Toledo ist wunderbar gelegen auf einem Hügel, umschlungen von einem Mäander des Tajo. Toledo war im Mittelalter das kulturelle Zentrum der Halbinsel. Es war die Hauptstadt des Westgotenreiches. Danach regierten dort maurische Emire und nach ihnen die christlichen Könige Kastiliens. Erst im 16. Jahrhundert verlegte der spanische König Philipp II. seine Residenz und machte Madrid zu seiner Hauptstadt. In Toledo blühte davor die Vielfalt der Kulturen, meist in einem friedlichen Miteinander. Unter der maurischen und mozarabischen, d. h.vor allem säkularen Gesellschaftsordnung gab es das interreligiöse Gespräch zwischen jüdischen, christlichen und islamischen Gelehrten. Diese hohe mittelalterliche Kultur umfasste
die Zeit von 470 bis 1478. Nach der Verlegung der königlichen Machtmetropole nach Madrid blieb Toledo der Sitz des spanischen Erzbischofs. Von 1478 an residierte in Toledo zusätzlich der Groß-Inquisitor, der die eigentliche Herrschaft über die spanische Kirche erfochten hatte. Der Großinquisitor setzte dem multikulturellen Leben von Toledo ein brutales Ende. Von dem außergewöhnlich hohen geistigen Leben in dieser Stadt zeugen heute nur die Baudenkmäler. Toledo ist heute die Hauptstadt der spanischen Provinz La Mancha. In der La Mancha und um Toledo herum spielten im 16. Jahrhundert die Geschichten des Ritters von der traurigen Gestalt, Don Quijchote. Sein Dichter schuf eine Sammlung von Geschichten, die das Leben als verrücktes, aber auch heiteres Welttheater erzählen. Ohne Satire und Humor sei das Leben ein Jammertal, sagt Cervantes in seinem „Roman“, wie sie schon die sog. Märchen aus Tausend und eine Nacht erzählen. Der Dichter Miguel de Cervantes ( 1547 – 1616) lässt die Verdrehtheit der Menschheit durchblicken, die sich selbst für vernünftig hält. Doch ihre verdrehte, aber sehr kluge Vernunft wird von der Gier und dem Neid geleitet. Cervantes lebte zur Zeit des spanischen Königs Philipp II. (1527 – 1598) und des großen englischen Dichters und Komödianten William Shakespeare (1564 – 16116). Nach der Zeit der Eroberung Lateinamerikas und der Erbeutung großen Reichtums ist sein Roman ein Spiegel für eine verrückte Gesellschaft, die selbst ihre Verrücktheit nicht merkt. Cervantes war kein Stubenhocker, sondern ein Abenteurer, Söldner und geriet Jahre lang in die Sklaverei. In dem so „vernünftig-irren“ Don Quijchote können wir uns alle wiederfinden! Spanien hat in der Zeit der absolutistisch herrschenden Könige vom 16. bis 18. Jahrhundert dieses Spiel des „homo incurvatus“ (der in sich verdrehte Mensch) gespielt. Doch in diesem maurisch-mozarabisch kultivierten Land ist der Geist der Menschlichkeit daneben erhalten geblieben. Das gilt nicht nur für Cervantes, sondern auch für spätere große Dichter und Künstler. Aufmerksam möchte ich machen auf den Maler Francisco de Goya, der die beeindruckenden Bilder
„Desasters de la Guerra“ malte. Anknüpfend an Goya hat in unserer Zeit Picasso das Bild „Gerrnica“ gemalt, das heute Im UNO Gebäude in New York hängt.
Doch in dieser Rückblende sehen wir, wie ausgeprägt der liberale Geist im Maurenreich war. Es gibt einen Geist, der der kritischen Vernunft dem menschlichen Denken den Vorrang gab, mit dem ein Miteinander der Religionen möglich war. Die maurische Kultur war im hohen Mittelalter (650 – 1350) von einem dialogischweltoffenen Geist durchdrungen. Toledo hatte hierbei eine zentrale Bedeutung.
Geschichtlicher Rückblick - Studienreise Spanien
Die Ureinwohnern Spaniens hießen Iberer. Sie kamen wohl aus dem Süden, aus Marokko. Nach ihnen kamen von Norden die Kelten ins Land. Sie siedelten um 800 v. Chr. in den Bergen Galiziens und in Kantabrien. Die Römer nannten die Kelten Gallier. Sie brachten eine hohe Kultur mit, erkennbar an der ornamentalen Kunst. Es ist interessant zu wissen, dass die maurische ornamentale Kunst nicht nur islamisch ist. Sie hat auch einen keltischen Urgrund! In der Zeit der Iberer und Kelten trieben Griechen und Karthager Handel mit dem Kelten, bauten aber dort keine Kolonien und Herrschaftssysteme auf.
Die Römer, die nach der Zerstörung Karthagos nach Spanien kamen, gebärdeten sich als Herren, und romanisierten das Land. Sie machten Spanien zur römischen Provinz. Sie führten wie schon in Sizilien die Großgrundbesitzer-Herrschaft ein. Das iberischkeltische Volk wurde versklavt und verlor die Menschenrechte. Spanien wurde landwirtschaftlich ausgebeutet und zu einer Kornkammer Roms gemacht. 600 Jahre bestimmte die „Pax Romana“ das Land. In Spanien sprach man „Jahr-hunderte-lang“ lateinisch. Die heutigen iberischen Sprachen spanisch und portugiesisch sind aus dem lateinischen hervor gegangen. Als die Westgoten etwa 600 Jahre später nach Spanien kamen, das war um 450 n. Chr., gebärdeten sie sich wie die Römer als neues Herrenvolk über die heimischen Völker. Sie übernahmen die römischen Herrschaftsmethoden und behielten die römische Latifundien-Wirtschaft bei. Spanien wurde von ihnen von ca. 400 – 700 nach römischem Recht verwaltet. Durch den Kaiser Theodosius wurde 390 das Christentum zur alleinigen Staatsreligion erhoben. So wurden die Völker Spaniens von oben herab zu Christen gemacht. Doch hatten die Westgoten sich schon zuvor für den Arianismus entschieden, d. h. sie sprachen ein Glaubensbekenntnis, in dem Christus als der Adoptiv-Sohn Gottes bezeichnet wurde. Da die westgotischen Adligen und ihre Könige absolutistisch regierten, bestimmten sie auch die Kirche Spaniens. Sie hatten sich nicht dem Papst in Rom unterstellt, sondern bestimmten die Belange der Kirche mit dem Erzbischof in Toledo nach dem arianischen Glaubensbekenntnis. Der Staat und die Kirche der Westgoten war unduldsam. Als Herrenvolk vertrieben sie die im Lande lebenden jüdischen Familien. Die letzten regierenden Könige der Westgoten gaben den arianischen Glauben zwar auf und wurden offiziell katholisch, feierten aber ihr Gottesdienste weiter nach der Liturgie, die wir die mozarabische nennen. Sie beteten also weiter das arianische Credo. Nach den Westgoten übernahmen auch die kastilischen Könige deren Liturgie. Nach der Niederlage der Westgoten im Jahre 711 übernehmen die Araber und Berber die Herrschaft über Spanien.
Die Reste der westgotischen Adels zogen sich nach Asturien im Norden Spaniens zurück. Das übrige Land wurde in wenigen Jahren arabisiert, denn die ibero-keltische Grundbevölkerung fühlte sich von der Herrschaft der Westgoten befreit. Das Land blühte schnell auf nach dem Vorbild des gesellschaftlichen Lebens in Syrien und Damaskus. Es herrschte freier Handel. Der gesellschaftliche Wandel, richtete sich nach der farbenfrohen Kleidung und der hellen Musik. Das Nebeneinander der drei großen Religionen war relativ konfliktfrei. Die jüdische Gelehrsamkeit hatte in Syrien ihr geistiges Zentrum am Euphrat und am Tigris. Dem Christentum hingen dort immer noch mehr als 50% der Bevölkerung an. Die moslemische Bevölkerung war lange noch in der Minderheit . Allerdings zogen immer mehr arabische Familien nach Syrien. Die arabische Sprache wurde schnell zur Staats- und Verwaltungssprache. Außerdem verlangte der Staat von Christen und Juden eine Sondersteuer, die man Kopfsteuer nannte. Doch eine Zwangs-Bekehrung gab es nicht. Die Menschen konnten unter der liberalen arabischen Regierung gut leben. Das maurisch regierte Spanien war dem Kalifen in Bagdad in jeder Hinsicht unterstellt, und folgte den orientalischen gesellschaftlichen Ordnungen. Erst 929 machte sich in Cordoba der Emir Rahman III. von der Zentral-Herrschaft in Bagdad los und sich selbst zum Kalifen. Der Islam kennt noch nicht den Gedanken vom „Gottesstaat“. Deshalb ist auch weiterhin die Kultur im Maurenreich erstaunlich liberal nach dem Vorbild von Damaskus und später von Bagdad. Bis ca. 930 bestimmte der persisch-arabische Orient den westlichen Teil des Mittelmeeres und die dort wohnenden Völker, wie die moslemischen Berber in Nordafrika, die arabischen Sarazenen in Sizilien und auch die Mehrheit der iberischen Christen in Spanien, in wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Hinsicht. Die aristotelische Philosophie bestimmte das Denken unter den Gelehrten. Die Medizin hatte im Süden eine Blütezeit. Das aristotelisch geprägte Weltbild des Südens war sehr lebendig und förderte den Dialog. Der christliche Norden lehnte die Philosophie und die Ethik des Aristoteles strikt ab. Dort hatte man sein Weltbild in der Philosophie Platons und im Weltbild des Neuplatonismus gefunden. In den Gelehrtenschulen, im Maurenreich aber herrschte das Gedankengut von Aristoteles vor. Dort suchte man den Ausgleich zwischen Aristoteles und Platon. Es herrschte in der Zeit von 800 – 1300 ein im Dialog liberaler Geist, der eine weltoffene Gesellschaft förderte. Die Herrschaft der maurischen Kultur war für die spanische Grundbevölkerung - und die war vom Christentum bestimmt – eine Befreiung gewesen! Die Bauern waren unter den Westgoten, wie vorher auch schon unter den Römer, Leibeigene und galten als Sache und hatten keine persönlichen Rechte. Unter der maurischen Herrschaft bekamen sie ihr Land zurück und wurden freie Bürger. Die Latifundien-Wirtschaft der Großgrundbesitzer der Westgoten wurde abgeschafft. Handwerk, Handel und Wandel konnten frei ausgeübt werden. Wir in Westeuropa sehen den Sieg der Araber in Spanien anders, und meinen die jüdischen und christlichen Menschen im Maurenreich seien unterdrückt worden. Tatsächlich war die maurische Herrschaft ganz anders, sehr viel liberaler! Unter den Westgoten war das Christentum Staatsreligion, Andersgläubige wurden unterdrückt, besonders die Juden, die sogar per Gesetz aus Spanien vertrieben wurden. Jetzt kehrten sie wieder zurück.
Mit dem Ende des Westgotenreiches strömten jüdische Familien und moslemische Familien von Afrika ins Land. Sie bildeten eine neue Oberschicht, besonders in der Wirtschaft. Die Juden gehörten auch zur Oberschicht, da sie durch ihr Wissen in der Verwaltung und im Handel gebraucht wurden. Sie waren mehrsprachig gebildet. In Spanien war im Omayyaden-Reich die Staatssprache arabisch. Doch war Latein die Volks-Sprache. Die gebildeten Juden sprachen Arabisch und Latein und etliche auch Griechisch. Sie übersetzten die griechische und arabische Literatur ins Lateinische, das die Gelehrtensprache in Mitteleuropa war. Das führte zur Gründung der Universitäten in Paris (1150) und Köln (1248). Die Kalifen und Emire im Maurenreich förderten den geistigen Austausch und gründeten überall Schulen. Das soziale Miteinander im Volk wurde gefördert. Eheschließungen zwischen Arabern und Christen waren üblich. Nur die Juden heirateten unter sich. Das Handwerk konnte sich in gesicherten Räumen entfalten. Die Landwirtschaft blühte auf. Die Märkte quollen über von Früchten und Gebrauchs-Gegenständen. In Spanien litt niemand Hunger. Im Gegenteil! Das Leben war satt und fröhlich. So entfaltete sich zwischen 750 und 1250 eine friedliche Community. Im Laufe der Zeit kamen aber die Konflikte. Sie kamen von außen. Die ersten brachten die französischen Franken auf dem Jakobsweg aus dem Norden mit. Sie wurden angestachelt von den Priestern und Mönchen vor allem aus Burgund, die eine strenge katholische Theologie predigten nach der Kirchenreform von Cluny in Burgund.
Die Reste der Westgoten hatten sich abgekapselt ins Cantabrische Gebirge zurück gezogen. Von hier aus organisierten sie die Wiederherstellung des Westgotischen Reiches. Alfons III. von Asturien dehnte um 900 seinen Herrschaftsbereich bis an den Duero aus, blieb aber dem Kalifen in Cordoba tributpflichtig. Man nennt dies Wiederherstellung des alten westgotischen Reiches die Reconquista. Das war ein politischer Akt, kein christlicher Kreuzzug gegen die Araber oder Andersgläubige. Denn in Lauf der kulturellen Arabisierung Spaniens war die orientalisch-maurische Lebensweise von allen Bevölkerungsschichten übernommen, auch wenn die Mehrheit der Menschen in Spanien Christen waren und blieben. Es gab keine islamische Mission. Die Kalifen förderten auch keine Islamisierung der Bevölkerung. Denn Juden und Christen mussten eine Kopfsteuer zahlen, die die Staatskasse gut füllte. Auch die Könige von Asturien und später von Kastilien lebten im maurisch geprägten Stil der Gesellschaft. Sie bauten ihre Burgen im maurischen Stil, Man nennt diesen Stil „mozarabisch“. Ein Kennzeichen dieses Stils ist die Hufeisen förmige Öffnung von Türen und Fenstern. Im mozarabischen Stil bauten auch die christlichen Mönche ihre Klöster. Man kleidete sich orientalisch bunt, wie in Damaskus. Von dort importierte man die Stoffe und Luxusgüter. Damaszener Seide ist heute noch beliebt bei reichen Europäern. Natürlich wurde im übrigen Nord- und Mitteleuropa diese schier märchenhafte und im Wohlstand lebende Gesellschaft neidisch beobachtet. In Südfrankreich, wo man so stolz war, dem arabischen Eroberungszug bei Tours und Portiers Einhalt geboten zu haben, kam es zu einer fränkisch-christlichfundamentalistischen Gegenbewegung.
Das Wohlstandsleben in Spanien wurde dort als Teufelswerk angesehen. Fränkische Einwanderer in das asturische Reich brachten einen streng katholischen Glauben mit, den sie unter den spanischen Christen verbreiteten. Im religiösen Gepäck sickerte auch der Judenhass ins Land. Aber erst viel später kam es zu einem Judenpogrom in Toledo (1195), der von Alphons VIII. Unterdrückt werden konnte. Diese Geschichte ist von Leon Feuchtwanger im Roman „Die Jüdin von Toledo“ beschrieben worden. Der Hass auf die Juden wuchs im Volk nur allmählich und wurde noch durch die Politik der kastilischen Könige im Schranken gehalten. Es blieb noch 200 Jahre lang bei der insgesamt friedlichen Stimmung in Spanien unter den drei Religionen. Die kastilischen Könige dachten weltlich und regierten in den eroberten Gebieten nach maurischer weltoffener Art weiter! Herausragend dafür steht der kastilische König Alphons X., der der Weise genannt wird, Er regierte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Alphons X. gründete in Toledo und Murcia Übersetzerschulen. In diesen Schulen sollten die Schriften der arabischen Denker und Dichter ins Lateinische übersetzt werden, so dass das aristotelische Gedankengut nach Europa gelangen konnte. Alphons Vater, der König Ferdinand III., hatte zuvor schon aus Toledo die Hauptstadt der drei Kulturen gemacht. In Toledo blühte also im 13. und 14. Jahrhundert eine interkulturelle Bildung. Vor allen waren es die Juden, die arabisch sprechen und lesen konnten. Sie waren die Übersetzer der arabischen Schriften. So konnte sich der Geist der Antike und des Südens unter den Mitteleuropäern entfalten. Doch der Fundamentalismus und der Neid gegen die maurische Kultur und gegen die christlichen Könige Kastiliens und die mozarabische Kirche in Spanien kam nicht nur aus dem Norden, sondern auch aus dem streng-gläubigen islamischen Marokko. Unter dem Motto: „Zurück zum einfachen Leben!“ tat sich in Afrika ein Mob zusammen unter einem Heils-Führer, der die Menschen zu Mord und Totschlag aufrief. Diese aufgeheizte Menge stürmte über die Meerenge, schlug das Heer des Emir von Cordoba und zerstörte die blühende Hauptstadt Medina Azahara, die jetzt erst nach tausend Jahren ein wenig restauriert worden ist. Die Almovariden, wie diese Berber genannt wurden, konnten aber Toledo nicht in ihren Herrschaftsbereich zurück erobern. Toledo blieb kastilisch und damit unter christlicher Führung. Die Stadt blieb „die Stadt der drei Kulturen“ von einem liberalen Geist geprägt. Die Almovariden verloren bald ihre aggressive fundamentalistische Einstellung und gingen im guten Leben der Bevölkerung auf. Die Herrschaft der Almovariden über das südliche Spanien dauerte etwa 60 Jahre bis 1150. Außer Zerstörung hinterließen sie keine eigneKultur. Spanien war in ihrer Zeit in einen nördlichen Teil, dem Königtum Kastilien und einem südlichen Teil, der Almovariden-Herrschaft nur politisch getrennt. Im gesellschaftlichen Leben war in dieser Zeit das ganze Land noch mozarabisch kultiviert. Die maurische Kultur blieb also erhalten. Anders wurde es unter den nachfolgenden Eroberern aus Nordafrika, den Almohaden. Sie eroberten Al Andalus und drängten die kastilischen Könige weit nach Norden zurück. Ihre Herrschaft über Spanien dauerte von 1150 bis 1230.
Der kastilische König Alphons VIII. schlug das Heer der Almohaden vernichtend, sodass diese Dynastie der Berber 1221 sich nach Marokko zurück zog. Doch in ihrer Regierungszeit brachten sie vom Atlasgebirge auch eine judenfeindliche Gesinnung mit, die auf das liberale Leben in Spanien traf. So kam der Judenhass nicht nur von Norden, von Cluny her, sondern auch von Süden her. Im christlichen Burgund wie auch im moslemischen Marokko entwickelte sich eine Welt verneinende mystische Frömmigkeit, die wir im Norden die Gotik nennen. Das heitere Leben und das Lachen galten nun als Sünde gegen den Koran und die Bibel. Christen und Juden in Spanien machten aber noch nicht mit in diesem traurigen Weltverständnis und blieben bei ihrer mozarabischen Lebensführung. Es gab kaum Judenhass und -verfolgung im Lande. Nur im Süden Spaniens vertrieben radikale moslemische Almohaden hier und dort jüdische Familien aus dem Land. Das traf unter anderem die jüdische Familie des Philosophen Maimonides, die daraufhin in den Orient zog, in dem noch vor dem Mongolensturm eine liberaler Geist herrschte. 1258 wurde allerdings die blühende Kultur im Zweistromland und in Bagdad brutal zerstört. Mit dieser Zerstörung der liberalen Kultur im vorderen Orient begann auch der Niedergang der Kultur im Westeuropa. Nach dem Tod Friedrich II. und dem Untergang seines Königreiches in Süditalien und Sizilien im Jahre 1265 begann eine Zeit, die wir das finstere Mittelalter nennen. Armut, Hunger, Hass prägten die Gesellschaften. weil der Handel mit dem Orient unterbrochen war, von wo über die jüdischen Kaufleute der Wohlstand nach Europa kam. Spanien war nicht betroffen, da das Land eigenen Reichtum hatte. Aber unter den Almohaden begann eine Zeit der Bilder-Feindlichkeit und Weltflucht. Die gleiche Entwicklung einer Erdenfeindlichen Himmels-Mystik kam durch die Almohaden wie in Mitteleuropa nun in den Süden Spaniens und Marrokos. Es begann die Zeit der Gotik mit ihren himmelwärts zeigenden Spitzbögen in Fenster und Türen. Im Almohaden-reich bevorzugte man bilderlose, rein geometrische Formen. Nackte Wände waren nicht mehr verpönt. Die kreisrunde Hufeisen-Tür verschwand. Das eigentliche Leben war im Himmel. Im Almohaden-reich in Spanien und Nordafrika begann eine asketische Zeit. Sie war geprägt von einem mystischen Glauben. Im Maurenreich wurde die Lehre der Sufis durch den Philosophen Ibn Arabi populär. Doch war seine Mystik nicht Welt abgewendet. Auch dieser arabische Philosoph war ein Schüler von Averroes (Ibn Rushd), der 1198 gestorben war. Er hatte die Aristotelische Lebensphilosophie ins Arabische übertragen und durch die Liebe den erdenfrohen Lebensklang erhalten. Von jüdischen Gelehrten wurde die Philosophie und Ethik des Aristoteles ins Lateinische übersetzt. Das geschah um 1260 in den vom kastilischen König Alphons X., dem Weisen, eingerichteten Übersetzerschulen in Toledo und Murcia. An Spanien ging in dieser Zeitenwende der bittere Kelch von Hunger, Hass und Pest glimpflich vorüber, um dann 150 Jahre später durch die Inquisition um so heftiger zurück zu schlagen mit dem Juden- und dem Moslem-Hass. 1454 fiel Konstantinopel in die Hände der Türken, die ein gewaltiges Weltreich aufgebaut hatten, vor dem sich die Europäer verständlicherweise fürchteten. Die Türken galten in Europa wie jetzt auch alle „Mohammedaner“als vom Teufel besessene Unterdrücker. Das Bild von den vier apokalyptischen Reitern kam auf!
Als die Türken das erste Mal 1529 vor Wien standen, zitterte auch der kämpferischeMartin Luther. Damals dichtete er das Kampflied „Ein feste Burg ist unser Gott“ gegen die Türken. Später wurde das Lied gegen die Katholiken geschmettert. Was war das für eine weltoffene Zeit in den Jahrhunderten der maurischen Kultur gewesen, die gleichzeitig christliches, jüdisches und islamische Leben durchdrang!
Das maurische Lebensbild - Studienreise, Gemeindiereise nach Spanien
Wir werden auf unserer Reise ein Beispiel des interkulturellen Dialogs sehen und hören. Diesen Dialog hat man dargestellt im Torre (Turm) de la Calahorra an der Brücke über den großen Fluss in Cordoba. Nach einander reden vier Denker in Sinne der aristotelischen Philosophie, obwohl sie gläubige Juden, Christen oder Moslems waren. Es ging ihnen um die Verbindung von Vernunft und Glaube in der Sinneswahrnehmung. Der älteste dieser vier Denken war ein ausgesprochener Aristoteliker, Ibn Rushd, genannt Averroes, ein Anhänger des Koran, gelebt von 1126-1198). Zur selben Zeit forschte im Geiste des Aristoteles der jüdische Gelehrte Maimonides, Anhänger der Thora (1138 – 1204). Als Dritter steht chronologischer Reihenfolge der Sufi Ibn Arabi. Er lebte von 1165 – 1240. Er versuchte die Vernunft mit der Liebe zu verbinden. Als Vierter im Bunde erzählt der christliche König Alphons X., ein sehr gebildeter Christ von seinen von ihm gegründeten Schulen, in denen arabisch, griechisch und lateinisch gesprochen wurde. Man nennt diese Schulen Übersetzer-Schulen. In ihnen wurden die auf Griechisch und Arabisch geschriebenen wissenschaftlichen Werke, besonders die des Aristoteles, der medizinischen von Ibn Sina und der astrophysischen Forschung. Alphons der Weise steht als Leuchte am Ende einer Epoche, die wir das „Hohe Mittelalter“ nennen, das man modern auch das Zeitalters des Dialogs der Kulturen nennen könnte. Diese Epoche ging um 1300 zu ende. Alphons der Weise lebte von 1221 - 1284. Die Zeit der Toleranz und des kulturellen Miteinanders endete erst um 1400. Danach wurde sie systematisch verboten durch die römische Kirche, die nun über die bisher von Rom unabhängige Kirche Spaniens herrschte. Als 1478 der Sitz des Großinquisitors nach Spanien und ausgerechnet nach Toledo verlegt worden war, wurde die mozarabische Kirche als Ketzerei verfemt. Jetzt entwickelte sich eine Hass- Gesellschaft unter den drei Religionen in Spanien, wobei der Hass gegen die Juden vom katholischen Norden ins Land getragen wurde. Dafür war besonders verantwortlich der Abt Bernhard von Clairveaux, dessen Predigten in Worms und Speyer 1147 einen ersten Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung auslöste. Später wurde von Kirche und Staat die Judenvertreibung systematisch betrieben. Parallel dazu wurde auch die arabische Bevölkerung vertrieben. Damit war die Zeit der maurischen Kultur in Spanien beendet. Auch im Volk nahm der Judenhass zu. Es wurden gegen getaufte Moslems und Juden Hetzjagden veranstaltet. Juden-Pogrome und dazu noch Hexenprozesse dehnten sich über das ganze Land aus. Einer der geistigen Brandstifter war Ignatius von Loyola ( 1491 - 1556), der den Jesuitenorden gründete. Die Zeit der Überzeugung, dass Glaube und Vernunft eine gemeinsame göttliche Wurzel haben, wurde im 15. bis18. Jahrhundert und danach in den Bann getan.
Selbst Martin Luther nannte die Vernunft eine Hure. Der aufgeklärte jüdische Philosoph Spinoza, der Glaube und Vernunft wieder in Korrelation brachte, wurde in Amsterdam ein hundert Jahre später (1656) dafür aus der jüdischen Gemeinschaft ausgestoßen. Der Hass richtete sich, von der der Kirche gesteuert, gegen jegliches eigenständige Denken, das doch im hohen Mittelalter die maurischen Kultur belebt hatte! Die Vier großen Denken haben alle auf das „Eigene Denken“ gepocht. Diese vier, die zwischen 1150 und 1250 lebten und von der Verbindung von Vernunft und Glaube gleichberechtigt redeten als Kraftquelle für den Dialog, suchten die Waage im Denken für den Frieden in der ganzen Gesellschaft. Vom Dialog hatte fast 1000 Jahre zuvor schon Sokrates gesagt; er sei die Grundlage der Demokratie. Dafür musste er den Schierlingsbecher trinken! Aristoteles warnte vor den Alleinherrschern, denn diese bedienten sich des Hasses im Volk, das er Pöbel (Ochlos) nannte. Mit dem Hass und dem Wutgeschrei im Volk entwickelte sich der Aberglaube und die Lügenwelt, sagte er. Wir müssen heute acht geben, dass uns das Angst-und Wut-Denken nicht wieder einholt, nachdem wir 70 Jahre nach dem Wahnsinns-Krieg der Unmenschlichkeit ein dialogischen Miteinander in der Welt gestalten konnten.
Schauen wir zum Schluss auf den kulturellen und geistigen Abstieg der maurischen Kultur im hohen Mittelalter in die Zeit der religiösen Welteroberung durch die spanischen Könige. Sie regierten nach der Ideologie aller Diktatoren, also nach der Maxime, Gewinnen kann man nur, wenn man die Menschen belügt und ihnen Gewalt an tut und sie mit Angst-Predigten in den Gehorsam zwingt. Das „hehre“ Motto der Machthaber lautet „Ein König (Führer), ein allein regiertes Reich und eine einzige Religion mit einem allmächtigen Gott an der Spitze, der Krieg will und Ketzerverbrennungen gut heißt.“ Die maurische Kultur lebte vom individuellen „Selber-Denken“, von dem die vier Philosophen in ihren Reden sprachen. Doch diese Welt der glaubenden Vernunft ist nicht nur in Spanien unter gegangen. Zum Schuss möchte ich diesen geistigen Niedergang in Spanien an der Gestalt des Apostels Jakobus erläutern. Jakobus, dieser Jünger Jesu ist auch heute noch der Nationalheilige der Spanier. Ursprünglich war Jakobus im volkstümlichen Denken der Schützer der Pilger und der Armen. Er war der Verfechter der Gerechtigkeit. Er rangierte in der spanischen Kirche noch vor Petrus, weshalb die spanischen Bischöfe sich Jahrhunderte lang sich nicht dem Papst in Rom unterordneten. Im Zusammenhang mit der einmal politisch geplanten Recoquista (Rückeroberung) verändert sich die Bedeutung des Apostels vom Helfer der Armen und Pilger zum grausamen Streiter für die christlichen Heere. Jetzt wird Jakobus nicht mehr als ein Pilger im langen Mantel mit Hut und Stab und der Muschel an der Brust gesehen, sondern als kriegerischer Erzengel Michael, der als Reiter auf hohem Ross mit der Lanze einen Mauren unter sich ersticht. Dieses Bild findet man auch heute noch in vielen Kirchen Spaniens. Nun heißt dieser Helfer der Menschheit der Matamoros, der Mauren-Töter. Mit dieser phantastischen Verdrehung und Lüge verwandelt sich die politische Herrschaftsidee der Reconquista in einen göttlichen Kreuzzug gegen die Araber.
Hartmut Nielbock, Seth i. Holst. 26. April 2023