brot teilt.

Vor zwei Wochen begann unsere Rundreise in Jerewan, der 13.Hauptstadt Armeniens. Ohne Koffer! Die landeten erst einen Tag später. Und nun in Jerewan endet sie. Der schneebedeckte Ararat begrüßte uns und er verabschiedet uns. Wir sind rundherum in Armenien und quer durch das Land gefahren. Wir erlebten großartige Landschaften, dramatische Natur und armenische Traditionen. Nun ist diese wunderschöne Reise zu Ende. Was bleibt sind die schönen Erlebnisse, die faszinierenden Eindrücke und die Erinnerung an unsere Gruppe.

Ihr – liebe Kriemhild und lieber Günter - habt diese Reise geplant, vorbereitet und begleitet, mit allem Drum und Dran. Ihr habt Euch unterwegs gekümmert und für wunderbare Überraschungen gesorgt. Für all das sagen wir einfach DANKE!

Es begab sich am 2. Abend in Jerewan, dass wir bei lauer Luft zu einem armenischen Lokal spazierten, wo uns ein 4-Gänge-Menue erwartete und als Überraschung eine Musikgruppe, die auf typisch armenischen Instrumenten spielte. Wir lauschten fasziniert der armenischen Musik!

Damit ihr nun zuhause in Bochum auch diesen Tönen lauschen könnt, haben wir die CD dieser Gruppe für Euch. Und dieser Tischläufer und die Deckchen sollen Euch an unsere Reise erinnern. Natürlich darf auch der Granatapfel nicht fehlen, hier gefüllt mit Granatapfelwein. Danke für alles.

Nun müssen wir Abschied nehmen von Armenien. Morgen fliegen wir in unseren Alltag zurück, mit vielen schönen Erinnerungen im Gepäck!“

 

16.Tag: Sonntag, 15.09.2019

Rückreise- Schade, aber auch schön- 
Freude auf zu Hause

von Lars Nienke

Der Morgen ist recht stressfrei. Die Koffer sind vorgepackt, deshalb reicht es aus, um 8 Uhr aufzustehen. Anschließend um ca. 8:30 Uhr frühstücken, einige Frühaufsteher sind natürlich schon fast wieder fertig, andere trudeln langsam im Frühstückssaal ein. Es herrscht kein Zeitdruck, man quatscht ein bisschen länger am Tisch und trinkt noch in Ruhe eine weitere Tasse Kaffee oder Tee.

Nach dem Frühstück noch ein bisschen Toilette, Koffer schließen und bereitstellen, das Handgepäck vorbereiten. Gertraude braucht Hilfe beim Kofferschließen, das ist aber auch wirklich nicht so einfach mit dem Teil. Die vielen Präsente nehmen doch einiges an Platz weg und erschweren die ganze Packerei und das Verschließen. Später am Flughafen erfolgt der Aufwand noch einmal. Sie hatte den Pass im Koffer verpackt.

Nun haben wir noch ca. 2,5 Stunden F R E I E Z E I T. Das ist ja was ganz Neues. und wir müssen erst mal lernen, sie auch zu nutzen. In Ruhe gehen wir zur Vernissage, einem riesig großen Markt für Nippes, Schönes, Unnützes, Geschenke, Andenken…
Hier können wir die letzten Drams noch ausgeben. Überall treffen wir auf die Mitreisenden. Günter hat einen Stand gefunden, wo er schöne Miniaturen gekauft hat. Originale oder Kopien, für jeden ist was dabei. Der Künstler versteht kaum ein Wort, aber er hat deutschsprachige Unterstützung.

Irgendwann ist es dann aber auch gut zwischen Billig-Duduks, Handtaschen, Kissenbezügen, T-Shirts, Socken und Mützen, Bildern und Büchern, Magnetbildchen für den Kühlschrank, Keramikgranatäpfeln und so weiter und so weiter.

Ein bisschen nervös vor der langen Reise ist man ja auch. Und so sind fast alle um 11:30 Uhr wieder im und am Hotel. Schnell tauschen wir noch Restgeld im Exchange-Büro im Supermarkt. Jetzt haben wir vielleicht noch 2 mal 100 Dram für einen Toilettenbesuch.

Um 12 Uhr machen wir noch ein Gruppenfoto auf der Treppe des Hotels

 

und dann geht es schnell zum Bus im Hof des Hotels. Jeder kontrolliert, ob sein Koffer auch in den Bus geladen wird. Marlieses und Walters Koffer stehen wohl noch vor den Zimmern und müssen noch geholt werden. Gut, dass die beiden aufgepasst haben.

Eine halbe Stunde später sind wir am Flughafen. Dort natürlich das übliche: Einchecken, Ausweiskontrolle mit Ausreisestempel, Personenkontrolle, duty-free, Gate suchen, warten. Wir sind im Terminal 1, gibt es auch einen Terminal 2? Nein, so groß ist das hier nicht.

Wir boarden sogar vor der Zeit und dieses Mal geht der Flieger superpünktlich um 14:35 Uhr.

In Moskau ist das Wetter mit 12° recht kalt, aber wir müssen ja nur kurz zum Transferbus. Auch hier wieder Pass- und Personenkontrolle, duty-free, Gate-suchen und warten.

Aber auch der zweite Flieger geht sehr pünktlich

und um 21:50 Uhr Ortszeit landen wir knapp vor der Zeit in Düsseldorf.

Dieses Mal sind alle Koffer da. Marlieses Koffer hat ein Rad verloren. Wir singen noch das Pfadfinder-Abschiedslied „Nehmt Abschied, Brüder, ungewiss“ (die Schwestern werden spontan eingeschlossen). Die anderen noch auf die Koffer wartenden Reisenden staunen etwas, dann herzen wir uns gegenseitig, und es geht durch die Schiebetür in die Ankunftshalle. Hier warten die Abholer und wieder wird geherzt. Meine Tochter Aylin vergießt vor Freude ein paar Tränen…